Kurfürstenklinik 32 – Arztroman: Ihre letzte Chance
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"Mein letzter Tag bei Ihnen, Herr Dr. Winter!" sagte Miriam Fechner und sah den jungen Notaufnahmechef der Kurfürsten-Klinik in Berlin-Charlottenburg betrübt an. "Ich wäre gern noch länger geblieben, das wissen Sie ja – aber als nächstes werde ich in Ihrer Neurochirurgie eingesetzt. Ich soll das ganze Haus kennenlernen."
"Sie waren uns eine große Hilfe, Schwester Miriam", erwiderte Dr. Adrian Winter lächelnd. "Wir sind froh, daß Sie wenigstens eine Zeitlang unser Team verstärkt haben."
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Kurfürstenklinik
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Kurfürstenklinik 32 – Arztroman - Nina Kayser-Darius
Die Kurfürstenklinik –32–
Ihre letzte Chance
Roman von Nina Kayser-Darius
»Das ist kein Leben!« sagte Andrea von Hillenburg tonlos. »Ich bin dreiundzwanzig Jahre alt und fühle mich bereits wie eine alte Frau, Mama! Manchmal denke ich, es wäre gut, wenn es endlich vorbei wäre.«
Sonja von Hillenburg setzte sich neben ihre Tochter und griff nach ihrer Hand. »Du darfst den Mut nicht verlieren, Andrea«, sagte sie erschrocken. »Papa und ich glauben ganz fest daran, daß du eine Chance hast, eines Tages ein normales Leben zu führen.«
»Ach, Mama!« Andrea fing an zu weinen, doch sie gab keinen Ton von sich, und das machte es für ihre Mutter nur noch schrecklicher. »Ich werde nie gesund sein, ich werde nie das tun können, was andere in meinem Alter tun. Wie gern möchte ich einmal in einer Diskothek tanzen oder mit dem Fahrrad so schnell durch eine Fußgängerzone flitzen, daß sich alle über mich aufregen. Oder auf einen Berg steigen – ich träume immer noch davon, daß ich einmal eine richtig anstrengende Bergtour mit euch machen kann. Eine, bei der ich am Ende jeden Muskel meines Körpers spüre. Aber das einzige, was ich spüre, ist mein Herz. Immer wieder nur mein Herz.«
Sonja hielt ihre Hand und sagte nichts – was hätte sie auch sagen sollen? Sie verstand Andrea, natürlich verstand sie sie. Sie selbst und ihr Mann Rudolf waren schließlich kerngesund und konnten all das tun, wonach Andrea sich sehnte. Und daß sie es nicht mehr taten, hatte weniger mit ihrer körperlichen Konstitution zu tun als mit der Krankheit ihrer einzigen Tochter, die auch ihr Leben völlig verändert hatte. Da war kein Platz mehr für Bergsteigen und Tanzen! Nur mit dem Fahrrad fuhren sie noch immer viel.
Während ihre Tochter lautlos und verzweifelt weinte, dachte Sonja an die Operationen zurück, die Andrea bereits hinter sich hatte. Immer wieder hatten die Ärzte ihnen Hoffnung gemacht, und immer wieder waren die Hoffnungen zerstört worden. Andrea hatte bereits bei der Geburt einen schweren Herzfehler gehabt. Die erste Operation hatten die Ärzte vorgenommen, als sie erst wenige Tage alt gewesen war. Damals waren sie noch voller Optimismus gewesen.
Aber andere Operationen waren gefolgt, und mittlerweile war Andreas Herz viel zu groß und dünnwandig geworden, als daß man ihr noch einmal eine künstliche Klappe hätte einsetzen können. Sie brauchte ein ganz neues Herz – und die Chance, daß es einen geeigneten Spender für sie gab, war gering, das wußten sie. Dennoch weigerten sich Sonja und Rudolf, ihre einzige Tochter verlorenzugeben.
»Ich weiß, daß es schwer für dich ist, Andrea«, sagte Sonja behutsam. »Aber du darfst die Hoffnung nicht verlieren, hörst du? Du mußt ganz fest daran glauben, daß du ein neues Herz bekommst! Wir tun es auch, Papa und ich. Wenn wir diese Hoffnung nicht hätten, dann…« Sie sprach nicht weiter. Sie wollte vor Andrea nicht weinen und dieser alles noch schwerer machen, als es ohnehin schon war. Sie schluckte und sagte gewollt heiter: »Du wirst wieder gesund, daran glaube ich! Und jetzt sag mir, was du essen möchtest. Du hast einen Wunsch frei heute.«
»Ach, Mama!« Andrea war gerührt über diesen Versuch ihrer Mutter, sie von ihrem Unglück abzulenken. Sie hatte nie großen Appetit und aß wie ein Spatz, aber wenn Sonja sich nicht so große Mühe mit dem Kochen gegeben hätte, dann hätte sie sicher noch weniger gegessen. Sonjas Kochkünsten war nur sehr schwer zu widerstehen.
»Bitte, Andrea! Ich möchte dir so gern wenigstens eine kleine Freude machen!«
»Also gut, Mama.« Andrea wischte sich die Tränen ab, versuchte zu lächeln. »Dann wünsche ich mir etwas mit Fisch.«
»Gut«, sagte Sonja. »Und hinterher gibt es etwas Süßes, ich weiß auch schon was.« Sie stand auf und gab ihrer Tochter einen Kuß. »Und was machst du jetzt?«
»Ich arbeite weiter an diesem Artikel«, antwortete Andrea. Sie war an der Universität eingeschrieben, versäumte aber viele Vorlesungen. Selbst wenn Sonja sie bis zur Universität fuhr, war der Weg von der Straße bis in den Hörsaal oft genug zu weit für Andreas schwaches Herz. Dann mußte sie schon nach wenigen Metern stehenbleiben und rang verzweifelt nach Luft. Aber sie war auch zu stolz, sich im Rollstuhl in den Hörsaal bringen zu lassen.
Zum Glück hatte sie eine gute Freundin, Beatrice Kellermann, die ihr regelmäßig ihre Mitschriften zur Verfügung stellte und ihr auch sonst auf vielfältige Weise half. »Außerdem kommt Bea nachher noch.«
»Gut, dann bis nachher!« Sonja warf ihrer Tochter einen letzten prüfenden Blick zu, aber Andrea schien sich tatsächlich wieder gefangen zu haben. Erleichtert darüber verließ sie das Zimmer.
Andrea aber vertiefte sich keineswegs wieder in den Artikel, den sie eigentlich lesen wollte. Sie stand auf und stellte sich vor den großen Spiegel, der neben ihrem Kleiderschrank hing. Sie betrachtete sich so aufmerksam, als sehe sie sich zum ersten Mal, und was sie sah, gefiel ihr durchaus. Blonde, glänzende Haare, die in natürlichen Wellen bis über die Schultern fielen, große blaue Augen, ein hübscher Mund – dazu eine gute Figur, schlank und doch weiblich. Natürlich war sie sehr blaß, das war sie immer – aber sie konnte mit ihrem Aussehen trotzdem zufrieden sein. Man sah ihr jedenfalls nicht sofort an, wie krank sie war.
Ihr kam eine Idee, die sie im ersten Augenblick völlig verrückt fand. Aber dann nahm diese Idee Gestalt an, und je länger sie darüber nachdachte, desto besser gefiel sie ihr. Warum nicht?, dachte sie. Ich könnte mich den ganzen Tag ausruhen…
Sie überlegte, ob sie Bea einweihen sollte, verwarf diesen Gedanken dann aber. Bea würde versuchen, ihr ihr Vorhaben auszureden oder, schlimmer noch, sie würde es vielleicht sogar verraten, um Andrea daran zu hindern. Nein, auch vor Bea mußte es geheim gehalten werden. Sie würde es ganz allein tun müssen.
Andrea kehrte zurück zu ihrem Sessel und setzte sich wieder. Ihr Herz schlug heftig, und sie legte unwillkürlich eine Hand auf die Brust, als könne sie es dadurch beruhigen. Wenigstens einmal, dachte sie, und wenn es mich das Leben kostet!
*
Dr. Adrian Winter betrat die Notaufnahme der Kurfürsten-Klinik in Berlin-Charlottenburg. Er hatte in den nächsten zwei Wochen Nachtdienst, gemeinsam mit seinen Kollegen Dr. Julia Martensen und Dr. Bernd Schäfer. Mit diesen beiden arbeitete Adrian, der seit einiger Zeit Chefarzt
und zugleich Leiter der Notaufnahme war, am liebsten zusammen.
Julia war Internistin und über zehn Jahre älter als er, was man ihr aber keineswegs ansah. Sie war eine gut aussehende, schlanke und sehr sportliche Brünette. Bernd war chirurgischer Assistenzarzt und ein wenig jünger als Adrian. Er kämpfte ständig mit seinen überzähligen Kilos und der Tatsache, daß er kein Glück bei Frauen hatte.
Adrian warf einen Blick auf den Dienstplan und stellte fest, daß auch Schwester Claudia Nachtdienst hatte. Darüber freute er sich ebenfalls. Claudia war sehr still, aber ungeheuer kompetent.
»Oh, der Chef