Der kleine Fürst 119 – Adelsroman: Wer bin ich?
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Alexandra von Woyzow fuhr ihren Wagen an den Straßenrand und stieg aus. Der Anblick von Schloss Sternberg auf seiner Anhöhe, im milden Licht des frühen Abends, überwältigte sie. Es war lange her, seit sie zum letzten Mal dort oben gewesen war, diesen Anblick hatte sie beinahe vergessen. Schloss Sternberg war ein elegantes Gebäude, trotz seiner Größe. Die Proportionen stimmten, und die Abendsonne übergoss die helle Fassade mit einem feinen goldenen Schimmer. Es sah aus wie ein Märchenschloss.
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Der kleine Fürst 119 – Adelsroman - Viola Maybach
Der kleine Fürst –119–
Wer bin ich?
Roman von Viola Maybach
Alexandra von Woyzow fuhr ihren Wagen an den Straßenrand und stieg aus. Der Anblick von Schloss Sternberg auf seiner Anhöhe, im milden Licht des frühen Abends, überwältigte sie. Es war lange her, seit sie zum letzten Mal dort oben gewesen war, diesen Anblick hatte sie beinahe vergessen. Schloss Sternberg war ein elegantes Gebäude, trotz seiner Größe. Die Proportionen stimmten, und die Abendsonne übergoss die helle Fassade mit einem feinen goldenen Schimmer. Es sah aus wie ein Märchenschloss.
»Wunderschön, nicht wahr?«, sagte eine Stimme hinter ihr. Die Worte waren leise gesprochen worden, dennoch zuckte sie zusammen und fuhr erschrocken herum.
Der Mann war dunkelhaarig, wie sie selbst, vielleicht ein paar Jahre älter. Er lächelte entschuldigend. »Ich wollte Sie nicht erschrecken, tut mir leid.« Besonders schuldbewusst sah er freilich nicht aus.
»Ich habe Sie überhaupt nicht gesehen«, erklärte Alexandra.
Er lachte. »Kein Wunder, ich stand ja halb zwischen den Bäumen. Mir ging es wie Ihnen: Ich musste einfach aussteigen und den Anblick in Ruhe genießen.« Er machte eine Kopfbewegung Richtung Schloss. »Ich bin jedes Mal wieder überwältigt.«
»Sind Sie oft hier?«, fragte Alexandra, obwohl sie sich eigentlich nicht auf ein Gespräch mit ihm hatte einlassen wollen, schließlich wurde sie auf Sternberg zum Abendessen erwartet.
»Nicht oft genug«, antwortete er mit charmantem Lächeln. Sein Mund gefiel ihr, besonders, wenn er so lächelte wie jetzt. Überhaupt: Der ganze Mann gefiel ihr. Er hatte kluge Augen, dieses anziehende Lächeln, und er wirkte sehr locker und in sich ruhend.
Zu dieser Einschätzung passte die Art, wie er sich jetzt vorstellte. »Aber wenn Baron von Kant sagt: ›Peter, du musst unbedingt mal wieder vorbeikommen und dir unsere neuen Pferde ansehen‹, kann ich natürlich nicht widerstehen. Ich bin Peter von Isenburg.«
»Alexandra von Woyzow. Sie sind also auch auf dem Weg zum Schloss?«
Er nickte, die feinen Fältchen um seine Augen vertieften sich. »Genau wie Sie«, sagte er vergnügt. »Ich dachte mir schon, dass Sie der zweite Gast sein könnten, von dem die Kants gesprochen haben.«
»Mir haben sie nicht gesagt, dass außer mir noch jemand erwartet wird.«
»Wann haben Sie denn zuletzt mit ihnen gesprochen?«
»Vorgestern, glaube ich.«
»Dann liegt es daran. Ich habe erst gestern endgültig zugesagt, es war nicht ganz klar, ob ich es zeitlich würde einrichten können. Nun bin ich sehr froh, dass es geklappt hat.« Den letzten Satz begleiteten ein weiteres Lächeln und ein vielsagender Blick.
Alexandra spürte, wie sie errötete. Ein wenig zu schnell wandte sie sich ab, während sie sagte: »Wir machen uns wohl besser auf den Weg.«
»Auf keinen Fall sollten wir zu spät zum Abendessen kommen«, stimmte er ihr zu.
Sie sah sich suchend um. »Wo steht denn Ihr Wagen?«, fragte sie.
»Ein Stück weiter die Straße hoch, ich bin zurückgelaufen, weil man von hier aus den besten Blick hat.«
»Soll ich Sie bis dahin mitnehmen?«
»Nicht nötig, es sind ja nur ein paar Meter. Wir sehen uns dann gleich im Schloss.«
Sie setzte sich also wieder ans Steuer und fuhr weiter. Tatsächlich sah sie seinen Wagen kurz darauf am Waldrand stehen. Wenig später hatte sie ›den Sternberg‹ erreicht. So hieß die Anhöhe, auf der das Schloss stand, heutzutage überall. Der richtige Name lautete anders, sie hatte ihn jedoch vergessen. Vermutlich wussten ihn nur noch Geschichtslehrer und Heimatforscher.
Die Straße zum Schloss wand sich in vielen engen Kurven in die Höhe, durch dichten Mischwald, der sich oben ganz plötzlich lichtete und nicht nur den Blick auf das Schloss freigab, sondern auch auf seinen Park. Eine schönere Anlage gab es im weiten Umkreis nicht, vor allem nicht im Frühling. Unwillkürlich fuhr Alexandra langsamer, um alle Eindrücke, die sich ihren Augen boten, in sich aufzunehmen. Wieso war sie so lange nicht hiergewesen? Sie konnte es selbst nicht mehr verstehen.
Schon vorher hatte sie sich sehr auf die Tage gefreut, die sie auf Schloss Sternberg verbringen würde, jetzt kam noch Peter von Isenburgs Gesellschaft hinzu. Sie spürte, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte, doch kam sie nicht mehr dazu, sich zu fragen, was das zu bedeuten hatte, denn sie hatte den Schlossvorplatz erreicht. In dem Augenblick, da sie den Motor abstellte, wurde das große Hauptportal geöffnet, und Eberhard Hagedorn, der langjährige Butler auf Sternberg, erschien.
Alexandra sprang mit einem Satz aus dem Wagen. »Guten Abend, Herr Hagedorn!«, rief sie, während sie auf ihn zulief. »Ich hatte tatsächlich vergessen, dass Sie das Portal immer im genau richtigen Augenblick öffnen. Wie konnte ich nur?« Sie begrüßte ihn herzlich. Sternberg ohne Eberhard Hagedorn war undenkbar, das fanden nicht nur die Schlossbewohner, auch die Gäste sahen es so.
»Willkommen auf Schloss Sternberg, Frau von Woyzow«, erwiderte der alte Butler mit seinem zurückhaltenden Lächeln. »Wir kümmern uns gleich um Ihr Gepäck. Darf ich Ihnen zuerst Ihre Suite zeigen?«
Sie lächelte ihn verschmitzt an. »Wenn Sie das tun, werden Sie nicht rechtzeitig wieder hier unten sein, um den zweiten Gast zu begrüßen. Er müsste jeden Augenblick eintreffen.«
Eberhard Hagedorn richtete seinen Blick auf die lange Auffahrt und sagte dann: »Ich denke, wir haben noch Zeit, Frau von Woyzow. Bitte, folgen Sie mir.«
Er zeigte ihr also in aller Ruhe ihre Gästesuite, ihr Gepäck wurde derweil von anderen Angestellten ausgeladen. Und als Alexandra einen Wagen vorfahren hörte, war Eberhard Hagedorn längst wieder unten. Sie hörte, wie er Peter von Isenburg liebenswürdig willkommen hieß und schüttelte fassungslos den Kopf: Wie machte er das nur, immer zur richtigen Zeit zur Stelle zu sein?
Sie war noch nicht ganz mit dem Auspacken fertig, als es klopfte. Anna von Kant, die dreizehnjährige Tochter von Baronin Sofia und Baron Friedrich, und ihr zwei Jahre älterer Cousin Christian von Sternberg standen vor der Tür, mit einem verspielten jungen Boxer, der sofort neugierig an Alexandras Hand schnüffelte.
»Hallo, Alexa«, sagten Anna und Christian wie aus einem Mund. Der Boxer winselte.
Alexandra betrachtete die beiden Teenager überrascht. »Chris, du bist mittlerweile größer als ich, und bei dir, Anna, fehlt auch nicht mehr viel. Und wer ist das?«
»Togo, mein Boxer«, antwortete Christian. »Ich hatte ganz vergessen, dass du ihn noch nicht kennst. Er mag dich jedenfalls, du kannst dir etwas darauf einbilden.«
»Da bin ich aber froh. Ich kann es immer noch nicht fassen, wie sehr ihr euch verändert habt. So viel Zeit ist doch seit meinem letzten Besuch nun auch wieder nicht vergangen.«
»Du musst öfter kommen, dann bleiben dir solche Überraschungen erspart«, erklärte Anna. Sie war blond, wie ihre Mutter. Ein niedliches Mädchen mit einem hübschen, etwas runden Gesicht und schönen blauen Augen, die neugierig in die Welt sahen. Anna war sehr lebhaft, und sie wusste, was sie wollte.
Christian wirkte neben ihr erwachsener und auch ernster. Er war einen guten Kopf größer als sie, die dunklen Haare trug er ziemlich lang und glatt. Auch er lächelte jetzt, aber diesem Lächeln war anzumerken, dass der Junge