Techne: Fünf Computerstroys von Jan Gardemann
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Book preview
Techne - Jan Gardemann
Informationsübersicht:
Vorwort
Dieses e-book beinhaltet fünf Kurzgeschichten, die zwischen 2007 und 2013 in der Computerzeitschrift c’t erschienen sind. Nähere Angaben zu den einzelnen Storys sind den Texten vorgestellt.
In der c’t eine Kurzgeschichte zu veröffentlichen, ist für einen SF-Schriftsteller mitunter keine leichte Angelegenheit. Die an die Autoren gestellten Ansprüche sind eng gefasst, denn immerhin handelt es sich um eine Computerfachzeitschrift und nicht etwa um ein SF-Magazin, das die breitgefächerten Möglichkeiten des SF-Genres abbilden möchte. Die „Einschränkung", in der Geschichte Computertechnologie mit all ihren Spielarten und Problematiken zu thematisieren, stellt SF-Autoren zuweilen vor eine schwierige Aufgabe. Es gilt, die Fantasie zu zügeln und sich von dem theoretisch Machbaren nicht allzu weit zu entfernen. Während eine Story, die für eine Veröffentlichung in Magazinen wie zum Beispiel NOVA, PHANTASTISCH!, EXODUS oder einer der zahlreichen SF-Storysammlungen vorgesehen ist, durchaus auch phantastische Elemente enthalten darf, sind solche Zutaten für die Storyredaktion der c´t eher ein Ablehnungsgrund. Aus eigener Erfahrung und aufgrund von Beobachtungen der Szene weiß ich, wie schwer dieser Realitätsanspruch von SF-Autoren in einer Geschichte umzusetzen ist, die die Phantasie doch gerade deshalb herausfordert, weil in dem Text Situationen geschildert werden, die in einer unbestimmten Zukunft spielen (jedenfalls ist das bei mir so). Allerdings gibt es unter meinen Kollegen auch einige wenige Ausnahmen. Dabei ist von Seiten der c´t nicht einmal vorgegeben, dass die Story unbedingt in der Zukunft spielen muss. Doch der Hang der SF-Autoren, Kurzgeschichten zu veröffentlichen, für die man auch noch ordentlich bezahlt wird, ist anscheinend übermächtig, was zur Folge hat, dass in der c´t eben doch überwiegend Zukunftsgeschichten gedruckt werden. Allerdings stellen die soeben genannten Voraussetzungen für eine Veröffentlichung in der c´t eben auch das Besondere an diesen Geschichten dar. Die c´t-Story stellt fast schon ein eigenständiges Subgenre innerhalb der deutschsprachigen SF das. Es sind in einer unbestimmten Zukunft angesiedelte Computergeschichten, die sich so oder ähnlich eines Tages vielleicht wirklich zutragen könnten.
In diesem Sinne wünsche ich beim Lesen jetzt viel Vergnügen, denn auch dafür ist die c´t-Story ein Garant.
Inspektionsmission 13
[Dies ist meine erste Veröffentlichung in der c´t. Die Story erschien 2007 in der Maiausgabe des Magazins. Illustrier wurde die Geschichte von Susanne Wustmann mit einem ihrer legendären Knetfigurenbilder. Wen es interessiert, der kann das Bild unter diesem Link betrachten: http://www.susannewustmann.de/illustrationen/knetfiguren/
Was mich zu dieser Geschichte inspiriert hat, weiß ich heute nicht mehr. Es wird wohl der Altmeister Phillip K. Dick gewesen sein, der mich mit seinen Storys dazu herausforderte, mir eine Geschichte in einem entvölkerten Amerika auszudenken.]
Er wird bereits erwartet. Undeutlich kann Maloney Munolf das Vehikel am Ende des Rollfeldes durch das Bullauge seines Flugapparates hindurch ausmachen. Das dreirädrige Gefährt schimmert silbern hinter dem Vorhang aus Staubpartikeln hervor, die Maloney bei seiner Landung aufgewirbelt hat. Während er wartet, dass sich der Staub draußen legt, überprüft er noch einmal seine innere Standhaftigkeit und checkt die Eckpunkte seines Charakters: Er ist lediglich ein wenig aufgeregt, fühlt sich dem bevorstehenden Kontakt mit dem Konglomerat aber gewachsen. Schließlich öffnet er das Außenschott und klettert die Leiter hinab. Unten angekommen, sieht er sich um. Der Küstenstreifen ist flach. Trockenes Gestrüpp und Gräser wachsen am Rand der Rollbahn; hinter dem wartenden Vehikel zeichnet sich eine Hügelkette in der dunstigen Ferne ab.
Maloney findet die Berichte der Inspektoren, die vor ihm in einem Abstand von jeweils zehn Jahren nach Old-Amerika gekommen waren, bestätigt: Das Gefühl, mit eigenen Füßen auf diesem der Menschheit verloren gegangenen Kontinent zu stehen, ist mit Worten nicht zu beschreiben! Der Himmel ist so blau und klar, dass die Sonne blendend gelb aussieht und nicht wie eine Silbermünze auf dem Grund eines Tümpels. Die klare Luft schmerzt in Maloneys Lungen; er nimmt liebliche Gerüche wahr, die es in Europa nicht gibt ...
Mürrisch starrt er zu dem Vehikel hinüber. Auf den Rundungen der Kotflügel und der Plexiglaskuppel bricht sich das Sonnenlicht. Mit seinem Chromchassis sieht das Gefährt aus, als käme es frisch aus der Fabrik. Es scheint sich nicht wesentlich von den Modellen zu unterscheiden, von denen Maloneys Vorgänger berichtet haben. Deshalb von einer stagnierenden Entwicklung des Konglomerats auszugehen, wäre aber ein Fehler, wie Maloney weiß. Dass die Vehikel seit etlichen Jahrzehnten stets gleich geblieben sind, verrät lediglich, dass der Entwurf nahezu perfekt ist und weitere Veränderungen keine Steigerung der Funktionalität versprochen hätten.
Maloney nähert sich dem Vehikel mit gemessenem Schritt. Er spürt die Wärme der Sonnenstrahlen durch seinen Overall hindurch, fühlt den lauen Wind auf seinem Gesicht und in seinem blonden, lockigen Haar.
„Willkommen in der Neuen Welt", begrüßt ihn das Vehikel mit weiblicher Stimme. Wäre Maloney eine Frau, hätte das Fahrzeug jetzt mit einer Männerstimme gesprochen; sie soll den Berichten der einzigen Inspektorin zufolge, die vor fünfzig Jahren nach Old-Amerika gekommen war, markig und einfühlsam klingen.
„Wie lautet dein Name?", will das Vehikel freundlich wissen.
„Maloney. Maloney Munolf."
„Und deine Vorfahren waren natürlich Flüchtlinge aus den Staaten, wie die der anderen Inspektoren auch. Während dieser Feststellung gleitet die Plexiglaskuppel des Fahrzeugs sirrend auf, und der Staub, der sich darauf abgesetzt hat, rieselt zu Boden. „Steig ein, Maloney. Ich fahre dich zu deiner Unterkunft. Dies ist die dreizehnte Inspektion. Dieser Zahl wird eine böse Bedeutung beigemessen. Bist du nervös?
Maloney schwingt sich in die Kabine und nimmt auf dem Schalensitz Platz, der sich augenblicklich der Form seines Gesäßes und seines Rückens anpasst. Er hat nicht vor, auf die Bemerkung einzugehen. Die Kuppel schiebt sich über ihn, und das Fahrzeug setzt sich sanft in Bewegung. Das Scherzo der neunten Symphonie Ludwig van Beethovens erklingt, während das Vehikel in einer engen Kurve wendet und dann auf der Asphaltpiste rasch Fahrt aufnimmt.
Maloney blickt über seine Schulter zu seinem Flugapparat zurück. Auf seinem kompakten Fahrgestell wirkt das tonnenförmige Gebilde aus rostigen Panzerplatten, geschwärzten Keramikschuppen und den blinden Bullaugen, das ihn auf seinen Stummelflügeln und mit seinem angeflanschten Vakuumantrieb über den Pazifik gebracht hat, wie ein Relikt aus den Zeiten, da noch Kriege auf der Erde geführt worden waren.
Die Vorstellung, dass sein Flugzeug während seiner Abwesenheit von Robotikeinheiten untersucht wird, erzeugt in Maloney ein mulmiges Gefühl. Tief durchatmend lehnt er sich in dem Schalensitz zurück. Die Neunte von Beethoven hilft ihm, sich zu entspannen. Er hat diese Symphonie im Habitat von Budapest als Orchesteraufführung erlebt. Doch nun lauscht er einer Aufzeichnung, die womöglich mehrere Jahrhunderte alt ist und von einem Orchester in einem Konzertsaal eingespielt worden war, die beide nicht mehr existieren.
Maloney bekommt eine Gänsehaut, und wie ein Hintergrundrauschen ist plötzlich das Klicken und Surren von Relais zu hören: Das Vehikel beobachtet seine Regungen peinlich genau. Sein Puls und seine Körperausdünstungen werden exakt registriert und analysiert. Maloney gönnt der Maschine die Feststellung, ihn mit der Musikvorführung aufgewühlt zu haben. Schließlich sind es solche Gefühlsregungen, die einen Menschen von einer Maschine unterscheiden.
In hoher Geschwindigkeit nähert sich das Vehikel den Hügeln. Die mit Alfagras und Dornengestrüpp bewachsene Flachebene wird hügeliger. Maloney entdeckt im Vorbeifahren Löcher in den Flanken der Erderhebungen, die auf Tierbaue hinweisen. Vereinzelt wachsende Korkeichen und Zedern, erst krüppelig und verdorrt, messen weiter entfernt bereits mehrere Meter Höhe und besitzen weit ausladende Kronen.
Maloney schnürt es beim Anblick der Gewächse die Kehle zu. Auch er kann nach seiner Rückkehr nach Europa von einer weiteren Erholung der Fauna und Flora in Old-Amerika berichten. Die Spuren des Befreiungskrieges sind bei jedem Besuch schwieriger auszumachen. Old-Amerika regeneriert sich unter der Hege des Konglomerats in einem Maße, von dem die Menschen in Europa nur träumen können.
Überrascht setzt Maloney sich in seinem Sitz auf. Er hat zwischen zwei Zedern einen huschenden Schatten bemerkt. Es ist ein