Backnang Stories 2016
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Dieses Weihnachtsbüchlein schenkt Ihnen die zwanzig besten Geschichten des Backnang Stories Schreibwettbewerbs. Lesen Sie erhei-ternde, besinnliche, spannende, zukunftsweisende, aber auch märchenhafte Kurzgeschichten für Jung und Alt.
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Book preview
Backnang Stories 2016 - Marcus Burkhardt
Leseratten Verlag
präsentiert
Backnang Stories 2016
Die 20 besten Weihnachtsgeschichten
des Schreibwettbewerbes
aus dem Jahr 2016
Marc Hamacher (Hrsg.)
Backnang Stories 2016
ISBN 978-3-945230-21-3
1. Auflage, Allmersbach im Tal 2016
Alle Rechte und Pflichten der jeweiligen Erzählung liegen beim Autor.
Bild: Tanja Hamacher
Cover: Marc Hamacher
Satz und Layout: Tanja und Marc Hamacher
Lektorat: Carina Bein, Marc Hamacher
Herausgeber: Marc Hamacher
© 2016, Leseratten Verlag, Allmersbach im Tal
www.leserattenverlag.de
Grußwort vom Juze
Grüß Dich, Du Leseratte oder Lesemäuschen,
Du hast den diesjährigen Band der Backnang Stories gekauft oder vielleicht sogar geschenkt bekommen. Da wir naturgemäß eher an der Flasche und weniger an der Tastatur begabt sind, wollen wir Dich hier auch nicht allzu sehr mit aufgeblasenen und blumigen Worten belästigen.
Wir als die Aktion Jugendzentrum Backnang e.V. anno 1971, ältestes noch bestehendes selbstverwaltetes Jugendzentrum der BRD, leisten schon immer einen großen Beitrag zur Kultur in Backnang. Sei es durch die seit über 30 Jahre stattfindende Juze Murr-Regatta, die Jugendmeile am Straßenfest, unser Beats for Freaks-Festival oder die unzähligen Konzerte in unseren heiligen Hallen. Upps, die aufgeblasenen Worte sollten doch erst nach unserem Grußwort kommen. Entschuldigung, aber das passiert uns manchmal, wenn es um unser geliebtes Juze geht. Jetzt ist aber Schluss damit. Wenn du mehr Beweih- räucherung (#Weihnachten) unsererseits hören möchtest, wende Dich an unseren Vorsitzenden. Der macht das gerne während einer kleinen Audienz, immer am Sonntag um 19 Uhr. :)
Wir hatten im Juze auch immer literarische Beiträge. Diese trugen jedoch nicht unbedingt das Prädikat kulturell wertvoll. Deshalb waren wir eher skeptisch, als Marc vor circa drei Jahren zu uns kam und uns von seinen Plänen erzählte: Wir sollen einer der Lesungsorte für die Backnang Stories werden.
Zunächst waren wir zweifelnd. Könnte das funktionieren? Trauen sich überhaupt „normale" Bürger in unsere Hallen? Und wie reagieren unsere Stammgäste auf den literarischen Overflow? Diese Skepsis war schnell völlig verflogen. Wir schauen auf zwei erfolgreiche Lesungen zurück. Die Stimmung war hervorragend und geprägt von Freundlichkeit und gegenseitigem Respekt. So freuen wir uns auf eine weiter erfolgreiche Zusammenarbeit, den Beginn einer hoffentlich jahrhundertelangen Tradition. :)
Wir wollen uns ganz herzlich beim Leseratten Verlag bedanken, der diese Buchreihe auf den Weg gebracht hat. Weiter natürlich auch ein Dank an die Jury, welche aus Hunderten von Einsendungen in zeitintensiver Detailarbeit die besten Geschichten ausgesucht hat und – natürlich – vor allem bei Euch, den Autorinnen und Autoren – Jungs und Mädels, Ihr seids do Hammer!
Jetzt bleibt uns ja eigentlich nur noch zusagen:
Im Juze rauchts, im Juze schdägds, scheiss egal, Lessa bregts.
Euer Juze
Vorwort
Oh, du wunderbare Weihnachtszeit! Ich denke, dass jeder Mensch eine andere Verbindung zu diesen Feiertagen hat. Manche sehen es sehr religiös. Für andere ist es einfach nur Stress. Manche Familien finden nach langer Zeit der Trennung wieder zusammen – manchmal für immer. Und es soll auch Menschen geben, die sich auf diese Tage freuen, nur um mal von der Familie wegzukommen und einen Cocktail (oder zwei oder drei) an irgendeinem Strand dieser Welt zu schlürfen. Doch bei all den Unterschieden haben alle etwas Gemeinsames: Man reflektiert, denkt über das Jahr und das Leben nach und zieht sein Fazit daraus.
Meine Weihnachtsfeiern waren früher immer mit viel Musik verbunden. Bei anderen Familien ist es Tradition, dass man sich kurze Weihnachtsgeschichten oder Gedichte vorliest. Nach zu vielen Wieder- holungen von Charles Dickens’ Weihnachtsgeschichte fragt man sich dann aber doch, ob es nichts anderes gibt. Deswegen hab ich die Idee verwirklicht, ein Buch mit lauter Weihnachtsgeschichten als Sonderausgabe der Backnang Stories zu veröffentlichen. So hoffe ich, dass wir als Verlag ein Stück unterhaltsame Heimat unter Ihren Baum legen können.
Die Mischung der Genre ist – wie immer – bunt. In diesem Buch finden sich nachdenkliche, aber auch humoristische Weihnachtsgeschichten. Sie spielen in der Vergangenheit, in der Gegenwart, aber auch in der fernen Zukunft.
An dieser Stelle geht mein Dank zunächst wieder an alle Autorinnen und Autoren, die sich bei dem Wettbewerb beteiligt haben. Dann danke ich der Jury: Eldrid Ehlers, Cornelia Floeth, Andreas Nawrot, Karin Riefert, Katharina Vent, Kerstin Wenger und Stephan Wonczak, welche sich durch zahlreiche Skripte gekämpft haben. Dank an die Sponsoren der Preise, die bei den entsprechenden Geschichten erwähnt werden. Aber auch an jene lokale Unterstützer, welche dem Verlag mit Rat, Raum, Zeit und dem Platz für Flyer und Werbeplakate helfen. Mein besonderer Dank gilt in diesem Jahr der Gang des Juze in Backnang. Nicht nur für das einleitende Grußwort, sondern auch für die lässige chillige Zeit während unserer Lesungen im Vereinsheim, wo wir immer das Ende unserer Lesetour kurz vor Weihnachten verbringen.
Zum Ende hin: Ja, auch 2017 wird es wieder Backnang Stories geben. Alle Details für unsere Ausschreibungen findet Ihr unter:
www.leserattenverlag.de
Marc Hamacher
Leseratten Verlag
Marcus Burkhardt
Marcus Burkhardt, seines Zeichens Weltklassemusiker bei Geddess, Zucker für die Ohren und Gabriella-Männer der Tat, Fernsehstar (37Grad ZDF), und nun auch Autor. Nebenher macht er noch »Schrottkunst« und Spray Paint Bilder. Er wurde am Tage 2441462 des julianischen Kalenders in der Stadt der Goldschmiede geboren. Er ist mit der tollsten Frau der Welt verheiratet, die ihm immer zur Seite steht und ihn bei allem unterstützt.
Trompetensolo
Sie alle kennen das. Man fragt sich: Wie um alles in der Welt komme ich hierher? In eine Oh-Gott-ist-mir-das-peinlich-Situation. Ich versinke am besten gleich mal im Erdboden!
Und man denkt noch: Sollte nicht ich eigentlich derjenige sein, der sich das Ganze aus sicherer Distanz und mit einem Grinsen hoch zehn im Gesicht betrachtet? Und das mit einem Bier, oder der Jahreszeit angepasst, vielleicht doch eher mit einem heißen, nach Sternanis, Zimt und Nelken duftenden Glühwein in der Hand und im Kreise meiner Freunde? Mit erhobenem Finger auf den armen Kümmerling zeigend und rufend: »Seht euch den mal an!« Und während sich immer mehr Menschen dem Geschehen zuwenden, zufrieden mit der Welt nochmals an dem wunderbar wärmenden Getränk in meiner Hand nippend.
Nun … nein. Nein, dem sollte diesmal wohl nicht so sein. Denn das Leben ist grausam. Und das Schicksal launenhaft. Nein … boshaft. Nein … grauenboshaft. Oder besser grauenboshaftböse.
Denn als ich die Augen aufschlug, konnte ich immer wieder nur das denken: Oh mein Gott! Was ist nur passiert? Wie um alles in der Welt … nein, wie um alles im Universum komme ich hierher?
Nackt mit weit ausgebreiteten Armen, die Hüfte an die Brüstung gepresst, auf dem Stadtturm in Backnang stehend! Im Winter. 30 Meter über der sich auf dem Weihnachtsmarkt amüsierenden Menge.
Schneeflocken umtanzten mein Haupt, erhellt durch den Strahler, der den Turm in ein feierliches Licht tauchen sollte. Oder mich. Dessen war ich mir in dem Moment nicht so sicher. Winzige Punkte auf meinen Armen und senkrecht abstehende Haare zeigten mir, dass meine Haut der eines Vogels glich. Eines gerupften Vogels. Eines nackten, gerupften Vogels. Eines nackten, gerupften - leider nicht unsichtbaren - Vogels. Ich war aber keiner – zumindest noch nicht. Ich fror und dachte so bei mir: Jeder andere Mann, der dich grad so sieht, würde dich fragen: »Naaa, is dir kalt?«
Nichts, aber auch gar nichts ließ sich in diesem Moment schönreden. Doch. Halt! Eines will ich hier nicht verschweigen. Immerhin war trotz der Kälte und der Nähe zur Brüstung mein bestes Stück nicht am Geländer angefroren.
Das Einzige, was wenigstens im weitesten Sinne zu meiner Beruhigung beitrug, war der Gedanke: Sicher schaut in diesem Moment gar keiner nach oben! Sicher sind alle 10.265.546 Menschen da unten anderweitig beschäftigt. Und sicher würde keiner, wenn er mich hier so stehen sähe, den Finger erheben und alle auf mich aufmerksam machen!
Sicher doch. Gaaanz sicher. So sicher wie das Amen … ach, lassen wir das. Denn als mein Hirn – sich gerade vom Schock erholend – wieder einigermaßen im Stande war, dem Rest meines erstarrten Körpers Befehle in Form von „Bewege dich nun ganz langsam nach hinten. Nimm die Arme herunter! Begib dich durch die Turmtüre ins Innere! Suche deine Kleider! Steige die Stufen hinab, mische dich unters Volk und tu so, als sei aber so was von gar nichts gewesen!" zu geben, da öffnete sich eben jene schlichte, eigentlich recht harmlos aussehende Tür. Durch diese kleine, böse Warum-ist-die-eigentlich-nicht-verschlossen Tür kamen die Weihnachtsbläser des Musikvereins, um die festliche Stimmung unten auf der Marktstraße mit einer besinnlichen Weihnachtsmelodie noch zu vertiefen.
Das ist übrigens normalerweise einer der Momente, die ich auf Weihnachtsmärkten besonders liebe. Dicht an dicht stehen die Menschen zusammen. Die Musiker betreten den Turm, die Bühne oder eine Mauer. Die Menge beobachtet sie und wird langsam still. Alle warten auf den Moment, in dem das Musikspiel beginnt. In trauter Feierlichkeit lässt man sich vom Geist der Weihnacht einfangen und lauscht den Klängen, während die Luft vom Duft nach Nelken und Zimt, nach Sternanis und Orange, nach Lebkuchen und Wein durchzogen ist. Ja. So ist das normalerweise. „Normalerweise" war hier heute leider gar nichts.
Nachdem sich also somit nun „Keiner-sieht-nach-oben in die ewigen Jagdgründe verabschiedet hatte, meldete sich sein Bruder „Gaffender Musiker
umso lauter zu Wort. Der Anblick von fünf fast bis zum Boden geöffneten Mündern hätte normalerweise ganz sicher extrem zu meiner Belustigung beigetragen, wäre nicht ausgerechnet ich deren Grund gewesen. Mit einer Geistesgegenwärtigkeit, die ich mir selbst nicht zugetraut hätte, schnappte ich beim Versuch, meine Blöße zu verdecken, das Erstbeste, das ich in die Finger bekommen konnte: die Trompete des Solisten.
Mit der Trompete vorn an atmete ich einmal tief durch, nur um dann zu bemerken, dass sich dadurch mein Anblick nicht unbedingt zum Besseren gewendet hatte. Hätte ich genau in diesem Moment einen Ton herausgebracht – aus dem Mund, nicht der Trompete - , mir wäre nichts eingefallen, das irgendwie zur Verbesserung meiner Situation beitragen hätte.
Die Schockstarre der Musiker verschaffte mir zwar eine Gnadenfrist, aber selbst ich war mir bewusst, dass dies nicht lange so bleiben würde. Nun zählt Denken auch nicht gerade zu meinen Stärken. Schon gar nicht bei minus 10 Grad, nackt und nur mit einer Trompete bewaffnet auf dem Stadtturm.
Also ich gebe ja zu, eigentlich war der Anblick der Musiker schon Gold wert. Der Mann mit der Tuba – sein Mund war fast so groß wie der Auslass seines Instrumentes. Die Frau und der Mann an den Hörnern … als hätte ihnen jemand ebensolche aufgesetzt. Der trompetenlose Trompeter … nun ja, recht einsam ohne sein Instrument. Am schönsten fand ich allerdings die Posaunistin. Irgendwie hat sie es in der ganzen Situation geschafft, ihre Posaune in zwei Teile zu zerlegen, die sie nun mechanisch wieder zusammenzusetzen versuchte. Scheppernd trafen die zwei Teile bei jedem Versuch, sich irgendwie wieder zu einem Ganzen zu verbinden, aneinander. Und das tat sie mit ebenfalls weit geöffnetem Mund, den Blick starr auf meine Trompete gerichtet. Ja, echt Gold wert. Eigentlich. Aber irgendwie doch eigentlich eher nicht.
Im Nachhinein betrachtet hätte ich besser schweigen sollen. Also, ich wollte eigentlich nichts gesagt haben, aber mein Unterbewusstsein hatte wohl den Drang zu kommunizieren. Und so hörte ich, wie ein leises und stockendes »Guten Abend!« meine Lippen verließ.
Man beachte, dass mein Unterbewusstsein scheinbar sogar die Tageszeit kannte. Respekt! Ich war ja schon froh zu wissen, wo ich war. Sauerstoff in der Luft, Schwerkraft vorhanden … ERDE.
Nun, auf jeden Fall schienen diese zwei Worte das Eis gebrochen zu haben, denn was nun folgte war eine ganz normale Begrüßungszeremonie, wie sie gang und gäbe ist. Scheinbar wollte ein jeder so tun, als sei hier alles völlig normal auf unserem Stadtturm. Nichts Besonderes eigentlich an einem Mann mit Trompete vorne an.
Nun, als jede Hand geschüttelt, jedes »Guten Abend« gesprochen war und sich die Prozedur langsam dem Ende neigte, war ich durch das Händeschütteln – natürlich völlig unbeabsichtigt - der Türe um einiges näher gekommen. Nun zeigte der Trompeter durch leichtes Gestikulieren jedoch an, er wolle wohl sein Instrument wiederhaben. Zumindest deutete ich sein Kopfnicken, mit gleichzeitigem Augen auf die Trompete richten, als solches. Das kam ja mal gar nicht in Frage. Zumindest nicht für mich.
Das folgende Gerangel um die Trompete lässt sich kurz wie folgt beschreiben: Bekommst Schlag auf Finger, wenn du versuchst, Trompete zu nehmen!
Erfolgreich wehrte ich, mit dem Rücken zur Wand, jeden Versuch ab, mir meinen blechernen Schutz zu entreißen. Von der Kälte spürte ich zu dieser Zeit auch nichts mehr. Macht ganz schön warm so ein kleiner Trompetenringkampf. Ha! Nennt mich den Verteidiger der Trompete, Beschützer von Witwen und Waisen und … ähm, okay. Entschuldigen Sie bitte. Manchmal geht es etwas mit mir durch und ich drifte ab.
Aber wo wir schon dabei sind: Ist es nicht das, was wir haben wollen? Eben dieses Abdriften? Das Besondere, oder gar das Absondere? Ist es nicht so, dass wir in eine Welt abtauchen wollen, die uns der Realität entreißt?! Das Normale hat man doch selbst. Jeden Tag, jede Stunde, ja jede Minute des Lebens ist normal. So ist das Leben nun mal. Genau deswegen