Heimatkinder 43 – Heimatroman: Die Findelkinder vom Kreuzegg
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Als sich Rosi unter der Wäscheleine hochreckte, um die Wäscheklammern zu befestigen, umfassten sie von hinten zwei starke Männerarme. An ihrem Ohr raunte eine ihr gut bekannte Stimme: "Kennst mich noch?"
Jäh wirbelte Rosi herum und versuchte den lachenden Burschen zurückzustoßen. In ihren dunklen Augen, die zu ihrem blonden Haar einen reizvollen Gegensatz bildeten, wetterleuchtete es gefährlich.
"Besser, als du meinst, kenn ich dich!", fuhr sie ihn an. "Und dass du dich überhaupt getraust! Was glaubst denn, wer ich bin?"
"Das Madl, das ich mag", erwiderte er und drückte sie fester an sich.
"Du, lass mich aus, bevor was geschieht!", warnte sie und schaute zum Hauseck. "Meine Leute schlafen net. Wenn uns der Vater so sieht …"
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Heimatkinder 43 – Heimatroman - Anne Altenried
Heimatkinder –43–
Die Findelkinder vom Kreuzegg
Roman von Anne Altenried
Als sich Rosi unter der Wäscheleine hochreckte, um die Wäscheklammern zu befestigen, umfassten sie von hinten zwei starke Männerarme. An ihrem Ohr raunte eine ihr gut bekannte Stimme: »Kennst mich noch?«
Jäh wirbelte Rosi herum und versuchte den lachenden Burschen zurückzustoßen. In ihren dunklen Augen, die zu ihrem blonden Haar einen reizvollen Gegensatz bildeten, wetterleuchtete es gefährlich.
»Besser, als du meinst, kenn ich dich!«, fuhr sie ihn an. »Und dass du dich überhaupt getraust! Was glaubst denn, wer ich bin?«
»Das Madl, das ich mag«, erwiderte er und drückte sie fester an sich.
»Du, lass mich aus, bevor was geschieht!«, warnte sie und schaute zum Hauseck. »Meine Leute schlafen net. Wenn uns der Vater so sieht …«
»Der wäre froh, wenn er dich verheiratet hätt«, unterbrach er sie.
»Aber net mit einem vom Kreuzegg«, parierte die Oberhauser-Rosi.
»Die alten Geschichten, die er mit meinem Vater hat, kann er auf uns net übertragen. Ich seh also kein Hindernis zwischen uns beiden.«
»So!«, blitzte sie ihn an. »Kein Hindernis! Ich red lieber nix.« Sie machte sich energisch frei und lief mit ihrem leeren Wäschekorb davon. Husch, war sie hinterm Stadel verschwunden.
Dem Burschen war das Lachen erstorben. Seufzend kratzte er an seinem Kopf und schob das fesche Hütl zurecht. Mit der Rosi hatte er seit Jahren sein Kreuz. Kein unverdientes. Er war selber schuld an seinen vielen Weibergeschichten und seinem rundum bekannten Leichtsinn.
Mürrisch stiefelte er über die Grasmatten hinauf, der strahlenden Morgensonne entgegen, dem Hof auf dem Kreuzegg, der seiner Tante gehörte und den er übernehmen sollte.
Seitab auf einer steilen Hangwiese mähten sein Vater und sein jüngerer Bruder das taufrische Berggras. Ihnen wich der Bursch aus. Ihn plagte das schlechte Gewissen. Auch er hatte in aller Herrgottsfrühe schon mit seiner Sense am Bergmähder stehen sollen.
Auf dem Hof empfing ihn helles Kindergeschrei, vermischt mit den Kommandoworten seiner Tante, der bis heute uneingeschränkt herrschenden Kreuzeggerin.
Aus der offenen Haustür stürmte ein dunkelhaariger kleiner Wirbelwind, sechs Jahre alt, klammerte sich an den Heimkehrenden und strahlte ihn an. »Papa, möchtest mich net mitnehmen heut, hinauf zum Bergmähder?«
Unwillig brummte der Bursch: »Ich versohl dir den Hintern, wenn du noch einmal Papa zu mir sagst, du Ausbund, du narrischer!«
»Du bist es ja doch«, lachte Evi und schüttelte ihr langes Haar zurück. »Die Omi sagt’s. Die schwindelt nie.«
»Schwindelt nie!«, echote er. »Märchengeschichten reimt sie sich zusammen.«
Da war aber die grauhaarige Kreuzeggerin schon zur Stelle, maß das ungleiche Paar mit prüfendem Blick und griff nach dem Arm der schmollenden Evi. »Marsch, in die Stube jetzt! Dort steht dein Haferbrei. Nimm dir deine Schwester zum Beispiel! Die isst schon brav.«
»Das ist auch verlogen«, protestierte der Bursch. »Schwestern sind die beiden net. Wer weiß, was für narrische Weibsleute uns die beiden Findlinge vor die Haustür gelegt haben!«
»Hättest du damals die Mutter der Evi geheiratet, wär die Heidi gar net auf der Welt«, gab die Kreuzeggerin resolut zurück. »Dass die zwei net von einer Mutter sind, weiß ich. Aber dass sie beide denselben Vater haben, weiß ich auch!«
»Welchen?«
»Dich!«
»Das wirst du noch so lange herumschwatzen, bis es die Leute glauben und ich mich nirgends mehr blicken lassen kann. Ich hab heut schon Schwierigkeiten, wenn ich einem Madl bloß ein Busserl geben will.«
»Dich sollte gar keine mehr anschauen, bevor du net gescheit geworden bist!«
Er ging an der Bäuerin vorbei in die morgendliche Stube, durch deren blanke Fensterscheiben das Sonnenlicht hereinfiel. Die Kreuzeggerin blieb ihm dicht auf den Fersen.
»Mir ist’s besser gegangen, wo ich mich hier auf dem Hof mit fremden Leuten hab abrackern müssen«, hielt sie ihm vor. »Am liebsten würd ich meine ganze saubere Verwandtschaft wieder fortjagen. Dich zuerst.«
Achselzuckend setzte sich Steffen vor seinen bereitstehenden Teller. »Ich überlege selber, ob ich net vom Kreuzegg weggehen soll. Früher hab ich ein lustigeres Leben geführt.«
»Lustigeres Leben!«, schnaubte die Frau. »Dein Vater, der Hias, hat es mir erzählt: Hundert Liebschaften hast gehabt! Jedem Madl bist in die Kammer nachgestiegen!«
»Und?«, begehrte der Bursch auf und ließ den erhobenen Löffel wieder sinken. »Bin ich kein Mannsbild?«
»Es gibt zweierlei Mannsleute. Aber ich zieh dich schon noch, wart ab! Und deinen Bruder auch! Der ist net viel besser als du. So, und jetzt wird erst gebetet! Kein Mensch isst das ohne Dank, was ihm der Herrgott in seiner Gnad geschenkt hat.«
Sogleich standen die beiden Dirndln kerzengerade und sprachen mit der alten Bäuerin das Tischgebet. Ergeben murmelte Steffen mit.
Dann wies er mit dem Finger auf die beiden Kinder. »Aber denen ihr Vater bin ich deswegen noch lang net.«
Ohne weiterzustreiten, verließ die Kreuzeggerin die Stube und sinnierte weiter an dem, was ihr heute in der Frühe plötzlich eingefallen war. Das könnte der Ausweg zum Guten sein, wenn sie es richtig anstellte.
*
Beim Zöpfl im Bachgrund, dem Häusler mit seiner elfköpfigen Kinderschar war die Kreuzeggerin ihrem Plan gemäß gewesen. Nun stieg sie wieder mühsam den Hang zum Kreuzegg hinan, behutsam bei jedem Schritt ihren Gehstock setzend. Steil und schwierig war der Weg in die Höhe.
Den Zöpfl hatte sie erwählt, weil er trotz seiner Armut rechtschaffen geblieben war und seine Kinder durchweg zu ehrlichen und anständigen Menschen erzogen hatte.
Sieben Töchter hatte der Zöpfl. Die dritte, die zwanzigjährige Vroni, die auf einem großen Hof am Inn draußen die Hauswirtschaft erlernt hatte und jetzt heimgekehrt war ins heimatliche Hochtal, hatte die Kreuzeggerin zu einem Versuch überreden können.
Gleich morgen wollte die Vroni als Kindsmagd auf dem Kreuzegg einstehen.
Ein bildsauberes Madl war sie, dunkelhaarig und munter, mit lachenden Augen, die aus ihrer Umgebung alles Dunkel zu verscheuchen schienen. Es müsste geradezu mit dem Teufel zugehen, wenn sich nicht der Steffen in dieses rechtschaffende Madl verschauen und auf einen guten Weg finden würde!
Ja, die Kreuzeggerin hatte sich fest entschlossen, alles in die Hände einer armen Häuslertochter zu geben, wenn sie dem seit altersher im Familienbesitz befindlichen Anwesen nur den Fortbestand sicherte.
Und die beiden Enkel, die Findlinge, wie sie genannt wurden, sollten eine herzensgute Mutter haben. Vroni schien sich auf ihre verantwortungsvolle Aufgabe zu freuen. Vielleicht ahnte sie nicht, was die alte Kreuzeggerin tatsächlich mit ihr vorhatte.
Ahnungslos saßen die drei Männer anderntags am Frühstückstisch, als Vroni mit freundlichem Gruß in die Stube wirbelte. Ihr Blick galt sogleich den beiden Kindern, die mit am Tisch saßen und ihre warme Milchsuppe löffelten. Eins dunkel, eins blond, beide sauber angezogen, gekämmt