1864 - Der Krieg um Schleswig-Holstein
By Frank Jung
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1864 - Der Krieg um Schleswig-Holstein - Frank Jung
VORWORT
Liebe Leserinnen, liebe Leser
Geschichte wird spannend, wenn sich die Ereignisse wie in einer aktuellen Zeitung verfolgen lassen. Das gilt besonders für die Auseinandersetzungen zwischen dem Deutschen Bund und dem Königreich Dänemark 1863 und 1864, die schließlich in einem kurzen, aber heftigen Krieg endeten. In einer täglichen Kolumne in den Zeitungen des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlags lief die Auseinandersetzung noch einmal ab, so wie die Zeitgenossen sie erlebten. Viele Leser folgten dem Lauf der Dinge 150 Jahre danach in dem sicheren Gefühl, in einer glücklicheren Zeit zu leben.
Der Krieg von 1864 prägt Schleswig-Holstein, Dänemark und das deutsch-dänische Miteinander bis heute. Dänemark wurde zu einem kleinen Staat, Deutschland zu einer machtvollen Nation, und die Konflikte zwischen den Völkern in der Region gingen noch Jahrzehnte weiter. Heute ist das Geschichte. Die beiden Länder leben friedlich miteinander, die Minderheiten haben ihren Platz gefunden, und die Region hat die Chancen der Zusammenarbeit entdeckt. In der Rückschau wird klar, wie hart diese friedliche Normalität erkämpft wurde.
Das tägliche Nachrichtenstück aus dem Krieg von 1864 finden Sie jetzt in diesem Buch: Es ist ein Beitrag für eine gute gemeinsame Zukunft, die ohne Erinnerung an die finsteren Zeiten nicht funktionieren wird.
Dr. Helge Matthiesen
Chefredakteur
Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag
EINE MONARCHIE MIT RISSEN
Schleswig-Holstein und Dänemark am Vorabend des Krieges von 1864
Es muss ein imposanter Anblick gewesen sein: Allein 500 Fackelträger sind aufgeboten, um den Tross aus etwa 5000 Menschen zu begleiten, der am 3. Dezember 1863 über elf Kilometer vom Glücksburger Schloss bis zum Flensburger Hafen zieht. Honoratioren aus Politik und Verwaltung befinden sich ebenso darunter wie solche aus Kaufmannschaft und Zünften. Glocken läuten, alle Kirchen, Mühlen, Schiffe und Privathäuser tragen Trauerflaggen. Immerhin geht es um die letzte Ehre für den Landesherrn: Frederik VII. von Dänemark, zugleich Herzog von Schleswig und Holstein, ist am 15. November auf Schloss Glücksburg gestorben – eine Residenz, die er so regelmäßig nutzte wie seine Wohnstätten in Dänemark. Von Flensburg aus soll der Leichnam mit dem Dampfschiff „Schleswig" nach Kopenhagen überführt werden. Von dort geht es weiter in den Dom von Roskilde, wo alle dänischen Monarchen ihre letzte Ruhe finden.
Durch den Tod Frederiks VII. endet 1863 mehr als ein Menschenleben. Es ist der Schlusspunkt einer Epoche. Mit dem Herrscher stirbt nach über 400 Jahren die Linie der Oldenburger auf dem dänischen Thron aus. Zugleich geht so ihre Regentschaft über Schleswig und Holstein zu Ende. In beiden Territorien hatten die Oldenburger die Herzogswürde inne. Diese Praxis reicht bis ins Jahr 1460 zurück. Da hatte die schleswig-holsteinische Ritterschaft den dänischen König Christian I. aus dem Hause Oldenburg im berühmten Vertrag von Ripen als Landesherrn anerkannt – und ihm im Gegenzug das Versprechen abgerungen, dass Schleswig und Holstein „up ewig ungedeelt" sein sollten.
Auch wenn der Tod des Königs im Alter von erst 55 Jahren überraschend kommt – eigentlich ist alles geregelt für den Fall, dass es das Haus Oldenburg nicht mehr gibt. Bereits 1852 haben sich die führenden europäischen Mächte überlegt, was dann passieren soll. Denn bereits damals war absehbar, dass Frederik VII. kinderlos bleiben würde. Im sogenannten Londoner Protokoll hat Dänemark mit England, Frankreich, Preußen, Österreich, Schweden und Russland abgemacht: Auch unter einer neuen Dynastie soll die dänische Monarchie unter Einschluss Schleswigs und Holsteins erhalten bleiben. Die Königswürde spricht das Protokoll Prinz Christian aus der Glücksburger Nebenlinie der Oldenburger zu. Eigentlich war diese Nebenlinie im Westfälischen zu Hause und trug nach dem dortigen Stammsitz den Namen Beck; 1825 aber hatte ihr die dänische Krone den verwaisten Glücksburger Herzogtitel vermacht.
Ein Gegenversprechen musste Dänemark im Londoner Protokoll für den Erhalt der Gesamt-Monarchie abgeben: Es versichert, Schleswig – das alte dänische Lehen – nicht enger an sich zu binden als Holstein. Das ist ein Zugeständnis an den Gedanken des „Op ewig ungedeelt". Er betont die Einheit der Herzogtümer, die sogar schon vor dem Vertrag von Ripen ansetzt: 1386 hat die dänische Königin Margrethe I. Schleswig den Holsteiner Grafen als erbliches Lehen überlassen. Aufgrund dieser langen Vorgeschichte betont das Londoner Protokoll die rechtliche Sonderstellung der Herzogtümer im Verhältnis zum eigentlichen Königreich Dänemark.
Schleswig ist durch all jene Jahrhunderte hindurch deutlich größer als der heutige nördliche Landesteil des Bundeslandes Schleswig-Holstein. Das Herzogtum erstreckt sich über die heutige deutsch-dänische Grenze bei Flensburg gut 80 Kilometer hinaus bis in Höhe Kolding. Nordgrenze – zum Königreich Dänemark – ist die Königsau, Südgrenze – zum Herzogtum Holstein, das zum Deutschen Bund gehört – die Eider.
Eines allerdings hat man am grünen Tisch bei der Abfassung des Londoner Protokolls ignoriert, und das soll sich mit dem Tod des Königs Frederik zum Problem auswachsen: Nach den Napoleonischen Kriegen steht Europa im Zeitalter des Nationalismus. Der strebt danach, jedes Volk in jeweils einem Staat zusammenzufassen. In der Regel mit einer Verfassung, die demokratische Bürgerrechte einführt. Denn der Liberalismus ist die zweite große Bewegung der Zeit. Er verbündet sich mit dem Nationalstaatsgedanken.
Unweigerlich kommen Schleswig und Holstein mit ihrer traditionellen Stellung zwischen Deutsch und Dänisch dabei unter die Räder. Die Deutschen in den Herzogtümern drängt es heraus aus der dänischen Monarchie. In Holstein so gut wie flächendeckend, in Schleswig mit seiner national gemischten Bevölkerung ist die Sache komplizierter. Im Süden herrscht ebenfalls eine deutsche Orientierung vor, im Norden eine dänische. Dazwischen gibt es fließende Übergänge. Sowohl die dänische als auch die deutsche Nationalbewegung beanspruchen deshalb ganz Schleswig für sich.
Von 1848 bis 1851 haben die Schleswig-Holsteiner bereits den bewaffneten Aufstand gegen die dänische Herrschaft geprobt. Im Ersten Schleswigschen Krieg stritten sie für einen eigenständigen Staat mit einer der freiheitlichsten Verfassungen der Epoche in ganz Europa. Solange Preußen die Kriegführung unterstützte, verbuchte die Schleswig-Holsteinische Erhebung Erfolge. Doch letzten Endes scheiterte sie. Preußen zog sich auf russischen Druck aus dem Krieg zurück, weil ihm anderweitige außenpolitische Interessen plötzlich wichtiger waren. Daraufhin obsiegten in den weiteren Kämpfen die Dänen. Ihre Armee war größer und professioneller als das kurzfristig aufgestellte schleswig-holsteinische Volksheer. Die Schlacht bei Idstedt stellte am 25. Juli 1850 die Weichen für den Ausgang des Krieges.
Dänemark kann daraufhin vor Kraft kaum laufen. Überwunden scheinen die demütigenden Niederlagen, die das Land in den napoleonischen Wirren gegen England erlitten hat, vergessen scheint der dadurch ausgelöste Verlust Norwegens an Schweden. In Schleswig kommt es zu Danisierungsversuchen. Für Unmut sorgen vor allem die sogenannten Sprachreskripte, die Dänisch auch in weiten Teilen des mittleren Schleswigs zur Pflichtsprache in Schule und Kirche machen, ohne dass es dort eine dänischsprachige Mehrheit gäbe. Tonangebende politische Kraft in Dänemark werden die „Eiderdänen", wie die Nationalliberalen populär genannt werden. So heißen sie, weil sie ein Dänemark bis zur Eider fordern, unter Aufgabe der Sonderstellung Schleswigs. Kulminationspunkt ist der Entwurf für eine liberale Verfassung für Schleswig und Dänemark. Das Herzogtum würde damit ins Königreich einverleibt. Nur so lasse sich erreichen, dass alle Dänen in einem Staat vereint leben und demokratische Rechte genießen. Anders als seit 1849 im Königreich ist der Absolutismus in den Herzogtümern nämlich noch nicht abgeschafft. Dort gibt es nur Ständeversammlungen mit beratendem Charakter; in Dänemark hingegen bereits ein Parlament auf Grundlage halbwegs moderner Wahlen. Dass durch eine gemeinsame neue Verfassung auch zahlreiche Deutsche zwangseingemeindet würden, blenden die dänischen Nationalliberalen aus. Der Deutsche Bund – die lose Gemeinschaft der zahlreichen deutschen Staaten – protestiert: Die neue Verfassung verstoße klar gegen das Londoner Protokoll. Bindet sie doch Schleswig enger als Holstein an Dänemark.
Am 13. November 1863 verabschiedet der Reichsrat – die Versammlung für gemeinsame Angelegenheiten Dänemarks und Schleswigs – das neue Staatsgrundgesetz trotzdem. In Kraft treten soll das Regelwerk für Dänemark und Schleswig mit dem Jahreswechsel am 1. Januar 1864. Nur die Unterschrift des Monarchen fehlt noch. Für den politisch desinteressierten Frederik VII. gilt die Unterzeichnung als bloße Formsache. Doch er bekommt das Dokument gar nicht mehr vorgelegt, weil ihn eine Gürtelrose außer Gefecht gesetzt hat. Ein Ausflug von Schloss Glücksburg an die Schlei nach Kappeln und Umgebung nur wenige Tage vor dem Tod erweist sich als sein letzter öffentlicher Auftritt.
Für Nachfolger Christian IX. ist es kein Selbstgänger, seinen Namen unter die Novemberverfassung zu setzen. Er möchte nicht sehenden Auges gegen das Londoner Protokoll verstoßen. Seine Scheu vor einem Konflikt mit den deutschen Staaten ist ein Grund dafür. Aber Christian hat weitere Argumente für eine Vertragstreue: Er verdankt dem Londoner Protokoll, dass er überhaupt erst ein Anrecht auf die Krone bekommen hat. Wenn er jetzt durch die Ausfertigung der Verfassung zeigt, dass ihm das Papier von 1852 nichts wert ist – dann könnte das alle Unterzeichner-Staaten gegen ihn aufbringen. Möglicherweise so weit, dass sie ihm die Königswürde wieder absprechen. Die dänische Bevölkerung hadert in der national aufgepeitschten Stimmung ohnehin mit einem Monarchen deutscher Abstammung. Und dann ist da noch Christians Interesse am Erhalt des bisherigen sogenannten dänischen Gesamtstaats: Er möchte gern Herrscher bis hinunter an die Elbe, also auch über Holstein und Lauenburg, bleiben. Diese beiden vollständig deutschen Herzogtümer im Süden aber lässt die neue dänische Nationalverfassung außen vor.
König Christian IX. von Dänemark (1818–1906): Der erste Glücksburger auf dem dänischen Thron – doch auf Glücksburg selbst muss er durch den Krieg von 1864 verzichten. [1]
Holstein und Lauenburg in den Geltungsbereich einzubeziehen widerspräche zum einen dem Gedanken der nationalen dänischen Sammlung. Zum anderen hat sich der restaurative Deutsche Bund wiederholt verbeten, dass Dänemark in Holstein mit liberalem Gedankengut verfassungsgeberisch tätig wird. Die Dänen hätten kein Recht dazu, weil Holstein Mitglied des Deutschen Bundes sei.
Der neue König versucht, die Lage durch einen Regierungswechsel hin zu einem Kabinett mit einer weniger expansiven Außenpolitik zu entschärfen. Doch er scheitert. Der Monarch findet in den Reihen der Konservativen – der einzigen weiteren in Frage kommenden Partei – niemanden, der zur Übernahme der Amtsgeschäfte gegen die nationalliberale Parlamentsmehrheit bereit wäre. Der Druck der Straße setzt Christian zusätzlich unter Zugzwang. Demonstrationen fordern seine Unterschrift unter der Verfassung. Damit könne der Deutsche auf dem Thron beweisen, dass er seines neuen Amtes würdig sei. Das Königshaus beginnt, revolutionsartige Zustände zu fürchten.
Am 18. November unterschreibt der König dann doch – weist aber die Verantwortung für die möglichen Konsequenzen von sich. Statt den Verlust des Throns durch einen Umsturz zu riskieren, riskiert er lieber den Verlust Holsteins und eventuell auch Schleswigs durch einen Krieg. Theodor Fontane, Chronist des Konflikts um Schleswig-Holstein, kleidet das Dilemma in die Formel: „Christian zog es vor, lieber in Folge eines Krieges eine halbe Krone einzubüßen als in Folge eines Aufstands die ganze."
Als Landesherr über Schleswig und Holstein sieht sich ohnehin schon jemand anders: Ebenfalls am 18. November erklärt sich Friedrich von Augustenburg als Friedrich VIII. zum Herzog von Schleswig und Holstein. Landesweit lässt er dazu in den folgenden Tagen eine Proklamation verbreiten. Das Geschlecht der Augustenburger von der Insel Alsen an der Schleswiger Ostküste ist ebenfalls eine Nebenlinie der ausgestorbenen Oldenburger. Es hat jedoch gegen die Familie von Beck/Glücksburg den Kürzeren gezogen, als die Großmächte im Labyrinth der Stammbäume den monarchischen Erben ausguckten.
Am 18. November 1863 erklärt sich Friedrich von Augustenburg (1829–1880) als Friedrich VIII. zum Herzog von Schleswig und Holstein. [2]
Während die Großmächte dabei gemäß der Rechtslage in Dänemark auch die Abstammung über weibliche Familienmitglieder berücksichtigten, vertreten die Augustenburger den Standpunkt, dass in den Herzogtümern die rein männliche Erbfolge gelte.
Zwar hat der Vater Friedrichs VIII. im Windschatten des Londoner Protokolls gegen eine Entschädigung darauf verzichtet, Erbansprüche geltend zu machen. Doch der Sohn sieht sich an diese Absprache nicht gebunden. Die Verlockung ist zu groß: In Schleswig-Holstein hat der Nationalismus eine starke deutsche Strömung hervorgebracht, die nach einem eigenständigen Mittelstaat Schleswig-Holstein ruft. Dafür braucht es einen Fürsten. Die Augustenburger drängen sich geradezu auf. Das Geschlecht hat an der Schleswig-Holsteinischen Erhebung 1848 – 51 mitgewirkt. Zur Strafe für diese Auflehnung gegen die Krone mussten die Augustenburger nach