Reiten ohne Sattel und Zaumzeug: Harmonie, Vertrauen und Respekt zwischen Pferd und Reiter
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Dieses Buch wird dem Leser helfen, sein Pferd besser zu verstehen und zu einer Reitweise zurückzufinden, die dem Wesen der Pferde entspricht. In die überarbeitete Neuauflage fließen zehn weitere Jahre Pferdeerfahrung und neue Erkenntnisse aus der Szene ein.
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Book preview
Reiten ohne Sattel und Zaumzeug - Karin Tillisch
Slawik)
EINLEITUNG
An einem kalten Januarmorgen erfüllte ich mir meinen Lebenstraum – ein eigenes Pferd. Sein Name war Shadow, und er hatte trotz seiner Jugend schon einen recht schlechten Ruf. Jeder, der versuchte ihm zu zeigen „Wer hier der Boss ist", erhielt kostenlose Flugstunden. Selbst Profitrainer gaben irgendwann auf und stempelten ihn als bösartig ab. Doch er bekam auf der Red Rock Ranch bei Dieter Hämmerle eine zweite Chance, und als er nicht mehr gerade lebensgefährlich war, bot Dieter mir den kleinen Chaoten zum Kauf an. Ich schlug sofort ein.
Ich versuchte Shadow anfangs so zu reiten, wie ich es in der Reitschule gelernt hatte – vorn ziehen und hinten klopfen. Nachdem Shadow bereits nach einer Woche versuchte, mich über das Geländer der Autobahnbrücke zu befördern, sah ich ein, dass dies wohl nicht der richtige Weg war. Dennoch stand mir lange Zeit die eigene Angst im Weg, etwas anderes zu versuchen.
In diesem Sommer geschah ein kleiner Unfall, der sich jedoch im Nachhinein als wahrer Glücksfall erwies. Bei einem Ausritt wurde Shadow wohl von einer Biene in den Bauch gestochen. Reiten mit Sattel war für das kommende halbe Jahr gestrichen!
Weidegang war auf dem Bauernhof kaum erlaubt. Wenn ich Shadow also keinen kompletten Sommer in der Box zumuten wollte, musste ich ihm etwas anderes bieten. Wir begannen mit den Zirkuslektionen, doch auch das reichte nicht aus, um den pfiffigen Wallach zu beschäftigen.
Also wagte ich es eines Tages – und schwang mich nach der Bodenarbeit ohne Sattel auf Shadow. Und es geschah – nichts! Ohne den schweren Sattel und das Gebiss schien Shadow auf einmal viel entspannter und williger zu sein.
Ohne das störende Lederwerk zwischen uns konnten wir viel feinere Signale erarbeiten, die nach außen hin kaum noch sichtbar sind. „Wer Kraft braucht, der macht was falsch." Diese Erkenntnis erlangte mein Opa schon vor fast 50 Jahren, zu einer Zeit, in der man in Europa von Pferdeflüsterern noch nichts gehört hatte! Erst als ich begann, diesen Rat wieder zu beherzigen, besserte sich mein Verhältnis zu Shadow – und auch meine reiterlichen Fähigkeiten.
(Foto: Christiane Slawik)
(Foto: Christiane Slawik)
FREIHEIT OHNE ZAUM UND ZÜGEL
In der Antike gab es in vielen Ländern eine ausgereifte Reitkunst, die ohne Sattel auskam. Alexander der Große schaffte es, mit seinem Heer die Perser zu besiegen, und kam bis nach Indien – und dies alles auf einem nicht einfachen Pferd, das angeblich Angst vor seinem eigenen Schatten hatte und das ohne Sattel geritten wurde!
Auch gebisslose Zäumungen waren in der antiken Welt weitverbreitet. Ein Überbleibsel findet man heute noch in den nordafrikanischen Ländern, wo es immer noch üblich ist, die Pferde mit nur einem Zügel und einer Nasenkette zu reiten oder sie lediglich mit einem Stock zu dirigieren. Auch in der Neuen Welt entwickelte sich bei den Indianern eine anfangs gebiss- und sattellose Reitkultur. Nachdem diese ihre Scheu vor dem „Großen Hund" überwunden hatten, änderte sich ihre Lebensweise drastisch. Sie wurden mobiler und schlagkräftiger gegenüber den Eindringlingen. Da es nicht immer gelang, Pferde mit kompletter Ausrüstung zu stehlen, ritten viele Indianer ohne Sattel. Zum Lenken wurde dem Pferd einfach ein Stück Leder um den Unterkiefer gebunden.
Die gebisslose Ausbildung junger Pferde konnte sich in einigen Reitweisen bis heute halten, beispielsweise bei der iberischen Reitweise, den Gardians Südfrankreichs, dem altkalifornischen Westernreiten und bei vielen Gangpferderassen Südamerikas. Hier soll das Gebiss die Krone der Ausbildung darstellen – und nicht den Beginn. Meist vergehen bei diesen Reitweisen vier bis fünf Jahre, ehe das Pferd erstmals ein Metallstück im Maul hat.
Über Trauen und Vertrauen
„Das Pferd muss dem Menschen vertrauen." Diesen Satz haben Sie sicherlich auch schon oft gehört. Und natürlich hat jeder Guru, jeder Trainer und jedes Lehrbuch das Patentrezept, wie man das Vertrauen eines Pferdes erwecken kann. Führt jeder dieser Wege zum Vertrauen des Pferdes?
Solche Vertrautheit entsteht nur durch Geduld, Einfühlungsvermögen und vor allem viel Zeit! (Foto: Christiane Slawik)
Schon möglich – aber ein heilloses Durcheinanderwerfen dieser Methoden sicherlich nicht! Wer heute Hü und morgen Hott veranstaltet, der wird weder den Respekt noch das Vertrauen seines Pferdes ernten.
Doch sollte man jahrelang bei „Schema F" bleiben? Diese Routine erleben viele Pferde, die tagein, tagaus in ihren Boxen stehen und deren Monotonie nur durch 45 Minuten Bahnarbeit unterbrochen wird – in denen sie auch jeden Tag die gleichen Lektionen abspulen. Abwechslung ist hier ein Fremdwort, das Pferd wird wie eine Maschine gehalten, geschult und auch behandelt. Und dann wundern sich manche Besitzer, dass sie eines Tages genau das haben: eine Maschine, die das eigenständige Denken schon vor Jahren eingestellt hat und nur noch nach dem Aktion-Reaktion-Prinzip lebt.
Es gilt, den Mittelweg zu finden: Einerseits sollten die Eckpfeiler des Zusammenseins zwischen Pferd und Mensch nahezu unerschütterlich sein – und andererseits sollte auf diesem soliden Fundament die Möglichkeit bestehen, auch Neues auszuprobieren. Hier gilt es, sich zu trauen! Nur wer den Blick über den Zaun wagt, kann auch mutig den Rest der Welt entdecken.
Eine solide Basisausbildung ist in allen Reitweisen gleich. Und je breiter diese Basis gefächert wird, desto mehr wird man darauf aufbauen können. Doch wie gelingt es, das Vertrauen des Pferdes zu erlangen? Sie können nicht von Ihrem Pferd erwarten, dass es Ihnen vertraut, wenn Sie sich Ihrer selbst nicht einmal sicher sind. Sie müssen sich seines Vertrauens als würdig erweisen.
Das Vertrauen eines Pferdes hat man dann erworben, wenn es einer Entscheidung des Menschen den Vorzug vor dem eigenen Instinkt gibt. (Foto: Christiane Slawik)
In der Natur hängt oft das nackte Überleben davon ab, wem man sich anvertraut hat – nämlich dem Herdenchef. Trifft dieser eine Fehlentscheidung, ist die ganze Herde dem Untergang geweiht. Daher sind Pferde in diesem Punkt ausgesprochen wählerisch.
Leider wird heutzutage in der Pferdewelt der Begriff „Dominanz als Ausrede für grobe Gewaltanwendung genutzt. Ich rede hierbei nicht nur von körperlicher Gewalt. Seien Sie mal ehrlich – würden Sie jemandem vertrauen, der Sie zwei Stunden wie wild im Kreis herumjagt? Wohl ebenso wenig wie jemandem, der Ihnen mit einer Serreta, einem Schlaufzügel oder einer Kandare, Gerte und Sporen „Respekt
beibringen will.
Allerdings würden Sie dem „Tüdelonkel, der stets mit prall gefüllten Leckerlitaschen zu Ihnen kommt und bei der leichtesten Anfrage nach „Kannst du mich führen?
anfängt, die Sache auszupendeln, den Tierpsychologen zu konsultieren