Konflikte bewältigen: Schwierige Situationen aushalten und bewältigen
By Anselm Grün
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Anselm Grün
Anselm Grün, Dr. theol., geb. 1945, Mönch der Benediktinerabtei Münsterschwarzach, geistlicher Begleiter und Kursleiter in Meditation, Fasten, Kontemplation und tiefenpsychologischer Auslegung von Träumen. Seine Bücher zu Spiritualität und Lebenskunst sind weltweite Bestseller – in über 30 Sprachen.Sein einfach-leben-Brief begeistert monatlich zahlreiche Leser (www.einfachlebenbrief.de).
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Book preview
Konflikte bewältigen - Anselm Grün
Anselm Grün
Konflikte bewältigen
Schwierige Situationen aushalten und lösen
KREUZImpressum
© Kreuz Verlag
in der Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2013
Alle Rechte vorbehalten
www.kreuz-verlag.de
Umschlaggestaltung: www.vogelsangdesign.de
Umschlagfoto: fotolia.com, © photastik
ISBN (E-Book) 978-3-451-80006-1
ISBN (Buch) 978-3-451-61241-1
Inhalt
Einleitung
Alltägliche Formen der Vermeidung – oder: Sieben Strategien der Konfliktverdrängung
Zeichen des Lebens – oder: Die Bedeutung von Konflikten aus psychologischer Sicht
Eine alte Tradition des Umgangs mit Konflikten – oder: Der benediktinische Impuls
Kain und Abel – oder: Die zerstörerische Konsequenz von Neid und Gewalt
Josef und seine Brüder – oder: Die destruktive Macht der Eifersucht
Mose und das Volk – oder: Der ungelöste Rollenkonflikt
Abraham und Lot – oder: Die konfliktbeladene Nähe
David und Saul – oder: Der Rivalitätskonflikt
Petrus und Paulus – oder: Der Konflikt unterschiedlicher Charaktere
Jesu Umgang mit Konflikten – oder: Wie Konflikte auf gute Weise gelöst werden
Worte zur kreativen Konfliktlösung – oder: Wie wir im Geist Jesu mit Spannungen umgehen können
Versöhnungsrituale
Schluss
Einleitung
Es gibt kein Leben ohne Konflikte. Jeder erlebt sie in seiner persönlichen Entwicklung: Krisen, schwierige und spannungsgeladene Situationen, die er für sich bewältigen oder zusammen mit anderen lösen muss. Solche Konflikte entstehen in jedem Miteinander. Dass unterschiedliche Werte, verschiedene Zielvorstellungen oder Interessen aufeinandertreffen, das ist ja keineswegs ein Kennzeichen eines schlechten Miteinanders von Personen oder auch Gruppen. Die so entstandenen Konflikte und Auseinandersetzungen können im Gegenteil gerade anzeigen, dass diese Menschen füreinander und aneinander Interesse haben. Sie können also gerade Ausdruck eines lebendigen Miteinanders sein. Gerade weil sie miteinander leben wollen, sind Menschen bereit, miteinander zu streiten, Konflikte auszuhalten und sie zu lösen. Täten sie das nicht, wäre es eher ein Zeichen von Interesselosigkeit und Gleichgültigkeit einander gegenüber. Es gibt manche Idealisten, die glauben, es dürfe bei Menschen, die gemeinsame Werte teilen oder die eine grundsätzlich ähnliche Orientierung haben – religiös oder politisch –, überhaupt keine Konflikte geben. Doch das ist eine Illusion. Gerade in einer lebendigen Gemeinschaft gibt es immer Konflikte. Sie haben die Aufgabe, die Gemeinschaft voranzubringen und neue Entwicklungen zu fördern sowie die Beziehungen zu klären.
In Gesprächen höre ich immer wieder, dass Menschen sich schwertun mit Konflikten. Das Wort Konflikt ist für sie angstbesetzt. Häufig erinnert sie ein Konflikt an die Situation in der Familie, in der sehr oft gestritten wurde. Und dann löst der gegenwärtige Streit die Angst aus, einem würde der tragende Boden unter den Füßen weggezogen. Andere tun sich schwer mit Konflikten, weil in ihrer Familie nie offen gestritten wurde, sondern alles harmonisiert wurde. Konflikte rauben solchen Menschen die Energie. Sie möchten sie am liebsten leugnen. Aber Konflikte lassen sich nicht leugnen. Sonst wird »irgendein Organ, eine Funktion des Körpers, sei es Magen oder Herz oder Blutdruck, es büßen und die Spannung austragen müssen« (Wachinger 28).
Das Wort »Konflikt« stammt vom lateinischen confligere (»zusammenstoßen, zusammenprallen«). Wenn Menschen miteinander zusammenstoßen, dann entsteht Energie. Konflikte sind also immer ein Zeichen, dass Kraft im Spiel ist. Und sie wollen uns in unserer Kraft nicht lähmen. Durch den Zusammenstoß könnte vielmehr neue Energie entstehen. Daher ist es wichtig, dass wir solche Auseinandersetzungen nicht von vornherein bewerten, also nicht irgendwelche Schuldigen für den Konflikt suchen. Vielmehr sollten wir ihn nüchtern betrachten und uns fragen: Welches Energiepotential möchte dadurch frei werden? Welche Chance steckt darin? Der Konflikt zeigt ja offensichtlich an, dass die bisherigen Lösungen nicht alle Beteiligten befriedigen.
Manchmal treten die Konflikte durch neue Ereignisse auf, die bei der alten Problemlösung nicht bedacht worden sind. Manchmal tauchen auch Beziehungsprobleme auf, weil womöglich Rivalitätskämpfe bei der gemeinsamen Arbeit unterdrückt worden sind, die irgendwann doch an die Oberfläche kommen und dann das Miteinander blockieren. Es kommt auch immer wieder vor, dass die Beziehungen durch persönliche Verletzungen getrübt sind oder dass einfach durch neue Mitarbeiter das Gleichgewicht, das bisher in der Gruppe herrschte, gestört worden ist.
Es gibt inzwischen viele Bücher über das Lösen von Konflikten. Sie alle geben uns wertvolle Hinweise, wie wir mit Auseinandersetzungen umgehen können. Ich möchte in diesem Buch jedoch von der Bibel ausgehen und von dort her Strategien der Konfliktlösung bedenken. Die Erkenntnisse der Psychologie und Konfliktforschung begleiten mich dabei und helfen mir, in den biblischen Texten konkrete Wege zu erkennen, wie wir heute mit den Konflikten umgehen können, die uns treffen. Damit ist kein Allheilmittel angegeben. Denn es gibt in der Bibel beides: Beispiele für eine gute Lösung des Konflikts, aber auch Beispiele, wo die Lösung nicht gelingt.
Die biblischen Konfliktgeschichten sind archetypische Geschichten. Sie erzählen nicht nur von der Vergangenheit. Sie sind vielmehr allgemeine Bilder geworden, die heute genauso aktuell sind wie damals. Bilder sind wie Fenster, durch die wir schauen, um etwa die Schönheit der Landschaft zu erblicken. Bilder bieten uns Perspektiven an, wie wir die Wirklichkeit anschauen. Die biblischen Bilder zeigen uns die archetypischen Strukturen auch heutiger Konflikte. Alle Konflikte haben bestimmte Muster. Diese Muster begegnen uns schon in diesen alten Texten. Es kommt nur darauf an, sie auf unsere heutige Realität hin auszulegen. Dabei sind mir drei Lebensbereiche besonders wichtig: Konflikte in der Familie und in der Partnerschaft, Konflikte in der Arbeitswelt und Konflikte in christlichen Gemeinden und Gemeinschaften.
Doch zuvor möchte ich noch kurz einige psychologische Einsichten zum Konflikt und seiner Lösung sowie einige Erfahrungen der benediktinischen Tradition mit Konflikten beschreiben. Und bevor ich die Möglichkeiten beschreibe, wie Konflikte gelöst werden können, möchte ich auf typische und immer wiederkehrende Formen der Vermeidung einer Konfliktbearbeitung schauen, wie sie nicht nur in kirchlichen und frommen Kreisen, sondern auch in Firmen und Vereinen und auch in Familien und in der Partnerschaft immer wieder vorkommen. Konflikte wahrzunehmen und sich um ihre Lösung aktiv zu kümmern ist etwas anderes, als sie zu verdrängen. Es ist auch etwas anderes als eine Haltung, die einen Konflikt auf jeden Fall vermeiden will und ihn deswegen möglicherweise gar nicht wahrnimmt – nach dem Motto, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Es gibt immer wiederkehrende Muster eines solchen Umgangs mit bestehenden Konflikten, den man nicht wirklich als lösungsorientiert ansehen kann. Sie sollen im Folgenden typologisch kurz dargestellt werden.
Alltägliche Formen der Vermeidung – oder: Sieben Strategien der Konfliktverdrängung
Idealisierung von Harmonie und Geschlossenheit
Nicht nur im kleinen Bereich, etwa in der Familie oder der Partnerschaft, werden Konflikte oft lieber vermieden als offen angesprochen. Die Gründe der Konfliktvermeidung sind verschieden. So führt eine Idealisierung von Harmonie und Geschlossenheit sehr häufig dazu, dass man Konflikte nicht wahrnimmt oder sie verdrängt. Wenn wir hohe Ideale von unserer Gemeinschaft haben, dann stellen die Konflikte unsere Ideale in Frage. Oft erleben wir sie als etwas, das nicht sein dürfte. Wir appellieren an den guten Willen, nach dem Motto: Wenn wir einander lieben würden, dann hätten wir keine Konflikte. Doch solche moralisierenden Appelle helfen im Konflikt nicht weiter. Wir sollen vielmehr mit verschiedenen Interessen und mit Spannungen, die sich aus einem unterschiedlichen Blick ergeben, rechnen und uns nicht hinter unseren Idealen verstecken und die Schuld anderen in die Schuhe schieben. Es geht darum, die Konflikte einfach anzuschauen und darin immer auch eine Chance zu sehen, gemeinsam zu wachsen, gemeinsam nach neuen Lösungen Ausschau zu halten oder etwas zu klären, was in der Gruppe unter der Oberfläche brodelte, aber lange Zeit verdrängt wurde. Wenn ein Konflikt auftaucht, dann können die sich unter der Oberfläche regenden Strebungen nicht mehr übersehen werden. Wir müssen uns der Wahrheit stellen. Das macht demütig. Doch häufig verleugnet man gerade auch in religiösen Kreisen die Konflikte. Die am folgenden Beispiel sichtbaren Mechanismen sind durchaus auch auf andere Kreise übertragbar: Ein Mitarbeiter fühlt sich ungerecht behandelt. Die anderen werden bevorzugt. Er geht zum Vorsteher der Gemeinde und spricht seine Unzufriedenheit mit dieser Ungleichbehandlung offen an. Doch der Vorsteher leugnet den Konflikt mit der Behauptung, das sei nur Einbildung, denn er behandle doch alle gleich. Doch solche Leugnung verstärkt den Konflikt mit dem Mitarbeiter noch mehr. »Der Mitarbeiter ist unzufrieden; er ist nicht nur seinem Vorgesetzten gegenüber in der schwächeren Position, er war ihm vielleicht auch rhetorisch unterlegen und konnte nicht richtig erklären, was er meinte. Zu seinem ungelösten Problem kommt der Ärger hinzu, im Gespräch ›verloren‹ zu haben. Für diesen Mitarbeiter geht der Konflikt weiter« (Kellner 12).
Was für größere Gruppen gilt, gilt oft auch im Kleinen, in der Familie oder in Partnerbeziehungen. Da herrscht oft die Angst, was die anderen sagen könnten, wenn man in der Familie miteinander streitet. Oder die Ehepartner haben Angst, dass die Kinder an ihrem Konflikt leiden könnten. Doch die Kinder spüren auch den nicht ausgetragenen und ungelösten Konflikt. Andere haben Angst, dass der Konflikt sie auseinandertreibt. Lieber leben sie unter dem Schein der Harmonie, als sich den tieferen Konflikten zu stellen. Und manche haben Angst, sich der eigenen Wahrheit zu stellen, vor sich selbst einzugestehen, dass die Ehe nicht so ideal ist. Man braucht vor dem eigenen Gewissen das Bild der idealen Ehe, um daran festzuhalten. Wenn man sich die Konflikte eingestehen würde, hätte man Angst, dass dieses hochgehaltene Ideal wie ein Kartenhaus zusammenfällt.
Eine Vermeidung von Konflikten um des angeblich höheren Wertes der Geschlossenheit willen geschieht vor allem in geschlossenen Gemeinschaften und in Gemeinschaften, die von hohen Idealen geprägt sind. Konflikte widersprechen dem Ideal, das eine Gemeinschaft nach außen hin gibt. So tun sich vor allem kirchliche Gemeinschaften schwer, die Konflikte offen anzugehen. Ein Beispiel: Da ist etwa die Bischofskonferenz, die bemüht ist, nach außen hin immer den Eindruck der Einheit der Kirche zu vermitteln. Sie möchte mit einer Stimme sprechen. Aber jeder, der etwas Einblick hat in die Mentalität der einzelnen Bischöfe, weiß, wie unterschiedlich die Meinungen auch da sind und welch harte Auseinandersetzungen da oft unter der Oberfläche und hinter den Kulissen ausgefochten werden. Aber man löst den Konflikt oft nicht wirklich. Nach der Konferenz fühlt man sich verpflichtet, mit einer Stimme zu sprechen. Man muss nach außen hin den Eindruck erwecken, als ob alle einmütig im Geiste Jesu das Gleiche denken würden. Doch das wirkt letztlich unglaubwürdig. Ehrlicher wäre es, die Konflikte offen auszutragen und nicht so zu tun, als ob sie am Ende der Konferenz schon alle gelöst wären. Der inzwischen emeritierte Bischof Franz Kamphaus hatte den Mut, sich in der Frage der Schwangerschaftsberatung der Anweisung Roms zu widersetzen, weil er sie nicht mit seinem Gewissen vereinbaren konnte. Letztlich musste er sich dann doch dem Diktat aus Rom beugen. Aber er hat damit klargemacht, dass er nicht einverstanden war. Auch als er nachgab, hat er seine gegenteilige Meinung zur Frage der Schwangerenberatung nicht aufgegeben. Seine Glaubwürdigkeit ist durch den ausgetragenen Konflikt nicht geringer geworden.
Leugnen oder Ausweichen
Konflikte zu leugnen ist eine nicht seltene Methode, ihrer Bearbeitung auszuweichen. Manchmal leugnen beteiligte Personen einfach, dass überhaupt ein Konflikt besteht. Da kommt etwa eine Frau unter hohem Leidensdruck in die Eheberatung, weil sie mit den Konflikten in der Ehe nicht mehr klarkommt. Doch der Ehemann leugnet jeden Konflikt. Es gehe doch alles gut. Die Kinder machen keine großen Schwierigkeiten, das Einkommen ist gesichert, er ist im Beruf erfolgreich, kurz: Er sieht überhaupt keine Probleme. Aber gerade darin liegt ja der Konflikt, dass der Partner