Der Mensch ist verschieden: Dreiunddreißig Charaktere
By Michael Köhlmeier and Monika Helfer
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About this ebook
Sind Sie der Erfolgsverwöhnte oder mehr der Versagende? Die Schweigerin oder doch eher die Auseinandersetzerin? Der Immerzu-Dankbare, der Nimmersatte oder gar die Feinste von den Feinen? Monika Helfer und Michael Köhlmeier stellen uns einen bunten Reigen an menschlichen Charaktertypen vor. Fantasievoll und erfinderisch erzählt das Schriftstellerehepaar vom Kunstverliebten und dem Magenleidenden, vom Gewohnheitsmenschen, der Einsamen und der Eingebildet-Vergesslichen. Und wer sich vor Selbsterkenntnis nicht scheut, kann sich im ein oder der anderen wiedererkennen.
DIE EINZIGE ANTIKE CHARAKTERLEHRE MODERN INTERPRETIERT
Als Nacherzähler antiker Stoffe beliebt und geschätzt, hat Köhlmeier gemeinsam mit seiner Frau den griechischen Philosophen Theophrast für das 21. Jahrhundert entdeckt. Die "Charaktere" des Theophrast, Nachfolger des großen Aristoteles in dessen Schule, bilden die erste und einzige Charakterlehre des Hellenismus, die zum Vorbild wurde für viele folgende bis hin zu Elias Canettis "Der Ohrenzeuge". Mit Blick auf den Menschen der Gegenwart betreiben Monika Helfer und Michael Köhlmeier seine berühmten Charakterstudien weiter. Anhand von besonderen und alltäglichen Situationen oder auch gewitzten Dialogen halten sie uns den Spiegel vor - ein Geschenkbuch mit philosophischem Mehrwert und Selbsterkenntnis-Gefahr.
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Book preview
Der Mensch ist verschieden - Michael Köhlmeier
Michael Köhlmeier
Monika Helfer
Der Mensch
ist verschieden
Dreiunddreißig Charaktere
Inhalt
Titel
1 Der Gewohnheitsmensch
2 Die Liebessüchtige
3 Die Einsame
4 Die Abgeklärte
5 Der Abgeklärte, zehnjährig
6 Der Stumpfsinnige
7 Die Schweigerin
8 Der Langanhaltend-Traurige
9 Die Feinste von den Feinen
10 Der Wüstenmacher
11 Der Vampirgewordene
12 Der Abgestürzte
13 Der Nimmersatte
14 Der Uferlose und die Furchtsame in Verbindung
15 Der Magenleidende
16 Der Sich-Unterwerfende
17 Die Eingebildet-Vergessliche
18 Der Immerzu-Dankbare
19 Der die Frauen sammelt
20 Der Gottkenner
21 Der-im-Spiegel
22 Die Kraftlos-Begabte
23 Die Extreme
24 Der Zaunzieher
25 Der Unfertige
26 Der Wortschöpfende
27 Der Nicht-an-das-Böse-Glaubende
28 Die Kunstverliebte
29 Der Erfolgsverwöhnte
30 Der Versagende
31 Die Auseinandersetzerin
32 Der Bunte
33 Von den Affen
1 Der Gewohnheitsmensch
Über die Gewohnheit wurde schon viel geschrieben, und es gibt keinen Menschen und gab nie einen, der, vorausgesetzt es ward ihm genügend Zeit gegeben, nicht über sie nachgedacht hätte.
Aus dem Lehm der Instinkte formt der Gewohnheitsmensch die Seele, indem er nicht ruht, ein Gleiches oder doch ein Ähnliches zu tun, immer wieder – Frühstück, Mittagessen, Abendessen, Spaziergang, Fernsehen, Gespräche mit der geliebten Frau, Gespräche mit dem geliebten Mann über die immer gleichen geliebten Themen ... – Was anderes ist Zivilisation als Wiederholung. Die Kunst der Gewohnheit ist die wahre Lebenskunst; sie ist die einzige Lebenskunst.
Die Meinungen aber, ab wann etwas zur Gewohnheit wird, gehen auseinander. Die einen sagen: Von Gewohnheit lässt sich bereits sprechen, wenn ein Mensch irgendetwas zum zweiten Mal genauso oder ähnlich tut wie beim ersten Mal. Andere sagen, es könne erst beim dritten Mal von Gewohnheit gesprochen werden, weil einmal und zweimal den Zufällen des Tages geschuldet sein könnten. Dann gibt es jene, die sich mit dem bloßen Aspekt der Wiederholung einer Sache oder einer Handlung nicht zufrieden geben, die zusätzlich fordern, die Wiederholung dürfe kein planmäßiges Ziel einer Absicht sein; müsse also aus dem quasi Vegetativen, aus einem Automatismus, einem Ritual, besser: aus dem Ritus heraus geschehen, der seine Blüte erst entfalte, wenn sein Ursprung vergessen sei. Letztere bestreiten, dass der Mensch sich zu einer Gewohnheit entschließen könne; eine beabsichtigte Gewohnheit gehe schon bald in der Langeweile unter.
Auch über die Frage, ob man nur beim Menschen oder auch bei den Tieren, vielleicht sogar bei den Pflanzen von Gewohnheit sprechen soll, wird debattiert; ebenso die Frage, was Gewohnheit in einem philosophisch-metaphysischen Sinn denn überhaupt sei. (Ob sie gottgewollt sei?) Die einen sagen, in der Gewohnheit ritualisiere sich die Urangst des Menschen vor Seinesgleichen. Die anderen spekulieren, in ihr manifestiere sich der Aufschrei gegen die fressende, vernichtende, alles dem Vergessen anheimgebende Zeit. Beide Schulen sind sich darin einig, dass die Gewohnheit erst den Menschen zum Menschen mache, denn ohne Erinnern sei Gewohnheit nicht denkbar, und nur die Fähigkeit, sich zu erinnern, gründe Kultur, Zivilisation, Staat und Religion. Dem widerspricht der Besitzer einer Hauskatze. Seine jedenfalls, argumentiert er, erinnere sich, wo das Loch in der Tür sei, durch das sie ins Freie und vom Freien zurück ins Haus komme.
Der Gewohnheitsmensch wirft zu einer genauen Tageszeit einen Stein aus dem Fenster, holt ihn wieder herein und legt ihn für den nächsten Tag auf dem Fenstersims bereit. Er ruht sich auf seinem Spaziergang immer unter demselben Baum aus, ob es regnet oder schneit, ob er müde ist oder nicht. Er schaut ins Tal und steht soldatisch, wenn die Kirchturmglocke zu läuten beginnt, genau dann, immer wieder, und das, obwohl er aus der Kirche ausgetreten ist und an Gott nicht glaubt. Genau so, hofft er, wiedergeboren zu werden.
2 Die Liebessüchtige
Liebessucht ist wie Krieg. Jede der beiden Parteien sagt: Wenn du so wärst, wie ich möchte, dass du bist, dann gäbe es keinen Krieg, also trägst du die Schuld. (Würde diese Definition nicht eher zu einer Überschrift wie Die Liebeskriegerin oder Die Hassliebende oder Die Eifersüchtige passen? Wir folgen der Definition von Sucht, nämlich, dass sie darin besteht, nicht aufhören zu können, und stellen fest, dass die Liebessüchtige nicht aufhören kann, Liebe zu wollen und sie auch bewiesen zu bekommen, zu jeder Stunde, an jedem Ort, was über kurz oder lang in Tyrannei ausartet, die über kurz oder lang zu Rebellion und Krieg führt, in dem sich, wie in jedem Krieg, die Frage stellt, wer trägt die Schuld, was von der Liebessüchtigen, wie oben beschrieben, beantwortet wird.)
„Wo warst du?"
„Muss ich dir antworten?"
„Niemand muss irgendetwas. Ich frage nur. Darf ich