Olivengarten: Prosa
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Ulrike Eifler
Ulrike Eifler, Jahrgang 1975, wurde im brandenburgischen Eberswalde geboren. Sie lebt, schreibt und arbeitet heute in Hessen. Sie verfasst überwiegend Lyrik und Prosa und hat damit bereits mehrere kleinere Literaturpreise gewonnen, darunter den Holzhäuser Heckethaler Literaturwettbewerb 2014 sowie den Stockstädter Literaturwettbewerb 2013 und 2014.
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Book preview
Olivengarten - Ulrike Eifler
Inhalt
Die Preisträgerin
Olivengarten
Drei Löffel
Solidarität
Richtig und Falsch
Im Rinnstein
Die Kladde
Alle gemeinsam
Die Preisträgerin
Zögernd nahm Maja den Umschlag aus dem Briefkasten und stieg langsam die Stufen zu ihrer Wohnung empor. Ihre Schritte hallten schwerfällig im Treppenhaus wider. Ungewöhnlich ungelenk stocherte sie den Schlüssel in das Türschloss. Mit einem kaum hörbaren Klicken sprang die Wohnungstür auf. Maja ließ die Tasche fallen und streifte im Gehen die Schuhe von den Füßen. In der Küche kochte sie Kaffee und warf zwischendurch immer wieder einen misstrauischen Blick auf den Umschlag, so als könne sie nicht glauben, dass dieser dort wirklich lag. In filigraner Schnörkelschrift war ihre Adresse auf das blütenweiße Papier gedruckt worden. Als der Kaffee endlich durchgelaufen war, öffnete sie behutsam das Kuvert. Sie genehmigte sich einen großen Schluck, zögerte kurz, faltete das Schreiben schließlich auseinander.
Der nächste Schluck schmeckte bitter. In dem Brief gratulierte ihr der Verlag Durchblick zum erfolgreichen Abschneiden beim diesjährigen Literaturwettbewerb. Aus über dreitausend Zuschriften hatte die von ihr eingereichte Geschichte Abgründe den ersten Platz belegt. Man freue sich, ihr mitteilen zu dürfen, dass sie ein sechsmonatiges Schreibstipendium in einer direkt am Meer gelegenen Zweizimmerwohnung in Zinnowitz auf Usedom gewonnen habe. Sie könne das Stipendium zu einem Zeitpunkt ihrer Wahl antreten. Ihre Geschichte werde zudem in einer erstklassigen Anthologie mit hochklassigem Einband erscheinen. Maja warf einen Blick auf das hochwertige Briefkuvert und stellte sich eine in Leder gebundene und mit goldenen Lettern verzierte Ausgabe vor. Ein Gedanke, der ihr gefiel.
Maja legte den Brief aus der Hand. Die offizielle Preisverleihung sollte in vierzehn Tagen stattfinden. Sie öffnete die Balkontür und atmete tief durch. Kalte Novemberluft flutete den Raum. Dicke Regentropfen platschten gegen das Balkongeländer und flitzten an den gusseisernen Stäben hinunter. Maja wusste nicht, ob sie sich freuen oder ob sie deprimiert seine sollte. Sechs Monate Usedom! Das war ein Traum! Sie sah sich in einer kleinen Wohnung am Schreibtisch sitzen und endlich ihren Erstlingsroman schreiben. Seit Jahren wollte sie darin den arbeitslosen Maurer Kolja Amok laufen lassen. Gegen seinen früheren Chef in der Leiharbeitsfirma, gegen den Sachbearbeiter im Kreisjobcenter und gegen die Tatsache, dass alle seine Kumpel vor der Armut und dem Verfall ihrer mecklenburgischen Heimatstadt in die alten Bundesländer flohen. Die peitschenden Stürme, die aufschäumende Gischt, die laut gegen den Strand krachenden Wellen und ein wolkenverhangener Ostseehimmel wären die perfekte Kulisse für Koljas Wut. Eine Wut, die auch Maja oft spürte. Wenn sie sich morgens um Viertel vor sechs zum Frühdienst ins Seniorenheim schleppte und dann Herrn Brandler eine halbe Stunde später aus dem Bett werfen musste, obwohl sie doch wusste, dass er trotz seiner 89 Jahre gern lange schlief. Oder wenn sie Frau Kubitzke rasch das Frühstückstablett ins Zimmer schob und keine Zeit hatte für die Geschichten, die die alte Dame so spannend zu erzählen vermochte.
Seit dreizehn Jahren arbeitete Maja nun schon in diesem Haus. Sie liebte die alten Menschen. Sie irrten manchmal orientierungslos durch die Gänge, zeigten stolz ganze Fotoreihen ihrer Enkel und Urenkel und wussten mit glänzenden Augen von Zeiten zu berichten, die Maja nur aus dem Geschichtsbuch kannte. Doch immer öfter fragte sie sich, was die Arbeit in der Altenpflege von der Fließbandarbeit an der Supermarktkasse unterschied und was für eine Gesellschaft das war, die so mit ihren greisen Menschen umging. Jetzt hatte Maja die Möglichkeit, für sechs Monate diesem tristen Alltag zu entfliehen. Sechs Monate, in denen sie sich ihre Wut und ihre Verzweiflung von der Seele schreiben konnte. Sechs Monate – sie musste nur noch zugreifen…
Die Kälte riss Maja aus ihren Gedanken. Ihre Socken hatten sich voll Regenwasser gesogen. Sie war durchgefroren, als sie wieder in die Küche trat und die Balkontür hinter sich schloss. Sie streifte die nassen Socken von den Füßen, schüttete den kalten Kaffee ins Spülbecken und ließ Badewasser ein. Maja hatte einen Entschluss gefasst.
Nur zwei