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"Kommst du Freitag?": Mein wunderbares Fernbeziehungsleben
"Kommst du Freitag?": Mein wunderbares Fernbeziehungsleben
"Kommst du Freitag?": Mein wunderbares Fernbeziehungsleben
Ebook173 pages3 hours

"Kommst du Freitag?": Mein wunderbares Fernbeziehungsleben

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About this ebook

Was hat eine Zugverspätung in Hamburg mit dem zerstochenen Reifen am Berliner Ostbahnhof zu tun? Was gibt's da zu heulen, und warum führt all das geradeaus zur Frage nach dem Sinn? Nach dem Sinn, so zu leben, als Paar: du immer hier und er immer da. Woanders, ewig und drei Tage. Nach der Angst davor, dass er fremdgeht. Danach, ob es eine Familienplanung geben wird. Es kann schön sein. Es kann so nerven. Es macht, auch, weise.
LanguageDeutsch
PublisherVerlag Herder
Release dateMar 10, 2011
ISBN9783451336591
"Kommst du Freitag?": Mein wunderbares Fernbeziehungsleben

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    Book preview

    "Kommst du Freitag?" - Dorit Kowitz

    The Cover Image

    Dorit Kowitz

    „Kommst

    du Freitag?"

    Mein wunderbares Fernbeziehungsleben

    © Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2011

    Alle Rechte vorbehalten

    www.herder.de

    Datenkonvertierung eBook: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

    ISBN (E-Book) 978-3-451-33659-1

    ISBN (Buch) 978-3-451-30354-8

    Intro

    Es kann ein Tag im alten Jahrtausend gewesen sein oder schon einer im neuen, das weiß ich nicht mehr genau, nur, dass es ein schöner Tag war, warm und leicht und ausgeschlafen. Es war Sonnabend oder Sonntag, das ist sicher, weil es immer Sonnabend oder Sonntag war, wenn ich so mit Paul in Berlin auf dem Balkon sitzen konnte. Ich hatte mir Süßkirschen an die Ohren gehängt, er an seine frisch gewaschene Socken, was das erste intime Geständnis in diesem schonungslosen Bericht über unser außerordentliches und aufregendes Leben zwischen zwei Städten ist. Ein Leben, wie es jedes sechste Paar in Deutschland irgendwann führt; man braucht sich da nichts einzubilden. Nur, wir haben es zehn Jahre lang ausgehalten.

    Wir machten zu den Kirschen beziehungsweise Socken seriöse Gesichter und erzählten Belangloses. Paul war nun bald 33 oder 34, ich Ende zwanzig, und an den Wochentagen und auch an vielen Wochenenden mussten wir todernste Dinge tun, zum Beispiel Ministerpräsidenten oder Serienmörder fragen, wann sie denn nun endlich aufhören wollten (ich), oder Köche, Kellner, Geschäftsführer und Lieferanten dabei beobachten, dass sie alles so tun, wie man es ihnen vorbestimmt hat, aber sich trotzdem Sorgen machen (er).

    An diesem Tag, in etwa, muss es gewesen sein, dass Paul sagte, wir sollten es mal realistisch sehen: So gut, wie wir zusammenpassten und wie es doch liefe, würden wir wohl das Leben miteinander verbringen.

    Ach, das war mal eine so schöne wie bestürzend aufrichtige Erkenntnis, nach sieben Jahren oder acht! Da lassen sich andere schon wieder scheiden. Aber wir fanden unser Eingeständnis, mit Kirschen und Socken an den Ohren, umwerfend. Von außen betrachtet war es vor allem nicht selbstverständlich. Denn wir hatten in all den Jahren noch nicht einen einzigen Tag zusammengewohnt.

    Zwischen uns und dem Alltag lagen in jener Zeit 194 Kilometer, ohne Stau-Umfahrung. Einige Jahre zuvor waren es 439, von Leipzig nach Hamburg, einige Jahre später noch mal 396, wieder Hamburg, aber mit anderer Adresse und neuer Autobahn, zuletzt 198, wieder Leipzig – Berlin. Allerdings gab es da bereits unser Hideaway in Brandenburg, einen Bauernhof und die dritte Adresse in diesem kilometerfressenden Leben.

    Wir verloren allmählich den Überblick, in welchem Haushalt noch mal genau das Waschmittel alle war. Oder war es Ingwer? Das Salz? Die Zeit?

    Zehn Jahre lang hatten wir uns Woche für Woche auf Achse begeben, nur, um zusammen essen, schlafen und streiten zu können; um Freunde zu sehen oder eben nicht. Oder Eltern, Geschwister, Ausstellungen, Filme, den neuesten vietnamesischen Imbiss oder viereinhalbstündige Theatervorstellungen von Christoph Marthaler. (Ehrlich gesagt, Marthaler-Inszenierungen an der „Volksbühne" hielten wir nur bis zur Pause durch; man verwahrlost schon auch.)

    Fiel das Wochenende aus, sahen wir uns erst das nächste wieder oder das übernächste. Und nach dem Urlaub an der See fuhr der eine nach Leipzig und die andere nach Hamburg, was nicht schön war.

    Es hat genervt, was hat das genervt! Andererseits war es ein großes Glück. Denn ohne die Distanz wären wir mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein Paar geblieben. Und das wäre schade gewesen.

    Absolute Beginner

    Wenn man jung in zwei verschiedene Richtungen geht, ohne einander zu verlassen, hat das Vorteile, die sich zunächst als Nachteil tarnen. So meinen zum Beispiel viele um dich herum, deine Liebe löse sich binnen weniger Monate auf wie eine Sprudeltablette. Das heißt, sie denken das nicht bloß, sie sagen es dir. „Aus den Augen, aus dem Sinn", wurde mir einigermaßen plump in unserer Stammkneipe in Leipzig ins Ohr geraunt, nicht mal leise.

    Paul war 28, ich knapp 24 und eine kleine, blonde, junge Frau ohne sonderliche Angst vorm Leben. So eine wird in der Fremde als potenzielles Wild gewähnt, nicht wehrlos, aber gerade darum zur Jagd geeignet, nicht unbedingt für bessere Männer, aber für andere. Zu schade für einen allein, sozusagen. Besonders Typen, die damals deutlich über vierzig waren, flüsterten mir, dass ich nur noch nicht wüsste, wie schnell das Neue reize. Ich nehme an, sie sprachen über sich.

    Lothar, Thomas und Hubert und wie sie so hießen, hätten mit ihren vergifteten Weissagungen nichts Besseres tun können, um Paul und mich noch mehr zusammenzuschweißen. Denn ist die Entscheidung, die Stadt allein zu verlassen, erst einmal getroffen, weiß man es längst besser. Dein Geliebter lässt dich ziehen und beweist genau damit größtmögliche Zuneigung. Das ist nicht paradox. Das ist anziehend. Er weiß, dass er dich nicht haben kann, ohne deinen Ehrgeiz, deine Lust auf Veränderung, den Drang dich auszuprobieren. Bestenfalls will er dich genau darum haben.

    Es schließt sich nämlich keineswegs aus, eine Frau ihr Ding machen zu lassen und trotzdem ein paar Tränen um sie zu vergießen, wenn sie mit ihrem roten, bis unters Dach vollgestopften beuligen Peugeot 205 die Weite sucht.

    Oder, sagen wir, Hamburg.

    Sie hatten mich an der Journalistenschule dort genommen, was so etwas ist wie für andere ein Stipendium in Oxford oder Freitickets für ein Fußball-WM-Finale unter deutscher Beteiligung: In Hamburg bekamen normalerweise Bewerber eine Chance, die vier Sprachen konnten oder in der Hirnforschung promoviert worden waren. Die Quote von Bewerbern zu Plätzen lag angeblich bei 3600 zu 36 oder so ähnlich. Ich konnte leidlich englisch lesen, gut ostdeutsch verstehen und die Leipziger Lokalzeitung mit garstigen Kulturkritiken vollschreiben. Der Platz war also für Studienabbrecher wie mich ein Lottogewinn.

    Als zu Hause der Brief mit der Zusage ankam, saß ich in Istanbul in einem Hotel, allein. Ich war mit lauter ältlichen Reisejournalisten auf Promotionstour eines deutschen Luftfahrtunternehmens. In wenigen Minuten sollten wir zum Harem des Topkapi-Palasts gefahren werden, wo man uns Mozarts „Entführung aus dem Serail vorsetzen würde, in zweitklassiger Besetzung. Meine Leipziger Zeitung hatte mir die Reise als Schmankerl zugedacht. Das Telefon auf meinem Zimmer klingelte, und der Rezeptionist verband mich mit „Your Mother. Mir stockte das Herz, ich dachte, es sei etwas passiert. Mama sagte aber nur: „Sie haben dich genommen." Ich war außer mir vor Freude, aber hatte niemanden um mich, den das interessieren könnte. Ich machte keine Becker-Faust oder Luftsprünge, eher kiekste ich kurz wie ein Meerschwein und strahlte die nächsten zwei Tage wie auf Droge, und niemand strahlte zurück.

    Allein und weit weg zu sein von den wichtigsten Menschen in sehr wichtigen Momenten würde fortan mein Leben sein. Dies war der Vorgeschmack.

    Als Paar sahen wir das enorm pragmatisch: Die Liebe bleibt uns ja, alles andere nicht. Paul und ich stellten uns darum nie die Frage, ob ich weggehen würde. Und weil wir jung und arglos waren, fragten wir auch nicht wirklich nach dem Wie. Das war ein Vorteil unserer Jugend, der sich nicht mal als Nachteil tarnte.

    Bei meiner Freundin Milla erlebte ich wenig später, dass ein solches Verhalten unter paarungsreifen Großstädtern aber alles andere als selbstverständlich ist. Man glaubt nicht, wie schnell das Paradies der Liebe zum Schrebergarten schrumpfen kann, wenn einem zunächst aufgeklärt und großstädtisch wirkenden Mann die Karriere seiner Frau unheimlich wird. Von Milla und Carsten, von Helene und ihren wechselnden Mr. Bigs wird noch die Rede sein.

    Zunächst aber schlitterten meine Mutter in ihrem Golf und ich in meinem sommerbereiften Kleinwagen bei schlechter Sicht und Glatteis gen Norden, ins Ungewisse. Es war ein hässlicher Januartag. Wir erkannten nichts durch den Eisnebel vor der Frontscheibe, nichts durch unsere mit Matratzen verstopften Hecks, entgingen dem einen oder anderen tödlichen Unfall und nahmen das als gutes Omen.

    Paul war nicht mitgereist auf dieser Horrorfahrt, weil er keine Zeit hatte. Seine erste Kneipe war damals erst sechs Monate auf. Mir war es sehr recht, dass er zurückblieb. So konnten er und ich nach dem Abschied leise vor uns hinheulen und genau dann aufhören, als uns jeweils danach war. Bei mir auf der A9, in Höhe Tankstelle Fläming, nach 45 Minuten. Bei ihm vermutlich an der nächsten Ampel.

    Dann begann ich mich zu freuen.

    Die Alster war bei unserer Ankunft zugefroren und versuchte mit ihrer eisigen Schönheit Hamburg unwiderstehlich zu machen. Es gelang nur kurzfristig. Ich zog in eine WG, die mir nichts bedeutete. Mit 23 ist das noch okay, schon mit 28 macht man so etwas anders; jedenfalls wohnten meine künftigen Kolleginnen wesentlich hübscher. Sie hatten sich eingerichtet, ich hatte mich untergebracht. Ich signalisierte, vor allem mir: Hier bin ich nur auf Durchreise.

    Im Durchreisemodus kann man seine Bleibe fliehen wie ein Agent, binnen Minuten und ohne Spuren zu hinterlassen. Das ist durchaus mal amüsant, aber nicht auf Dauer. Bei mir war es nicht mal amüsant.

    Mein Zimmer in Eppendorf war zur Hälfte vollgestellt mit dem riesigen Esstisch des Wohnungsbesitzers, der seinerseits nach Chemnitz zur Arbeit pendelte und das Monstrum an den Wochenenden in die Küche trug, für seine Dinner. Darum fand ich meinen Computer jeden Montag auf dem Fußboden wieder. Gemütlich ist anders. Ging ich abends aus und nahm das Auto, bestrafte mich der Geist grüner hanseatischer Verkehrspolitik: Ich fand nachts nie einen Parkplatz in diesem entsetzlichen Einbahnstraßensystem, kam deshalb nicht vor zwei Uhr ins Bett und verfluchte morgens halb neun in der U-Bahn unfassbar müde und in großer Selbstgerechtigkeit die fremde Stadt. Schon damals war klar, dass es zwischen mir und Hamburg nicht funken würde; man sollte auf solche Zeichen achten. Ich würde sie ein paar Jahre später noch einmal ignorieren.

    Tagsüber wurde ich Zeuge, wie sich angehende Journalisten in einer Schule binnen kürzester Zeit ins Pennälerstadium zurückentwickelten, auch wenn sie fast dreißig waren: Eine sich dünn hungernde Frau himmelte einen Referenten an, der eindeutig schwul war. Angehende Großreporter legten eine rutschgefährliche Schleimspur zur Schulleiterin, um die besseren Praktikaplätze zu ergattern. Und ein Lehrgangsteilnehmer sprach die ganze Zeit über so wenig und das so leise, dass man am Ende nicht wusste, ob der Mann wirklich existiert hatte.

    Ich sah zu, dass ich im einzigen Raucherzimmer der Klasse landete und pflegte offenbar die Rolle einer notorischen Grantlerin, wie ich 18 Monate später dem Abschlusskompendium entnehmen konnte.

    So eine Schulsituation in der Fremde mit lauter Erwachsenen mag sich ein besorgter Lebensmensch daheim ausmalen wie einen Ärztekongress oder eine Weiterbildung für Banker oder die „Internationale Tourismusbörse" in Berlin für Reisekaufleute – als Ausnahmesituation, nur dass diese nicht ein paar Tage oder Wochen dauert, sondern eineinhalb Jahre. Man landet in einer Art Camp, in dem alle hoch hinaus wollen, darum irre viel arbeiten und ihr Privatleben nicht mehr kennen.

    Messen, Seminare und Kongresse bestimmter Berufsgruppen haben den Ruf, Pfuhle der Sünde zu sein; es wird da zur Seite gesprungen werden, dass die Schwarte kracht. Eine Journalistenschmiede voller Ehrgeizlingen, zumal in Hamburg, ist alles andere, nur das nicht. Zwar bilden sich dort mitunter Paare, aber die meinen es in der Regel gleich ernst, ziehen zusammen, bekommen ökologisch einwandfreie Kinder und wollen trotzdem im Job schnell ganz nach oben.

    Ich war, ohne es mir einzugestehen, unter Gleichen. Mein Lebensmensch 439 Kilometer entfernt machte sich keine Sorgen, zu Recht.

    Der kleine Unterschied

    Die meisten hatten feste Freunde und Freundinnen, die irgendwo in Frankfurt, Bielefeld oder Halle hockten; manche wurden vorgestellt, andere nicht. Ich zeigte Paul nie vor, es ergab sich einfach nicht. Ich hatte umsonst zwei Matratzen aus Leipzig nach Hamburg gekarrt, denn er besuchte mich nicht in der Zeit der Ausbildung, und ich wollte ihn auch gar nicht dahaben. Seine Wohnung war sowieso viel schöner.

    Schon im Laufe der kommenden zwei Jahre teilte ein Gutteil der vorgezeigten Partner nicht mehr das Leben mit meinen Mitschülern in Hamburg. Ich hätte mir nun Sorgen um meine eigenen Verhältnisse machen können, wollte ich aber nicht. Eifersucht mag eine mitunter nützliche Warnung sein, aber mit Mitte zwanzig und dem einhergehenden beträchtlichen Ego sah ich darin nichts als eine an den Nerven zehrende und nutzlose Beschäftigung. Ich hatte mir dieses Gefühl versagt und konnte mich mühelos daran halten.

    Meine Freundin Helene, eine ansonsten sehr kluge und erfolgreiche Architektin, fragt mich bis heute dauernd, wie ich das anstelle. Einfach so, sage ich ihr jedes Mal. Sie glaubt mir nicht. Sie glaubt nicht, dass man sich so ein Gefühl verbieten kann. Sie behauptet, ich kennte Eifersucht gar nicht. Aber ich weiß nicht, ob das stimmt.

    Dass in den anderen Beziehungskisten der Deckel zuklappte, lag ja nicht an der unglaublich amourösen Atmosphäre in

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