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Die Welt unter Berlin
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Die Welt unter Berlin

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About this ebook

***Gewinner in der Kategorie „Bester E-Book Roman“ des International Thriller Writer Awards!***

Unter Berlin liegt eine weitläufige, dunkle Welt: Kilometer von lebendigen, atmenden Tunneln. Dieses unterirdische Labyrinth atmet jeden Tag hunderttausende Pendler ein. Und jeden Tag atmet es sie alle wieder aus… alle bis auf einen. Der Softwareentwickler und Multimillionär Joe Tesla wird von seiner Agoraphobie, in diesen Tunneln gefangen gehalten. Nach und nach deckt er die Geheimnisse auf, die in den Tunneln verborgen liegen. Zuerst entdeckt er einen eingemauerten Zugwagon und dessen tödliche Fracht – eine ansteckende Krankheit, welche die Menschen wahnsinnig macht. Er muss diese Krankheit eindämmen, bevor sie in die Welt unter Berlin entweichen kann.

„Cantrells Die Welt unter Berlin hat mich wirklich umgehauen: es ist aufregend, emotional, innovativ und erleuchtend. Der Protagonist Joe Tesla ist ebenso charmant wie einfallsreich. Er leidet unter Agoraphobie, die ihn in der dunklen Welt unter Berlin gefangen hält, wo er gegen ein drohendes Unheil für die strahlende Welt über sich ankämpfen muss. Die wahren und quälenden Geheimnisse der unterirdischen Welt zusammen mit der halsbrecherischen Geschwindigkeit eines schockierenden Thrillers machen dies zu einem Roman, der ein helles Licht auf die Schönheit und die Schrecken wirft, […] die sich gerade außerhalb unserer Reichweite befinden. Also nehmen Sie ein Taschenlampe und bereiten Sie sich auf ein einmaliges Abenteuer vor.“ – James Rollins, New York Times Bestseller Autor von Das Auge Gottes

„Die Welt unter Berlin ist ein einzigartiger, Action Thriller, bei dem man kaum zum Atem holen kommt… Cantrell erschafft eine tödliche – und dennoch gemütliche – unterirdische Welt […], in der Joe Tesla und sein Hund Edison unter unseren Füßen einen Kampf gegen das Böse ausfechten, dessen Ausgang das Schicksal der Menschheit beeinflussen wird. Die Autorin nimmt einen bereits auf der ersten Seite gefangen und zieht einen in die Tiefen einer wilden U-Bahn Fahrt mit einem tödlichen Ende, die einen atemlos und mit dem Wunsch nach mehr zurücklässt.“ Kieran Crowley, New York Times Bestseller Autor von HACK, A Shepherd Novel

LanguageDeutsch
Release dateFeb 2, 2017
ISBN9781507172193
Die Welt unter Berlin
Author

Rebecca Cantrell

New York Times bestselling thriller author Rebecca Cantrell's novels include the award-winning Hannah Vogel mystery series, the critically acclaimed YA novel iDrakula, which was nominated for the APPY award and listed on Booklist's Top 10 Horror Fiction for Youth, and The World Beneath, the first book in an exciting new series and the winner of an International Thriller Writer award. She, her husband, and son currently live in Berlin.

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    Book preview

    Die Welt unter Berlin - Rebecca Cantrell

    WIDMUNG

    Für meinen Ehemann, meinen Sohn und meine (nicht) psychiatrisch veranlagte Therapiekatze

    Inhaltsverzeichnis

    Widmung

    Prolog

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Kapitel 15

    Kapitel 16

    Kapitel 17

    Kapitel 18

    Kapitel 19

    Kapitel 20

    Kapitel 21

    Kapitel 22

    Kapitel 23

    Kapitel 24

    Kapitel 25

    Kapitel 26

    Kapitel 27

    Kapitel 28

    Kapitel 29

    Kapitel 30

    Kapitel 31

    Kapitel 32

    Kapitel 33

    Kapitel 34

    Kapitel 35

    Kapitel 36

    Kapitel 37

    Kapitel 38

    Kapitel 39

    Kapitel 40

    Kapitel 41

    Kapitel 42

    Kapitel 43

    Kapitel 44

    Kapitel 45

    Kapitel 46

    Kapitel 47

    Kapitel 48

    Kapitel 49

    Danksagungen

    Prolog

    November 1950

    Zug Adolf Hitlers

    Auf dem Weg zum Ostbahnhof Berlin

    Dr. Berger starrte in die lange, dunkle Öffnung des Tunnels. Dieser Tunnel würde in einen anderen Tunnel führen und dann in einen weiteren, bis sie an einem geheimen Bahnsteig unter dem Berliner Ostbahnhof Halt machen würden. Es gab nur einen Zug, der die Erlaubnis hatte, dort zu halten. Dieser Zug – der ehemalige Zug des Führers. Natürlich war er aus offensichtlichen Gründen seit dem Ende des Krieges nicht mehr benutzt worden. Trotz seines ursprünglichen Zwecks, war der Zug nun überraschend funktionell ausgestattet – einfache Holzschränke, eine Edelstahl Theke, auf der zwei Wodka Flaschen standen und Lederstühle, die mit dem Boden verbolzt waren. Der Führer hätte den Alkohol abgelehnt

    Er klammerte sich nervös an seine Aktentasche. Der Zug hatte sein Ziel beinahe erreicht und nichts war schief gelaufen. Bis jetzt.

    Dunkelheit verschlang den Wagen, als er am Bahnsteig einfuhr. Der Zug wurde langsamer, bis er sich nur noch kriechend vorwärts schob. Dr. Berger rückte seine runde Brille zurecht, um nachzusehen, was der Grund für das Verlangsamen war. Er spähte durch die kugelsichere Scheibe, die so dick war, dass sie grünlich schimmerte. Gedämpfte elektrische Lampen hingen von der Decke und warfen ihr Licht auf ein silbernes Schienennetz, dessen Gleise sich wieder und wieder verzweigten, dort wo sich der Tunnel verjüngte. Der Zugführer hatte den Zug gebremst, um an einer Weiche das Gleis zu wechseln. Der Wagen war nun tief unter der Stadt. Bald waren sie am Ziel.

    Er warf seinem einzigen Reisebegleiter, dem uniformierten Soldaten, der die Aufgabe hatte, ihn und das Geheimnis, das er bei sich trug zu schützen, einen Blick aus dem Augenwinkel zu. Was wusste er von diesem Mann?

    Was gab es schon zu wissen? Der Mann, der aufrecht und wachsam mit einer AK 47 Maschinenpistole auf dem Schoß da saß, war einfach nur ein gewöhnlicher russischer Soldat. Ein Soldat, der sich kaum von dem Soldaten unterschied, der Dr. Berger vor einigen Jahren in Berlin festgenommen hatte. Er war einfach ein weiterer Mann mit prägnantem Kinn, kurz geschorenem Haar und zusammengekniffenen Augen, die Dr. Berger sagten, wie sehr er alle Deutschen hasste. Natürlich hasste er alle Deutschen – wegen des Krieges. Diese russischen Soldaten machten ihn persönlich für alle Toten verantwortlich, die Hitlers Wahnsinn zum Opfer gefallen waren, als hätten diese Soldaten selbst Stalins Entscheidungen beeinflussen können, als wäre sein Befolgen von Befehlen so viel anders als ihr Gehorsam.

    Letztendlich hatte er sich dem Befehl seines Vorgesetzten dann doch widersetzt, seine Notizen gepackt und sich in einen Zug gesetzt, der sich von dem hier nicht wesentlich unterschied, um seinem Schicksal in Richtung Westen zu entkommen. Er betete nur, dass er sich den Amerikanern ergeben konnte und nicht den Russen in die Hände fallen würde. Doch er hatte kein Glück gehabt. Die Truppen, die den Zug angehalten hatten, waren ausgemagert und wütend, doch ihre Befehle, wie sie mit hochrangigen Wissenschaftlern umzugehen hatten, waren klar, und sie hatten ihn nicht schlecht behandelt.

    Sie hatten ihn nach Moskau gebracht, ihn respektvoll verhört und ihm ein gutes Gehalt geboten, wenn er seine Forschungen für sie fortsetzte. Sie hatten ihm sogar den gelben Kanarienvogel Petey und das Klavier zukommen lassen, das er von seinem Vater geerbt hatte. Sein Spezialwissen hatte ihn in den Zug des Führers gebracht, auf eine geheime Sondermission, welche die Zukunft verändern würde.

    Schon seltsam, wie sich die Dinge entwickelt hatten.

    „Bald sind wir da", sagte Dr. Berger.

    Der Soldat zuckte mit dem Kopf. Es war beinahe ein Nicken, aber nicht ganz. Der Mann hatte vermutlich die Anweisung, nicht mit ihm zu sprechen. So nett sie auch sein mochten, der Arzt bezweifelte, dass seine russischen Kollegen ihm vertrauten. Die Wunden des Krieges hatten noch keine Zeit gehabt zu heilen.

    Dr. Bergers Finger klopften im Takt eines Liedes auf seine Aktentasche. Die Notizen, die sich in seiner Aktentasche befanden, befassten sich mit Experimenten, deren Ziel es war, den menschlichen Geist zu beeinflussen. Die Versuche waren tatsächlich sehr vielversprechend.

    Er legte den Kopf schief, weil er sich sicher war, ein bekanntes Geräusch gehört zu haben. Das Klacken der Stahlräder gegen die Schienen erfüllte seine Ohren. Der beruhigende Rhythmus sagte ihm, dass sie ihrem Ziel jede Sekunde näher kamen. Er schloss die Augen und entspannte sich.

    Das Geräusch ertönte erneut. Es klang, wie wenn Petey mit seinem abgerundeten Schnabel gegen den Spiegel in seinem Käfig klopfte. Doch dieses Geräusch klang etwas anders. Auf der Suche nach der Quelle des Geräuschs suchte er den vorderen Teil des Wagens mit den Augen ab. Eine kleine Hand schob sich hinter der Türe eines Schrankes vorne im Wagen hervor und winzige braune Finger mit dunklen Nägeln tasteten am Rand der Türe entlang.

    „Gott im Himmel!" Die wertvolle Aktentasche rutschte unbemerkt auf den Boden, als der Artz auf die Beine sprang und an dem erschrockenen Soldaten vorbei rauschte. Die winzige Hand verschwand hinter der hölzernen Türe, als wäre sie nie da gewesen. Doch er hatte sie gesehen.

    Dr. Berger sprang auf den Schrank zu. Es war unmöglich. Es konnte nicht da sein. Es durfte nicht da sein.

    „Komm her, Kleines." Sachte öffnete er die Türe. Ihre Nerven waren vermutlich auch zum Zerreißen gespannt und er wollte die Kreatur nicht erschrecken.

    Der Soldat stand hinter ihm, die Pistole auf den halb geöffneten Schrank gerichtet. „Was ist da drinnen, Doktor?"

    Er konnte also doch sprechen.

    Dr. Berger griff vorsichtig mit einer Hand in den Schrank, während er beruhigend mit säuselnder Stimme sprach: „Keiner wird dir wehtun. Wir sind deine Freunde."

    Ledrige Finger krümmten sich um sein Handgelenk und er spürte ein geringes Gewicht auf seinem Unterarm. Langsam zog er die Kreatur hervor.

    „Ein Affe?", fragte der Soldat.

    Nicht einfach nur ein Affe. Das Tier an seinem Arm war ein weiblicher Rhesusaffe. Kurzes dunkelbraunes Fell bedeckte ihren gesamten plumpen Körper, abgesehen von dem eingedrückten pinken Dreieck, das ihr Gesicht darstellte. Große braune Augen starrten ihm entgegen.

    „Kennen wir uns?", fragte Dr. Berger sanft.

    Er tastete nach ihrem weichen Ohr, auf der Suche nach der Markierung, die normalerweise durch den Knorpel gestanzt wurde. Sein Herz fing vor Angst an schneller zu schlagen und auch der Affe versteifte sich. Er holte tief Luft und summte ein paar Takte von Eine kleine Nachtmusik, um sich und das Äffchen zu beruhigen. Mit einer Hand drehte er das Tier zur Seite, um das kleine Metallschild zu untersuchen, das sein Schicksal besiegeln würde.

    Das orangefarbene Schild trug die Nummer 16, die furchtbarste von allen.

    Er wollte sie aus dem Fenster werfen, so weit von ihm weg wie nur irgendwie möglich und so tun, als hätte er sie nie gesehen. Er könnte es tun. Der Soldat wusste nicht, was das Schild bedeutete. Sie hätte ein paar Tage, vielleicht sogar Wochen wertvoller Freiheit bevor sie sterben würde und er wäre in Sicherheit.

    „Wie ist ein Affe hier reingekommen? Der Soldat schien von der kleinen Kreatur entzückt zu sein. „Ein süßer kleiner Kerl.

    „Es ist ein weiblicher Affe." Als würde das einen Unterschied machen.

    Die dicken, kugelsicheren Fenster hatten ein kompliziertes Schloss, aber der Soldat würde es bestimmt öffnen, wenn er ihn darum bat. Aber er konnte nicht fragen. Er war an allererster Stelle Wissenschaftler. Dieser Affe durfte niemals freikommen. Ganz im Gegenteil, er musste alles dafür tun, dass sie nicht entkommen konnte.

    Denn sie war infiziert.

    Sie war erst vor ein paar Tagen infiziert worden, doch die Infektion begann bei Primaten schnell ihre Wirkung zu entfalten. Die Gefahr schwamm bereits in ihrem dicken, roten Blut. Unheilbar.

    Er erinnerte sich nun an sie, erkannte den unverkennbaren goldenen Schopf über ihren Brauen. Sie war eines der sanftmütigsten Tiere gewesen - vorher. Doch nun war sie womöglich nicht mehr so sanftmütig. Er durfte sie nicht aufregen.

    „Suchen Sie ihr einen Käfig", sagte er ruhig.

    Er strich mit einem Finger über ihre warme Wange und sie folgte der Bewegung mit ihren runden Augen, welche denselben Braunton hatten, wie die des Soldaten. Lächelnd summte er ihr etwas vor, während sie sich in seinen Armen entspannte. Er zog sie an seine Brust und wiegte sie wie ein Baby. Sie griff nach oben und hinterließ einen fettigen Fleck auf seinem rechten Brillenglas.

    Der Soldat schaute sich unsicher im Wagon um. Der Arzt schaute zu, wie er die Schränke mit methodischer Effizienz durchsuchte. Der junge Mann zog Papiere, Stifte, Alkohol, Snacks und ein Handtuch hervor aber nichts, in das sie den Affen hätten setzen können.

    Wenn sie sie nicht einsperren konnten, mussten sie sie töten. Der Arzt hätte das mit Leichtigkeit tun können, doch er hatte eine tiefe Schnittwunde an der Handfläche, wo er sich gestern beim Brotschneiden geschnitten hatte. Wenn das Blut des Affen mit seiner Wunde in Berührung kam, würde er sich möglicherweise auch infizieren.

    „Sie müssen sie töten." Er streckte den Affen dem Soldaten entgegen. Sie wog ungefähr fünfeinhalb Kilo.

    „Es ist doch nur ein Affe." Der Soldat machte keinerlei Anstalten, ihm den warmen, pelzigen Körper abzunehmen.

    „Nehmen Sie sie", befahl der Arzt.

    Die Augen des Affen weiteten sich, als wüsste sie genau, was er vorhatte. Blitzschnell versenkte sie ihre Zähne im Daumen des Arztes. Ihre scharfen Reißzähne stießen gegen den Fingerknochen des Arztes und sein Griff lockerte sich. Sie befreite sich aus seiner verletzten Hand und landete wie eine Katze auf allen Vieren auf dem Boden.

    Der Arzt hielt seine blutende Hand fest und stolperte rückwärts gegen die Wand des Wagens. Er fluchte. Der Schmerz pochte in seinem Daumen, doch das war nicht das Schlimmste.

    Ein raues Kreischen entwich ihrer Kehle. Sein Blut tropfte von ihren entblößten Fängen auf den Boden. Sie zitterte und drehte ihren Kopf von der einen zur anderen Seite, als sähe sie überall Feinde. Was sie wahrscheinlich auch tat.

    Während der Soldat die wütende Kreatur anstarrte, die Pistole locker in der Hand, sprang sie auf sein Knie und kletterte an ihm wie an einem Baum empor. Ihre kleinen Hände und Füße fanden an den Falten seiner Uniform Halt. Als sie seinen Kopf erreicht hatte, lehnte sie sich herunter und biss ihn ins Ohr, bevor sie von seinem Kopf sprang und eine Lampenhalterung zu fassen bekam, die von der Decke des Wagens baumelte.

    Flink und behende schwang sie sich am Kabel entlang auf die hintere Türe zu. Die Kugeln des Soldaten hinterließen ein hübsches Lochmuster in der Decke des Wagons, ohne sie jedoch jemals einzuholen. Kugeln prallten von der Decke ab und flogen durch den gesamten Wagen und die beiden Männer warfen sich zu Boden.

    Als sie wieder standen, war der Affe verschwunden.

    Der Soldat presste eine Hand auf den Biss an seinem Ohr und Dr. Berger hielt seinen blutenden Daumen.

    „Wir könnten infiziert sein, sagte Dr. Berger. „Wir müssen uns an das Protokoll halten.

    Der Zugführer starrte sie schockiert durch das dicke Glasfenster an, welches die Zugmaschine von ihrem Wagen trennte. Der Zugführer war vor ihnen und dem Affen geschützt. Er hob einen schwarzen Gegenstand mit einem geringelten Kabel nach oben. Sein Funkgerät. Gut. Er würde erklären, was passiert war und die entsprechenden Protokolle würden bei ihrer Ankunft eingehalten werden. Die Gefahr konnte eingedämmt werden.

    Dr. Berger nickte zustimmend und der Mann drehte sich wieder um.

    Der Arzt öffnete den Deckel der Flasche, die neben dem kleinen Edelstahlwaschbecken stand und der beißende Geruch von Wodka entwich dem Gefäß. Das sollte funktionieren. Er schüttete etwas Wodka über seinen Daumen. Der Alkohol brannte wie Säure in seiner offenen Wunde, doch es führte nun einmal kein Weg daran vorbei. Der Gin versickerte pink gefärbt durch sein Blut im Abfluss. Er riss einen Fetzen vom unteren Rand seines weißen Laborkittels ab und verband sich damit behelfsmäßig den Daumen. Dann säuberte und versorgte er - langsam und ungeschickt, aufgrund seines Verbands - die Wunde des Soldaten.

    Der Affe blieb verborgen und keiner der beiden versuchte, sie zu finden.

    Der Soldat legte seine Waffe beiseite und schenkte ihnen beiden ein Glas Wodka ein. Manche Situationen verlangten einfach nach Hochprozentigem.

    Der Wodka brannte sich warm seine Kehle herab. Der schmerzende Daumen würde heilen und die Chancen für artenübergreifende Ansteckung waren gering. Es war eine reine Unannehmlichkeit, doch die beiden würden für einige Wochen in Quarantäne gehen müssen, nur um sicher zu gehen. Was für ein Glück, dass er seine Notizen mitgebracht hatte. Vielleicht könnte er sich so isoliert voll und ganz darauf konzentrieren. Zumindest würden ihm die unangenehmen Meetings erspart bleiben. Er leerte sein Glas und der Soldat schenkte ihm nach.

    Der Zug kam abrupt zum Stehen. Dr. Berger starrte in die Dunkelheit. Die Reihe orangefarbener Glühbirnen, die von der Decke hingen, warf ein schwaches Licht auf zehn bewaffnete Soldaten, die in Formation um den Wagen herumstanden. Vier auf jeder Seite und zwei hinter dem Wagen. Die Soldaten sahen aus wie der Soldat im Wagen, nur dass sie ihre AK 47 Maschinenpistolen im Anschlag auf den Zug richteten.

    Mit erhobenen Händen und einem unterwürfigen Gesichtsausdruck stand Dr. Berger auf. Er wusste, wie man sich ergab. Er ging auf die hintere Türe zu, um sie zu öffnen und zu erklären, dass weder er noch der Soldat eine Gefahr darstellten.

    „Lassen Sie die Tür geschlossen", bellte einer der Soldaten von draußen.

    Dr. Berger stand still und rief durch die Tür: „Es wird nicht durch die Luft übertragen. Es überträgt sich nur über Blut. Es besteht keine Gefahr."

    Der Soldat hielt seine Waffe weiter auf ihn gerichtet.

    Ein Rasseln vom vorderen Teil des Wagens verriet dem Arzt, dass ein Arbeiter die Zugmaschine abhängte, doch er konnte ihn nicht sehen. Die Hälfte der Lampen brannte nicht. Elektrizität wurde nach dem Krieg rationiert.

    Er musste wohl warten, bis jemand Intelligentes kam, dem er die Situation richtig erklären konnte. In der Zwischenzeit setzte er sich wieder und trank mehr Wodka, während eine neue Zugmaschine ihren Wagen von hinten die Schienen entlang schob, nachdem die alte weggebracht worden war. Er konnte das alles erklären, wenn sie ihr Ziel erreicht hatten.

    Das hoffte er zumindest.

    Paranoia bohrte sich wie ein Stachel in sein Gehirn, doch er schob sie beiseite. Er stellte für diese Männer keine Gefahr dar und sie auch nicht für ihn. Sie waren keine Nazis. Menschliches Leben bedeutete ihnen etwas. Seine wissenschaftlichen Kenntnisse bedeuteten ihnen etwas.

    Die Zugmaschine schob den blauen Eisenbahnwagen in einen Tunnel, der eine Sackgasse darstellte, und fuhr dann rückwärts davon.

    Dunkelheit umhüllte den Wagen von hinten und von beiden Seiten. Er starrte auf die Tunnelöffnung. Sie würden bald einen Arzt zu ihm schicken, dem er die Risiken erklären konnte und dann würden sie in Quarantäne entlassen werden.

    Die Silhouette eines großen Mannes schob sich, von hinten von den Deckenlampen beleuchtet, vor die bewaffneten Männer. Der Mann trug eine dreieckige Klinge und einen Eimer. Ein kleinerer Mann, der dieselben eigenartigen Gegenstände bei sich trug, lief hinter ihm. Wollten sie den Wagen mit Chemikalien in ihren Eimern desinfizieren? Das war unnötig, das mussten sie doch wissen. Sie trugen blaue Overalls wie Arbeiter, keine weißen Laborkittel, sie mussten also hier sein, um eine andere Aufgabe auszuführen.

    Dr. Berger presste sein Gesicht gegen die kalte, kugelsichere Scheibe, um besser sehen zu können.

    Der erste Mann hantierte mit rechteckigen Gegenständen am Boden herum. Er bedeckte sie mit etwas aus seinem Eimer, indem er es mit seiner Klinge gegen die Gegenstände klatschte. Er hatte bereits eine Reihe beendet, als der Artzt bemerkte, was die rechteckigen Gegenstände waren.

    Mauersteine.

    Die beiden Männer mauerten sie ein.

    Der Wodka war augenblicklich aus seinem System verschwunden. Blinde Panik trat an dessen Stelle.Er riss die Zugtüre auf und sprang auf die Gleise. Feuchte U-Bahn Luft schlug ihm wie eine Wand entgegen. Die Soldaten, die außerhalb der Sackgasse standen, erhoben ihre Waffen und richteten sie auf ihn.

    Die Maurer warfen ihm einen verängstigten Blick zu und beschleunigten ihre Arbeit.

    „Es besteht kein Risiko, sagte der Dr. Berger. „Überhaupt kein Risiko. Sie sind alle sicher.

    Er machte einen weiteren Schritt auf die Soldaten zu und stolperte über eine Schwelle.

    „Bleiben Sie stehen", sagte eine Stimme hinter ihm.

    Er drehte sich zu dem Soldaten um, mit dem er einen Moment zuvor noch Wodka getrunken hatte. Der Mann stand auf den Stufen des Zugs, die Pistole auf die Brust des Arztes gerichtet. Blut sickerte durch den behelfsmäßigen Verband an seinem Ohr, doch seine dunklen Augen starrten entschlossen.

    „Wir haben den Befehl hier zu bleiben. Wir müssen hier bleiben", sagte der törichte Soldat.

    „Das sind Mauersteine. Dr. Berger deutete mit seinem weiß gekleideten Arm auf die Steine. Sie hatten bereits die zweite Reihe gemauert. „Sie mauern uns hier ein.

    Der Soldat starrte auf die Mauersteine, als hätte er noch nie welche gesehen. Vielleicht hatte er das tatsächlich noch nie. Er war noch jung.

    „Wir befolgen den Befehl", sagte er.

    Die Männer arbeiteten schnell und methodisch – sie legten einen Stein, bedeckten ihn mit Mörtel und legten den nächsten Stein daneben. Sollte er jemals wieder ein Haus bauen, würde er sie einstellen. Er riss sich zusammen – er konnte es nicht zulassen, dass seine Gedanken auf Wanderschaft gingen, nicht jetzt.

    „Wir werden hier sterben, sagte der Arzt. „Zusammen mit diesem verdammten Affen.

    Der Soldat ließ seine Waffe leicht sinken.

    Das reichte ihm aus. Dr. Berger lief in Richtung des Lichts.

    „Dies ist nicht das korrekte Protokoll", rief er. Es gab keinerlei wissenschaftliche Begründung ihn hier einzumauern. Sein Herz sank ihm in die Hose. Vielleicht waren es politische Gründe.

    „Keinen Schritt weiter." Dieses Mal kam die Stimme von einem der Soldaten auf der anderen Seite der Mauer. Seine Waffe zielte genau auf die Brust des Arztes. Dr. Berger hatte keinerlei Zweifel, dass der Mann ihn erschießen würde.

    Die Mauer reichte ihm bereits bis zu den Knien.

    „Ich bin ein wichtiger Mann, sagte der Dr. Berger. „Ich komme auf Befehl des Präsidenten, auf Befehl von Wilhelm Pieck. In diesem offiziellen Zug. Sehen Sie sein Siegel nicht?

    Die Soldaten schienen sich nicht für das Siegel zu interessieren. Dr. Berger wartete wertvolle Sekunden, während mehr Steine ihren Platz in der Mauer fanden. Sie verstanden ihn nicht. Sie würden nicht verstehen. Sie begruben ihn und seine Forschungsarbeit. Etwas war schief gelaufen und das hatte nichts mit dem entwischten Affen zu tun. Jemand wollte ihn aus dem Weg schaffen. Seine Forschungsarbeit war in bestimmten Kreisen äußerst unbeliebt. Seine Feinde begruben seine Arbeit – und ihn gleich mit.

    Er sprach den Soldaten an, dessen Verletzung er gerade versorgt hatte. „Geben Sie mir Ihre Waffe."

    Der Mann blickte zwischen dem deutschen Arzt und seinen Landesmännern auf der anderen Seite der Mauer hin und her. Seine Loyalität war eindeutig. „Nein."

    „Wollen Sie hier unten sterben?" Die Mauer war nun hüfthoch und sie wuchs immer weiter an.

    „Wenn das mein Befehl ist." Der junge Mann sah aufgewühlt aber entschlossen aus. Er hatte nicht genug Zeit, ihn umzustimmen.

    Dr. Berger würde nicht in dieser Dunkelheit hier sterben. Er musste herausfinden, wer ihn in diese Situation gebracht hatte. Er musste entkommen. Er rannte geduckt auf die immer höher werdende Mauer zu.

    Die Soldaten eröffneten das Feuer.

    Eine Kugel schlug in die Schulter des Arztes ein, ganz nah an seinem Hals. Eine weitere bohrte sich mit brennendem Schmerz in sein Bein. Er sackte in das Gleisbett. Die Stahlschiene schlug hart gegen seine Schläfe. Warmes Blut floss seine Wange herab. Vollkommene Dunkelheit flackerte in seinem Kopf auf, doch er kämpfte dagegen an.

    Er durfte das Bewusstsein nicht verlieren.

    Seine zerbrochenen Brillengläser fielen zu Boden, als er mit seinem gesunden Arm und Bein auf den Eingang des Tunnels zu robbte. Der Geruch seines eigenen Blutes ergoss sich in seine Nasenlöcher, so wie das Wasser sich in die Nase eines Ertrinkenden ergoss. Er würgte und spuckte auf die hölzernen Schwellen und kroch weiter.

    Sie konnten ihn nicht töten. Er war ein wichtiger Mann. Ein Arzt.

    Und der Arzt in ihm wollte die Blutung an seinem Hals stillen und den Schaden an seinem Bein begutachten. Doch zuallererst war er ein Tier und wenn er den immer schmaler werdenden Lichtstrahl nicht erreichte, spielten seine Wunden keine Rolle mehr.

    Eine weitere Steinreihe war beendet. Er müsste jetzt schon klettern, um über die Mauer zu kommen. Wenn Petey hier wäre, hätte er in die Freiheit fliegen können. Der Gedanke an seinen kleinen gelben Körper, der durch den Raum flatterte und dann ins Licht flog, heiterte ihn auf. Petey flog in die Freiheit.

    Mit jeder Bewegung wurde er schwächer, doch er schob sich weiter, Meter um Meter, bis er die neu errichtete Mauer erreicht hatte. Der Geruch von frischem Zement übertünchte den Gestank des Blutes. Es erinnerte ihn an den Sommer, in dem er sein Haus gebaut hatte, nachdem er zu Beginn des Krieges zum Vorsteher seines Forschungslabors ernannt worden war, damals, als alles noch möglich erschienen war.

    Er röchelte vor Schmerz, als er sich nach oben zog. Sein gesundes Bein trug sein Gewicht und seine Finger fanden Halt im nassen Zement, der zwischen die Steine geklatscht worden war.

    Dann erlosch das Licht.

    Der letzte Stein war gesetzt worden.

    8. September, heute

    Labor Nummer 12, Forschungseinrichtung

    Kuba

    Dr. Krupin riss beim Geräusch von zerbrechendem Glas seinen Kopf nach oben. In dem fensterlosen Raum gab es zwei zerbeulte Stahltische, seinen und den von Dr. Adamchuk, beide waren in Benutzung. Alte Holzschränke voller Becher und Flaschen, ein Edelstahltisch mit einem Mikroskop und anderen Gerätschaften befanden sich in dem Labor. In der Ecke stand ein Verbrennungsofen, in dem sie medizinischen Abfall verbrannten. In seinem makellosen Labor zerbrach Glas nicht einfach so. Hier ging nie etwas schief.

    Ein entfernter Schrei, der schnell verstummte, sagte ihm, dass der Ärger ganz in der Nähe sein musste.

    War ein Testobjekt entkommen? Er hatte sie nach ihrer letzten Mission sicher eingeschlossen, als sie noch müde und willenlos waren. Die meisten waren krank, so gut wie tot. Keiner von ihnen konnte entkommen.

    Ein weiteres Krachen, diesmal noch näher. Etwas oder jemand war auf direktem Weg zu diesem Zimmer und er oder es näherte sich verdammt schnell.

    Dr. Adamchuk zog scharf die Luft ein und schob die Brille mit den dicken Gläsern auf ihrer sommersprossigen Nase nach oben, ihre stark vergrößerten Augen waren kugelrund vor Angst. Eine Hand berührte das knallrosa Amulett, das sie immer trug, ein Geschenk einer ihrer kleinen Töchter.

    Dr. Krupin untersuchte das Zimmer erneut, als würde eine weitere Analyse der Situation ein besseres Ergebnis liefern. Der einzige Ausgang war die Tür und die führte nur auf einen langen Gang, der von weiteren fensterlosen Räumen gesäumt war. Alle Türen waren verschlossen und die, die sich hinter den Türen befanden, würden ihm auch nicht helfen.

    Dem Geräusch nach zu urteilen, war das Testobjekt bereits in der Mitte des Ganges. Er und Dr. Adamchuk konnten nicht an ihm vorbei. Sie waren im Labor gefangen.

    Er schaute zu der dicken Stahltür des Raumes. Sie hatte ein stabiles Schloss, was ihnen aber nicht helfen würde, da die Tür nur von außen verschlossen werden konnte.

    „Verstecken Sie sich", bellte er.

    Beide sprangen auf und suchten nach einem sicheren Versteck. Wenn er einen der Schränke mit dem Laborequipment leerte, könnte er sich womöglich in den Schrank quetschen. Doch das Testobjekt würde die medizinischen Utensilien auf dem Boden bemerken. Der quietschende Aktenschrank? Der würde auch nur kurz Schutz bieten. Unter dem Tisch? Dieser bot ebenfalls kaum Schutz.

    Er nahm ein Skalpell. Die Testobjekte waren jünger und stärker als er und hatten Kampftraining auf höchstem Niveau hinter sich, doch das könnte sie vielleicht

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