Praxisreihe Pferdegestützte Psychotherapie: Band 1: Theorieeinblicke und Praxisberichte aus der pferdegestützten Verhaltenstherapie mit Erwachsenen
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Das vorliegende Buch bietet einen Einblick in die Theorie und Praxis pferdegestützter Psychotherapie. Drei Fallbeispiele aus der verhaltenstherapeutischen Praxis mit Erwachsenen werden ausführlich vorgestellt.
Das Buch eignet sich für Psychotherapeuten, Fachkräfte Pferdegestützter Interventionen und interessierten Patienten gleichermaßen.
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Praxisreihe Pferdegestützte Psychotherapie - Books on Demand
Gomolla
KAPITEL 1
1. Pferdegestützte Psychotherapie – eine Einführung
Annette Gomolla
Der Einsatz von Pferden in psychotherapeutische Prozesse entwickelte sich in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts in Europa und Nordamerika. Dies entstand aus dem therapeutischen Reiten bzw. im englischsprachigen aus der Equine oder Horse Assisted Therapy and Education, welches wiederum vor gut vierzig Jahren seinen Anfang nahm - stark geprägt durch eine Entwicklung der Professionalisierung in Deutschland mit besonderen Einflüssen des medizinisch-rehabilitativen Bereichs und des Behindertenreitsports. Zu Beginn der Entwicklung des damals noch sogenannten therapeutischen Reitens war der Fokus auf dem Pferd als „bewegte Unterlagen" – seine außergewöhnlich nützliche Bewegungsübertragung in der Gangart Schritt wurde erkannt und zu rehabilitativen Zwecken bei Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen genutzt (vgl. Heipertz, 1977).
Im Laufe der letzten zwanzig Jahre gab es viele gedanklich-theoretische Übereinkünfte von Therapeuten, die Tiere verschiedener Art einsetzen und den Personen, die ausschließlich mit Pferden arbeiten. Die tiergestützte Therapie schaffte es, in der Gesellschaft wahrgenommen zu werden und einen soliden theoretischen Überbau zu entwickeln mit einem Fokus auf der Beziehung zwischen Mensch und Tier. Dieser hohe Stellenwert der Beziehung als Grundlage hielt Einzug in die Pferdegestützte Arbeit und hinterließ eine deutlich neue Ausrichtung in der Art des Einsatzes von Pferden. Der Fokus ging und geht mehr und mehr weg von einer reinen Funktionalisierung als Reittier hin zur Nutzung des Pferdes als besonderen Interaktionspartner. Trotz vieler Übereinstimmungen zwischen dem Einbezug von Pferden und anderen Tieren in Therapie und Pädagogik, behielten die Pferde einen besonderen Stellenwert in der Szene. Wissenschaft und Praxis der Pferdegestützten Therapie entwickeln eigene Konzepte, stark geprägt durch die Verbindung von Körperlichkeit und psychischer Verarbeitung beim Getragenwerden auf dem Pferd und verfolgen separate wissenschaftliche Projekte. Es entsteht eine eigene Theoriebildung für die Pferdegestützte Therapie, die körperliche und psychische Aspekte verbindet.
1.1. Pferdegestützte Psychotherapie als Bereich Pferdegestützter Interventionen
Unter dem Begriff der Pferdegestützten Therapie (PI) versteht man alle therapeutischen und pädagogischen Maßnahmen, die das Pferd als Medium oder Therapiepartner mit einbeziehen. Als Unterbereiche sind hierbei zu nennen die hippotherapeutischen, reittherapeutischen und reitpädagogischen Arbeitsweisen, sowie Beratungs- und Coachingprozesse mit Pferden und die Pferdegestützte Psychotherapie (PPT). Eine ähnliche Aufteilung wird von Riedel (2011) vorgenommen, wobei im vorliegenden Buch der Begriff enger verstanden werden soll – das Reiten sollte in den Ansätzen der PI nie Selbstzweck sein (daher fällt das Reiten als Sport für Behinderte nicht unter die PI), demnach ist das Reiten lernen nie Ziel der Intervention. Das eigenständige Reiten ist ein Mittel zum Zweck neben vielen anderen Methoden rund um, mit und auf dem Pferd, um das therapeutische oder pädagogische Ziel zu erreichen.
Abbildung 1: Schaubild PI – therapeutische und pädagogische Ansätze
Die Hippotherapie nutzt das Pferd im Schwerpunkt als Bewegungstier, das eine einzigartige dreidimensionale Bewegungsübertragung im Schritt auf den Reiter ausübt, die therapeutisch genutzt werden kann. Vor allem werden hippotherapeutische Methoden angewandt bei neurologischen Patienten zur Verbesserung der Gehfähigkeit oder des Gangbildes, zur Förderung der Rumpfstabilität oder Lockerung der Extremitäten. Die reittherapeutischen und reitpädagogischen (oder heilpädagogischen) Arbeitsweisen nutzen das Pferd als additive Angebote in der Begleitung von geistig behinderten Menschen oder Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Verhaltensstörungen oder psychischen Erkrankungen. Wie alle additiven Angebote arbeiten die Fachkräfte in diesen Bereichen selten in der Fall-Hauptverantwortung, sondern sind eingebunden in ein Hilfe- und Helfernetzwerk. Die Pferdegestützte Psychotherapie nutzt das Pferd zur Anregung psychischer Prozesse. Auf verschiedene Arten kann das Pferd als Medium im psychotherapeutischen Prozess, egal welcher „schulischer" Ausrichtung (Verhaltenstherapie, Tiefenpsychologie, Psychoanalyse, Familientherapie usw.), eingesetzt werden. Hierbei wird nur in einzelnen Stunden, Sequenzen oder Phasen am Pferd gearbeitet. Die Inhalte werden in die psychotherapeutische Arbeit mit eingebunden und für den weiteren Therapieprozess nutzbar gemacht.
1.2. Eigenschaften und Wirkungsweisen des Pferdes
Grundsätzlich wird für alle tiergestützten Therapien die Biophilie-Hypothese von Edward O. Wilson (1984) herangezogen. Diese postuliert, dass der Mensch evolutionär mit dem Tier verbunden ist und es eine biologisch verankerte Affinität zur Beziehungsaufnahme vom Mensch zum Tier gibt.
Neben der Affinität ist immer eine Aufmerksamkeitslenkung zu beobachten. Generell ziehen Tiere die Aufmerksamkeit von Menschen auf sich, Tiere werden im Vergleich zu Objekten schneller erkannt (New et al, 2007). Weiterhin kommt hinzu, dass sie sich bewegen und dadurch den Fokus auf sich ziehen. Besonders mit geistig behinderten oder auch autistischen Menschen kann auf spannende Weise beobachtet werden, dass die Aufmerksamkeit immer wieder auf Tiere gerichtet wird. Dies ist ein erster wichtiger Ansatzpunkt, um mit Klienten in Kontakt zu kommen und Lernprozesse anzusteuern. Ebenfalls mit der Aufmerksamkeitslenkung kann es zu tun haben, dass häufig in der Praxis erlebbar wird, dass Traumapatienten am Pferd wenig dissoziieren. Patienten berichten von einer positiv erlebten Verankerung im Hier und Jetzt, in denen Gedanken nicht abdriften können, sondern es eine starke Aufmerksamkeitsausrichtung auf das Pferd gibt.
Im Mittelpunkt steht bei allen tiergestützten Therapien die Motivation zur Interaktion mit dem Lebewesen. Diese Motivation ist ein zentraler Faktor und verstärkt die Veränderungs- und Therapiemotivation. Gestärkt wird die Motivation durch viele selbstwertstärkende, positive Erfahrungen im Umgang mit dem Lebewesen und dem Aufbau einer Beziehung zum Tier.
Entscheidend für die Entstehung einer Beziehung zwischen Mensch und Tier ist das Vorhandensein einer Du-Evidenz, das heißt einer offenkundigen Beziehungsaufnahme und – gestaltungsmöglichkeit. Es wird angenommen, dass bei gewissen Tierarten, die eine hohe Du-Evidenz aufweisen (wie z.B. Hunde), eine sehr intensive wechselseitige Beziehung entstehen kann (vgl. Schmitz, 1992, S. 342). Tiere, die mit dem Menschen in Beziehung treten, nehmen intuitiv Stimmungen wahr und fangen nonverbale Signale auf wie Blicke, Gesten, Bewegungen und Berührungen. Beim Einsatz der Sprache reagiert das Tier auf Stimmmodulation und Sprechrhythmus im jeweiligen Kontext (vgl. Bauer, 2004), also der analogen, nicht digitalen Komponente unserer Kommunikation (Olbrich, 1984, S.84-90). Das Pferd hat eine jahrtausende alte Domestikationsgeschichte hinter sich gebracht und wurde hoch spezialisiert mit verschiedener Rassen gezüchtet. Das Hauspferd ist in der Regel neugierig und interessiert am Menschen. Es geht von sich aus in Kontakt und es besteht die Möglichkeit eines intensiven kommunikativen Austauschs. Somit ist es grundsätzlich sehr geeignet für den Einsatz in tiergestützten Angeboten (vgl. Gomolla, 2013, S.11-12).
Das Pferd ist ein nicht-menschlich-wertendes Gegenüber. Es hat sein eigenes, pferdisches Werteschema, es wählt sehr individuell, mit welchem Menschen es besonders gerne und gut in Kontakt tritt. Aber grundsätzlich sind Pferde, die eine freundliche Handhabung und Umgang kontinuierlich erleben, allen Menschen erst einmal wohlgesonnen zugewandt (Gomolla et al. 2011c).
Das Pferd ist als Herdentier ein soziales Wesen, das stark auf Beziehung ausgerichtet ist. Hinzu kommt, dass Stuten nur wenige Nachkommen in ihrem Leben haben. Sie tragen