Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

Gewissen vor Staatsräson: Ausgewählte Schriften
Gewissen vor Staatsräson: Ausgewählte Schriften
Gewissen vor Staatsräson: Ausgewählte Schriften
Ebook393 pages5 hours

Gewissen vor Staatsräson: Ausgewählte Schriften

Rating: 0 out of 5 stars

()

Read preview

About this ebook

Predigten, Reden und Schriften des kirchlichen Widerständlers und Friedensaktivisten Martin Niemöller.

Martin Niemöller nahm die Unrechtsverhältnisse der Welt nicht hin, eingedenk des Bibelworts: »Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen" (Lukas 1,52).
Als Vorsitzender des Pfarrernotbunds und Pfarrer in Berlin-Dahlem verteidigte er Schrift und Bekenntnis gegen den NS-Staat, obwohl er 1933 die Einführung des »Führerstaates" zunächst begrüßt hatte. Seine Predigten prägten die kirchliche Opposition gegen Hitler. Aufgrund seines Widerstands wurde er acht Jahre in Konzentrationslagern inhaftiert. Nach dem Ende des »Dritten Reiches" stellte er wie kein anderer die Frage nach der Schuld, auch nach der eigenen. In der Nachkriegszeit engagierte er sich für eine Annäherung der Kirchen in Ost und West und setzte sich für die »Dritte Welt" ein. Im Verhältnis von Christentum und Krieg stellte Niemöller die kirchliche Legitimation des Waffendienstes in Frage.
Der Band enthält u. a. Predigten aus der NS-Zeit, Reden und Vorträge zur Frage der Schuld der Kirche, über den Pazifismus, zum Verhältnis zu Entwicklungsländern, zur Wiederbewaffnung, über die Bedrohung durch Atomwaffen und über die »Notstandsgesetze". Ein Interview mit Günter Gaus, in dem Niemöller seine durch die Opposition gegen Hitler und die restaurative Nachkriegsentwicklung geprägte Lebensgeschichte reflektiert, beschließt den Band.
LanguageDeutsch
Release dateOct 31, 2016
ISBN9783835328198
Gewissen vor Staatsräson: Ausgewählte Schriften

Related to Gewissen vor Staatsräson

Related ebooks

Related articles

Reviews for Gewissen vor Staatsräson

Rating: 0 out of 5 stars
0 ratings

0 ratings0 reviews

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

    Book preview

    Gewissen vor Staatsräson - Martin Niemöller

    Anmerkungen

    Sätze zur Arierfrage in der Kirche

    Auf Grund ständig wiederkehrender Anfragen wegen unserer Stellung zum Arier-Paragraphen, lege ich folgende Sätze vor, die meine persönliche Auffassung wiedergeben:

    1. Im allgemeinen existiert die christliche Kirche auf dem Boden der Reformation in der Form der volkstümlich bestimmten Einzelkirchen. Es ist auch in der Missionsarbeit der Reformationskirchen Regel geworden, die Missionskirchen volkstumsmäßig zu gliedern und zu begrenzen, soweit das Volkstum geschlossen oder einigermaßen geschlossen wohnt. Diese Praxis ergibt sich für eine Kirche, deren Hauptaufgabe die Verkündigung des Wortes ist, zwangsläufig, schon um der Sprache willen. – Darüber hinaus bedeutet die Begrenzung und Gliederung nach Völkern die Möglichkeit für die Kirche, die Art der Verkündigung dem Volkstum und seinen Besonderheiten so anzupassen, daß der ganze Reichtum der frohen Botschaft zur Geltung kommen kann. Darin liegt die Forderung begründet, daß jedem Volk das Evangelium in seiner Art und Sprache gebracht werden soll; daraus ist auch die selbstverständliche Übung geworden, daß jedem Volk diese Botschaft durch Menschen seiner Art und Rasse gebracht wird, sobald die eigentliche Zeit der Mission, der erstmaligen Verkündigung, vorüber ist.

    2. Heute wird aus dieser unleugbaren Tatsache die Forderung abgeleitet, daß Juden und Nichtvollarier grundsätzlich und dauernd von dem Amt der Wortverkündigung und sonstigen Dienstes in der Kirche unseres Volkes auszuschließen seien. – Dabei wird aber übersehen, daß nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift das jüdische Volk, als das Volk des alten Bundes, eine grundsätzlich andere Stellung in der Heilsgeschichte Gottes einnimmt als irgendein anderes Missionsvolk. Aus Römer 11,25-26, ist zu entnehmen, daß das jüdische Volk um der Heidenmission willen, die zuvor zu Ende geführt werden soll, keine Verheißung einer eigenen Volkskirche hat. Juden-Bekehrungen sollen demnach nach Gottes Willen ausgesprochene Einzelbekehrungen sein, Zeugnisse dafür, daß Gottes Verheißung auch für Israel noch in Kraft steht und am Ende der Zeiten ihre Erfüllung finden soll.

    3. Bis dahin bleiben die bekehrten Juden als Einzelchristen auf die Gliedschaft in der Kirche ihres Gastvolkes angewiesen; hier sind sie ein bleibender Hinweis darauf, daß Gottes Verheißung ihre endgültige Erfüllung noch nicht gefunden hat. Die Aufrichtung einer judenchristlichen Kirche ist eine Utopie; deshalb sind die Judenchristen als volle Glieder der Kirche aufzunehmen, und ihre Ausschließung von den Ämtern ihrer sonst volkstumsmäßig bestimmten Kirchen, zu der sie gehören, würde bedeuten, daß die Christenheit sich dem Willen Gottes grundsätzlich versagt. Wir haben in der Gemeinde, ob uns das sympathisch ist oder nicht, die bekehrten Juden als durch den heiligen Geist vollberechtigte Glieder anzuerkennen (vgl. den entsprechenden Vorgang Apg. 10,15 sowie Gal. 2,11 ff.).

    4. Unter diesen Umständen ist ein kirchliches Gesetz, das die Nichtarier oder Nichtvollarier, soweit sie dem jüdischen Volk angehören, von den Ämtern der Kirche ausschließt, bekenntniswidrig, weil es die im dritten Artikel bekannte Gemeinschaft der Heiligen grundsätzlich negiert; denn gerade an den bekehrten Juden muß es sich erweisen, ob es der Kirche Jesu Christi mit der Gemeinschaft, die über die natürlichen Zusammengehörigkeiten hinausreicht, ernst ist. – Diese Erkenntnis verlangt von uns, die wir als Volk unter dem Einfluß des jüdischen Volkes schwer zu tragen gehabt haben, ein hohes Maß von Selbstverleugnung, so daß der Wunsch, von dieser Forderung dispensiert zu werden, begreiflich ist. Das ist indessen nicht möglich, weil wir als Kirche das Bekenntnis auf gar keinen Fall und um gar keinen Preis auch nur vorübergehend außer Kraft setzen dürfen.

    5. Die Frage kann nur so angefaßt werden, daß wir auf Grund von 1. Kor. 8 von den Amtsträgern jüdischer Abstammung heute um der herrschenden »Schwachheit« willen erwarten dürfen, daß sie sich die gebotene Zurückhaltung auferlegen, damit kein Ärgernis gegeben wird. Es wird nicht wohlgetan sein, wenn heute ein Pfarrer nichtarischer Abstammung ein Amt im Kirchenregiment oder eine besonders hervortretende Stellung in der Volksmission einnimmt. Aber daraus kann kein Gesetz gemacht werden, weil ein Handeln in dieser Richtung einen Verzicht auf die christliche Freiheit bedeutet, die niemals durch Gesetz auferlegt, sondern nur aus Liebe übernommen werden kann. (Vgl. 1. Kor. 8,13 das Verhalten des Paulus. Er sagt: So würde ich das machen. Er sagt nicht: Ich verbiete es euch! oder: Ihr sollt es verbieten um der Schwachen willen!)

    6. Es wird viel gefragt, warum nun ausgerechnet an dieser Stelle die Frage des Bekennens oder Verleugnens gestellt wird. Dazu sei in Kürze bemerkt, daß es noch nie so gewesen ist, daß die christliche Gemeinde den Punkt, an dem das Bekenntnis angegriffen wird, hat bestimmen können. Als Beispiel ist mir die Verfolgung unter Decius wichtig, wo es um die Frage des Loyalitätsopfers für den Cäsar ging. An sich hätte sich das christliche Gewissen salvieren können mit Berufung auf 1. Kor. 8, 4 (»Es gibt keine Götzen«, also ist dies Opfer kein Opfer, sondern nur ein Akt politischen Gehorsams!). – Viele haben es so gemacht. Die Bekenner haben dafür gelitten bis zum Martyrium! – Wer unter diesen beiden Richtungen hat das Rechte getan? – Wir müssen uns hier an etwas erinnern, was unsere Väter in der Konkordienformel zum Ausdruck gebracht haben (solida declaratio X, 10-11), daß nämlich in Zeiten des Bekennens auch in »Mitteldingen« nicht gewichen werden darf! (vgl. Paulus in Antiochien, Gal. 2,4 ff.). Es kommt sonst dahin, daß von dieser Stelle aus das ganze Bekenntnis aufgehoben wird. Es ist gewiß kein Zufall, sondern ein Zeichen von »groß Macht und viel List«, daß die Gemeinde Jesu so angegriffen wird, daß nur ein Teil von ihr wirklich merkt: Es geht ums Ganze!

    Wer die Brandenburgische Provinzialsynode am 24. August miterlebt hat, dem klingt der Triumph noch in den Ohren, mit dem nach der namentlichen Abstimmung festgestellt wurde, daß im Arier-Paragraphen sich die Geister scheiden müßten. Man hat es so gewollt; und daß der Angriff an dieser Stelle geschickt war und eine schwache Stelle der Kirche Christi traf, das zeigt eine Nebeneinanderstellung der verschiedenen Gutachten von Marburg, Erlangen und der neutestamentlichen Theologen. Das zwingt uns aber auch, die hier aufgeworfene Frage mit dem vollen Ernst zu nehmen, den sie als eine Frage des Bekennens oder Verleugnens beanspruchen darf! – Tatsächlich haben wir zur Zeit eine ganze Reihe von Irrlehren, die hüben und drüben umlaufen und ihre Verkünder finden in der Kirche. Aber wir haben nur diesen ersten Vorstoß gegen die Bekenntnisgrundlage der Kirche, indem hier ein Handeln, das mit dem dritten Artikel in Widerspruch steht (Gemeinschaft der Heiligen), zum Gesetz in der Kirche, also zur verbindlichen Regel gemacht ist! So kommt es gegen unseren Willen, daß hier eine grundsätzliche Stellungnahme von uns gefordert wird, ob uns das angenehm ist oder nicht!

    Gerecht ohne des Gesetzes Werke

    So halten wir nun dafür, daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.

    Römer 3,28

    Das diesjährige Reformationsfest scheint unter einem seltsamen Verhängnis zu stehen. Aus Anlaß des Lutherjubiläums ist schon so viel gefeiert worden, und es soll noch so viel gefeiert werden, daß der 31. Oktober fast unbemerkt dahingegangen ist; und auch der heutige Reformationssonntag findet in der Öffentlichkeit nicht die Teilnahme und Aufmerksamkeit wie wohl sonst: wir haben mit dem Winterhilfswerk zu tun, Luthers 450jähriger Geburtstag steht bevor, der 12. November beschäftigt die Gemüter, die Vorbereitungen für den Luthertag müssen getroffen werden – und in der evangelischen Kirche ist überdies so manches im Übergang, im Werden und im Vergehen, daß eigentlich für den Rückblick in die Vergangenheit kaum Zeit und Raum bleibt.

    An sich brauchte das noch nicht ein Fehler zu sein; es hat schon sein Gutes, wenn wir gezwungen werden, die Gegenwart ganz ernst zu nehmen und nach dem Gebot der Stunde zu fragen. Es mag besonders heute ein wahrer Segen sein, wenn wir von dem ewigen Gestern loskommen, das uns hält und hemmt, das uns – gerade in der Kirche – bei der Frage »Recht oder Unrecht?« stehenbleiben läßt in einem Augenblick, wo es wahrhaftig längst um »Sein oder Nichtsein?« geht. Denn für die Kirche der deutschen Reformation ist tatsächlich wieder einmal die Existenzfrage aufgerollt, und kein Pochen auf die erreichte Einigung der vielen Landeskirchen, kein Hinweis auf das in Kraft gesetzte bischöfliche Führerprinzip vermag diese Frage und die Aufgabe, die damit gestellt ist, aus der Welt zu schaffen. Die Frage will einfach gehört und die Aufgabe angefaßt werden. Rom steht heute gesichert da in der unangreifbaren Stellung des Konkordats, und inzwischen entfaltet sich die neue Front einer deutsch-germanischen Religiosität, die bereits angefangen hat, ihre ersten Offensivstöße vorzutragen. So deuten alle Zeichen nicht etwa auf eine ruhige Entwicklung, sondern vielmehr auf beginnenden Kampf; und da ist wahrhaftig keine Zeit mit Erinnerungen zu verlieren!

    So entspricht auch das Lutherbild des Jahres 1933, das Luther als Kämpfer darstellt, durchaus der heutigen Situation. Wir wollen gar nicht den Luther von gestern und vorgestern; uns liegt gar nicht daran zu erfahren, was Luther seiner Zeit und der unserer Väter gewesen ist, es berührt uns kaum, was er dachte und lehrte – Luther wird uns Symbol, Vorbild und Urbild des religiös-christlichen Helden, Typus des kirchlichen Führers für heute und morgen!

    Es wird jetzt viel von Luthergeist geredet und geschrieben; sieht man genauer hin, so steht hinter all diesem Reden und Schreiben die Hochachtung vor den menschlich imponierenden Eigenschaften dieses Mannes, vor seiner naiven Unbekümmertheit, vor seinem unerschrockenen Mut, vor seiner zähen Standhaftigkeit, vor seinem geraden und unbeugsamen Willen, vor seiner gemütvollen Tiefe – und ein Wunschtraum steht dahinter: Hätten wir doch mehr von diesem Luthergeist, es sähe besser aus um Volk und Kirche! Laßt uns diesen Luthergeist pflegen – heute – und morgen wird es sich zeigen: wir sind einen Schritt vorwärts gekommen!

    Schön und gut, liebe Gemeinde, und ich will keinem davon abraten, daß er sich den Menschen Luther in diesen Stücken zum Vorbild nimmt; aber davon muß ich allerdings und dringend abraten, nein: davor muß ich in allem Ernst warnen, daß wir etwa meinen, mit diesem Luthergeist könnten wir den Existenzkampf der evangelischen Kirche mit Rom und dem artgemäßen Heidentum bestreiten und zum Siege führen. Das wäre ein verhängnisvoller Irrtum, und es sieht wohl so aus, als ob der Teufel nur auf dies Lutherjahr gewartet hätte, um mit diesem Wahn in der evangelischen Christenheit ein Riesengeschäft zu machen; denn – wenn wir es auch nicht fertig bringen, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben – er bringt es fertig, den Geist Luthers mit Luthergeist auszutreiben! Und nachher stehen wir da als die Betrogenen. Darum: Vorsicht! Deswegen, weil es hier leicht dahin kommt, daß der Mensch Luther vor den Propheten Luther gestellt wird, daß wir uns an dem heldischen Mann begeistern, statt auf die Botschaft zu hören, die Gott uns durch ihn aufs neue hat sagen lassen.

    So paradox es klingen mag: der selbe Luther, der das Evangelium wieder auf den Leuchter gestellt hat, damit es leuchte allen, die im Hause sind – dieser selber Luther wird zum Scheffelmaß, unter dem das Licht verborgen bleibt [Mt 5,15; Mk 4,21; Lk 11,33] und schließlich erlischt, wenn es dahin kommt, daß wir in der Kirche des Evangeliums solchen Luthergeist predigen und pflegen. Luther selber hat wohl gewußt, was er tat, als er sich wehrte, daß sich seine Anhänger nach ihm nannten, als er in höchst drastischer Weise sich selber als einen alten Madensack verspottete, um deutlich zu machen: es kommt nicht auf mich, nicht auf den Menschen, nicht auf den Kämpfer, nicht auf den Helden – oder wie ihr mich sonst noch nennen wollt – an; macht nur keinen neuen Heiligen aus mir, um Gottes willen nicht! Denn Gott will keine Menschen, die sich an irgendeinem Heiligen messen und bilden – und hieße er Luther. Gott will Menschen, die es ihm glauben, daß er aus freier Gnade trotz allem, was uns von ihm trennt, unser Vater und Herr ist; und diese Gnade, die uns den Weg zu Gott freigibt, diese Gnade, die uns den Glauben an Gott als unsern Vater und Herrn schafft, ist nur da in dem einen, in dem Gott selber zu uns kommt: »Er heißt Jesus Christ!« – Der ist das Licht der Welt [Joh 9,5]; und darum ist es Luther gegangen, daß uns dies Licht in unverhüllter Klarheit leuchten sollte, gestern und heute und in Ewigkeit! Solus Christus! Christus allein!

    Es hat gar keinen Sinn, innerhalb der evangelischen Kirche von Luther zu reden und Luthers Gedächtnis zu feiern, wenn wir bei dem Bilde Luthers hängenbleiben und nicht auf den schauen, an den Luther uns weist. Die Versuchung ist groß; denn Luther ist uns als Deutscher näher als der jüdische Rabbi von Nazareth. Luther ist uns mit all seinen Ecken und Kanten weniger anstößig als dieser Jesus, den – fatalerweise – niemand einer Sünde zeihen konnte und kann. Luther, das sind am Ende doch wir, der Abstand bleibt relativ; Christus, da ist am Ende doch Gott, und der Abstand ist hoffnungslos! – Aber das Bekenntnis zu Luther bleibt hohl und wirkungslos, wenn wir nicht mit Luther uns zu Christus und zu Christus allein bekennen. Darum meine ich: das beste Wort, das bisher zum Lutherjubiläum gesprochen wurde, ist das schlichte Wort, das unser Hindenburg dem jetzigen Reichsbischof mitgegeben hat: »Sorgen Sie, daß Christus in Deutschland gepredigt wird!«

    Auf den ersten Blick, wie es scheint, eine große Selbstverständlichkeit. Wir haben’s ja oft genug gehört: das Bekenntnis bleibt unangetastet; Christus bleibt der Herr der Kirche, und das Erbe der Reformation soll in Treuen gehütet werden! – Aber ist diese Selbstverständlichkeit wirklich so groß und unbestritten, ist sie wirklich so – selbstverständlich? Oder heißt nicht »Christus predigen«: Christus allein predigen, heißt es nicht, den verkündigen, der da spricht: »Niemand kommt zum Vater, denn durch mich!«? [Joh 14,6] Und ist das nicht die einzig mögliche Folgerung, die wir ziehen müssen, wenn wir die Botschaft von Christus hören und aufnehmen, daß wir mit dem Juden Paulus und mit dem Deutschen Luther bekennen: »So halten wir nun – nachdem wir Christus kennen – dafür, daß der Mensch gerecht – Gott recht werde ohne des Gesetzes Werke allein durch den Glauben?«

    Mag sein, daß uns Kindern der Reformation dies Wort auch schon so bekannt und so selbstverständlich ist, daß es uns heute gar nichts mehr sagt. Wir denken dabei an Paulus, wie er darum gekämpft und gerungen hat, daß die Heiden Christen werden dürften, ohne sich beschneiden zu lassen und ohne sich auf das jüdische Gesetz zu verpflichten. Wir denken dabei an Luther, wie er sich gegen den römischen Irrglauben gewandt hat, als müßten sich Christenmenschen – um Gott recht und wohlgefällig zu werden – erst mit »guten Werken« die Gnade Gottes Stück für Stück verdienen. Und wir stellen befriedigt fest: für uns ist das nicht mehr aktuell; das sind vergangene Zeiten. Wir haben es längst gelernt, größer von Gott zu denken, und deshalb bleiben wir aller jüdischen und römischen Gesetzlichkeit gegenüber Protestanten; das Gesetz kümmert uns nicht mehr.

    Und dennoch, liebe Gemeinde: das Gesetz, mit dem Menschen Gottes Wohlgefallen erwerben möchten, ist immer noch da; es gehört zum eisernen Bestande allen frommen Menschentums und jeder echten Religion. Das alte jüdische Gesetz war längst tot in der Christenheit, als Luther gegen das Werkgesetz der römischen Kirche kämpfte, und heute wiederum ist bei uns Protestanten dies römische Kirchengesetz auch längst tot; aber – das Gesetz ist tot, es lebe das Gesetz! Zur Not schaffen wir uns das Gesetz selber, um uns vor Gott darauf berufen zu können: »Wir haben es erfüllt!« –

    Der Glaube selbst wurde zum Gesetz der Rechtgläubigkeit fast noch in Luthers Tagen: Du mußt den richtigen Glauben haben, dann bist du Gott recht! Das war das Gesetz der Orthodoxie. Und als seine Hohlheit offenbar wurde, war man um ein neues nicht verlegen: Du mußt recht handeln, dann bist du Gott recht! Das war das Gesetz der Aufklärung. Und es folgte das Gesetz der freien sittlichen Persönlichkeit als das Gesetz der wahrhaft unbegrenzten Möglichkeiten: Jeder sein eigener Gesetzgeber, und Gott setzt sein Plazet darunter und erkennt es an. Soviel Gesetze, soviel Irrwege! Und wir sind noch lange nicht damit am Ende. Vor 15 Jahren gab es Leute, die meinten und sprachen es aus: wer es mit dem Willen Gottes ernst nimmt, der muß Sozialist sein. Heute wird mit noch größerer Leidenschaft das Gesetz aufgestellt: »Wenn du so national und so sozial bist, wie unser Führer es verlangt, dann bist du Christ, ohne es zu wissen!« – Man kann es auch schon hören, daß unser ganzes Volk den Willen Gottes tun würde, wenn es erst einmal seine Art und Rasse gereinigt hätte: Gesetzeswerke, mit denen ein Anspruch auf Gottes Wohlgefallen begründet werden soll! Freilich: Christus soll bleiben, der Glaube soll bleiben. Sie sollen auch bleiben!

    Liebe Gemeinde, dies »Auch«, das ist der Teufel, und gegen dies »Auch« muß Luther her – nicht nur der Mensch Luther und nicht nur der menschliche Luthergeist, aus dem sich auch wunderschön ein Gesetz machen läßt, mit dem wir uns selbst rechtfertigen –, hier muß der Luther her, dem der Heilige Geist die Feder führte, als er das Wörtlein »allein« schrieb: »allein durch den Glauben!« [Röm 3,28] Gewiß: im Urtext steht dies Wort nicht, der Philologe kann hier eine fehlerhafte Übersetzung feststellen, und Luthers römische Gegner haben Wut geschnaubt ob dieser »Fälschung«. Luther hat an dem »allein« festgehalten, und es steht nun da, und keine Macht der Welt wird es wieder ausstreichen.

    So spricht dies Wort davon, daß Gott der Herr ein eifriger, ein eifersüchtiger Gott ist [2 Mo 20,5; 5 Mo 5,9 und passim], der keine andern Götter und Halbgötter neben sich duldet [2 Mo 20,23; 5 Mo 5,7]; mit den Gesetzeswerken verwirft er jeden menschlichen Anspruch auf sein Wohlgefallen, all unser Auch-etwas-sein- und Auch-etwas-tun-wollen. Es führen viele Wege nach Rom, aber es führt nur ein Weg zu Gott, und dieser eine Weg führt nicht von uns zu Gott, sondern von Gott zu uns, und er heißt: Christus allein! »Wer mich sieht, der sieht den Vater. Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben!« [Joh 14,6] –

    Damit sind wir an die Heilige Schrift gewiesen als an das Wort Gottes, das allein von Christus zeugt. Damit sind wir auf die Gnade Gottes gewiesen, die uns allein in Christus zur Gewißheit wird, weil uns in ihm der heilige Ernst und das tröstliche Erbarmen Gottes in untrennbarer Einheit begegnen. Damit sind wir auf den Glauben, ja auf den Glauben allein gestellt, der nun nicht mehr eine Meinung ist, die wir über Gott haben, der nicht daran hängt, ob wir uns von Gott höhere oder weniger hohe Gedanken machen – der vielmehr die Gnade Gottes in Christus empfängt und sich ihr anvertraut!

    »Sorgen Sie dafür, daß Christus in Deutschland gepredigt wird!« Christus, und nicht Gesetzeswerke, Gottes Tat, und nicht unser Tun. Daran entscheidet es sich, ob der Geist Luthers unter uns lebendig bleibt; daran entscheidet es sich, ob sein Werk weiter besteht; daran entscheidet es sich, ob in unserm Volk auch in Zukunft eine Kirche des Evangeliums sein wird. Denn so spricht D. Martin Luther: »Wo dieser Artikel weg ist – nämlich der Artikel von der Rechtfertigung allein aus dem Glauben –, so ist die Kirche weg und mag keinem Irrtum widerstanden werden!«

    Amen.

    Predigt am 19. Juni 1937

    Ihr seid das Salz der Erde. Wo nun das Salz dumm wird, womit soll man’s salzen? Es ist hinfort zu nichts nütze, denn daß man es hinausschütte und lasse es die Leute zertreten. Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein. Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es denn allen, die im Hause sind. Also laßt euer Licht leuchten vor den Leuten, daß sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.

    Matth. 5,13-16

    Und nun geht es doch wohl nicht anders, liebe Brüder und Schwestern, daß wir mit dem heutigen Abend und der Andacht, die diese Woche beschließt, als daß wir zunächst in stiller Fürbitte derer gedenken, die zu unserer Gemeinde, zur Gemeinde der Jünger Christi gehören und die an diesem Abend nicht hier in und bei der Gemeinde sein können. Wir hören die Namen derer, die um des Evangeliums willen in ihrer Freiheit behindert oder ihrer Freiheit beraubt sind.

    (Es folgt die 5 Minuten dauernde Verlesung der Fürbittenliste, d. h. der Redeverbote, Ausweisungen und Verhaftungen.)

    Liebe Gemeinde, diese Liste ist nun erschreckend lang geworden; sie umfasst – wenn ich recht gezählt habe – 72 oder 73 Namen, bekannte und unbekannte, Namen von Pastoren und Gemeindegliedern, Namen von Männern und von Frauen, Namen von Jungen und von Alten. Keiner im deutschen Vaterland kann sagen, ob die Zahl vollständig ist, und jeder ahnt, daß sie nur noch größer werden wird; wie sie denn in dieser Woche, die nun heute zu Ende geht, von einem Tag zum anderen gewachsen ist.

    Was wirft man diesen Pastoren und Gemeindegliedern vor? Wir sind zu einem möglichst schlechten Denken erzogen worden in den letzten vier Jahren, zu einem möglichst schlechten Denken über alle, die als Glieder der Kirche in Haft gesetzt werden; und wenn wir von irgendeinem hören, der mit der Polizei in Berührung gekommen ist, so sind wir geneigt, an die Dinge zu denken, die heute in den Zeitungen breitgetreten werden. Gott sei Lob und Dank: Nicht der leiseste Anflug von menschlich verwerflichen Dingen kann unseren Brüdern und Schwestern zum Vorwurf gemacht werden; sondern es geht darum, daß alle diese aus ihrer Heimat verbannt, zum Schweigen verurteilt und ins Gefängnis geworfen sind, weil sie es als ihre Pflicht angesehen haben und weil sie es als ein Recht der evangelischen Christenheit in Anspruch genommen haben, Angriffe auf den christlichen Glauben frei und öffentlich als Angriffe, Abfall vom christlichen Glauben ganz offen als Abfall, Eingriffe in den christlichen Gottesdienst ohne Scheu als Eingriffe zu bezeichnen. Es ist niemand darunter, dem etwas anderes zum Vorwurf gemacht werden könnte; und unsere Brüder und Schwestern können sich darauf verlassen, daß die Zurückweisung von Angriffen auf den christlichen Glauben, die Bekanntgabe von Kirchenaustritten und das Sammeln von Opfergaben – das sind die drei Dinge, um die es heute geht –, sie können sich darauf berufen, daß das unbestrittenes Recht der christlichen Gemeinde stets gewesen ist und daß der Führer feierlich dieses Recht der Kirche zugesichert und stets bestätigt hat und daß es bis zum heutigen Tage kein Gesetz gibt, das dieses Recht der Kirche einschränkt. Unsere Brüder und Schwestern können sich darauf berufen, daß sie den Auftrag eines Höheren haben, der uns durch sein Wort ruft zum Widerstand gegen die Propaganda des Unglaubens, der die Gemeinde zur Warnung vor dem Abfall ruft und sie zur Fürbitte für die Abgefallenen bestimmt und der das Opfer – und zwar das geldliche Opfer für die Not der Gemeinde – geboten hat.

    Und so stehen wir bei dem, was heute passiert mit unseren Brüdern und Schwestern, vor einer unzweideutigen Frage, und die Frage lautet: »Hat die christliche Kirche in ihren Gliedern und Amtsträgern heute noch das Recht, das der Führer ihr mit seinem Wort bestätigt hat – mit seinem Ehrenwort –, daß wir uns gegen die Angriffe auf die Kirche wehren dürfen, oder haben die Leute recht, die die Abwehr gegen den Unglauben uns – der christlichen Gemeinde – verbieten und unmöglich machen, und die Leute, die sich wehren, dafür ins Gefängnis bringen?« Um solche Fälle handelt es sich bei dem Hauptpastor Dr. Jannasch, handelt es sich bei Pfarrer Busch und Pfarrer Held in Essen: Sie haben öffentliche Angriffe öffentlich zurückgewiesen und sind deswegen ins Gefängnis gekommen.

    Es handelt sich darum: »Hat die christliche Kirche noch das Recht, der Gemeinde Mitteilung zu machen, daß Glieder der Gemeinde vom Glauben abgefallen sind, oder haben die Leute recht, die uns diesen Auftrag auszuführen verbieten und unmöglich machen?« Brüder und Schwestern, das ist die Lage, in der sich Pastor Niesel befindet und die verhafteten Mitglieder des preußischen Bruderrates – und wenn ich recht zähle, sind es im ganzen acht –; sie haben erklärt: »Die Bekanntgabe der Kirchenaustritte gehört vor die christliche Gemeinde, und es ist nicht recht, das zu verbieten«. Brüder und Schwestern, es handelt sich um eine ganz eindeutige Sachlage: ob die Gemeinde es erfahren darf, wer aus der Kirche ausgetreten ist und ob sie zur Fürbitte für die Abgefallenen aufgerufen werden darf, oder ob das nicht erlaubt ist.

    Und die dritte Frage ist die: ob das Wort des Führers noch gilt, ob die Kirche das Recht hat – und dieses Recht ist ihr von alters her bestätigt –, ob sie das Recht hat, Almosen zu sammeln in der Gemeinde, oder ob durch einen Federstrich eines Ministers – oder auch zweier Minister – ihr dieses Recht, nach dem Willen des Herrn Christus Opfer darzubringen, ob ihr das verboten werden kann. Um dieses Verbotes willen ist noch keiner im Gefängnis, aber es hat vorgestern in der Zeitung gestanden, daß keine Kollekte mehr gesammelt werden darf, die nicht von der vom Staat eingesetzten Kirchenbehörde genehmigt ist.

    Brüder und Schwestern, wenn ich auf diese äußerlichen Dinge hinweise, dann tue ich es deshalb, weil keiner heute weiß, ob und wann er noch einmal Gelegenheit hat, es der christlichen Gemeinde zu sagen, ob das Wort des Führers gilt, oder ob die Worte anderer gelten, die das Gegenteil von dem anordnen, was der Christenheit, der evangelischen Christenheit versprochen ist. Wir kommen daran nicht vorbei! Und solange noch einer im Gefängnis sitzt, solange noch einer ausgewiesen ist, solange noch einer Redeverbot hat, weil er Angriffe zurückgewiesen hat, oder weil er Abfall vom Glauben ganz klar Abfall genannt hat, oder einer ins Gefängnis kommen wird, weil er Gaben sammelt, so lange ist die Frage, ob das Wort des Führers gilt, negativ beantwortet.

    Liebe Gemeinde, in diese Situation hinein, von der wir wohl sagen können, sie ist so dunkel und unsichtbar wie nur möglich – unstet und flüchtig irren die restlichen Mitglieder des preußischen Bruderrats durch Deutschland; Frau Asmussen ist heute stundenlang auf dem Alexanderplatz verhört worden, nachdem sie vier Stunden auf ihre Vernehmung hat warten müssen, weil sie nicht Auskunft geben konnte, wo ihr Mann ist; denn man will eben auch alle übrigen Mitglieder des preußischen Bruderrats hinter Schloß und Riegel setzen; die preußische Kirche ist ohne Leitung, die Diensträume der preußischen Kirchenleitung sind verriegelt, man hat ihnen die Schreibmaschinen weggenommen, sie haben keine Geldmittel, – in solche Situation hinein trifft uns dieses Wort recht sonderbar: »Ihr seid das Salz der Erde; ihr seid das Licht der Welt.«

    Als ich das Wort heute las, wurde mir dieses Wort wirklich neu, und ich mußte zurücklesen und hatte das Gefühl der inneren Erleichterung, als ich da das Wort fand, von dem ich wissen mußte, daß es da vorher steht, und von dem ich auch theoretisch längst wußte, daß es da steht im 5. Kapitel: »Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles wider euch, so sie daran lügen. Seid fröhlich und getrost; es wird euch im Himmel wohl belohnt werden. Denn also haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind!« [Mt 5,11 f.], und dann geht es weiter: »Ihr seid das Salz der Erde; ihr seid das Licht der Welt!«, als ob zwischen der Verfolgung der Gemeinde Jesu Christi und dem: »Ihr seid das Salz der Erde; ihr seid das Licht der Welt!« kein Bruch sei, sondern, als ob das unmittelbar zusammengehöre. Ich muß sagen, mir ist in diesem Zusammenhang dieser Bibelstelle – die ich doch von Jugend auf kenne – am heutigen Tage erst aufgegangen, daß der Herr Christus der Jüngergemeinde sagt: »Ihr werdet geschmäht werden und verfolgt werden, ihr werdet diffamiert werden, und zwar mit Lügen«, und darauf: »Ihr seid das Salz der Erde; ihr seid das Licht der Welt!«

    Brüder und Schwestern, da muß doch etwas nicht stimmen mit unseren Sorgen. »Ihr seid das Salz der Erde«. Der Herr Christus meint doch nicht, daß wir sorgen sollen, daß wir das Salz unter die Leute bringen, sondern er weist uns auf eine andere Verantwortung hin: »Wo nun das Salz dumm wird, womit soll man’s salzen, womit soll man es wieder zu Salz machen?« Nicht, wie wir das Salz weiterbringen, sondern daß das Salz wirklich Salz wird und bleibt, ist unsere Verantwortung, damit der Herr Christus – der ist nämlich der Koch in diesem großen Brodeln – dieses Salz für seine Zwecke verwenden und gebrauchen kann.

    Brüder und Schwestern, auf die Frage, ob der Herr Christus heute noch praktisch die Möglichkeit zum Dienst

    Enjoying the preview?
    Page 1 of 1