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Killing You Softly: Die besten Pop- und Rock-Morde
Killing You Softly: Die besten Pop- und Rock-Morde
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Ebook394 pages4 hours

Killing You Softly: Die besten Pop- und Rock-Morde

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Schöner morden mit Abba, cooler killen mit Bob Dylan

Mit Musik geht bekanntlich alles besser – manchmal sogar ein Mord. Bisweilen kommt es aber auch vor, dass es gerade ein bestimmter Song ist, der die Mordlust erst aufkommen lässt. Bei den Klängen von Modern Talking, dem Gesang von Whitney Houston oder auch bei Whams Weihnachtsheuler »Last Christmas« soll ja dem einen oder anderen das Messer in der Tasche aufgehen.

32 herausragende und preisgekrönte Krimiautoren haben für den Herausgeber Peter Godazgar die Plattenschränke, CD-Regale und iPods durchwühlt – auf der Suche nach ihren jeweiligen Lieblingssongs. Entstanden ist eine Sammlung von rockigen, poppigen Kurzgeschichten, die so vielfältig sind, wie die Songs selbst: Mal hart, mal soft, mal düster, mal ernst, und nicht selten ganz schön heiter.
LanguageDeutsch
Release dateMar 15, 2017
ISBN9783954413676
Killing You Softly: Die besten Pop- und Rock-Morde

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    Book preview

    Killing You Softly - KBV Verlags- & Medien GmbH

    Band

    Mit Musik geht bekanntlich alles leichter – manchmal sogar ein Mord. Bisweilen kommt es aber auch vor, dass es gerade ein bestimmter Song ist, der die Mordlust erst aufkommen lässt: Bei den Klängen von Modern Talking, dem Gesang von Whitney Houston oder auch bei Whams Weihnachtsheuler »Last Christmas« soll dem einen oder anderen das Messer in der Tasche aufgehen. Und schließlich sind es ja mitunter auch die Musiker selbst, die das Thema Mord und Totschlag auf die eine oder andere Weise immer wieder variieren.

    Ich habe dreißig Krimi-Kolleginnen und Kollegen gebeten, ihre Plattenschränke, CD-Regale und iPods zu durchwühlen – auf der Suche nach ihren jeweiligen Lieblingssongs. Und sich dann mörderisch inspirieren zu lassen. Herausgekommen ist eine Sammlung von rockigen, poppigen Kurzgeschichten, die so vielfältig sind, wie die Songs selbst: Mal hart, mal soft, mal düster, mal ernst, und nicht selten ganz schön heiter. Schöner morden mit Abba, cooler töten mit Bob Dylan. Ich verspreche Ihnen: Nach der Lektüre hören Sie manchen Song mit anderen Ohren.

    Ach ja, erstmals finden sich hier auch sämtliche Mini-Krimis versammelt, die die Mitglieder der weltweit einzigen Band, die ausschließlich aus Krimiautoren besteht, bei ihren längst legendären Konzerten vorlesen. Der Name der Band ist übrigens streng geheim.

    Es grüßt Sie herzlich im Vier-Viertel-Takt

    Peter Godazgar

    Ring of Fire

    Johnny Cash (1963)

    Steven zündet sich eine Zigarette an. Wie immer, wenn er wartet, schmeckt sie beschissen. Im Stand-By-Modus dockt das Nikotin nirgends an. Und wenn die Andockstellen dicht machen, raucht Steven in Kette gleich noch ’ne Kippe, obwohl die Warnhinweise ziemlich unmissverständlich sagen, was ihn erwartet.

    Raucher sterben früher. Rauchen kann zu Durchblutungsstörungen führen und verursacht Impotenz. Rauchen fügt Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu.

    Da lache ich nur, denkt Steven, das will ich ja gerade. Einem Menschen erheblichen Schaden zufügen. Deshalb bin ich hier.

    Mit dem Gesundheitsgelaber auf Zigarettenpackungen kann man sich leckmichamarschmäßig arrangieren, wie mit jedem, der es gut mit dir meint. Du haust ihm nicht auf die Fresse, aber du machst trotzdem, was du willst. Würde ja auch schwer bescheuert ausschauen, wenn du auf deine Zigarettenpackung eindrischst. Okay, ein Bild sagt mehr als tausend Worte, aber die Fotos für die Analphabeten hätten nicht sein müssen. Geteerte Lungen. Verfaulte Zehen. Geschwür am Hals. Wenn versehentlich der Blick auf die Schockbilder fällt, fühlst du dich, als hättest du versehentlich bei The Walking Dead reinzappt.

    Steven hebt die Zigarettenschachtel vor die Augen. Was ist das? Ein kaputtes Herz? Zu dunkel. Der Lichtschein der nächsten Straßenlaterne traut sich nicht richtig durch die Rückscheibe. Hoffentlich kommt Christian nicht gerade jetzt ums Eck, denkt Steven. Dann macht er die Innenbeleuchtung des Autos an.

    Doch kein kaputtes Herz, sondern verfaulte Zähne. Manche sind auch ganz weg. Darunter die Aufschrift: Rauch enthält Benzol, Nitrosamine, Formaldehyd und Blausäure.

    Schnell löscht Steven wieder das Licht. Er drückt die Zigarette im Aschenbecher aus und wartet weiter. Beobachtet die stille Allee vor sich. Aus der Bahnunterführung fällt ein Licht, das man sich zur Landung eines Alien-Raumschiffs vorstellt. Auf der anderen Seite der Gleise macht der Park auf dicke Hose. Still, starr, dunkel. Als wäre er soeben für eine Fortsetzung von Herr der Ringe gecastet worden. Steven kann die scheiß Bäume durch die heruntergelassene Seitenscheibe atmen hören. Er fährt das Fenster kurz hoch, als sich ein Nahverkehrszug vorbeimüht. Dann öffnet er es wieder. Alles still. Wenn er nicht selbst die Bedrohung wäre, würde er sie spüren. Er schaut auf das Licht, das aus der Unterführung fällt. Vielleicht hätte er die Windschutzscheibe putzen sollen. Verdammt viele Insekten haben darauf ihr Ende gefunden. Die dicken Einschläge stammen von Schmetterlingen.

    Auf der anderen Seite der Gleise streunt Licht durch die Bäume. Dann sucht es sich ein Ziel. Der Strahl nimmt die Bahnunterführung ins Visier. Verschwindet darin.

    Steven muss an Sex denken. Kann er gerade gar nicht gebrauchen. Er schüttelt die Beine und macht die Muskulatur locker, den ganzen Kerl.

    Christian läuft in seinem atmungsaktiven Profi-Jogger-Outfit aus der Unterführung. Auf seiner Stirn die LED-Lampe. Hoffentlich fällt ihm nicht auf, dass ein Auto links parkt, denkt Steven. Und dass in dem Auto jemand sitzt.

    Als Christian auf der Höhe des Autos ist, reißt Steven die Fahrertür auf. Lässt den Jogger auflaufen. Ein wuchtiger, basslastiger Aufprall, dann fällt der Körper auf den Bürgersteig. Eine klare gelbe Karte auf dem Fußballfeld. Steven springt aus dem Auto.

    »Um Himmels willen, sind Sie verletzt?«

    Christian zappelt auf Asphalt wie ein Käfer auf dem Rücken. Steven beugt sich zu ihm herunter, hält den Elektroschocker an den Hals, drückt ab. Fertig. Kein Zappeln mehr. Hand- und Fußgelenke werden mit Kabelbindern gefesselt. Steven richtet von hinten Christians Oberkörper auf, schiebt die Hände unter den Achseln hindurch und schleppt den bewusstlosen Mann zum Auto. Den Idioten. Den Scheißkerl. Er verstaut ihn im Kofferraum. Dabei flutschen dem Hirni seine Bluetooth-Kopfhörer aus den Ohren. Coldplay. Oder irgendein anderer massenkompatibler Stadion-Pop. Steven zieht das Handy aus dem Sportarmband. Nachdem er es zertreten hat, wirft er es auf die Bahngleise. Handy tot. Musik aus. Alles gut.

    Noch bevor Steven den Zündschlüssel herumdreht, startet er seine Playlist. Johnny Cash. I Still Miss Someone. An der nächsten roten Ampel hört er Stöhnen und Klopfgeräusche aus dem Kofferraum. Er dreht die Lautstärke hoch, aber das führt nur dazu, dass ihn der Song ankotzt. Er drückt auf eine der Pfeiltasten. I Won’t Back Down. Besser. Auf dem Weg zu seinem Versteck hält Steven noch ein paar Mal an und verpasst Christian ein paar Stromstöße. Öfter als es nötig wäre. Einmal haut er ihm auch mit der Faust voll in die Fresse. So was sollte man nicht mit einem Wehrlosen machen, weiß Steven. Und die ganze Sauerei im Kofferraum. Andererseits: Wenn es dem Wohlbefinden dient. Steven schlägt noch mal zu.

    Die leerstehende Autowerkstatt hat Steven schon vor ein paar Wochen entdeckt. Als er begann, Julia und Christian zu beobachten. Nachts kommt hier niemand her. Man kann ungestört warten und rauchen, bis das Opfer endlich aufwacht. Mit Warten kommt Steven normalerweise nicht so gut klar, aber gerade ist er megaentspannt. Er hat diesen roten Kunststoffklappstuhl besorgt. Der ist nicht bequem, aber trotzdem macht es Spaß, den bewusstlosen Wichser zu beobachten. Christian sitzt gefesselt auf einer am Boden montierten Autorückbank. Speichel und Blut fließt aus einem seiner Mundwinkel. Diesen hilflosen Moment hat sich Steven schon lange herbeigesehnt.

    Als Christian endlich aufwacht, schaut er sich erst einmal hektisch um. Dann zerrt er sofort wild an seinen Fesseln.

    »Keine Chance«, sagt Steven. »Ich habe die Kabelbinder durch echte Handschellen ersetzt.«

    Christian stellt seine Versuche ein.

    Die beiden Männer starren sich an.

    Einer sitzt rauchend auf einem roten Klappstuhl, wie er von IKEA in den 90er Jahren vertrieben wurde. Der andere fragt sich, warum er gefesselt auf einer alten Audi-Rückbank mit Spermaflecken gelandet ist.

    »Was wollen Sie?«, fragt Christian. Man merkt ihm an, dass er unbedingt Kontakt mit dem Entführer aufnehmen will. Als Human-Resource-Manager kennt er sich aus mit Psychologie.

    »Ich habe Geld.«

    »Mich interessiert dein scheiß Geld nicht, Christian.«

    »Okay«. Christian nickt. »Sie kennen meinen Namen.«

    »Klar, kenne ich deinen Namen, du Wichsgesicht.«

    Steven wirft die Zigarettenkippe auf den Boden und tritt sie aus. Dann fragt er:

    »Wie geht es Julia?«

    Christian denkt nach. Irgendwann senkt er den Blick. Vielleicht, weil er noch mehr nachdenken muss. Oder, weil er die Antwort auf eine Frage kennt, die er noch nicht gestellt hat.

    »Sind Sie Steven?«

    »Hat Julia von mir erzählt?«

    »Nie. Sie hat Angst vor Ihnen. Wie haben Sie uns gefunden?«

    »Facebook.«

    »Julia hat keinen Facebook-Account. Sie vermeidet alles, was im Netz Spuren hinterlässt.«

    »Christian, ich muss schon sagen: Für einen Karrieretypen, der selbst beim Jogging gut gestylt ist, bist du ein ganz schönes Anti-Talent. Du und ich – wir sind dicke Freunde bei Facebook. Es war ganz leicht, dich zu finden. Du nimmst auch Freundschaftsanfragen von fiktiven Personen an. Das finde ich sozial.«

    Christian schaut jetzt wirklich überrascht.

    »Und teilst auch bereitwillig. Zum Beispiel deine Urlaubsfotos. Glaubst du, ich habe Julia darauf nicht erkannt?«

    »Ich kann nichts für das, was vorher zwischen Ihnen und Julia war.«

    »Ihr habt so viel Spaß auf den Urlaubsbildern. Da kann man echt neidisch werden.«

    »Das sind Fotos. Da tun alle so als ob.«

    »Du warst mit ihr im Kaskadengebirge in Oregon. Am Pazifischen Feuerring.«

    »Das war nicht mal so toll. Die Motels waren ihr Geld nicht wert.«

    »Julia und ich wollten da immer hin. Mit einem Wohnmobil. Und während wir durch die Gegend fahren, hören wir Ring of Fire in der Version von Johnny Cash. Haben wir uns ausgemalt. Ist nie passiert. Stattdessen warst du mit ihr da – und ihr hattet Sex auf einem Vulkan.«

    »Wie kommen Sie denn auf den Schwachsinn?«

    »Ich habe deinen Computer gehackt.«

    »Okay. Es tut mir wirklich sehr leid, dass es zwischen Ihnen und Julia nicht geklappt hat.«

    »Lief Ring of Fire auf dem Smartphone, während ihr auf dem scheiß Vulkan gefickt habt?«

    Christian zerrt wieder an den Fesseln. Er gibt schnell auf. Steven grinst.

    »War doch eine ganz normale Frage, Christian.«

    »Steven, ganz ehrlich: Julia hat den beschissenen Song nicht mehr gehört, seit sie vor Ihnen geflüchtet ist. Das ist die Wahrheit.«

    »Gut.«

    Ein ganz kleines bisschen ist Steven zufrieden, aber sicherheitshalber haut er Christian noch einmal auf die Fresse. Voll. Und dann noch mal.

    » Ring of Fire ist nicht beschissen, klar?«

    Ring of Fire ist ein großer Song. Kritik daran kann Steven genau so wenig akzeptieren wie die Idee, das Lied in einem Werbeclip für Hämorrhoidensalbe zu verwenden. So was geht gar nicht. Immerhin wurde Johnny Cash der Einfall, Mariachi-Trompeten in seine amtliche Version des Songs einzubauen, im Traum geschenkt. Das sind quasi Trompeten direkt aus dem Himmel. Überhaupt ist der ganze scheiß Song emotional aufgeladen, aber scheiß Song darf nur ich sagen, denkt Steven. June Carter komponierte den Song, als sie sich frisch in Johnny Cash verliebt hatte. Der war zu der Zeit noch verheiratet. Okay, große Gefühle kommen nicht immer aus dem Himmel. Sie kommen sonst wo her. Manchmal kommen sie aus der Hölle. Oder einfach aus den Leuten. Emotionen sind unzuverlässig. Deshalb muss man gnädig sein. Und Steven war gnädig mit Julia.

    Nachdem sie die Tür geöffnet hatte, schrie sie kurz auf. Eigentlich war es kein richtiger Schrei, sondern eher so, als würde sie etwas verschlucken. Als würde etwas aus ihr platzen, was sofort wieder zurück muss. Nach dem ersten Schreck versuchte Julia die Wohnungstür sofort wieder zuzuschlagen, aber da hatte Steven schon seinen Fuß dazwischen. Und jetzt sitzt sie gefesselt und geknebelt neben ihm auf der Couch.

    »Weißt du«, sagt Steven, »es gefällt mir auch nicht, dass du gefesselt und geknebelt neben mir auf der Couch sitzt.«

    Julia schaut ihn mit großen Augen an und zittert.

    »Ich würde auch das Klebeband abmachen, aber ich habe die Befürchtung, dass du sofort schreist.«

    Julia schüttelt heftig den Kopf.

    »Okay, probieren wir es aus.«

    Steven zieht das Klebeband ab.

    Julia schreit wie am Spieß.

    Steven drückt ihr den Hals zu und klatscht das Klebeband wieder auf ihren Mund. Dabei schaut ihn seine Ex mit weit herausgedrehten Augen an.

    Eine Weile sitzen Julia und Steven stumm nebeneinander auf der Couch. Er, weil er nichts sagen will. Sie, weil sie nicht kann.

    Nachdem Steven lang genug die Kunstdrucke bewundert hat, stellt er den riesigen Flachbildschirm an und wählt sich in Julias Netflix-Account ein, um abzuchecken, was sie sich in den letzten Monaten angeschaut hat. Es ist nicht Überraschendes dabei. Vielleicht ist sie doch nicht so bemerkenswert.

    »Julia, was du nicht weißt«, sagt Steven, »aber was ich dir unbedingt sagen sollte: Ich habe Christian. Vielleicht denkt er gerade an dich, wie er so gefesselt in der Dunkelheit rumhockt und nichts machen kann. Vielleicht pisst er sich auch bloß ein.«

    Julia fängt neben ihm auf der Couch an, wie wild zu zucken. Sich zu verrenken. Sie versucht die Fesseln abzureißen. Nach einiger Zeit beruhigt sie sich.

    »Ich finde, das ist eine Information, die du unbedingt haben solltest, bevor wir weiter kommunizieren. Ohne Klebeband und so. Also, falls du mit mir kommunizieren willst, Julia.«

    Sie nickt heftig.

    »Na, dann probieren wir das Ganze noch einmal. Wenn du wieder schreist, versetze ich dich wieder in den Stand-By-Modus und fahre zu Christian. Das wird dann nicht so erfreulich für den Honk. Bisher ist er ja trotz der Umstände noch in einem lässigen Zustand.«

    Steven zieht das Klebeband von Julias Mund. Er kann sie atmen hören. Allein das Geräusch reicht, dass er fast wieder zu viel Sympathie für sie empfindet. Ich muss vorsichtig sein, denkt Steven.

    »Kann ich was zu trinken haben?«, fragt Julia.

    »Klar.«

    Steven steht auf.

    »Aber bau bloß keinen Scheiß.«

    »Du baust Scheiß. Ich bin bloß in meiner Wohnung.«

    Steven geht in die Küche. Er muss ein paar Türen der Einbauschränke öffnen, eher er endlich die Gläser findet. Er lässt Leitungswasser in ein Glas. Als er wieder ins Wohnzimmer kommt, robbt Julia bäuchlings über den Parkettboden. Sie müht sich wirklich ab. Steven stellt das Glas auf den Wohnzimmertisch. Er hebt Julia auf und setzt sie wieder auf die Couch.

    »Das bringt doch nichts. Erst das Handy zerstört, dann das Festnetz abgesteckt. Der ganzen Kommunikation in den Arsch getreten.«

    Steven flößt Julia Wasser ein. Ein Rinnsal sucht sich den Weg von ihrem Mundwinkel über den Hals in ihren Ausschnitt.

    Dann setzt er sich wieder neben sie auf die Couch.

    »Ring of Fire«.

    »Lass mich in Ruhe.«

    »Christian sagte mir, dass du Ring of Fire nie mehr gehört hast.«

    »Das stimmt.«

    »Ist aber ein verdammt guter Song.«

    »Ich kann ihn nicht mehr hören.«

    »Warum?«

    »Nimm es mir nicht übel, aber er gehört zu unserer beschissenen Beziehung.«

    »Sie war gar nicht so beschissen.«

    »Träum weiter.«

    »Am Anfang nicht.«

    »Es ist nicht alles nur Anfang.«

    »Ich hab ihn auch nicht mehr gehört. Beug dich mal nach vorn.«

    Steven macht Julia die Fesseln hinter dem Rücken los und bindet sie vorne wieder zusammen.

    »Wir machen ein bisschen Karaoke, um uns die Zeit zu vertreiben.«

    Steven steht auf und schnappt sich zwei Fernbedienungen. Mit den Fernbedienungen in den Händen fühlt er sich wie ein Cowboy mit zwei Colts. In den Filmen seiner Jugend mochte er die Bösewichte mit zwei Knarren. Steven startet die Spielekonsole, die neben dem Fernseher steht, und klickt sich durchs Menü.

    Auf dem überdimensionalen Flachbildschirm erscheint der Schriftzug eines Karaoke-Spiels.

    Steven setzt sich mit einem Mikro neben Julia und reicht ihr ein zweites.

    »Wir singen Ring of Fire«.

    Julia knallt das Mikro auf den Boden.

    »Ich hab keinen Bock auf den Hirnfick.«

    Steven runzelt die Stirn. Er gibt sich sogar Mühe, verständnisvoll zu sein.

    »Wie du willst. Wenn du nicht singst, siehst du deinen Weichkeks halt nicht wieder. Ist vielleicht sogar angenehm für dich.«

    Julia bückt sich zu dem am Boden liegenden Mikro.

    Steven reicht es ihr. Dabei lächelt er fast charmant.

    »Gib dir Mühe«, sagt er.

    Dann startet er den Song.

    Und er singt. Mit Julia. Zusammen.

    Love is a burnin’ thing

    And it makes a fiery ring

    Bound by wild desire

    I fell into a ring of fire

    I fell into a burnin’ ring of fire

    I went down, down, down

    And the flames went higher

    And it burns, burns, burns

    The ring of fire, the ring of fire

    Sie bekommen die Höchstwertung.

    Perfekte Harmonie.

    Steven parkt vor der Autowerkstatt. Er öffnet eines der großen Rolltore und drückt auf den Lichtschalter. Christian blinzelt ins flackernde Licht der Neonröhren.

    Steven hebt einen Benzinkanister vom Betonboden, öffnet den Schraubverschluss und montiert den Einfüllstutzen. Hektisch bäumt sich Christian auf. Er zappelt wild. Die Autorückbank, an die er gefesselt ist, bewegt sich keinen Millimeter. Steven genießt die undeutlichen Laute, die aus dem Drecksack kommen. Beobachtet, wie sich Schweiß auf Christians Stirn bildet. Unglaublich, wie weit man die Augen rausdrehen kann. Steven reißt das Klebeband von Christians Mund.

    »Das musst du nicht machen, Steven! Das musst du nicht machen …«

    »Nee, muss ich nicht, aber ich mache es trotzdem.«

    Steven senkt den Kanister und Benzin plätschert auf den Boden. Reichlich Benzin. Er umrundet die Autorückbank. Christian wird von den aufsteigenden Benzingasen nicht im Geringsten beruhigt, sondern fängt an zu weinen. Steven schaut ihm voller Verachtung eine Weile dabei zu, nachdem er den Benzinkreis vollendet hat. Dann geht er zwei Schritte nach vorne um Christian mit Benzin zu übergießen, als der brüllt: »Was hätte Johnny Cash gemacht?«

    Steven hält er in der Bewegung inne. Der Benzinkanister schwebt über Christian.

    »Was hast du gesagt, du Analoberhaupt?«

    Christian wirft seinen Oberkörper nach vorne. Immer wieder. Seine Schlagadern am Hals schwellen an.

    »Was hätte Johnny Cash gemacht? Scheiße. Was hätte Johnny Cash gemacht?«

    Steven verpasst Christian eine gerade Rechte. Zähne geben nach. Haut über den Fingergelenken platzt auf. Eigentlich will Steven noch mal kräftig zuschlagen, aber dann lässt er es sein. Irgendwie schaut der bewusstlose Kacktyp überhaupt nicht mehr aus wie ein Gegner. Wie jemand, mit dem Rache Spaß macht.

    Steven besprenkelt Christians Joggingschuhe mit Benzin und legt eine Spur zum Benzinring. Sicherheitshalber frischt er den noch einmal auf. Dann zieht er einen Feuerlöscher aus einer Wandhalterung und geht damit durch das Tor zum Auto.

    Nachdem er den Kofferraumdeckel aufgemacht hat, versucht Julia sofort ihn anzugreifen. Das Luder hat sich doch tatsächlich entfesselt. Er stößt ihr den Feuerlöscher gegen den Bauch. Sie kriegt keine Luft mehr. Scheiße, eigentlich wollte er nicht so fest. Er schleppt sie in die Werkstatt und setzt sie auf den Boden.

    »Hier!« sagt Steven und stellt den Feuerlöscher direkt vor ihr ab.

    Steven zündet ein Streichholz an und wirft es in die Flüssigkeit auf dem Betonboten. Sofort lodert das Benzin auf. Das Feuer kreist den Wichser ein. Christians Schuhe fangen an zu brennen. Julia schreit und zerrt an der Sicherung der Feuerlöschers. Ohne sich noch einmal umzudrehen, geht Steven zum Auto und fährt los.

    In der Playlist sucht er Ring of Fire und hört es dreimal hintereinander.

    Beim zweiten Mal macht er eine Zigarette an.

    Beim dritten Mal singt er mit.

    Geht doch, denkt Steven.

    House of the Rising Sun

    The Animals (1964)

    Der Bratschist Engelhard Überbein hatte keine Karriere gemacht.

    Das lag nicht etwa an fehlendem Talent – er spielte einfach das falsche Instrument.

    Keiner der großen klassischen Komponisten hatte ein Bratschenkonzert geschrieben, mit dem man glänzen konnte. Die Bratsche war nur im Orchester zu gebrauchen. Und auch dort waren Bratschisten Außenseiter. Man riss sogar Witze über sie.

    Frage: Was ist ein Gentleman-Musiker? Antwort: Jemand, der Bratsche spielen kann, es aber nicht tut.

    Frage: Was ist der Unterschied zwischen Bratschisten und Joghurt? Antwort: Joghurt hat Kultur.

    Frage: In welcher Zeitung steht die Schlagzeile Bratschist wirft Frau aus dem Fenster? Antwort: Bild! Frage: Und wo steht Frau wirft Bratschist aus dem Fenster? Antwort: Schöner Wohnen‹.

    Das tat Überbein weh.

    »Die Bratsche ist wichtig, aber eben ein Begleitinstrument«, hatte Überbeins Lehrer Lehmann oft gesagt. »Ohne einen anderen, ohne ein Gegenüber geht es nicht.«

    Überbein wollte das ändern. Er hatte einen Plan. Er wollte mit einem Solokonzert auftreten. Mit einem eigenen. Selbst komponiert. Mit einem Stück, das allen gefallen würde – passionierten Klassikhörern wie Rockfans. Mit einer Fantasie über ein berühmtes Lied. Über den Song »House of the Rising Sun«.

    Die aufgehende Sonne!

    Schon der Titel inspirierte Überbein. Seine Wohnung am Stadtrand ging nach Osten. Es war Morgen. Die Sonne strahlte. Er öffnete das Fenster. Die Luft war mild.

    Und er spielte die wehmütige Melodie, die weit hinaus über das verlassene Fabrikgelände schallte, das auf der anderen Straßenseite lag. Er improvisierte voller Herzblut über die kreisenden Akkorde. Doch als er die Bratsche absetzte, traf ihn fast der Schlag. Irgendwo auf dem riesigen Areal spielte jemand alles nach. Nicht nur die Melodie, auch die Improvisation. Seine Ideen.

    Wieder spielte er, stoppte, lauschte. Die Musik kam zurück – mit großer Verzögerung.

    Aber das war kein Echo.

    Da war ein Konkurrent am Werk!

    Er spielte bis zum Nachmittag. Die Sonne stand schon tief, als er beschloss, sich auf die Suche zu machen.

    Er überkletterte ein Tor und hastete eine Mauer entlang. Da waren die Töne wieder …

    Sie drangen aus der offenstehenden Tür eines kleinen Hauses mitten auf dem Gelände zwischen dunklen Backsteinmauern. Es war wohl einmal die Villa des Firmenbesitzers gewesen. Eine Treppe führte abwärts.

    Da unten, in einem feuchten Keller, sollte jemand musizieren?

    Er fand einen Lichtschalter. Neonlicht flackerte.

    Tausend Augen sahen Überbein an. Und er verstand.

    »Wie haben Sie das rausgekriegt?«, fragte der Kommissar später im Polizeipräsidium. »Ein Lager für geschmuggelte exotische Vögel. Wie heißt die Sorte noch mal?«

    »Australischer Leierschwanz«, sagte Überbein. »Sie sehen wie kleine Pfauen aus. Sie sind berühmt dafür, alles was sie hören, nachmachen zu können – Musik, aber auch sogar Motorengeräusche.«

    Bratschist überführt Tierschmuggler titelte eine Zeitung am nächsten Tag. Überbeins Telefon stand nicht still. Alle wollten Interviews.

    Als sich die Aufregung etwas gelegt hatte, machte er mit seinem Stück weiter.

    Er nahm die Bratsche in die Hand und spielte. Doch er ließ er sie gleich wieder sinken. Die Stille von dem Industriegelände gegenüber … sie bedrückte ihn.

    Er legte er das Instrument in den Kasten zurück. Ihm kamen die Worte seines Lehrers Lehmann in den Sinn.

    Du kannst nur andere begleiten.

    Du brauchst ein Gegenüber.

    (I Can’t Get No) Satisfaction

    Rolling Stones (1965)

    Mick Jagger wischte sich das blutige Messer am linken Hosenbein seiner Skinny-Jeans ab. Na also, geht doch. Mit so viel Gegenwehr hatte er zwar nicht gerechnet, aber der Tag musste erst noch kommen, an dem er mit so einer halben Portion von einem Würstchen nicht fertig wurde.

    Das, was jetzt vor ihm lag, war allerdings nurmehr Wurst in Scheiben. Mit viel Ketchup. Also quasi eine Currywurst. Mit der Kettensäge wurde es eben immer kleinteilig.

    Mick Jagger, die Zunge des Herrn, leckte sich die Lippen.

    »Mick Jagger? Das kann doch unmöglich Ihr Ernst sein!«

    Seit Monaten zog ein irrer Mörder durch die Straßen der Großstadt und schlachtete Leute ab. Zugegeben, bislang waren das alles keine Unschuldslämmer: zwei Zuhälter, ein Dealer, ein mehrfach vorbestrafter Gewalttäter. Aber auch die braven Bürger bekamen es allmählich mit der Angst zu tun, folglich musste dem ein Ende bereitet werden. Fanden Röck und Schmittke, die die SOKO Kettensäge leiteten.

    Die grausam hingemetzelten Opfer standen in keinerlei Beziehung zueinander – außer dass sie alle Dreck am Stecken hatten. Der Täter suchte sie offenbar nach dem Zufallsprinzip im Rotlichtmilieu aus. Was die Ermittlungen natürlich erschwerte. Nie hatte es auch nur eine einzige, brauchbare Spur gegeben. Bis jetzt. Jetzt hatten sie einen Augenzeugen. Aber dieser Augenzeuge hatte definitiv eine Meise. Ach was, einen ganzen Meisenschwarm!

    »Es war Mick Jagger. Da bin ich mir ganz sicher«, erklärte Roland Beiser und nickte den beiden Beamten stakkatoartig zu. »Er trug eine verwaschene Skinny-Jeans und hatte dieselben Moves drauf wie damals in Berlin auf der Waldbühne. Da war ich nämlich live dabei. Ich sage Ihnen: Es war Mick Jagger!«

    Röck und Schmittke, zwei langjährig erfahrene Mordermittler, der eine klein, der andere riesig, warfen sich einen vielsagenden, blinzellosen Blick zu.

    »He, ich bin kein Spinner, ich weiß, was ich gesehen habe!« Roland Beiser war pensionierter Bibliothekar. Es lag ihm sehr daran, seine Glaubwürdigkeit als Zeuge nachhaltig zu unterstreichen. »Es war Mick Jagger. Wie er leibt und lebt!« Beiser sprang auf und zuckte ruckartig mit den Gliedmaßen. Das sollte dann wohl die Performance des Rolling-Stones-Frontmanns imitieren. »Nachdem er sich das Messer am Hosenbein abgewischt hat, ist er genau so davongetänzelt.« Zuck, zuck, ruckel, ruckel, zuck.

    Schmittke und Röck seufzten. Wie gern hätten sie Beiser diskreditiert. Aber seine Beschreibung von Mordwaffe und -methode stimmte exakt mit den Erkenntnissen des Rechtsmediziners überein. Was natürlich bedeutete, dass er entweder den Mord tatsächlich mitangesehen hatte …

    … oder aber, dass er selbst der Täter war. Hoffnung keimte in den Beamten auf. War Beiser ihr Mann?

    Ihre Hoffnung wurde leider zerschlagen, als sich herausstellte, dass die Überwachungskamera des Bankautomaten gegenüber des Tatorts, an dem Beiser zu später Stunde noch zweihundert Euro abgehoben hatte (für eine Animierdame in der Kolibri-Bar, was er bei seiner Aussage jedoch tunlichst verschwieg), in fünf-sekündlicher Bildabfolge – erstaunlich scharf und mit Zeitangabe – festgehalten hatte, wie er zum Tatzeitpunkt erst seine Geheimzahl eintippte, sich urplötzlich abrupt umdrehte, dann entsetzt zurückwich, sich anschließend übergab

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