Wie wir uns vom positiven Denken heilen: Über die Freiheit, alles fühlen zu dürfen
By Mike Hellwig
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Wie wir uns vom positiven Denken heilen - Mike Hellwig
Mike Hellwig
Wie wir uns vom positiven Denken heilen
Über die Freiheit, alles fühlen zu dürfen
Impressum
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2012
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Umschlagkonzeption: Agentur R•M•E Eschlbeck
Umschlaggestaltung: Verlag Herder
Umschlagmotiv: © Iakov Kalinin – Fotolia.com
ISBN (
E-Book
): 978 - 3 - 451 - 34610 - 1
ISBN (Buch): 978 - 3 - 451 - 06429 - 6
Inhaltsübersicht
Einleitung
Teil I: Die Entlarvung des Positiven Denkens
Kapitel 1: Der Kontrakt mit dem Teufel
Angst vermeiden
Das Spalier
Aladins Lampengeist
Kapitel 2: Das gehorsamkeitsfanatische Universum
Eifersucht und Positives Denken
Ausflug in die Quantenphysik
Was wir glauben, das ist
»Quanten-Umgang« mit Eifersucht
Schwarze Magie
Und unser Partner?
Mächtig und einsam
Verletzlichkeit zeigen
Die Partner begegnen einander
Kapitel 3: Die Empörung
Abbildung 1: Schema des Positiven Denkens
Vor der Gegenwart fliehen
Auge um Auge
Sophismus
Die Frustration
Der Hass
Nach dem Trauma
Kapitel 4: Der Wettkampf um das beste Gefühl
Der Terminator ist das Idol
Die Machbarkeitsutopie der USA
Widerstand ist zwecklos
Die Essenz des Positiven Denkens
Kapitel 5: Die Kette der Gewalt
Der Schmerz steht hinter allem
Stopp sagen und aufgeben
Ahab
Geleugneter Schmerz wird Hass
Hitler
Auch die Juden finden keine Ruhe
Opfer werden Täter
Unerträgliche Verhöhnung
Wirklichen Frieden stiften
Zuhören
Werde das mal schnell wieder los
Kapitel 6: Mit mir hört es auf
Es ist nie genug!
Deutsche Erziehung
Bedingungslose Liebe
Drohungen, Strafen, Verbote
Das Modell der Abspaltung
Wahrhaftig unseren Kindern gegenübertreten
Die Kette der Gewalt anhalten
Ein persönliches Bekenntnis
Das Kind erkennen
Mit mir hört es auf!
Ganze Dörfer flohen vor ihm
Kapitel 7: Die Tafel ist voll
Der Grashalm und sein Schicksal
Keine halben Gesetze
Reinkarnation
Reisende im Strom
Weisheit und Ohnmacht
Kapitel 8: Nichts als hohler Schein
Schwarzenegger
Reichtum, Macht, Berühmtheit
Scheinwerte
Sich der Herkunft stellen
Sicher ist nur der Tod
Fühlen gibt Sicherheit
Die Angst
Der innere Terminator
Krankheit ist keine Schande
Du bist, was du bist
Teil II: Die Erlaubnis, alles fühlen zu dürfen
Kapitel 9: Wir haben keine Verantwortung für unsere Gefühle
Des Pudels Kern
Hingabe an das, was ist
Der heiße Draht zum Universum
Der Hydra-Effekt
Alarmstufe Rot
Wir fühlen, was wir fühlen
Gott sitzt in unserem Bauch
Die Wächter
Kapitel 10: Die Illusion vom einfachen Leben
Wir sind zwei, mindestens
Identifizierung
Dem Schatten begegnen
Der Glaube, es müsse einfacher werden
Es gibt nichts zu bereuen
Kapitel 11: Wir sind ein Gasthaus
Nur du!
Keine Mühsal und Plage
Ist dieses Gasthaus ein Irrenhaus?
Kapitel 12: Das, was in uns heil ist
Bewusste Schizophrenie
Der Gastgeber
Wir alle haben ihn
Immer im Jetzt
Kapitel 13: Die revolutionäre Pause
Den Brummkreisel unterbrechen
māyā verlassen
Den Gastgeber aktivieren
Die Präsenz des Gastgebers erfahren
Störende Gedanken
Zu einem einzigen Hallo werden
Ins Körperinnere
Der Gast tut den Schritt, nicht wir
Sanft abschließen
Kapitel 14: Die Wächter
Der innere Kritiker
Sieg des inneren Kritikers
Er ist kein Feind
Kein Weg führt an ihm vorbei
Es fühlt sich an wie …
Der innere Rebell
Die Sabotage
Oh, du fette Sau!
Identifizierung erzwingt Polarisierung
Der Gastgeber löst die Polarisierung
Die Chance, ans Licht zu kommen
Kapitel 15: Das Spektakel der Ablenkung
Abbildung 2: Kampf der Wächter
Die Beziehung verändern
Wie Wächter entstehen
Liebeskummer
Die Jagd nach der Droge
Die verbotene Zone
Kapitel 16: Die Gnade der schweren Kindheit
Die trügerische Idylle
Die Angst vor dem Dunkeln
Verlust des Instinkts
Aus eins mach zwei
Verdammnis
Kapitel 17: Die vitale Wut
Die letzte Bastion
Wut nicht fühlen können
Latente Aggression
Kommunizierende Röhre
Abbildung 4: Kommunizierende Röhre
Wir können nicht anders
Kein Wunder
Unterdrückte Wut rächt sich immer
Positive Denker sind eine Last für andere
Wut weist den Weg
Die Aussöhnung
Kapitel 18: Angst, Panik und Schmerz
Wir wollen nur noch fliehen
Panik exakt fühlen
Heilung vom Trauma
Sich der Situation entziehen
Präzise Grenzen
Kapitel 19: Wahrhaftig den Eltern gegenübertreten
Der Ausstieg aus der kindlichen Rolle
Schuldgefühle aushalten
Ich gehe nie wieder weg!
Die Kraft der Anerkennung
Unsere Eltern werden zu normalen Menschen
Das Erbe der Eltern nehmen
Wahlverwandtschaft
Kapitel 20: Das Leben hat etwas mit uns vor
Das Gold der Depression
Der Bestimmung folgen
Mission
Vision
Beglaubigung der Vision
Dieses vage Gefühl
Das, was weg soll
Kapitel 21: Was gefühlt wird, kann sich verändern
Das Licht leuchtet in der Finsternis
Am Limit der Möglichkeiten
karma
Wissen, bevor wir erfahren
Kapitel 22: Wächter sind raffiniert
Offenes Wissen
Simulierter Kontakt
Kapitel 23: Das Echte gewinnt
Vor den Wächtern kapitulieren
Niemand ist edler als unsere Wächter
Beispiel einer Wächter-Begegnung
Alles darf so bleiben, wie es ist
Kapitel 24: Die andere Welt
Heilung vom Positiven Denken
Abbildung 5: Der polare Gegensatz
Den Pol wechseln
Ein Etwas
Hallo sagen
Eine Hand hinlegen
Ich spüre, dort ist etwas in mir
Ich bleibe bei dir!
Vertrauen stellt sich ein
Anhang
Danksagung
Weiterführende Angebote
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Einleitung
Was soll am positiven Denken falsch oder gar unheil sein? Wenn wir positiv denken, fühlen wir uns besser, haben eine attraktive Ausstrahlung und ziehen wie ein Magnet positive Erlebnisse an. Wenn wir zum Beispiel eine Urlaubsreise unternehmen und uns auf diese Zeit freuen, wenn wir uns ausmalen, wie schön es werden wird, dann betreiben wir doch positives Denken, und es fühlt sich gut an. Wenn wir für etwas kämpfen und uns durch die Vorstellung unseres Erfolgs motivieren lassen, dann ist es doch gesund, so eine bejahende Lebenseinstellung zu haben! Warum sollen wir uns davon heilen?
Die Antwort lautet: Wenn Druck im Spiel ist, besteht Heilungsbedarf. Wenn uns unsere positive Lebenseinstellung unter Druck setzt, zeigt das an, dass sie nicht echt ist. Es ist eine Fassade, die wir nur mit Anstrengung aufrechterhalten können. Dahinter lauert die Depression. Depression ist die natürliche Reaktion auf den kollektiven Stress, immer gut drauf sein zu müssen.
Wenn unser positives Denken natürlich wäre, gäbe es nichts zu heilen. Natürliches positives Denken reduziert uns nicht, engt uns nicht ein oder setzt uns gar unter Druck. Ganz einfach deshalb, weil wir uns erlauben, auch gegenteilige Gedanken und Gefühle haben zu dürfen. Wenn wir mit dem, was in uns lebendig ist, in Kontakt sind, dann freuen wir uns in einem Moment, und im nächsten sind wir ängstlich, werden wütend oder fühlen uns verletzt. Unsere Gefühle und Gedanken verändern sich ständig, weil wir leben. Dieses Lebendige in uns ist niemals statisch oder eindimensional. Wenn wir das Beispiel unserer Reise nehmen, so könnten sich im Vorfeld Gefühle der Unruhe oder Panik vor dem Flug melden. Dann könnten wir unserem Mitreisenden sagen: »Ja, ich freue mich auch auf die Reise. Wären wir doch schon im Apartment und lägen auf der Terrasse mit dem herrlichen Blick. Leider gibt es noch diesen verdammten Flug. Wenn ich daran denke, bemerke ich ein flaues Gefühl im Magen. Also: Ich habe Gedanken an die Erholung, dann ist hier oben, in meinem Brustkorb und Gesicht, Freude, und ich habe Gedanken an einen Absturz, dann ist hier unten, tief in meinem Bauch, Angst! Dieses Pendelspiel von Gefühlen erlebe ich gerade, und wo ich das anerkenne, finde ich es spannend, was gerade in mir geschieht!«
Ein solcher Mensch, wie ich ihn hier beschreibe, braucht nicht geheilt zu werden, er ist ja mit sich verbunden. Er denkt, was er denkt, und er fühlt, was er fühlt. Dieser Mensch wohnt in seinem Körper und lebt in der Gegenwart, das heißt, er hat eine Gastgeberschaft entwickelt, die widersprüchliche Gedanken und Gefühle anerkennen kann, ohne eingreifen zu müssen. In dieser Persönlichkeit gibt es die Erlaubnis, dass das Fühlen und Denken sich ständig verändern darf. Die Welt geht für diese Persönlichkeit nicht unter, wenn Angst auftaucht. Stattdessen wird diese Angst im Körper gefühlt; wie sie sich gerade anfühlt und wie sie sich gerade verändert. Diese Persönlichkeit muss sich nicht anstrengen oder kämpfen, um psychisch stabil zu sein, und sie verzichtet darauf, ihre Gefühle in »positiv« oder »negativ« zu unterscheiden. Sie fühlt einfach, was sie fühlt. Einer solchen Persönlichkeit begegnen wir leider selten. Treffen wir aber auf sie, merken wir es daran, dass jeder Druck von uns weicht. Es geht eine Erlaubnis von ihr aus, eine Art Einladung, dass alles, was in uns ist, so da sein darf, wie es gerade ist.
Solange wir noch keine solche Gastgeber-Persönlichkeit entwickelt haben, denken wir positiv oder versuchen es zumindest. Sich auf die Reise zu freuen ist okay, sich vorzustellen, wie man auf der Terrasse den Blick über das Meer genießt, ist okay, aber die Angst vor dem Flug ist nicht okay. Dieses Gefühl ist unangenehm, es verdirbt uns die Vorfreude, es ist negativ und muss weg. Daher sagen wir uns: »Da wird schon nichts passieren! Ist ja lächerlich, sich so zu ängstigen. Sei vernünftig, reiß dich mal zusammen!« Hier ist der Haken, hier erschaffen wir uns einen Feind, der keine Ruhe geben wird. Wir klammern uns an Gefühle, die angenehm sind, und die unangenehmen wollen wir nicht haben. Unsere Technik besteht darin, unsere Gedanken so umzulenken, dass wir angenehme Gefühle bekommen. Durch diesen Eingriff trennen wir uns vom Strom unseres Erlebens ab: Wir verlieren den Kontakt zu unserem Körper und zu unserer Gegenwärtigkeit, stattdessen bewegen wir uns Limbo-artig in einem Zwischenreich: Wir warten darauf, auf dieser Terrasse zu liegen, fixieren uns auf dieses Gefühl, aber alles, was wir bis dahin erleben, müssen wir abblocken. Erst auf der Terrasse können wir die Gegenwart wieder zulassen.
Dieser Umgang mit sich selbst ist weit verbreitet, wir sind darauf konditioniert, positiv denken zu müssen. Diese Unterscheidung in »negativ« und »positiv« ist so selbstverständlich, dass uns gar nicht auffällt, welche Verbote wir uns auferlegen. Es ist eine Verdrängung im großen Stil, und da sie kollektiv betrieben wird, meinen wir, wir tun das Richtige, wenn wir positiv denken. In Wahrheit üben wir an uns selbst Gewalt aus, indem wir unser Innenleben beständig zensieren. Die Folge ist, dass wir nicht mehr wissen, wer wir sind. Je mehr wir versuchen, positiv zu sein, desto anstrengender wird es und desto mehr entfremden wir uns von uns selbst. Es ist kein Wunder, dass wir uns unter dieser aufgesetzten Positivität eine Depression heranzüchten. Auf diesem Weg der Verdrängung können wir bis zum Pol der äußersten Abspaltung voranschreiten, wenn wir beginnen, positives Denken radikal zu betreiben. Seit Jahrhunderten gibt es Bücher, die dazu anleiten, in jüngerer Zeit haben besonders »The Secret« von Rhonda Byrne oder »The Law of Attraction« von Ester und Jerry Hicks eine Renaissance des Positiven Denkens ausgelöst. Diese Bücher weisen uns darauf hin, dass unsere Gedanken Kräfte sind, die aufgrund des Gesetzes der Anziehung (Gleiches zieht Gleiches an) die entsprechenden Ereignisse in unser Leben ziehen. Das bedeutete für uns: Wenn wir erfolgreich und glücklich werden wollen, müssen wir in jedem Moment unsere Gedanken auf Erfolg und Glück ausrichten, dann schickt uns das Gesetz der Anziehung mehr davon. Denken wir aber negativ und greifen nicht ein, wird uns das Gesetz der Anziehung sofort mehr vom Negativen schicken. Jeder negative Gedanke, jedes negative Gefühl ist daher gefährlich, weil wir damit direkt negative Ereignisse anziehen.
Wenn wir auf diese Weise mit dem Positiven Denken und dem Gesetz der Anziehung arbeiten, wird sich der Druck, unter dem wir ohnehin schon stehen, massiv erhöhen. Den Pol der äußersten Abspaltung von uns selbst erreichen wir, wenn wir unsere gesamte Energie nach außen richten und eine Zukunft herbeihalluzinieren, in der all unsere Wünsche erfüllt sein sollen. An diesem Pol haben wir sowohl den Kontakt nach innen, zu unserem Körper, als auch zur Gegenwart vollständig verloren. Das merken wir, wenn wir nach der euphorischen Welle, die der Erstkontakt mit dem Positiven Denken auslösen kann, den Rückschlag erfahren: Wir können die guten Gedanken und Gefühle nicht mehr halten. Wir müssen jetzt positiv denken, weil wir wissen, dass negative Gefühle negative Ereignisse anziehen. Das Gesetz der Anziehung, das uns Macht und Glück verheißt, wird zu unserem Gefängnis.
Während wir die Auseinandersetzung mit dem Positiven Denken unterschätzen – Ach, ich versuche es mal mit Positivem Denken, und wenn es nicht klappt, dann lasse ich es halt wieder –, geraten wir unversehens in ein Drama hinein, das uns vor existenzielle Fragen stellt: Sind unsere Gefühle bloße Anhängsel unserer Gedanken? Können wir mit unserem Denken bestimmen, was wir fühlen? Sind wir selbst daran schuld, wenn wir uns schlecht fühlen? Wenn das so ist, denn tragen wir nicht nur die volle Verantwortung dafür, wie wir uns fühlen, sondern nach dem Gesetz der Anziehung auch dafür, was uns zustößt. Schlimme Ereignisse sind dann direkt darauf zurückzuführen, dass wir falsch gedacht und falsch gefühlt und es damit selbst in unser Leben gezogen haben. Leben wir aber wirklich in einem Universum, das uns gnadenlos zurückgibt, was wir denken? Liegt der Sinn unseres Lebens darin, totale Gedanken- und Gefühlskontrolle zu betreiben?
Wenn das Positive Denken funktionieren würde, müsste die Antwort Ja lauten: Ja, unsere Existenz ist so hohl, dass wir nur richtig denken müssen, dann geht es uns gut; wenn wir falsch denken, dann eben nicht. Das war’s!
Es gibt Leute, die machen jahrelang Therapie, beschäftigen sich mit ihrer Kindheit und den Dynamiken ihrer Familie, bringen gar frühere Inkarnationen