Gott und seine Geschichte: Der Präfekt der Glaubenskongregation über Bibel und Glaube
()
About this ebook
Read more from Gerhard Ludwig Müller
"Ihr sollt ein Segen sein": 12 Briefe über das Priestertum Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDer Papst: Sendung und Auftrag Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsBenedikt & Franziskus: Ihr Dienst in der Nachfolge Petri Rating: 0 out of 5 stars0 ratings
Related to Gott und seine Geschichte
Related ebooks
Was kommt auf uns zu?: Biblische Zukunftsperspektiven Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsJesus – ein Fremder in seiner Zeit Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsJesus von Nazaret: Jude aus Galiläa – Retter der Welt Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsThomas von Kempen: Nachfolge Christi. Textauswahl und Kommentar von Gerhard Wehr Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie letzte Reformation (überarbeitete Neuausgabe 2020): Zurück zum neutestamentlichen Jüngerschaftsmodell Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie Bergpredigt aus jüdischer Sicht: Was Juden und Christen gemeinsam von Jesus lernen können Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie Bibel: Wahrheit oder Legende? Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsZeitGeist?!: Heutige Lebenswelten als heilsame Provokation für Theologie und Kirche Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsJesus in Neuem Licht: Mit einem ausführlichen Kapitel über das Turiner Grabtuch Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsKeine Religion ist eine Insel: Vordenker des interreligiösen Dialogs Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsReligionskritische Schriften: Kompendium früherer Werke Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsKirchengeschichte Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsEr lebte mitten unter uns: Jesus-Geschichten für Lesende und Hörende heute Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsUnd Gott chillte. Die Bibel in Kurznachrichten: Bibeltexte als Tweets: knackig und auf den Punkt! Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsBin ich noch Christ?: Gedanken zur Situation des Christentums Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsJungfrauengeburt?: Die Geschichte von Maria und ihrem Sohn Jesus Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDer andere Jesus: Der Nichtgottessohn, der nicht für unsere Sünden starb Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsFür unsere Sünden gestorben?: Ein Beitrag zur aktuellen Diskussion Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsD' Bibel op Lëtzebuergesch - D' Evangelium nom Johannes Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsZu Bethlehem geboren?: Das Jesus-Buch Benedikts XVI. und die Wissenschaft Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsRoute 66 - Quer durch die Bibel: Eine Tour durch die 66 Bücher der Bibel (Neues Testament) Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsGoldadern der Bibel: Von der bleibenden Bedeutung des Alten Testaments Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsJesus von Nazaret - was er wollte, wer er war Rating: 4 out of 5 stars4/5Stille und Mitgefühl: Gott und den Menschen finden Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsGott in mir: Geist, der Leben weckt Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsGenesis, Schöpfung und Evolution.: Beiträge zur Auslegung und Bedeutung des ersten Buchs der Bibel Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsNeukirchener Bibel - Das Alte Testament: neu erzählt und kommentiert Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsNicolaus Cusanus: Textauswahl und Kommentar von Gerhard Wehr Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsKaffeepausen mit dem Papst: Meine Begegnungen mit Franziskus Rating: 0 out of 5 stars0 ratings
Christianity For You
Heilsame Worte: Gebete für ein ganzes Leben Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsStephen Hawking, das Universum und Gott Rating: 4 out of 5 stars4/5Die Bibel: Revidierte Einheitsübersetzung 2017. Gesamtausgabe. Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsVon der Freiheit eines Christenmenschen: Einer der bedeutendsten Schriften zur Reformationszeit Rating: 4 out of 5 stars4/5Der Heilige Gral und Sexualmagie: Die Geheimlehre des Gral Rating: 5 out of 5 stars5/5Die Kinderbibel Rating: 4 out of 5 stars4/5Pardon, ich bin Christ: Neu übersetzt zum 50. Todestag von C. S. Lewis Rating: 5 out of 5 stars5/5Das Buch Henoch (Die älteste apokalyptische Schrift): Äthiopischer Text Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsGott macht glücklich: und andere fromme Lügen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsNachfolge Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsLeben in der Nachfolge: Texte von Dietrich Bonhoeffer Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsEffektives Bibelstudium: Die Bibel verstehen und auslegen Rating: 3 out of 5 stars3/5Das Gespräch mit Gott: Beten mit den Psalmen Rating: 3 out of 5 stars3/5Schön, dass du da bist: Im Kindergarten durchs Kirchenjahr Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsCompendium Wortschatz Deutsch-Deutsch, erweiterte Neuausgabe: 2. erweiterte Neuausgabe Rating: 3 out of 5 stars3/5glauben-hoffen-singen: Liederbuch der Freikirche der S.-T.-Adventisten Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsBerufung: Eine neue Sicht für unsere Arbeit Rating: 4 out of 5 stars4/5BasisBibel. Die Kompakte. eBook: Die Bibel lesen wie einen Roman. Rating: 2 out of 5 stars2/5Die Psalmen: Das Gebetbuch der Bibel Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsGemeinsames Leben Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDer Fall Jesus: Ein Journalist auf der Suche nach der Wahrheit. Rating: 4 out of 5 stars4/5Wie die Bibel zum Genuss und Gewinn wird Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDer Schlunz Rating: 5 out of 5 stars5/5Gestalten des Bösen: Der Teufel – ein theologisches Relikt Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsSchreiben ist Gold: Eine Einladung zu Kreativität und Achtsamkeit Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsNein sagen ohne Schuldgefühle: Gesunde Grenzen setzen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDer geheimnisvolle Raum: 7 Live Escape Games zur Bibel Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDer zugewandte Jesus: Unerwartete Antworten auf die großen Fragen des Lebens Rating: 4 out of 5 stars4/5Elberfelder Bibel - Altes und Neues Testament: Revision 2006 (Textstand 26) Rating: 4 out of 5 stars4/5Luther: Der Mann, der Gott neu entdeckte Rating: 0 out of 5 stars0 ratings
Reviews for Gott und seine Geschichte
0 ratings0 reviews
Book preview
Gott und seine Geschichte - Gerhard Ludwig Müller
Gerhard Ludwig Müller
Gott und seine Geschichte
Der Präfekt der Glaubenskongregation über Bibel und Glaube
Ein Gespräch mit Johannes Marten und Philipp v. Studnitz
Impressum
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2005 / 2012
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Umschlaggestaltung: Verlag Herder
Umschlagmotiv: © KN
A-Bild
Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH,
KN digital – die digitale Verlagsauslieferung, Stuttgart
ISBN (
E-Book
): 978 - 3 - 451 - 34619 - 4
ISBN (Buch): 978 - 3 - 451 - 32594 - 6
Inhaltsübersicht
Vorwort
Der Gott des Bundes mit Israel
Das Alte Testament und seine Entstehung
Die Schöpfungsgeschichte und ihre Autoren
„Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde …"
Das Paradies und die Erschaffung des Menschen aus Ackerboden
„Eine Hilfe, die ihm entspricht …"
Der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntnis
Der Fall des Menschen und das Böse
Noah und die Sintflut
Der Bund Gottes mit Israel
Nach der Sintflut
Der Urvater Abraham und das auserwählte Volk
Die Opferung Isaaks
Die Berufung Moses
Der brennende Dornbusch – Gott offenbart sich
Die Zehn Gebote
Der Gott, der sich in Jesus für alle offenbart hat
Reden wir vom selben Gott?
Das Neue Testament und seine Entstehung
Was ist Heilige Schrift – und was nicht?
„Im Anfang war das Wort …"
Die Welt vor Jesus Christus und die Frage nach der Wahrheit
Die Macht, Kinder Gottes zu werden
Weihnachten – Gott wird Mensch
Der Engel des Herrn
Maria und Josef
Die „Heilige Nacht"
Die „Weisen aus dem Morgenland"
König Herodes
Die Flucht nach Ägypten und die Kindheit Jesu
Die Versuchung Jesu und der Teufel
Das erste Auftreten Jesu in Galiläa
Die Bergpredigt
Das Gebot der Nächstenliebe
Das Vaterunser
Die Heilungen Jesu
Wunder, Heilige, Gebete
Menschenschicksal und Gottvertrauen
Die Speisung der Fünftausend
Die Gleichnisse – Rede über das Himmelreich
Das Gleichnis vom königlichen Hochzeitsmahl
Die Reaktion der Zeitgenossen Jesu und der Messias als Mensch
Der Gang Jesu auf dem Wasser
Der Einzug Jesu in Jerusalem
„Hosanna dem Sohn Davids"
Die Vertreibung aus dem Tempel
Die Frage nach der Vollmacht Jesu
Die Ankündigungen von Leiden und Auferstehung
Der Gott der Erlösung der Welt
Jesus soll sterben – Der Beschluss des Hohen Rates
Die Salbung in Betanien
Der Verrat durch Judas
Gründonnerstag – Die Vorbereitung des Paschamahles
Die Ankündigung des Verrates durch Judas
Das letzte Abendmahl und die „Realpräsenz" Christi
Der Gang zum Ölberg und das Versprechen des Petrus
Jesus im Garten Getsemani
Die Gefangennahme
Das Verhör vor dem Hohen Rat
Die Verleugnung Jesu durch Petrus und der Selbstmord des Judas
Pontius Pilatus
Der Kreuzweg
Ostern – Die Auferstehung
Christi Himmelfahrt
Das Pfingstereignis
GERHARD LUDWIG MÜLLER, geboren 1947 in Mainz; Jugendarbeit in der Gemeinde; Philosophie- und Theologiestudium in Mainz, München und Freiburg; 1977 Promotion zum Dr. theol. bei Karl Lehmann; 1978 Priesterweihe; 1985 Habilitation in Dogmatik und ökumenischer Theologie, ebenfalls bei Karl Lehmann; 1986 – 2002 Professor für Dogmatik an der Universität München; zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen, Gastprofessuren in der ganzen Welt, Synodenberater; während der ganzen Studien- und Professorenzeit begleitender Seelsorgedienst in Pfarrgemeinden. 2002 – 2012 Bischof von Regensburg; Vorsitzender der Ökumenekommission der Deutschen Bischofskonferenz; 1998 – 2002 Mitglied der Internationalen Theologischen Kommission; seit 2007 in vier römische Kongregationen und Räte berufen; 2008 Gründung des Institut Papst Benedikt XVI. in Regensburg; Herausgeber der Reihe Joseph Ratzinger Gesammelte Schriften; Honorarprofessor der Universität München, zahlreiche Ehrendoktorate und andere Auszeichnungen.
Am 2. Juli 2012 erhob der Papst Gerhard Ludwig Müller zum Erzbischof und ernannte ihn zum Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre sowie zum Präsidenten der Päpstlichen Bibelkommission, der Internationalen Theologischen Kommission und der Päpstlichen Kommission Ecclesia Dei in Rom.
JOHANNES MARTEN, geboren 1977; Studium der Wirtschaftsgeschichte, Kunstgeschichte und Kirchengeschichte; Journalist, 1997 – 2005 im Axel-Springer-Verlag (u. a. Bild, Bild am Sonntag); heute in der Kommunikationsbranche in Frankfurt am Main und Berlin tätig.
PHILIPP V. STUDNITZ, geboren 1966; M.A. (Amerikanistik und Romanistik); Journalist; 1998 – 2005 im Axel-Springer-Verlag tätig (B.Z., Welt am Sonntag, Bild am Sonntag), 2005 – 2009 Leiter des Kulturressorts bei Park Avenue; seit März 2009 Leitender Redakteur und Gesellschaftskolumnist bei Berlins größter Tageszeitung, der B.Z.
Vorwort
Das Interview mit Erzbischof Gerhard Ludwig Müller über die Bibel, das diesem Buch zugrunde liegt, führten wir im Jahr 2005 im oberbayerischen Benediktinerkloster Ettal. Heute sehen wir mit Freude, dass es uns gelungen ist, ausgerechnet den späteren Präfekten der Glaubenskongregation für ein Gespräch über wichtige Texte des Alten und Neuen Testaments zu gewinnen.
Uns war damals aufgefallen, dass wir aus dem Religionsunterricht in der Schule zwar viele Geschichten aus der Bibel kannten. Unser Wissen darüber, was dort eigentlich gesagt wird und wie wir es zu verstehen hatten, war aber im Grunde rudimentär. Wir wollten deshalb mehr erfahren über die zum Teil rätselhaften, sich scheinbar widersprechenden und für die moderne Welt zunehmend anstößigen Texte, die uns im „Buch der Bücher" begegnen. Also beschlossen wir, unsere Fragen zur Bibel einem wirklichen Experten zu stellen und daraus im Anschluss ein kleines Buch zu machen.
Der damalige Bischof von Regensburg gehörte zu der Zeit vielleicht noch nicht zu den bekanntesten Kirchenführern, aber schon lange zu den anerkanntesten Theologen der Welt. Wir ließen ihm deshalb unsere Idee schriftlich zukommen. Kurze Zeit später saßen wir zu einem „Vorstellungsgespräch in seinem Büro. Er war begeistert davon, mit zwei Laien ein Gespräch über „Gott und seine Geschichte
zu führen.
Knapp zwei Tage dauerte schließlich das Interview in der Stille des Klosters, und der Bischof überraschte uns mit einer klaren Sprache und nicht selten auch heiteren Bemerkungen. Bei allen historischen Einordnungen oder theologischen Erklärungen – immer wieder schlug er auch den Bogen zu unserem Leben heute: Welches Menschenbild wird von den Urvätern in der Bibel entworfen? Um was geht es diesem Jesus von Nazareth wirklich? Was ist die Bestimmung des Menschen in dieser Welt? Und schließlich: Welchen Anspruch stellt das Christentum an uns heute? Die Antwort von Gerhard Ludwig Müller, so viel sei vorweggenommen, ist unmissverständlich: Es ist ein Anspruch, der ungeheuerlich ist, der uns jeden Tag neu herausfordert, ja herausfordern muss – egal ob als Laien oder als Bischof.
Gerhard Ludwig Müller gehört zu jenen Persönlichkeiten, über die nur allzu gern Klischees verbreitet werden. Der moderne Mainstream braucht diese Klischees offenbar, um unbequeme Meinungen an den vermeintlichen Rand der Gesellschaft zu drängen. Müller hat sich darum nie sonderlich gekümmert, weder inner- noch außerhalb der Kirche. Mit ihm steht erneut ein brillanter Theologe an der Spitze der Glaubenskongregation, ein Mann, der in den kommenden Jahren mit seinem wachen Blick auf die Welt und auf die Kirche noch viele Menschen überraschen dürfte. Denn er hat die seltene Gabe, eine Brücke zu schlagen zwischen der Heiligen Schrift und dem konkreten Leben der Menschen im 21. Jahrhundert. Sollte dies auch in diesem Buch an der einen oder anderen Stelle gelungen sein, hat es seinen Zweck bereits erfüllt.
Berlin, im Juli 2012
Johannes Marten und Philipp v. Studnitz
DER GOTT DES BUNDES MIT ISRAEL
Das Alte Testament und seine Entstehung
Herr Bischof, das Alte Testament ist für viele Menschen ein „Buch mit sieben Siegeln", was mit Sicherheit auch an seinem ungeheuren Umfang liegt. Es besteht aus 46 Büchern ganz unterschiedlicher Art und unterschiedlicher Länge. Über welchen Zeitraum sind diese Texte entstanden?
Ungefähr über einen Zeitraum von 1000 Jahren. Vor ca. 3000 Jahren wurden die ersten Texte geschrieben, vor ca. 2000 Jahren die letzten. Wenn man das Neue Testament einbezieht, geht man davon aus, dass unsere Bibel über einen Zeitraum von 1000 bis 1100 Jahren entstanden ist.
Welche Schriften sind die ältesten?
Das kann man nicht so direkt sagen, weil ja diesen Büchern schriftliche Überlieferungen und Einzelquellen sowie mündliche Traditionen vorausgegangen sind. Es ist der Pentateuch, der die ursprünglichste Überlieferung Israels repräsentiert. Das heißt übersetzt „Fünfrollen-Behälter. Es sind die ersten fünf Bücher der Heiligen Schrift: Genesis, Exodus, Levitikus, Numeri und Deuteronomium. In der Lutherübersetzung heißen sie Erstes bis Fünftes Buch Mose. In seiner Gesamtheit heißt der Pentateuch bei den Juden „Tora
. Oft wird dieser Begriff mit „Gesetz übersetzt. Dies scheint etwas unpersönlich und allgemein. Vielleicht trifft man mit „Lehre
oder „Unterweisung" die Sache besser. Schließlich geht es ja um eine persönliche und offenbarende Begegnung mit Gott.
Nun sind diese Bücher ja weitgehend unabhängig voneinander entstanden. Wann sind sie zum Alten Testament der Bibel zusammengefasst worden?
Das ist auch schrittweise entstanden. Zunächst einmal gab es die Bücher Mose, den Pentateuch. Dann kamen die Schriften der Propheten. Sie haben sich in der Überlieferung Israels so herauskristallisiert, dass sie zur Grundlage des dortigen Tempelgottesdienstes bzw. des Synagogengottesdienstes geworden sind. Man kennt sie im Judentum natürlich nicht als „Altes Testament, sondern als die „Heilige Schrift
. Sie umfasst die Gesetzesbücher, die Schriften der Propheten und die Weisheitsbücher, die später noch hinzugekommen sind. Aus kirchlicher Sicht ist damit der Abschluss der Kanonbildung im Alten Testament erreicht. Die 27 Schriften, die sich um das Leben Jesu gruppieren, werden dann als Neues Testament bezeichnet. Die Schriften des Alten und des Neuen Testaments zusammen bilden die Bibel der Christen.
Aus jüdischer Sicht gab es aber noch keinen Abschluss der Kanonbildung. Erst eine Synode, eine Zusammenkunft jüdischer Gelehrter in Jamnia, hat um 100 nach Christus einen Kanon, das heißt eine abgeschlossene Gruppe von Büchern, festgelegt und gesagt: Das ist unsere Hebräische Bibel.
Was wissen wir über die Autoren?
Es war natürlich kein einzelner Autor, der von der ersten bis zur letzten Seite ein Buch geschrieben hat. Alle Texte fußen auf mündlichen Überlieferungen, Gebets- und Glaubensüberlieferungen, die nach und nach aufgeschrieben worden sind. Verschiedene schriftliche und mündliche Traditionen wurden auch kombiniert. Redigiert und zu festen Büchern zusammengefasst wurden sie erst ab dem 5. Jahrhundert vor Christus.
Gab es Hauptautoren?
Auch das kann man schwer feststellen. Aber man kann vielleicht sagen, dass es gewisse Traditionsstränge gibt, die als jahwistischer Bericht oder Priesterschrift oder Deuteronomium bezeichnet werden. Da sind bestimmte Autoren dahintergestanden, deren „Handschrift" in die endgültige Textgestalt eingeflossen ist. Bei den späteren Büchern des Alten Testaments kann man schon eher einen bestimmten Autor angeben, etwa einen Propheten, der selber eine Textgrundlage geschaffen hat, die vielleicht von Schülern noch ausgearbeitet oder ergänzt wurde.
Entscheidend ist, dass die Schrift die gesamte Glaubensüberlieferung des Gottesvolkes widerspiegelt. Die einzelnen Autoren haben sich nicht als eigentliche Urheber verstanden, sondern nur als Zeugen und Tradenten einer Glaubensüberlieferung, die im Schoß Israels, in der Gesamtheit des glaubenden Gottesvolkes gegeben war.
Gab es das Glaubensvolk auch als Leser, so wie wir heute hin und wieder in der Bibel lesen, oder waren es nur Priester, die die Schrift gelesen haben?
Das Glaubensvolk hat schon gelesen und vor allem gehört. Man kann sich das natürlich nicht so vorstellen, dass der Einzelne die Schriften nach Hause nimmt, in sein Regal stellt und bei Bedarf herausholt. Die Tora-Rollen wurden vor allem im Gottesdienst vorgelesen. Ihr eigentlicher Ort ist im Tempel, in der Liturgie, in der Wortverkündigung.
Bei Katholiken und Protestanten gibt es im Gottesdienst meist eine Lesung aus dem Alten und dem Neuen Testament und dann einen bestimmten Text aus einem Evangelium. Gab es solche Schwerpunkttexte auch im jüdischen Gottesdienst?
Es wurden immer wieder „Perikopen vorgelesen, also einzelne Abschnitte aus der Heiligen Schrift. Wir kennen das ja auch von unseren Gottesdiensten, in denen bestimmte Textstellen als Lesung und Evangelium vorgetragen werden. Sie wurden zur Grundlage der Predigt gemacht, so wie wir es auch heute aus unserem Gottesdienst kennen. Als Jesus in die Synagoge von Nazareth geht, entfaltet er die Rolle, liest ein Stück aus dem Buch Jesaja vor und sagt: „Heute ist dieses Schriftwort in Erfüllung gegangen
(Lukas 4,21). Es sind also ganz bestimmte Perikopen vorgetragen worden, auch zu bestimmten Festen.
Was sind die zentralen Texte für den jüdischen Gottesdienst?
Da muss man von den für die Heilsgeschichte zentralen Ereignissen ausgehen. Das Ursprungserlebnis Israels ist die Befreiung aus der Knechtschaft Ägyptens, der Exodus, was soviel bedeutet wie Auszug. Das ist die entscheidende Heilstat Gottes an seinem Volk. Zum Exodus kommt der Bundesschluss. Wir werden darauf später noch zurückkommen. Darum gruppieren sich alle anderen Texte.
Und die Psalmen?
Die Psalmen sind eigentlich Gebete, Lob- und Klagelieder. Sie spiegeln die ganze Vielfältigkeit des Lebens wider, mit allen Höhen und Tiefen. Das Auf und Ab des Lebens wird in den Psalmen in Bezug gesetzt zu Gott. Sie gehören nicht zu den ganz zentralen Texten für den Gottesdienst. Allerdings spielen sie bis heute für den Glauben von Juden und Christen eine große Rolle. Vor allem bei den Mönchen sind sie fest in der Liturgie verwurzelt und werden zu den Gebetszeiten meist mit gregorianischem Gesang gebetet.
Ist das Alte Testament der Christen identisch mit der Heiligen Schrift der Juden?
Unser Altes Testament entspricht weitgehend der Hebräischen Bibel der Juden. Maßgebend für sie ist, ob diese Bücher in hebräischer Sprache verfasst worden sind. Es gab schon 300 vor Christus viele Diasporagemeinden außerhalb Israels, etwa in Alexandrien, eine große Stadt der Gelehrsamkeit in der Antike, quasi das Oxford oder Harvard der damaligen Zeit. Dort war eine große jüdische Gemeinde, die das Alte Testament bereits ins Griechische übersetzt hat. So sind dort auch neue Schriften in griechischer Sprache verfasst worden, die von der Kirche auch der Offenbarung zugerechnet werden. Die Juden dagegen haben später auf der Synode von Jamnia bestimmte griechisch verfasste Bücher aus der Bibel ausgeschlossen, auch in Abgrenzung gegenüber den Christen. Die Kirche hat dann das griechisch verfasste Alte Testament angenommen und gesagt: Das gehört authentisch zur Bibel. In diesem Alten Testament sind die ursprünglich hebräischen Texte enthalten sowie die original griechisch verfassten