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Der Glücksbringer von Porz: Ein Peter-Merzenich-Krimi
Der Glücksbringer von Porz: Ein Peter-Merzenich-Krimi
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Der Glücksbringer von Porz: Ein Peter-Merzenich-Krimi

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Ein Fund im Niehler Hafen ruft Peter Merzenich und seine Kollegen der MK 3 auf den Plan: Im Hafenbecken liegt die erdrosselte Leiche eines Schornsteinfegers, der vor seinem Tod ausgiebig gefoltert wurde. Schon nach kurzer Zeit muss Merzenich feststellen, dass weder an Motiven noch an Tatverdächtigen ein Mangel herrscht: Das Opfer Axel Ückesdorf, nach Angaben seines Chefs einer der besten Schornsteinfeger von Porz, hatte sich durch Schulden und dubiose Erpressergeschäfte einige Widersacher zugezogen - alle jedoch mit hieb- und stichfesten Alibis. Und dass Peter Merzenich sich im Laufe seiner Ermittlungen wider alle Vernunft in die Witwe des Opfers verliebt, erleichtert die Aufklärung des Falles nicht gerade. Doch dann findet sich eine heiße Spur, die Merzenich knapp zehn Jahre in die Vergangenheit zurückversetzt...
LanguageDeutsch
Release dateNov 23, 2016
ISBN9783960580461
Der Glücksbringer von Porz: Ein Peter-Merzenich-Krimi

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    Der Glücksbringer von Porz - Gereon A. Thelen

    1. Kapitel: Der Anruf

    Polizeipräsidium Köln, Abteilung Gefahrenabwehr/Strafverfolgung, Zentrale Kriminalitätsbekämpfung, Kriminalgruppe 1, Kriminalkommissariat 11, Mordkommission 3, Walter-Pauli-Ring 2–4, 51103 Köln-Kalk, Dienstag, 30. März 2004, 08:35 Uhr

    Fast drei Wochen später. In unser Kommissariat war wieder Ruhe eingekehrt. Nachdem ich mit Theo mehrere Tage bis spätabends im Büro geblieben war, hatten wir es doch noch geschafft, die Akte zusammen- und den Ermittlungsbericht fertigzustellen.

    Die Kollegen der Mordkommission „Hilde" hatten Olaf Gymnich in einer stundenlangen Vernehmung ein umfassendes Geständnis entlocken können. Der Sohn des vermögenden Gründers der renommierten Gymnich Hoch- und Tiefbau KG saß mittlerweile in Ossendorf in U-Haft.

    Auch Radio Köln war zum Alltagsgeschehen zurückgekehrt. Momentan schickte der Lokalsender die Black Eyed Peas mit ihrem aktuellen Hit „Shut Up" über den Äther.

    Ich schaute in den sonnigen Himmel und betrachtete die wenigen Wolken, die vorbeizogen. Dario telefonierte mit seiner „Dauerverlobten" Beate und diskutierte über die Gestaltung des Abends.

    „Also von mir aus können wir auch ins Kino gehen. Heute ist schließlich ‚Kinotag‘ im Cinedom. Da sparen wir richtig Geld … Keine Lust?! Ja gut, dann weiß ich auch nicht. Vielleicht doch lieber fernsehen? … Gut, bis später!"

    Genervt legte mein Kollege Zimmermann auf und las das mehrere Seiten umfassende Bundeskriminalblatt durch, in dem bundesweite Täterfahndungen abgedruckt waren.

    ***

    Zeitgleich saßen KHK Bernd Marquardt, der Leiter der Mordkommission 5, und seine Stellvertreterin, KHK’in Martina Mielewski, ein paar Büros weiter und blätterten sich kaffeeschlürfend durch die aktuellen Ausgaben von General-Anzeiger und Rhein-Sieg Rundschau. Die beiden Beamten der Mordkommission 5 ließen es momentan eher ruhig angehen, sie waren in der letzten Zeit von MK-Alarmierungen verschont geblieben. Außerdem wollten sie den Tag möglichst stressfrei beginnen, schließlich versahen sie als Zweierteam den aktuellen Tagesdienst des KK 11 und würden „Leichen fahren, wenn sie denn zu einem Fundort gerufen würden. Sie konnten also nicht wissen, was unter Umständen noch alles auf sie zukäme. KHK Marquardt, der mit seiner relativ geringen Körpergröße und der spitzen Nase Napoleon alle Ehre gemacht hätte, wollte sich gerade dem Sportteil widmen, als Erster Kriminalhauptkommissar Michael „Micha Götz, der Leiter des KK 11, in ihr Büro gestürmt kam.

    „Hallo ihr zwei, ihr müsst leider raus, ’ne Leiche fahren. Die Leitstelle hat sich gerade gemeldet. Im Niehler Hafen ist einer im Hafenbecken gefunden worden. Seht euch das mal an."

    Seufzend packten Bernd und Martina ihren Kram zusammen und machten sich in dem alten Zivilwagen, einem dunkelroten Golf III, auf den Weg nach Niehl. Als sie dort ankamen, wurden sie bereits von den Pressevertretern, den uniformierten Kollegen und der Feuerwehr erwartet.

    Ohne auf die Presseleute zu achten, schritten Bernd und Martina auf einen jungen Uniformierten zu, von dem sie begrüßt wurden.

    „’n Morgen Kollege, was ist denn hier passiert?", fragte Bernd den Polizeiobermeister. Der deutete mit dem Kopf auf ein Pärchen, das am Rande des Platzes stand. Die hübsche Blondine in den Vierzigern hatte eine Jacke um ihre Schultern gelegt. Ihr dunkelhaariger, etwas jüngerer Begleiter schien beruhigend auf sie einzureden.

    Während das Löschfahrzeug der Berufsfeuerwehr abrückte, klärte sie der Kollege über den Fall auf.

    „Also, das Paar da vorne hat die Leiche eben gefunden, das war so gegen halb acht. Sind zwei Schweizer Binnenschiffer, Helga und Adrian Blümli. Die wollten sich mit ihrem Kahn heute wieder auf den Weg Richtung Basel machen. Tja, und dann haben die halt den Toten im Hafenbecken treiben sehen. Der Typ ist ganz schön zugerichtet, das könnt ihr mir glauben. Die arme Frau Blümli hat bei dem Anblick ’nen leichten Schock erlitten. Die Kollegen der Feuerwehr haben den eben geborgen."

    „Wo ist die Leiche gefunden worden?", fragte Bernd.

    „Ich zeig’s euch", sagte er und machte sich auf den Weg.

    Sie passierten Lagerhäuser und ein hohes Raiffeisen-Silogebäude zu ihrer Linken. Am Ende des Wendehammers, unmittelbar an der Kaimauer, war ein rot-weiß gestreiftes Trassierband gespannt. Eine junge Kollegin in Uniform grüßte sie freundlich und hob das Absperrband an, damit sie sich darunter hindurchducken konnten.

    Der Polizeiobermeister verharrte indes außerhalb der Absperrung und deutete mit dem Zeigefinger auf den linken Rand des Platzes, an den sich das hohe Silogebäude anschloss. Er zeigte auf die Signalboje, die unmittelbar hinter dem Heck des Schweizer Frachtkahns Piz Palü, der vor dem Silogebäude geankert hatte, aus dem Hafenwasser ragte.

    „Da, wo die Kollegen der Wasserschutzpolizei die Boje positioniert haben, hat diese Frau Blümli den Leichnam entdeckt."

    „Habt ihr die schon vernommen?"

    „Nee, nur kurz mit ihr gesprochen."

    „Gut, dann werden wir das nachher erledigen."

    Martina und Bernd zogen Einmalhandschuhe über und nahmen die Leiche in Augenschein.

    „Ach, du Scheiße, murmelte Martina. „Ich glaube, wir sollten die Bereitschafts-MK rausrufen. Freiwillig wird der jedenfalls nicht in den Rhein gesprungen sein. Sie deutete auf die Fesselung des Toten.

    „Warum haben das die Kollegen eben nicht durchgegeben? Dann hätte direkt die MK rauskommen können", meinte Bernd kopfschüttelnd und griff nach seinem Handy.

    ***

    Der Morgen zog sich hin und sorgte für Langeweile – bis gegen zwanzig vor zehn ein hagerer großer Mann mit hellblonden Haaren, abstehenden Ohren, furchigem Gesicht und Brille unser Büro betrat: Kriminalhauptkommissar Theo Voß, der Leiter der Mordkommission 3, der neben ihm auch Andríkos, Dario, Nina und ich angehörten. Hektisch wedelte er mit den Armen und nahm einen kräftigen Zug an seiner Zigarette. Dario, ein fast schon krankhafter Raucherfeind, wäre ihm am liebsten an die Gurgel gesprungen …

    „Hallo, Männer. Pitter, da du mit Nina und mir Bereitschaft hast, müsst ihr los. Micha hat gerade ’nen Anruf von Bernd und Martina gekriegt, die ja heute mit dem Tagesdienst dran sind. Im Niehler Hafen ist ’ne Wasserleiche gefunden worden! Dabei hat sich der Verdacht auf Fremdverschulden ergeben. Der Erkennungsdienst fährt mit euch. Mein Vorgesetzter deutete Richtung Flur. „Ich bleibe hier. Wenn was ist, ruft mich sofort an! So schnell er gekommen war, war er auch wieder verschwunden.

    Perplex blickte ich Dario an. „Was ist denn mit dem los? Der wirkt ja noch verbissener als sonst."

    Aber Kollege Zimmermann grinste mich nur überlegen an und lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück. „Na, hast du das noch nicht mitgekriegt? Unser Theo und die olle Hansen haben sich getrennt. Im Personalrat haben wir gestern über ihr Versetzungsersuchen diskutiert. Die hat sich auf ’nen freien Posten beim Wach- und Wechseldienst des PP Bonn beworben!"

    „Und das sagst du Jeck mir erst jetzt?! Ich hab gedacht, wir wären Kumpels."

    „’tschuldigung, aber was wir auf unseren Sitzungen besprechen, sind eigentlich vertrauliche Personalangelegenheiten. Die gehen nun mal KEINEN was an!"

    Genervt und leicht angesäuert winkte ich ab, während ich unser Büro verließ.

    Tja, so spielt das Leben. Erst vor knapp einem halben Jahr hatte sich Theo von seiner Frau für seine langjährige Freundin, diese bekloppte Polizeiobermeisterin Silvia Hansen, endgültig getrennt. Und jetzt war diese Beziehung auch schon wieder vorbei.

    Ich war froh, dass uns diese unsympathische und hochnäsige Göre, die beim Wach- und Wechseldienst der Wache Porz arbeitete, mit ihren bescheuerten Besuchen in unserem Kommissariat nicht länger auf den Nerv fallen würde.

    Ich schnappte mir Fahrzeugpapiere und Schlüssel, holte meine P6 aus dem Waffenfach und ging zusammen mit Nina in die Tiefgarage, wo wir in eines unserer alten Dienstfahrzeuge – einen elf Jahre alten silbernen Scorpio - stiegen.

    Ich startete den Motor des großen Ford und brachte die Reifen mit einem filmreifen Kavaliersstart zum Quietschen. Auf dem Hof trafen wir auf den Tatortwagen des Erkennungsdienstes, einen weißen Mercedes Sprinter, in dem ein zweiköpfiges Spurensicherungsteam mitsamt dem Tatortfotografen saß.

    Im Konvoi machten wir uns auf den Weg.

    So fuhren wir auf das große Hafengelände im Stadtteil Niehl, das einer der größten Umschlagplätze der Rheinschifffahrt war. Überall sah man schwere Lastzüge, Gabelstapler und Container. Als wir auf den Lagerhauskai einbogen, der direkt an das Hafenbecken 1 grenzte, musste ich laut gähnen.

    Auf dem Wendehammer am Ende des Kais konnte ich einen Funkstreifenwagen und unseren alten Golf ausmachen. Ich hielt an. Nina und ich stiegen aus und gingen zu dem weißen Mercedes Sprinter, der direkt hinter uns geparkt hatte. Am Heck des „Tatortwagens" machte sich ein großer und äußerst korpulenter Mann zu schaffen: Markus Büttgen, ein junger Regierungsangestellter. Ich tippte ihm auf die Schulter. Der Kollege, der sich in den viel zu kleinen weißen Schutzanzug zwängte, drehte sich um und lächelte mich freundlich an. Der Pony seiner ansonsten kurzen Haare war viel zu lang und reichte inzwischen fast bis in die Augen.

    „Hallo Pitter. Wie geht’s dir, Kollege?"

    „Kann nicht klagen."

    Kollege Büttgen, der Tatortfotograf des FZL¹, holte eine riesige Digital-Spiegelreflexkamera aus dem Wageninneren.

    Ein Mann Ende dreißig mit etwas längeren, wuscheligen Haaren, Nickelbrille und schmalem Bartstreifen zwischen Unterlippe und Kinn stieg aus der Fahrerkabine des Sprinters. Es war Kriminalhauptkommissar Thomas Schwadorf, ein erfahrener Spurensucher und -sicherer des Erkennungsdienstes, der uns auch freundlich begrüßte und einen Schutzanzug überzog, bevor er sich zu Fuß auf den Weg machte. In seiner Begleitung war ein graumelierter Mittvierziger mit exakt gestutztem Schnäuzer. Alwin Scheunemann, der zwischenzeitlich auch zum Kriminalhauptkommissar befördert worden war, komplettierte das Spusiteam des Erkennungsdienstes. Auch wir zogen uns jetzt die Schutzanzüge über.

    „Guten Morgen, können Sie uns schon Genaueres zu dem Fall sagen? Wer ist der Tote?", fragte eine nervige weibliche Stimme, die mich das Schlimmste erahnen ließ.

    „Pitter, mein Freund, was ist hier passiert?", fragte ihr männliches Pendant.

    Ich drehte mich um und sah das nervigste Pärchen der Kölner Presseszene. Wie immer wurden sie von ihren wie treudoofe Dackel hinterhertrottenden Fotografen begleitet.

    Da war zunächst „Der Schnelle Schäng", der BILD-Lokalredakteur Hannes Lüssem, ein untersetzter Mann meines Alters, der zu Jeanshemd und -hose eine schwarze Lederweste trug. Sein strähniges, nackenlanges, schwarzes Haar mit grauen Koteletten hielt er mit einer Sonnenbrille im Zaum, die er wie einen Haarreif auf dem Kopf trug. Das entschlossen dreinblickende Gesicht des Polizeireporters war mit Pockennarben übersät.

    Seine Gegenspielerin vom EXPRESS, die rothaarige Gaby Möltgen, von allen nur „Die Rote Zora" genannt, folgte ihm auf den Fuß und lächelte uns vielsagend an. Wahrscheinlich wollte sie wieder ihre Femme-Fatale-Nummer abziehen und mit ihren weiblichen Reizen spielen, um an Informationen aus erster Hand zu kommen.

    Diese beiden Schmierfinken hatten die Bezeichnung „Journalisten" nun weiß Gott nicht verdient. Ihre Schlagzeilen waren reißerisch, ihre Berichte entbehrten jeglichen Funken Wahrheit.

    Ich machte einen Satz auf die beiden Reporter zu. „Wenn ihr Fragen habt, wendet euch an die Pressestelle! Außerdem ist das Hafengelände Sperrgebiet! Ihr dürft euch hier unbefugt gar nicht aufhalten! Seht zu, dass ihr sofort verschwindet!"

    „Aber …", warf Hannes ein.

    „Seien Sie doch nicht so grob zu uns, Herr Merzenich", versuchte Frau Möltgen, mich einzulullen.

    „Haut endlich ab!", fuhr Nina jetzt dazwischen. Nachdem die beiden mit ihren Fotografen Matze und Manni endlich abgezogen waren, gingen wir zu KHK Marquardt, der uns begrüßte.

    „Hallo Bernd, was ist denn hier passiert?", fragte ich den Leiter der MK 5.

    Bernd erzählte uns die Einzelheiten. „Ich würde vorschlagen, dass wir die beiden Zeugen zur Dienststelle mitnehmen und vernehmen. Die haben jetzt schon lange genug darauf gewartet, ihre Aussage zu Protokoll zu geben."

    „Ist okay, Bernd", entgegnete ich.

    In der kleinen „Sperrzone" knieten zwischenzeitlich unsere Kollegen Thomas Schwadorf und Alwin Scheunemann, die sich mit dem Tatortfotografen schon vor uns auf den Weg gemacht hatten, als wir noch die beiden Reporter abwimmelten. Konzentriert machte sich Alwin auf seinem Klemmbrett Notizen, während Markus Büttgen die Leiche aus allen erdenklichen Perspektiven fotografierte, bevor Thomas sie äußerst vorsichtig durchsuchte, um keine Spuren zu vernichten.

    Der zu ihren Füßen liegende Tote war ein schwarz gekleideter Mann, der bäuchlings auf einer weißen Plane lag.

    Das, was ich in den nächsten Minuten zu sehen bekommen sollte, war tatsächlich mehr als heftig …

    Thomas blickte kurz auf und warf uns ein flüchtiges wortloses Lächeln zu, während sich Alwin weiter Notizen machte. Niemand schien angesichts dieser Situation reden zu wollen. Ich schaute über den Platz des Wendehammers und die Kaimauer auf das angrenzende Hafenbecken. Das winzige Rettungsboot „Ursula" der Kölner Feuerwehr, das achtern eine Heckklappe zur Aufnahme lebloser Personen oder Schiffbrüchiger aufwies, und eines der großen Feuerlöschboote waren zu sehen.

    Langsam wurde mir unter dem weißen Schutzanzug warm. Die Latexhandschuhe klebten an meinen Fingern. Da es mir unerträglich wurde, den Gestank, der der gasgeblähten Leiche entströmte, zu ertragen, setzte ich meinen Mundschutz auf. Dieser Geruch verfaulten Fleisches, den ich kaum in Worte zu fassen vermag, ließ mir jedes Mal einen Schauer über den Rücken fahren. Obwohl ich mich nach den Jahren im KK 11 an den „Duft des Todes" eigentlich gewöhnt hätte haben müssen, sorgte er immer wieder aufs Neue für aufkommenden Brechreiz.

    Während die Spusikollegen die Fingerabdrücke des Leichnams sicherten, nahmen Nina und ich die Leiche genauer in Augenschein.

    „Tja, das scheint ein ganz schön heftiger Fall zu sein, Nina", sagte ich und deutete auf die Hände des Toten, die mit dicken Seilen auf dem Rücken gefesselt waren. Die Ärmel seiner schwarzen Jacke hingen in Fetzen herab und schienen nur noch durch wenige Fäden gehalten zu werden.

    „Wie du siehst, ist er gefesselt worden."

    „Hast du genug Bilder von der Bauchlage gemacht?"

    „Logisch. Ihr könnt den Kerl umdrehen. Aber seid bloß vorsichtig! Nicht, dass der Kerl uns hier noch platzt!"

    Vorsichtig packten Thomas und Alwin den Leichnam an der Schulter und brachten ihn in die Rückenlage. Das aufgedunsene schwarz-grüne Gesicht unseres Todesopfers versetzte mir einen erneuten Würgereiz. Eigentlich konnte man zu dieser haarlosen, verfaulten Masse kaum noch Gesicht sagen.

    „Mein Gott!", entfuhr es Nina, die sich zwischenzeitlich ebenfalls ein grandioses Wissen über Tötungsdelikte angeeignet hatte – obwohl sie keine gelernte Kriminalbeamtin war.

    Akribisch begutachtete ich das zermatschte Gesicht des Toten. „Schwer zu sagen, ob der geschlagen wurde. Die Verletzungen könnten auch von einer Schiffsschraube stammen."

    Ich griff nach meinem Handy, um Theo anzurufen. „Die Rechtsmedizin wird mit der Obduktion zeitnah beginnen müssen. Die Autolyse, also die Selbstauflösung abgestorbener Körperzellen, wird durch Sauerstoffzufuhr ja bekanntermaßen rasant beschleunigt."

    „Dann ruf ich noch mal unseren Staatsanwalt an. Der wollte nicht mehr zu euch rauskommen. Ich informiere auch direkt den Bestatter."

    „Habt ihr den Toten schon identifizieren können?, wollte ich von Thomas Schwadorf und Alwin Scheunemann wissen. Aber sie schüttelten synchron den Kopf. „Leider nicht. Ich habe seine Taschen komplett durchsucht – und weder Papiere noch Portemonnaie gefunden. Das Einzige, was er bei sich trug, war ein Ring am rechten Ringfinger.

    Alwin reichte mir den goldenen Ring, der in einem Klarsichtbeutel steckte. Vorsichtig holte ich das Schmuckstück heraus und betrachtete die Gravur auf der Innenseite:

    KATJA 9.8.96

    „Wenn ihr nichts dagegen habt, werden wir den Ring mitnehmen. Könnte ein Hinweis auf die Identität des Toten sein. Der Kleidung nach zu urteilen, scheint er Schornsteinfeger gewesen zu sein", warf ich ein.

    „Hast Recht. Die tragen ja so seltsame Klamotten mit diesen Halstüchern."

    „Das sind keine seltsamen Klamotten. Es ist die traditionelle Zunfttracht der Schornsteinfeger. Und das, was ihr als Halstuch bezeichnet, ist ein Mundtuch. Bei der Kaminreinigung ziehen sie das über Mund und Nase, um keinen Ruß und keine Abgase einzuatmen."

    Erstaunt schaute ich Nina an. „Woher weißt du das alles?"

    „Tja, mein Opa war Bezirksschornsteinfegermeister in der Eifel, bevor er vor ’n paar Jahren in Rente gegangen ist. Der hat mich oft mitgenommen und mir alles darüber erzählt."

    „Die Kleidung der Leiche werden wir erst später abkleben, wenn sie getrocknet ist", sagte Thomas. Ich nickte.

    Wir verließen das abgesperrte Gelände. Nachdem wir uns der grässlichen Schutzanzüge entledigt hatten, informierte mich Theo, dass der Staatsanwalt die Obduktion angeordnet hatte.

    ***

    Bernd und Martina waren mit den beiden Zeugen zum Präsidium gefahren. Mit ihren Designerklamotten sahen die beiden nun wirklich nicht wie hart arbeitende Binnenschiffer aus.

    Während Frau Blümli von Martina befragt wurde – wobei sie so fertig war, dass sie der Beamtin nur sagen konnte, dass sie die Leiche im Hafenbecken treiben gesehen hatte –, wurde Adrian Blümli, dessen dunkler Teint ihn wie einen Südeuropäer aussehen ließ, von Bernd vernommen.

    „Also: Was ist heute Morgen genau passiert?"

    Adrian Blümli, ein hochgewachsener und durchtrainierter Mann, begann mit seinem Bericht: „Also ich wollte mich so gegen halb acht auf den Weg zum Zollamt im Hafen machen, um die Ausfuhrformalitäten zu erledigen. Wir sind gestern aus Rotterdam nach Köln gekommen, um mehrere Tonnen Getreide zu laden. Heute wollten wir uns auf den Rückweg nach Basel machen. Und als ich schon auf der Kaimauer war, hörte ich, wie meine Frau schrie. Sie wollte das Schiffsheck saubermachen und hat die Leiche im Wasser treiben sehen. Das war eigentlich alles. Wir haben dann die Kollegen gerufen."

    „Wieso Kollegen?, fragte Bernd.

    „Die Piz Palü gehört meinen Eltern. Aber da mein Vater eine schlimme Grippe hat und das Bett hüten muss, sind meine Frau und ich für diese Tour eingesprungen. Ich bin zwar auch gelernter Binnenschiffer - aber inzwischen arbeite ich als Wachtmeister bei der Kantonspolizei Basel-Stadt."

    Bernd nickte nur. „Gut, Herr Kollege. Dann bringen wir Sie jetzt zurück zum Niehler Hafen."

    „Merci vielmal!"

    ***

    Der Bestatter transportierte die Leiche ab, um sie in die Rechtsmedizin zu überführen. Ich brachte Nina zurück ins Präsidium und fuhr dann zur Rechtsmedizin. Theo hatte mich telefonisch informiert, dass die Obduktion zeitnah erfolgen sollte und mich gebeten, daran teilzunehmen.

    Gemeinsam mit Thomas Schwadorf und Staatsanwalt Dr. Müller begrüßte ich den Rechtsmediziner Dr. Pfeiffer sowie seinen Präparator im kalten Keller des Instituts für Rechtsmedizin am Rande des Melatenfriedhofs.

    Thomas Schwadorf öffnete das goldene Koppelschloss

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