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Glühwein, Schnee und Harzer Knüppel: Kriminelle Weihnachtsgeschichten aus dem Harz
Glühwein, Schnee und Harzer Knüppel: Kriminelle Weihnachtsgeschichten aus dem Harz
Glühwein, Schnee und Harzer Knüppel: Kriminelle Weihnachtsgeschichten aus dem Harz
Ebook299 pages4 hours

Glühwein, Schnee und Harzer Knüppel: Kriminelle Weihnachtsgeschichten aus dem Harz

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About this ebook

Dreizehn spannende, kuriose, witzige und besinnliche Weihnachtskrimis von Christian Amling, Hardy Crueger, Wolf S. Dietrich, Helmut Exner, Rüdiger Glässer, Albrecht Gralle, Andrea Illgen, Corina Klengel, Roland Lange, Sabine Prilop, Mick Schulz, Astrid Seehaus.
LanguageDeutsch
Release dateNov 29, 2016
ISBN9783954751433
Glühwein, Schnee und Harzer Knüppel: Kriminelle Weihnachtsgeschichten aus dem Harz

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    Glühwein, Schnee und Harzer Knüppel - Prolibris Verlag

    www.prolibris-verlag.de

    Roland Lange - Harzer Knüppel - Osterode

    Es war an einem Nachmittag Anfang Dezember. Die festlich dekorierte Stadt und eine Decke frischgefallenen Schnees ließen erste zaghafte Weihnachtsstimmung aufkommen. Auf der Osteroder Sösepromenade hielten zwei Frauen ungeachtet der Temperaturen ein Schwätzchen miteinander. An die Hand einer der beiden Frauen klammerte sich ein Kind, ihr knapp sechsjähriger Sohn. Der Junge trat von einem Fuß auf den anderen und blickte gelangweilt um sich.

    »Mama! Mama! Kuck mal, da!« Plötzlich griff der Bengel seiner Mutter an den Jackensaum, zerrte daran und forderte laut krakeelend ihre Aufmerksamkeit ein.

    »Hör sofort damit auf, Niklas! Du siehst doch, dass ich mich unterhalte.« Die Mutter war nicht bereit, den Straßentratsch mit ihrer Bekannten und den Austausch der Rezepte für den Weihnachtsbraten zu unterbrechen.

    »Mama, da oben! Der Weihnachtsmann! Was macht der denn da?«

    »Niklas, bitte, sei endlich ruhig!«

    Klein-Niklas dachte gar nicht daran, der Aufforderung seiner Mutter Folge zu leisten. »Der Weihnachtsmann klettert die Burg rauf«, lärmte der Sohnemann.

    Die Burg, die Niklas meinte, ist das weithin sichtbare Wahrzeichen der Stadt, die sogenannte Alte Burg. Inmitten des städtischen Friedhofs ragen die beiden steinernen Spitzen des ehemaligen Bergfrieds wie ein Mahnmal in die Höhe. Seit den Mauerresten eine Betonhaube übergestülpt worden ist, um der Erosion Einhalt zu gebieten, kann man, je nach Standort und Betrachtungsweise, in dem linken und kleineren der zwei Zinken durchaus ein Phallussymbol sehen. Und das umso mehr, wenn er in schneereichen Wintern zusätzlich ein weißes Mützchen trägt.

    Ganz selbstverständlich thront die Ruine über der Stadt und kaum ein Einheimischer schenkt ihr noch Beachtung. Es ist ja ohnehin so, dass der Blick des Menschen eher nach unten gerichtet ist. Was oben, über seinem Kopf, geschieht, nimmt er meist nicht wahr.

    »Herrgott noch mal!«, stieß Mutter einen wenig weihnachtlichen Fluch aus und wandte sich endlich ihrem Sohn zu. »Wenn du nicht gleich den Mund hältst, dann ...« Sie ließ die Drohung unausgesprochen in der Luft hängen, als sie sah, was den Kleinen derart in Erregung versetzte.

    An den Mauern der Alten Burg hing der Weihnachtsmann! Genauer gesagt, am linken Zinken, dem Phallussymbol. Ziemlich weit oben, dicht unter der Betonkuppe mit dem Schneehäubchen.

    »Das glaube ich jetzt nicht«, murmelte sie perplex.

    Ihre Bekannte, eben noch mit den Gedanken bei Bratenrezepten, stimmte mit entsetztem Blick zu: »Das ist ja ...«, stieß sie empört aus. »Wer macht denn so einen Blödsinn?«

    »Ziemlich großer Blödsinn«, fand Niklas’ Mutter. Sie meintedamit weniger das Ausmaß des Unfugs, sondern eher die Größe des Weihnachtsmannes, der an dem Gemäuer klebte. Mannsgroß, schätzte sie, mindestens.

    Es ist durchaus gang und gäbe, dass Zeitgenossen in der Adventszeit Gärten und Eigenheime recht verschwenderisch mit überaus kitschigem Krempel schmücken, von bunten Lichterketten bis hin zu Plastik-Rentieren mit blinkenden roten Nasen. Auch Weihnachtsmänner in unterschiedlichen Abmessungen und Materialien hängen an Balkonen und Fassaden. Aber an der Alten Burg? Und dann so groß? Das ging gar nicht, fanden die beiden Frauen. Das war Frevel. Das schadete dem Image der Stadt.

    »Du musst das sofort deinem Mann melden, Anke«, forderte ihre Bekannte sie empört auf.

    Ankes Mann, Niklas’ Vater also, war nicht nur Streifenpolizist, sondern auch verärgert, als sein Privathandy läutete und er die Nummer auf dem Display erkannte.

    »Du sollst mich doch nicht im Dienst anrufen, wenn es nicht wichtig ist«, fauchte er in das Gerät. Wie oft hatte er seiner Frau das schon erklärt.

    »Ist aber wichtig«, widersprach die. »An der Alten Burg hängt der Weihnachtsmann.«

    »Wie bitte? Anke! Was soll das?« Er wurde laut und riss den Kollegen auf dem Beifahrersitz des Streifenwagens aus seinem Schlummer. »Willst du mich verscheißern? Ich bin im Einsatz und wir haben Dezember! Bis zum ersten April ist es noch ein Weilchen hin!«

    »Der hängt da wirklich«, beharrte Anke energisch, »und jetzt weck Bernie auf und kommt endlich in die Strümpfe! Seht zu, dass ihr das Ding da wieder wegmacht! Wenn das ein Fremder sieht, der lacht sich ja kaputt.« Sollte ihr Volker ruhig mal was für sein Geld tun und nicht den ganzen Tag mit seinem Partner an irgendeiner entlegenen Ecke stehen und auf das Schichtende warten.

    »Weihnachtsmann an der Burg ... Ich fass es nicht«, brabbelte Polizeiobermeister Volker. Laut sagte er ins Handy: »Okay, Anke, wir kümmern uns drum.«

    Das Objekt des Anstoßes war keine Puppe, sondern ein echter Mensch. Ein Bayer, wie sich kurz darauf herausstellte. Er war tot. Und fast nackt. Außer schwarzen Gummistiefeln an den Füßen und einer Art Wolpertinger-Maske, die sein bestes Stück bedeckte, trug er nichts unter dem roten Mantel mit weißem Saum, der ihn umhüllte. Er hing in einem Bergsteiger-Geschirr, professionell oben an der Mauer der Alten Burg gesichert mit Seil, Haken und Ösen. Trotzdem schien er den Ruinen-Gipfel nicht selbst erklommen zu haben. Weder fanden sich entsprechende Spuren an den Stiefeln, noch an seinen bloßen Händen oder anderen Körperteilen. Abschürfungen zum Beispiel. Also hatte ihn jemand dort oben hingehängt. Unbemerkt. Weil ja die meisten Menschen nach unten und nicht in die Höhe blickten.

    Als Volker seiner Anke abends die Faktenlage schilderte, erhob sich draußen, hinter der angelehnten Wohnzimmertür ein jämmerliches Geschrei. Der Sohnemann hatte gelauscht.

    »Niklas, was ist denn?«, rief Mutter Anke erschrocken und holte den Jungen ins Zimmer, um ihn zu trösten.

    »Tot? Der ... der Weihnachtsmann ist ... tot?«, stammelte Klein-Niklas schluchzend, als er sich ein wenig beruhigt hatte. »Aber ... aber dann bekomme ich ja ... gar keine Geschenkääääh ...«

    Anke und Volker blickten sich hilflos an. Völlig unerwartet standen sie vor einem Problem. Wie sollten sie ihrem Sohn so kurz vor dem Fest beibringen, dass die Sache mit dem Weihnachtsmann eine Lüge war?

    Ingo Behrends, Kriminalhauptkommissar in der Polizeiinspektion Northeim-Osterode und Leiter des Fachkommissariats für Gewaltdelikte hatte ganz andere Sorgen. Er musste den Mord an einem nackten Bayern aufklären. Und das möglichst noch vor Heiligabend. Niemand wollte das Fest begehen und dabei Angst haben müssen, draußen könne ein Mörder durch den Schnee ums Haus stapfen, während man sich drinnen mit Bockwurst und Kartoffelsalat den Bauch vollschlug.

    Angestrengt brütend versuchte Behrends, sich seinen Reim auf die Tat und ihre Hintergründe zu machen. Er wusste mittlerweile, dass man dem Opfer mit dem Schlag eines sehr harten Gegenstandes in Form einer Stange das Genick gebrochen hatte. Weiterhin war bekannt, dass der bayerische Junggeselle ein in Osterode und Umgebung berüchtigter Frauenversteher gewesen war, den es vor einigen Jahren in den Harz verschlagen hatte. Daraus ergab sich ganz logisch die Frage, ob dem Mann sein guter Draht zur einheimischen Damenwelt zum Verhängnis geworden war. Das war durchaus möglich, musste sich Behrends eingestehen, auch wenn es für ihn unverständlich war, wie man oder besser eine Frau oder noch genauer etliche Frauen auf einen krachledernen Ur-Bayern hereinfallen konnten. Was war an diesen Mia-san-mia-Typen bloß dran, was die norddeutschen Männer nicht hatten?

    Eine weit interessantere Frage jedoch war diejenige, die sich aus den Spuren im Bereich der Nackenwirbelsäule des Toten ergab. Dort, wo man metallische oder auch hölzerne Ablagerungen hätte vermuten können, die von der Tatwaffe stammten, hatten die Gerichtsmediziner organische Rückstände tierischen Ursprungs gefunden. Und kleinste Gewürzpartikel. Pfeffer, Salz, Thymian, solche Sachen. Was um alles in der Welt hatten die im Nacken des Opfers zu suchen? Und wie waren sie dahingekommen? Irgendeine spezielle Salbe? Ein extravagantes Deo mit einer besonders männlichen Note? Etwas, mit dem er sich eingerieben hatte, weil die Frauen davon weiche Knie bekamen? Aber warum dann nur hinten unter dem Haaransatz, dort, wo die Wirbel gebrochen waren? Das hätte an anderen Stellen doch viel mehr Sinn gemacht.

    Für Behrends stand fest, er musste so viel wie möglich über das Opfer herausfinden. Nur so würde er dem Mörder oder der Mörderin auf die Spur kommen. Hoffte er. Und er wusste auch, welche seiner Informationsquellen er als Erste anzapfen wollte: seine Freunde vom Handwerker-Stammtisch. Die wussten immer über alles und jeden Bescheid. Schon am Abend trafen sie sich wieder in Förste im Schwarzen Bären.

    Wie erwartet, konnten ihm die Stammtischbrüder einiges über Florian Stadler, den toten Bayern, erzählen. Und einiges, das hieß übersetzt: nur Schlechtes.

    »Ein Großmaul war der! Ein Aufschneider! Ein Kameradenschwein, Abstauber, Weiberheld. Kurz, ein Arschloch!« Das war die einhellige Meinung aller am Tisch. Niemand fand auch nur ein gutes Wort für ihn. »Schön, dass ihm mal einer die Lederhosen ausgezogen hat. Ist echt nicht schade um den Alpendödel.«

    »Wisst ihr eigentlich, dass ihr euch gerade allesamt verdächtig macht?«, fragte Behrends augenzwinkernd. »Also, wer von euch war’s?«

    »Mensch, das könnte jeder gewesen sein«, tönte es unisono aus der Runde. »Alle, die ihn kannten, hatten einen Rochus auf ihn. Jedenfalls die Männer. Und das waren verdammt viele. Nicht nur, weil er hinter ihren Frauen, Freundinnen und Töchtern her war. Mindestens genauso schlimm war, dass er sich über uns lustig gemacht hat. Bei jeder Gelegenheit. Harzer Hinterwäldler waren wir für den. Ohne eigene Kultur und Lebensstil. Weder vernünftiges Bier, noch anständiges, deftiges Essen. Nichts hat ihm gepasst. Und wenn er doch mal was gut fand, dann war es sowieso Importware aus seiner Heimat. Bei uns in Bayern, so fing er jeden Satz an, um uns die Überlegenheit der Erzeugnisse und Leistungen seiner bajuwarischen Landsleute unter die Nase zu reiben.«

    »Aber die Frauen, die hat das anscheinend nicht gestört, oder?«, wunderte sich Behrends. »Die scheinen ja im Gegenteil voll auf ihn abgefahren zu sein, was man so hört.«

    Seine Stammtischbrüder bestätigten das, auch wenn es ihnenschwerfiel, das nachzuvollziehen. Sie waren eben keine Frauenversteher.

    »Vielleicht hat er ja ein besonderes Deo benutzt«, gab Behrends zu bedenken. »So eins, das eine ganz starke animalische Ausdünstung hatte.« Er dachte dabei an die Spuren im Nacken des Opfers. »Dieses Archaische, was man nicht mit dem Verstand fassen kann. Ihr wisst schon ...« Er blickte in die Runde. »Kann mir einer was dazu sagen?«

    Niemand konnte. Und es wollte auch keiner. Die Zeit war ihnen zu schade, sich über ein totes Arschloch zu unterhalten, eins, das in ihren Augen den Tod mehr als verdient hatte.

    Die Tage vergingen, die Ermittler traten auf der Stelle. Ehe sich Frust breitmachte, lud Behrends sein Team kurzerhand für den kommenden Freitagabend auf den Osteroder Weihnachtsmarkt zum Glühweintrinken ein. Für ihr Treffen ordnete er einheitliche Kleidung an, was in diesem Fall bedeutete, dass sie ihre Beanies tragen mussten, die er für alle bei Harzkind geordert hatte. Er bewunderte die Kreativität des Dreigestirns, das sich zusammen mit einigen Mitstreitern unter diesem Namen aktiv für ein besseres, moderneres Image des Harzes einsetzte. Mit dem Erwerb der Mützen hatte er das Engagement der Gruppe unterstützen und gleichzeitig Flagge für seine Heimat zeigen wollen. Die dunkelblauen Beanies, auf die er in weißer Farbe das Wort »Harz-Cop« hatte sticken lassen, waren eigentlich für später gedacht, als Weihnachtsgeschenk für seine Leute. Aber die Gelegenheit war ideal, und er fand es sehr verlockend, gemeinsam auf dem Weihnachtsmarkt als Harz-Cops aufzutreten.

    Keiner aus Behrends’ Team machte einen Rückzieher. Alle waren sie dabei – Maike de Baer, Jutta Engelke, Tim Seidel. Sogar Richard Unrein, der eher schwer zu motivieren war, sobald es um anderes, als um die Arbeit ging.

    Um zwanzig Uhr trafen sie sich auf dem Kornmarkt vor dem Winterwald und stürzten sich dann gemeinsam ins Vergnügen. Schon nach dem dritten Becher Glühwein hatten sie den Alltag hinter sich gelassen. Kein Gedanke wurde mehr an Mord und Totschlag, an erfolglose Zeugenbefragungen oder rätselhafte Tatmotive verschwendet. Es war Adventszeit, und auch wenn der Schnee der vergangenen Tage längst geschmolzen war und die Temperaturen ins Frühlingshafte strebten, so konnte man sich die Jahreszeit ja immer noch so hintrinken, wie man sie brauchte. Und genau das taten Behrends und seine Harz-Cops.

    Behrends führte gerade seinen vierten Glühweinbecher zum Mund, als ihn etwas Hartes von hinten an der Schulter traf. Er zuckte unter dem Schlag erschrocken zusammen. Der Glühwein platschte aus dem Becher auf seine Hand und den Ärmel seiner Wetterjacke.

    »Aua! Scheiße, was ...?« Er fuhr herum und blickte in Holger Diekmanns breit grinsendes Gesicht.

    »Na, Alter, nix Mordermittlung heute?«, rief der aufgekratzt und winkte den anderen zu, die mit Behrends am Tisch standen. »Stattdessen so richtig die Sau rauslassen, wie? Na, muss ja auch mal sein.«

    »Hast du mir eben den Schlag verpasst?«, knurrte Behrends wütend.

    Diekmann nickte. »Klar doch. Hier, kuck mal. Damit.« Er zog etwas aus einem Plastikbeutel, das auf den ersten Blick einer kurzen, braunen Stange glich. Ähnlich einem Polizei-Schlagstock. Erst beim zweiten Hinsehen erkannte Behrends, was es war: »Eine Wurst?«, rief er erstaunt aus.

    »Nicht irgendeine«, klärte ihn Diekmann auf. »Das, mein Lieber, ist ein Harzer Knüppel. Schmeckt nicht nur saugut, sondern wird auch knüppelhart, wenn du ihn lange genug hängen lässt. Wie der Name schon sagt. Damit kannst du einen Ochsen erschlagen.« Zur Bestätigung ließ er die Wurst mit aller Kraft auf den Tisch hinabsausen. Zwar überstand der Harzer Knüppel den Schlag nicht völlig unbeschadet, dennoch setzte die Demonstration bei Behrends einen Gedanken frei, der sich in Windeseile durch sein vernebeltes Gehirn vorarbeitete und in einer scharfen Frage Gestalt annahm: »Woher hast du den?«

    »Wen? Meinst du den Knüppel?«

    »Ja, rede ich denn Chinesisch? Na sicher meine ich den Knüppel!«

    Diekmann beschrieb ihm den kurzen Weg zu einem Verkaufsstand mit Harzer Spezialitäten. Behrends erreichte die Holzhütte etliche Minuten und einige Umwege später. Der Tresen war vollgepackt mit Tannen- und Wildblütenhonig, Bienenwachskerzen, Griebenschmalz und Harzkäse. Kälberblasen, Schmorwurst und Harzer Knüppel hingen an einer Leiste mit Haken an der Hüttenrückwand. Vor den Würsten stand ein stämmiger, rotgesichtiger Kerl mit schütterem Blondhaar und wartete auf Kundschaft: Bauer Schulz vom Schulzenhof. Eigener Hofladen, eigene Hausschlachterei. So konnte es Behrends auf dem Schild links an der Hüttenwand lesen.

    Bauer Schulz vom Schulzenhof hatte eine Tochter. Etwas korpulent. Nicht gerade eine Schönheit, aber immer noch attraktiv genug für einen Bayern namens Florian Stadler. Bei ihr hatte der ausprobieren wollen, ob sich die alte bajuwarische Tradition des Fensterlns auch im Harz etablieren ließ. Der Versuch ging schief, und der Lustmolch landete in den Fängen der zwei Bauernsöhne, die nach Jahren fern der Heimat ihren Weihnachtsurlaub auf dem elterlichen Hof verbrachten. Die beiden jungen Männer waren passionierte Bergsteiger und wussten seit jeher den guten Geschmack und die Konsistenz des Harzer Knüppels zu schätzen. Besonders gut aber verstanden sie sich auf den Umgang mit den anderen Harzer Knüppeln, den Eichenrundhölzern, an denen die frischen Harzer Wurst-Knüppel zum Trocknen aufgehängt wurden. Nach jahrelangem Gebrauch waren sie mit einer dünnen Schicht aus Fett, Kräutermischungen und Gewürzen überzogen.

    Das letzte Wort in der späteren Gerichtsverhandlung hatte der Mitangeklagte, Bauer Schulz vom Schulzenhof. Der erhob sich würdevoll, räusperte sich kurz und sagte: »Hohes Gericht, bevor meine Söhne und ich heute verurteilt werden, möchte ich noch Folgendes zu Protokoll geben: Schuld an seinem Schicksal ist dieser überhebliche bayrische Gockel selbst. Warum musste er auch immer behaupten, wir im Harz hätten nichts zu bieten, von unseren Frauen und Töchtern einmal abgesehen? Wir wollten ihm nur das Gegenteil beweisen und ihm eine echte Harzer Spezialität schmackhaft machen. Aber die bekommt halt nicht jedem, werter Herr Vorsitzender. So ein Harzer Knüppel kann einem schon mal das Genick brechen und man taugt danach nur noch als Weihnachtsdekoration für die Alte Burg.«

    Er machte eine Verbeugung zum Richtertisch hin und nahm kurz darauf aufrechten Hauptes seine Strafe entgegen.

    ~~~~~

    Roland Lange

    geboren 1954, hat ab 1990 neben seinem Hauptberuf als Vermessungsingenieur mehrere Bücher in unterschiedlichen Genres veröffentlicht. Seit 2014 arbeitet er als Vollzeit-Schriftsteller. In den letzten Jahren schrieb er hauptsächlich Regionalkrimis. Mittlerweile sind sechs Harz Krimis von Roland Lange im Prolibris Verlag erschienen.

    Mehr Informationen gibt es hier: www.roland-lange-autor.de

    Astrid Seehaus - Und morgen kommt der Weihnachtsmann - Braunlage

    Es war ein Fehler, dass er hier war. Er wusste es in dem Moment, als der Lieferwagen von der 242 herunterkam und in den Kegelbahnweg einbog, um hier Pause zu machen, eigentlich alles wie immer. Aber der Wagen hatte das falsche Kennzeichen und der Mann, der ihn fuhr, war nicht Eddi.

    Benni und seine Tipps. Wieso hatte er sich überhaupt darauf eingelassen, sich mit Benni zu treffen? Ihm hatte er doch die drei Jahre im Bau zu verdanken. Ihm und seinen sicheren Tipps. Hach! Dass er nicht lachte. Bennis Tipps waren einen Dreck wert.

    Klaas hockte in den tropfnassen Blaubeersträuchern hinter einer Tanne und hoffte, dass nicht gerade jetzt eine alte Dame auf die irrsinnige Idee gekommen war, bei dem lausigen Wetter mit ihrem Hund Gassi zu gehen. Er musste wie ein Exhibitionist wirken, der auf seinen Auftritt wartete. Und zu Hause saß Gabi mit dem Essen.

    Es zog wie Hechtsuppe. Er fror, besonders am Kopf, wo sich sein rötlich-blondes Haar lichtete. Die Sturmhaube hatte er vergessen. Und die Ronald Reagan-Maske schloss nicht dicht genug um seine Ohren und würde ihn verdächtig erscheinen lassen. Was für ein lächerlicher Gedanke! Alles an ihm war momentan verdächtig, bis hin zu den neongrünen Turnschuhen, die eventuellen Zeugen sofort ins Auge fallen würden.

    Klaas sah sich um, noch schienen er und der Fahrer des Lieferwagens allein auf dem Parkplatz. Der Fahrer machte wie Eddi seine Mittagspause an diesem ruhigen Plätzchen, nachdem er die Lieferungen in Sankt Andreasberg erledigt hatte. Da es nur noch zwei Tage bis Weihnachten und die Liefermengen auf dem Höhepunkt waren, fand Klaas es aber unbegreiflich, dass sich der Fahrer diese Auszeit nahm. Klaas wusste von Eddi, der für diese Lieferfirma arbeitete, dass es vor den Feiertagen überhaupt keine Pause gab, deshalb war es ja so schwierig, die Lieferwagen zu überfallen. Und dabei waren die lukrativsten Raubzüge die vor Weihnachten. Bis auf den vor vier Jahren. Seit elf Monaten erst war er raus aus dem Knast. Benni hatte von einem heißen Tipp geschwafelt. Als Mittelsmann gehörte er zu einer Bande, die Fernseher in den Osten verschob. LED-Bildschirme waren damals der Renner, und Benni hatte gemeint, wenn er, Klaas, mitmachen würde, müsste er für ein Jahr nicht arbeiten und darüber hinaus könnte er seiner Gabi endlich den fetten Verlobungsring kaufen.

    Stattdessen war seine Libido im Knast verschrumpelt, und Gabi hatte ihn drei Jahre später ziemlich schlecht gelaunt am Gefängnistor abgeholt. Na ja, ziemlich war recht untertrieben, Klaas wäre am liebsten umgekehrt und hätte beim Vollzugsbeamten um Verlängerung seiner Knastzeit gebeten. Aber nun hatte sie sich beruhigt, war wieder das liebende Frauchen, das er wollte. Ja, er gab es zu. Er brauchte sie. Seit der ersten Klasse, wo er schon den Blick nicht von ihr hatte wenden können, hatte er das Gefühl gehabt, sie wären ein einzig schlagendes Herz.

    Natürlich hatte Benni ihn auch dieses Mal zu einem Pokerspiel überreden können. Und dabei war es um Geld gegangen, um was sonst, aber Klaas konnte nun mal nicht gut pokern. Er sollte einfach die Finger davon lassen. Statt des Verlobungsrings hatte er Schulden bei Benni, tausend Kröten. Eine Verlobung unter dem Weihnachtsbaum würde wieder nicht stattfinden. Oder vielleicht doch. Mann, wie würde sie ihn anhimmeln, wenn dieses Ding klappen würde. Mit dem Anhimmeln hatte sie es in letzter Zeit nicht mehr so gehabt. Vielleicht spielten die Jahre eine Rolle, sie waren nun beide über dreißig, und da war die erste heiße Liebe ein wenig abgenutzt, deswegen hatte er ja auch handeln müssen. Sollte die Polizei ihn erwischen, würde Gabi das einfach verstehen müssen.

    Der Fahrer hatte es sich nach seiner Stulle bequem gemacht und die Augen geschlossen. Er war jung, das konnte Klaas von seinem Standort aus sehen. Jung und unerfahren, vermutete er, vielleicht ein Aushilfsfahrer, ein Student, der in Clausthal-Zellerfeld zur Uni ging. Davon gab es einige, die sich was dazu verdienten. Das würde ein Klacks werden, dachte Klaas, zog seine Ronald Reagan-Maske über den Schädel und umklammerte die Waffe.

    Er schlich sich von der Seite an den Lieferwagen heran, so dass der junge Mann, falls er doch plötzlich die Augen aufschlüge, ihn nicht bemerken würde, und gelangte unentdeckt an die Fahrertür. Er riss die Tür auf.

    »Überfall«, schrie er dumpf durch die Maske, die ihn wegen des starken Gummigeruchs zum Husten reizte, und fuchtelte mit der Waffe vor dem Gesicht des jungen Fahrers herum.

    Der Junge stierte ihn mit großen Augen an.

    »Komm schon! Raus mit dir! Siehst du nicht, dass ich eine Knarre habe?«, krächzte Klaas, steckte dieselbe in die rückseitige Hosentasche und zog mit beiden Händen den Jungen vom Sitz, so dass dieser aus dem Wagen kullerte und zu Boden stürzte.

    »Mach keine Mätzchen, das ist nicht mein erster Überfall. Ich kenne mich aus«, tönte Klaas, wobei ihm die Regel, nicht zu viel zu quatschen, in den Sinn kam. Er hatte doch zu lange gesessen. Es schien, er müsse wieder alles von Neuem lernen.

    »Also, Kleiner, werd nicht übermütig! Ich will nicht dein Leben, sondern nur das Zeug in deinem Wagen.«

    »Äh … was?«, stieß der Fahrer aus.

    »Komm schon! Ich brauche die Schlüssel, oder du öffnest selbst.«

    »Ja, sicher, ich … aber Sie werden

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