Von Auschwitz nach Calw: Jüdische Frauen im Dienst der totalen Kriegsführung
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Josef Seubert
Josef Seubert, Historiker und emiritierter Professor aus Kusterdingen.
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Book preview
Von Auschwitz nach Calw - Josef Seubert
Inhalt
Vorwort
Einleitung
Die Errichtung des KZ-Außenkommandos Calw
Kriegswirtschaft und Zwangsarbeit
Nationalsozialistische Judenverfolgung und Judenvernichtung in Osteuropa
Die Herkunft der Calwer Häftlingsfrauen
Der Weg von Auschwitz nach Calw
Lebens- und Arbeitsbedingungen im KZ-Außenkommando Calw
Der Evakuierungsmarsch im April 1945
Schicksale nach der Befreiung
Schluß
Anhang
Quellen- und Literaturverzeichnis
Abbildungsnachweise
Vorwort
Gedenke der vorigen Zeiten
und hab acht auf die Jahre
von Geschlecht zu Geschlecht.
Frage deinen Vater, der wird
dir’s verkünden …
5. Mose 32.7
Im Jahre 1983 gründeten einige Frauen und Männer aus Calw einen Arbeitskreis für lokale Zeitgeschichte. Sie wollten möglichst genau wissen, was in den Jahren des Nationalsozialismus in ihrer Stadt geschehen war, vor allem, welche Opfer der braune Terror gefordert hatte. Bei ihrer Suche stießen sie auch auf vage Berichte über Zwangsarbeiterinnen in der damaligen Firma Lufag, einer Rüstungsfabrik. Es kostete viele Mühe, hierüber verläßliche Informationen zu bekommen, und ohne die freundliche Hilfe des Zufalls, der den Arbeitskreis mit Herrn Professor Seubert zusammenführte, wäre es wohl nie zu der hier vorliegenden Veröffentlichung gekommen.
Die Vorgänge um die Zwangsarbeiterinnen in der Lufag waren besonders stark verdrängt worden, wahrscheinlich weil sie sich in den immer turbulenter werdenden letzten Monaten des Krieges und damit auch der NS-Zeit abgespielt hatten. Es mag auch bei den gar nicht so wenigen Mitwissern ein dumpfes Gefühl der Ohnmacht mitgewirkt haben, dem sie als persönlich meist Unschuldige durch die Kenntnis dieser verbrecherischen Vorgänge ausgeliefert waren. Wie dem auch sei – das Schicksal der jüdischen KZ-Häftlinge, die für einige Kriegsmonate Einwohnerinnen der Stadt Calw waren, ist wahrhaftig der Erinnerung wert. Denn es macht deutlich, daß die Verbrechen des Nationalsozialismus vor keinem Bereich und vor keinem Ort haltmachten, auch nicht vor unserer kleinen Stadt.
Es ist nicht leicht, die bösen Erinnerungen als historische Last auf sich zu nehmen, und doch ist es notwendig. Es schärft die Wahrnehmung auch für das, was heute geschieht. Es öffnet die Augen für Zusammenhänge, die heute erst recht zwischen dem Leben in der eigenen, überschaubaren Welt und der großen Politik und Wirtschaft bestehen. Das weit verbreitete Ohnmachtsgefühl gegenüber dem politischen Geschehen kann vermindert werden, wenn wir über unsere Vergangenheit und damit über uns selbst und die in uns wohnenden Gefahren besser Bescheid wissen.
Das Schicksal der jüdischen Zwangsarbeiterinnen in der Calwer Lufag geht uns nahe. Seine Darstellung durch einen Historiker kann für uns zu einer Geschichte werden, die erzählend weitergegeben wird. Möge es viele junge Menschen zu Fragen anregen und den Älteren Mut machen, zu erzählen, »wie es wirklich war«.
Hans Bay
Einleitung
Auch Bücher haben ihre Schicksale! Die Geschichte des hier vorgelegten kleinen Buches begann 1980, als der Verfasser durch eine Bürgerin aus Kusterdingen (Ldkr. Tübingen) auf einige rätselhafte Inschriften in ihrer Scheune aufmerksam gemacht wurde. Sie sollten nach ihren Angaben von einer Gruppe jüdischer Häftlingsfrauen stammen, die hier in den letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges auf dem Durchmarsch zwei Tage übernachteten, ehe sie mit ihren Bewachern weiter Richtung Süden zogen. Die Überprüfung des Hinweises ergab, daß die mit Bleistift auf die Fachwerkbalken der Scheune geschriebenen Nachrichten in ungarischer Sprache abgefaßt und wohl als Lebenszeichen zu verstehen waren. Weitere Informationen zur Deutung der Inschriften konnten aber zunächst nicht gewonnen werden. Erst ein glücklicher Umstand erbrachte den Hinweis, daß der Evakuierungsmarsch der Häftlingsfrauen von einem am Ende des Krieges in Calw eingerichteten KZ-Außenkommando seinen Ausgang genommen hatte. Als 1984 in Calw die Ausstellung »Verfolgung und Widerstand unter dem Hakenkreuz« gezeigt wurde, bot es sich an, mit dem dortigen »Arbeitskreis lokale Zeitgeschichte« Verbindung aufzunehmen, wobei wir feststellen konnten, daß sich unsere Nachforschungen über die Geschichte des Calwer Lagers außerordentlich gut ergänzten. Wir setzten daher die Zusammenarbeit in den folgenden Jahren fort, die vor allem von Herrn Realschullehrer Norbert Weiss gefördert wurde, ohne dessen Spürsinn und umfangreiche Korrespondenz das Buch in der vorliegenden Form nicht hätte geschrieben werden können.
Zur Erforschung der Geschichte des KZ-Außenkommandos Calw und der dorthin verschleppten jüdischen Frauen standen anfangs nur die Aussagen Calwer Bürger, Auskünfte einzelner Behörden und die Kusterdinger Inschriften als Quellen zur Verfügung. Erst durch die Ermittlung der Adressen früherer Häftlingsfrauen in Israel, Ungarn und Frankreich gelang es, Brief- und Interviewpartnerinnen zu finden, die ausführlichere Informationen geben konnten. Eine weitere wichtige Quelle waren die ab 1967 in der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg entstandenen Ermittlungsakten. Sie bestehen allerdings zum großen Teil aus Zeugenverhören, die sehr eng auf den zu ermittelnden Tatbestand »Tötungshandlungen« ausgerichtet waren und viele historisch interessierende Fragen nicht berühren.¹ Zudem zeigte der Vergleich der Aussagen, Briefe und Interviews, daß die Erinnerung an Ereignisse, die Jahrzehnte zurückliegen, nicht immer sehr zuverlässig ist. Verwaltungsakten zur Klärung dieser Widersprüche waren aber nur in geringer Zahl aufzufinden, so konnten z.B. bisher nicht alle ehemaligen Häftlingsfrauen namentlich ermittelt werden, da die von der SS aufgestellte Transportliste nur unvollständig erhalten geblieben ist.² Um die Informationslücken zu schließen, wurden daher neben der allgemeinen zeitgeschichtlichen Literatur vor allem die Untersuchungen über die Lager Essen-Humboldtstraße, Hessisch Lichtenau und