Rügen: Die Geschichte einer Insel
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Rügen - Fritz Petrick
Bodden
1. Deutschlands größte Insel
Die Ostseeinsel Rügen liegt unmittelbar vor der Küste Vorpommerns. Vom »Land am Meer« trennt sie lediglich der 1 – 2 km breite und 33 km lange Strelasund. Zusammen mit dem nordwestlichen Teil Vorpommerns sowie einem Gebietsstreifen westlich der Recknitz und seiner nördlichen Fortsetzung, dem Fischland, bilden Rügen und seine Inseln seit 2011 den Landkreis Vorpommern-Rügen. Dieser ist mit einem Areal von 3188 km² der fünftgrößte in Mecklenburg-Vorpommern und der ganzen Bundesrepublik. Am Kreisgebiet ist Rügen allein mit 930 km² (≈ 29 %) beteiligt. Eine größere Insel hat Deutschland, abgesehen vom längst vergangenen Kolonialreich der Wilhelminischen Zeit in der Südsee, nie besessen. Sylt, Deutschlands größte Nordseeinsel, ist mit einer Fläche von 99 km² erheblich kleiner. Unter den Inseln der Ostsee zählt Rügen zu den zehn größten. Die größte Insel ist Sjælland (Seeland) mit 7031 km², an neunter Stelle steht Rügen. Mit dem ca. 161 m hohen Piekberg befindet sich auf Rügen der zweithöchste Berg aller Ostseeinseln. Zu Rügen zählen etwa zwanzig kleinere, darunter geradezu winzige Inseln sowie einige Werder, die der Hauptinsel zumeist westwärts vorgelagert sind und seit 2005 vom Amt West-Rügen in Samtens verwaltet werden:
•Ummanz (19,7 km²) mit einer ganzen Handvoll sehr kleiner und heutzutage unbewohnter Inseln, die Heuwiese, Liebes, Mährens, Wührens und Urkevitz heißen,
•Hiddensee (18,5 km²) mit der kleinen Fährinsel (0,4 km²), dem Gänsewerder, der Tedingsinsel und dem Werder Plathe,
•Öhe (0,8 km²) und Liebitz (0,4 km²).
Südwärts ist der rügenschen Boddenküste nur die Insel Vilm (0,9 km²) vorgelagert, die als Ortsteil zu Putbus, der drittgrößten Stadt Rügens, gehört. Die beiden größeren Städte heißen Bergen und Sassnitz, eine kleinere Garz. Außer diesen vier Städten zählt Rügen zur Zeit 38 Gemeinden. Sassnitz und Putbus sowie 16 Gemeinden sind als Seebäder bzw. Erholungsorte anerkannt. Es gibt insgesamt 53 Hafenanlagen unterschiedlicher Art und Größe sowie den kIeinen Inselflugplatz Güttin.
Um die gesamte Insel(-gruppe) zu überblicken, lohnt sich bei klarer Sicht ein Rundflug. Erst ein Blick aus der Vogelperspektive und/oder auf die Karte offenbart, wie Rügen »bevloten is mit deme solten watere«, um die geradezu klassische Formulierung aus einer Urkunde aus dem 14. Jahrhundert zu zitieren. Die Ostsee trennt Rügen und die dazugehörigen kleineren Inseln voneinander und vom Festland. Sie dringt zudem, Lagunen bildend, weit in die Landschaft der Hauptinsel ein und bestimmt deren Struktur. Die Lagunen heißen Bodden. Das größte dieser Gewässer ist der Greifswalder Bodden, der Rügen im Südosten vom Festland trennt und dessen nördlicher Teil mit der Insel Vilm auch als Rügischer Bodden bezeichnet wird. Der Strelasund verbindet ihn mit dem Kubitzer Bodden im Westen, der seinen Namen einem der ehemaligen rügischen Fährorte verdankt. An den Kubitzer schließen sich im Norden zunächst der Schaproder und dann der Vitter Bodden an. Sie sind ebenfalls nach alten Fährorten Rügens bzw. Hiddensees benannt, die es als solche noch immer gibt. Zu dieser Außenboddenkette, die Hiddensee von Ummanz und Rügen trennt, gehört auch der kleine Varbelvitzer Bodden zwischen Ummanz und Rügen. Mit Rügen ist Ummanz seit 1901 durch eine Straßenbrücke verbunden.
Der Rassower Strom verbindet den Vitter Bodden mit der Rügenschen Binnenboddenkette, die zunächst in östlicher und dann in südlicher Richtung verläuft. Wieker, Breetzer, Breeger, Lebbiner sowie Großer und Kleiner Jasmunder Bodden trennen den zentral gelegenen Hauptteil Rügens, der im Volksmund »Muttland« genannt wird, von den beiden großen Halbinseln im Norden bzw. Nordosten: Wittow mit dem Kap Arkona und dem nördlichsten Punkt Rügens (Gellort) sowie Jasmund mit dem Piekberg und dem vom Buchenwald gekrönten aktiven Kreidekliff der Stubnitz. Der 118 m steil über der See aufragende Königsstuhl ist zum bedeutendsten natürlichen und wohl auch bekanntesten Wahrzeichen Rügens geworden. Sein Pendant, der Dronningestolen (Königinnenstuhl) auf Rügens dänischer Schwesterinsel Møn, überragt ihn noch um zehn Meter.
Wittow und Jasmund sowie Jasmund und Muttland sind jeweils durch eine schmale Nehrung (Schaabe bzw. Schmale Heide) verbunden, so dass der Verkehr zwischen Muttland und den beiden Halbinseln seit jeher mit Fähren erfolgte. Die Lietzower Fähre von Jasmund zum Muttland wurde bereits 1869 durch einen Damm mit Brücke ersetzt, der den Kleinen vom Großen Jasmunder Bodden zwar nicht völlig, aber doch erheblich abschottete. Die Wittower Fähre wird dagegen immer noch betrieben. Das um 1900 erwogene Projekt einer Überbrückung der Landenge und einer damit verbundenen zumindest teilweisen Abschottung des Breetzer, Breeger, Lebbiner und Großen Jasmunder Boddens vom Wieker Bodden ist seinerzeit von Rügens Kreistag abgelehnt worden.
Rügens drittgrößte Halbinsel Mönchgut liegt ganz im Südosten und wird vom Muttland durch Nebengewässer des Greifswalder Boddens (Having, Baaber Bek und Selliner See) weitgehend getrennt. Sie trägt ihren deutschen Namen Mönchgut erst seit dem 14. Jahrhundert, als sie in den Besitz des Zisterzienserklosters Eldena gelangt war. Damals erhielt ein vom Selliner See in Richtung Meeresküste angelegter Wallgraben die Bezeichnung Mönchgraben. Mönchguts Bevölkerung hat auch nach der Aufhebung der Klosterherrschaft noch lange Zeit ein vom übrigen Rügen abgesondertes Leben geführt und viel von ihrer Eigenart bewahrt. Seit 2003 begrüßt dort, wo die heutige Bundesstraße 196 im Ostseebad Baabe den Mönchgraben quert, ein weithin sichtbares „Mönchguttor" die Besucher. Auf Mönchgut befindet sich mit dem Nordperd bzw. Göhrener Höft der östlichste Punkt Rügens.
Zudar heißt die viertgrößte Halbinsel Rügens, die wie Mönchgut nicht zum Muttland zählt. Sie liegt am Übergang des Greifswalder Boddens zum Strelasund, der durch den Palmer Ort markiert wird, der zugleich der südlichste Punkt der gesamten Insel ist. Zwischen Zudar und Festland, d. h. zwischen Glewitz und Stahlbrode, besteht eine der ältesten Fährverbindungen über den Strelasund.
Von weiteren acht Halbinseln gehören fünf zum Muttland, zwei zu Mönchgut und eine zu Wittow. Die zu Wittow gehörige Halbinsel heißt Bug und diente der Kaiserlichen Marine, der Wehrmacht und der Volksmarine der DDR als militärischer Stützpunkt. Zudem befand sich an der Spitze dieser westlichsten Landzunge Rügens seit dem Ende des 17. bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts ein Posthaus mit Schiffsanleger für Fahrzeuge der Seepost. Rügens Westend selbst ist viel weiter südlich auf Muttland zu verorten, und zwar am Gelben Ufer, einem Geschiebelehmkliff unmittelbar westlich von Altefähr. Dieses Dorf verdankt seine Entstehung und seinen deutschen Namen der wohl ältesten und wichtigsten vom Festland ausgehenden Fährverbindung über den Strelasund. Dort hatten sich schon im 12. Jahrhundert Fernhandelsleute etabliert, aus deren Niederlassung Stralsund, die heutige Kreisstadt des Landkreises Vorpommern-Rügen, hervorgegangen ist. Die Hanse- und Weltkulturerbe-Stadt Stralsund ist die viertgrößte Stadt Mecklenburg-Vorpommerns. Sie gilt inoffiziell auch als »Tor zur Insel Rügen«.
Noch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein pendelten zwischen Stralsund und Altefähr Fährboote. Heute fährt noch das Fahrgastschiff »MS Altefähr« als Touristenattraktion, aber für den Straßen- und Bahnverkehr gibt es längst schon feste Strelasundquerungen: seit 1936/37 den Rügendamm für Eisenbahn, Kraftfahrzeuge, Radfahrer und Fußgänger und seit 2007 die weithin sichtbare Rügenbrücke für den Kraftverkehr.
2. Entstehung und Gestaltung der Insellandschaft
Die für Rügen charakteristische Kreide ist in der letzten Periode des Erdmittelalters, der Kreidezeit, entstanden und an die 70 Mio. Jahren alt. Überreste abgestorbener Planktonorganismen (Coccolithen) sowie von Arm- und Kopffüßern (»Donnerkeile«) bildeten auf damaligem Meeresgrund ein ausgedehntes und bis zu 500 m mächtiges Sediment, das später infolge tektonischer Bewegungen in verschiedengroße Schollen zerbrach, die emporgehoben wurden und trocken fielen. Mit vereinzelten Hochlagen wie Jasmund, Arkona und Møn besaß diese kreidezeitliche Landoberfläche ein ausgeprägtes Relief, das im folgenden Eiszeitalter (Pleistozän) den aus dem Norden vordringenden Inlandeis Bewegungsbahnen vorgegeben hat.
Das Eiszeitalter währte insgesamt etwa 300 000–500 000 Jahre. Das Eis schob massenhaft Gesteine mit sich. Sie sind auf ihrem Weg in Stücke gebrochen, wurden glatt und rund geschliffen oder zermahlen. Dieser Geschiebemergel blieb, wenn das Eis wegtaute, als Ablagerung auf der kreidezeitlichen Landoberfläche zurück. Immer wenn erneute Gletschervorstöße erfolgten, wurde der Geschiebemergel wiederum abgetragen, mitbewegt und mit weiterem Gesteinsschutt angereichert. Das Sediment erlangte auf diese Weise bei erheblichen örtlichen Unterschieden eine mittlere Mächtigkeit von 50 m. Da das Sediment die Kreide überlagert, findet diese sich im Norden Hiddensees erst in einer Tiefe von 50 m unter NN.
Als das nordische Inlandeis das Gebiet der späteren Insellandschaft vor etwa 13 000 Jahren endgültig freigab, hinterließ es mit Lehm und Sand vor allem auch Steine, darunter riesige Brocken. Steine mit einem Volumen von über 1 m³ heißen Findlinge. Der mit Abstand größte bisher in Norddeutschland ausgemachte Findling liegt 350 m nördlich vom Nordperd in der Ostsee. Hier ragt er bei einer Meerestiefe von 6 m noch 1,5 m aus dem Wasser. Dieser »Buskam« hat nach jüngster Vermessung eine Masse von 550 t und ein Volumen von 206 m³. Wie die meisten Findlinge ist dieser Bornholmer Granitbrocken vom Eis nur über eine relativ kurze Strecke transportiert worden (ca. 150 km). Mindestens 100 km mehr dürfte der aus Karlshamn-Granit bestehende viertgrößte Findling Rügens zurückgelegt haben, der »Söbenschniedersteen«, der etwa 30 m vor dem Kliff des Gellort am Strand liegt und dort den nördlichsten Punkt Rügens markiert. Er wird auf eine Masse von über 165 t und ein Volumen von über 60 m³ geschätzt.
Den Gletschern des Eiszeitalters verdankt Rügen sein markant gestaltetes Relief. In seiner Bewegung von Nordost nach Südwest wurde das nordische Inlandeis von dem aus wesentlich älterem und festerem Gestein bestehenden Hochgebiet Bornholms und dem steil aufragenden Kreideblock Jasmunds in zwei mächtige Ströme geteilt, den Belt- und den Oder-Eisstrom. Das Relief des zwischen ihnen