Der Friedhofsänger 6: Das Geschenk: Mystery-Horror-Reihe
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In der Horror-Mystery-Grusel-Serie "Friedhofsänger" von Daniel Stenmans sind 5 weitere Bände erschienen: 1: "Der Polizist", 2: "Die Puppe", 3: "Die Traumfrau", 4: "Die Schreibmaschine" und 5: "Das Atelier".
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Book preview
Der Friedhofsänger 6 - Daniel Stenmans
Intro
Guten Abend.
Wie geht es Ihnen? Sie hier zu sehen, sagt mir, dass Ihre morbide Neugier größer ist als Ihre Angst. Wollen mal sehen, ob wir das nicht umkehren können…
Ein paar neue Gesichter sehe ich auch. Sie haben von mir gehört? Und von meinen Geschichten? Dann möchte ich mich Ihnen zu Beginn kurz vorstellen.
Ich bin ein harmloser Kerl, der niemandem etwas Böses will. Zumindest glauben die meisten, dass ich einer bin. Die, die das nicht glauben, gehen mir einfach aus dem Weg. Sobald sie mich sehen, wechseln sie die Straßenseite oder machen einfach auf dem Absatz kehrt. Die Menschen hier glauben, es ist besser, nichts mit mir zu tun zu haben. Sie glauben, dass ich das Böse anziehe.
Und sie haben durchaus recht.
Werner P. Bonner, so heiß ich. Aber erinnern können sich nur noch die wenigsten an meinen richtigen Namen. Die meisten nennen mich einfach nur den Friedhofsänger.
Ich ziehe durch die Straßen von Kevelaer, einem kleinen, beschaulichen Wallfahrtsort im Kreis Kleve, in Nordrhein-Westfalen. Ich bin immer auf der Suche nach neuen Zuhörern. Menschen, denen ich meine Geschichten erzählen kann. Menschen wie Sie. Was ich Ihnen erzählen will, sind Geschichten, die man eigentlich nicht hören möchte, aber denen man sich einfach nicht entziehen kann. Geschichten, die eine eigenartige Faszination besitzen.
Eine beängstigende Faszination.
Sie sollten wissen, Kevelaer ist ein Ort gewaltiger Kräfte. Vor allem spiritueller Kräfte. Der Handelskaufmann Hendrik Busmann hatte im 17. Jahrhundert eine Marienerscheinung, woraufhin er der Mutter Gottes eine Kapelle bauen ließ – die Gnadenkapelle, mitten im Herzen Kevelaers. Doch das Leben strebt immer nach einem Gleichgewicht. Wo Licht ist, existiert auch Schatten. Und die Schatten hier in Kevelaer sind tief. Schatten, in denen sich allerhand verborgen hält. Und manchmal krabbelt etwas daraus hervor und bringt das Gleichgewicht ins Wanken. Und schon entwickelt sich eine Geschichte, von der niemand etwas weiß, aber die erzählt werden will. Und da komme ich ins Spiel.
Es gibt die offizielle Geschichte… und es gibt die wahre Geschichte. Ich kenne sie alle. Die wahren Geschichten. Die offiziellen interessieren mich nicht. Dabei handelt es sich um eine Wahrheit, die immer im Schatten verborgen bleibt. Denn würde sie daraus hervor kriechen, würde sie sowieso niemand glauben. Aber nur weil etwas nicht wahrhaftig sein kann, heißt es nicht, dass es nicht trotzdem wahr ist… Ich lege meine Hand auf einen Grabstein des Friedhofs und schon erfahre ich, was wirklich passiert ist. Denn hinter einer Geschichte, gibt es immer noch eine zweite, von der niemand etwas wissen will.
Denn die kostet den Verstand.
Soll ich sie Ihnen erzählen?
Die wahre Geschichte…
Das hier ist der Grabstein von Martin Verheyen. Er war 34 Jahre alt, als er das Zeitliche segnete. Sein Leben verlief in sicheren Bahnen, er hatte alles erreicht, was man sich wünschen konnte: ein Haus, einen guten Job und eine liebe Frau, die ein Kind von ihm unterm Herzen trug. Doch ein Geschenk zu Weihnachten brachte seine Welt zum Einsturz und verwandelte es in einen furchtbaren Albtraum.
Hören Sie gut zu.
1
Frohe Weihnachten, dachte Martin am Morgen des 24. Dezembers. Er öffnete die Augen und reckte sich. Dafür, dass vor sechs Tagen sein Vater verstorben war, ging es ihm überraschend gut.
Warum auch nicht?, fragte er sich. Es war kein Geheimnis, dass sie sich nicht sonderlich nahe gestanden hatten. Soweit zumindest die offizielle Variante. In Wahrheit hassten sie sich. Gegenseitig. Zumindest ging Martin davon aus, dass Viktor Verheyen ihn genauso hasste wie er seinen Vater.
Martin drehte sich herum, legte sich auf die rechte Schulter und lächelte seine noch schlafende Frau an. Ihr Mund stand halb offen und ein leichtes Schnarchen war zu hören. Er schmunzelte.
Dann fielen ihm die Bilder seines Albtraumes wieder ein und sein Lächeln verschwand. Er schüttelte den Kopf. Er wollte nicht an den Traum denken, nicht an seinen Vater. Vorsichtig legte er seine linke Hand auf den runden Bauch seiner Frau und schloss die Augen. Er konzentrierte sich, hoffte eine kleine Bewegung zu spüren, wäre sie auch noch so gering. Doch er spürte nichts. Womöglich schlief sein kleines Baby.
Er zuckte mit den Schultern und stand leise auf. Sorgsam darauf achtend, nicht zu viel Lärm zu machen.
Martin passierte sein Arbeitszimmer, hielt kurz inne und verschloss die Tür, die einen Spaltbreit offen stand. Er hatte es zwar nicht geschafft, sein gestriges Tagessoll zu schaffen, aber heute wollte er sich auch nicht nochmal dransetzen. Heute war Heiligabend. Heute nahm er sich frei. Sowie die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr.
Er ging in die Küche, kochte sich einen Kaffee und stellte, während sein morgendliches Lebenselixier durchlief, Teller, Tassen und Besteck für das gemeinsame Frühstück auf ein Tablett.
Mit einem dampfenden Kaffee in der Hand ging er ins Wohnzimmer. Er wollte gerade einen vorsichtigen Schluck nehmen, als sein Blick auf den Weihnachtsbaum fiel. Martin hielt in der Bewegung inne. Marion hatte bereits ein Geschenk unter den Baum gelegt. Neugierig trat er näher heran und nahm einen vorsichtigen, schlürfenden Schluck von seinem Kaffee.
Er ging in die Hocke.
Der Weihnachtsbaum maß ungefähr einen Meter und fünfzig. Er war mit goldenen und silbernen Kugeln geschmückt. Außerdem mit Lametta. Martin bestand auf Lametta. Marion fand es Quatsch, diese in dürren Streifen geschnittene Alufolie an die Äste zu hängen, aber für Martin gehörte es zu Weihnachten dazu wie für andere der obligatorische Kartoffelsalat mit Würstchen. Eine Krippe besaßen sie nicht. Noch nicht. Vielleicht nächstes Jahr, wenn ihr Baby auf der Welt sein würde.
Was kann das nur sein, fragte sich Martin und schätzte das Paket auf gut 1,5 mal 1 Meter. Es war verhältnismäßig dünn, maximal 5 Zentimeter. Irritierend fand er, dass es statt in weihnachtlichem Geschenkpapier in einfaches braunes Packpapier eingepackt war. Und das, obwohl Marion die Kreativität in Person war. Er musste wieder schmunzeln.
So langsam lässt sie sich gehen, dachte er und schlürfte wieder an seinem Kaffee. Er war sehr gespannt.
Nachdem er seinen Kaffee getrunken hatte, schlich sich Martin in den Schuppen im Garten – eine Örtlichkeit, die Marion niemals freiwillig aufsuchte, da es dort, wie sie annahm, vor Spinnen nur so wimmelte – und holte seine Weihnachtsgeschenke für sie hervor. In einem Päckchen befand sich ein dünner Loop-Schal, im anderen ein Parfum. Eines, das sie eigentlich stets selbst kaufte. Zugegeben nicht sehr kreativ, aber dafür mit Liebe eingekauft. Er legte die kleinen Pakete neben das große und schämte sich, dass er nicht etwas anderes für sie gekauft hatte.
Aber nun war es zu spät.
Neun Stunden später fand die Bescherung statt. Marion und Martin aßen gemütlich zu Abend. Bei Kerzenschein, wie es sich gehörte. Dadurch veredelten sie den Kartoffelsalat. Anschließend setzten sie sich neben den Weihnachtsbaum, hielten sich im Arm, während Martin ihren kugelrunden Bauch streichelte, und hörten Musik. Es war eine CD mit Weihnachtsliedern, nicht gerade Rock-Christmas, aber Bing Crosby und Elvis Presley waren vertreten.
„Du fängst an", sagte Martin nach einem leisen Rülpser. Er hoffte, dass Marion ihn nicht bemerkt hatte.
„Okay…", sagte sie. Sie wand sich aus seinem Arm, krabbelte auf allen Vieren zum Weihnachtsbaum und holte die beiden kleinen Pakete hervor, die er dort für sie abgelegt hatte. Ob sie sich wirklich freute, konnte er beim besten Willen nicht sagen, aber er freute sich, dass sie auf jeden Fall so tat, als handelte es sich um die besten Geschenke, die sie je erhalten hatte.
Nun war er an der Reihe.
Seine Neugierde stieg ins Unermessliche.
Er streckte die Hand gerade nach dem braunen Paket aus, als er erkannte, dass ein kleineres, in einem blauen Sternchenpapier direkt danebenlag. Auf einem daran befestigten Etikett stand sein Name. Also griff Martin zunächst danach. Entweder hatte Marion das kleine Päckchen erst später dazu gelegt, oder es war ihm heute Morgen nicht aufgefallen. Er riss die blauen Sterne entzwei und entblößte dadurch das Cover des neusten Stephen-King-Romans.
Martin strahlte. „Danke, Schatz!" Und gleichzeitig war er erfreut darüber, dass Marion auch nicht kreativer war als er.
Sie umarmten sich. Und gaben sich einen Kuss.
„Darf ich jetzt das Große aufmachen?", fragte Marion und grinste übers ganze Gesicht. An Weihnachten werden selbst Erwachsene zu kleinen Kindern, dachte Martin. Marions große braune Augen funkelten vor Freude und gespannter Erwartung.
„Du?", fragte Martin. Er war irritiert.
„Ach, komm schon…" Sie piekste ihm in die Seite und grinste noch breiter.
„Ja, aber… das ist doch meines, oder?", fragte er.
„Deins?"
Er nickte.
„Aber hast du es denn nicht für mich hingelegt?", fragte sie.
„Ich?"
Sie nickte.
„Nein. Als ich heute Morgen herunterkam, lag es schon da. Deshalb dachte ich, du hättest es hingelegt."
Marion ging ein wenig auf Abstand. In ihrem Blick lag nun Besorgnis. „Nein. Ich hab mein Geschenk erst heute Mittag da hingelegt. Da lagen deine beiden schon dort. Deshalb dachte ich, das Große sei auch von dir."
Martin schüttelte den Kopf. Ihm wurde heiß und kalt. Schweiß bildete sich zwischen seinen Schulterblättern und in seinen Eingeweiden begann es zu brodeln und zu blubbern, als wirbelte dort eine Küchenmaschine alles durcheinander.
„Martin?"
Martin sagte nichts.
„Martin… das macht mir Angst…"
„Nun mal langsam… in unserem Wohnzimmer… unter unserem Weihnachtsbaum… liegt ein Geschenk… das ganz offensichtlich weder von dir noch von mir ist… Sehe ich das richtig?"
Marion sah ihn an. In ihren Augen las er, dass sie es wirklich mit der Angst zu tun bekam. Sie nickte schwach.
„Was soll der Scheiß?", sagte Martin laut. Dabei wollte er es nur denken. Und nicht laut sagen.
„Martin!, sagte Marion mit zitternder Stimme. „Hör auf damit!
Ich hab echt Schiss, dachte er. Aber warum eigentlich? Klar: Wenn weder er noch sie dieses Paket dorthin gelegt hatte, dann musste es ein dritter getan haben. Jemand, der entweder einen Schlüssel zu ihrem Haus besaß oder auf anderem Weg eingedrungen war. Martin schluckte, und das Blubbern in seinem Bauch wurde immer schlimmer. Ich mach mir gleich in die Hosen, dachte er sorgenvoll.
Aber er musste stark sein. Er durfte jetzt nicht die Nerven verlieren.
Martin ging in die Knie, reckte die Hand nach