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Mit der Bibel durch das Jahr 2015
Mit der Bibel durch das Jahr 2015
Mit der Bibel durch das Jahr 2015
Ebook832 pages8 hours

Mit der Bibel durch das Jahr 2015

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About this ebook

Das unverzichtbare Buch für Menschen, die die Bibel lesen und verstehen wollen: Für jeden Tag des Jahres eine Auslegung zum Bibeltext nach dem ökumenischen Bibelleseplan und ein Gebet. Dazu ein Morgen- und Abendgebet für jeden Tag der Woche sowie eine Einführung in jedes behandelte biblische Buch. Seit Jahrzehnten bewährt zum attraktiven Preis.
LanguageDeutsch
PublisherKreuz Verlag
Release dateNov 4, 2014
ISBN9783451802539
Mit der Bibel durch das Jahr 2015

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    Book preview

    Mit der Bibel durch das Jahr 2015 - Kreuz Verlag

    Mit der

    Bibel

    durch

    das Jahr

    2015

    Ökumenische

    Bibelauslegungen

    Herausgegeben von

    Franz-Josef Bode

    Jochen Cornelius-Bundschuh

    Maria Jepsen

    Friederike von Kirchbach

    Paul-Werner Scheele

    Joachim Wanke

    Rosemarie Wenner

    KREUZ

    Impressum

    Redaktion

    Dr. Ulrich Fischer

    Landesbischof i.R.

    © KREUZ VERLAG

    in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2014

    Alle Rechte vorbehalten

    www.kreuz-verlag.de

    Umschlagkonzeption und -gestaltung: wunderlichundweigand

    Umschlagmotiv: Panka Chirer-Geyer: Übergänge 3. Foto © Stefan Weigand

    E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

    ISBN (Buch) 978-3-451-61268-8 (Kreuz Verlag)

    ISBN (Buch) 978-3-460-20155-2 (Verlag Katholisches Bibelwerk)

    ISBN (E-Book) 978-3-451-80253-9

    Ihre Meinung ist uns wichtig!

    Liebe Leserinnen und liebe Leser!

    Seit über 30 Jahren gibt es »Mit der Bibel durch das Jahr«, die ökumenischen Bibelauslegungen, die Sie Tag für Tag begleiten. Heute möchten wir Sie um Ihre Meinung bitten. Die Beantwortung unserer Fragen hilft uns, in Zukunft noch gezielter und besser auf Ihre Wünsche einzugehen.

    Unsere Umfrage können Sie einfach online auf unserer Internetseite beantworten: www.kreuz-verlag.de

    Wir freuen uns auf Ihre Rückmeldungen.

    Liebe Leserinnen und Leser!

    »Die Bibel neu als Schatz entdecken« – unter diesem Motto lädt die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland ein, auf dem Weg zum Reformationsgedenken 2017 die verschiedenen christlichen Traditionen kennenzulernen. Ob wir einer evangelischen Landes- oder Freikirche oder der römisch-katholischen Kirche angehören, ob wir orthodoxe, altkonfessionelle oder anglikanische Christen sind, ob unser Frömmigkeitsstil eher traditionell oder charismatisch geprägt ist, wir beziehen uns alle auf die Bibel. Dass wir bei ökumenischen Begegnungen die Auslegungstradition anderer Kirchen kennenlernen, ist eine große Bereicherung. Wir entdecken, wie viel uns verbindet, und unterschiedliche Sichtweisen auf die Bibel fordern zum gründlichen Nachdenken heraus. »Mit der Bibel durch das Jahr« ist eine ökumenische Bibellesehilfe. Die Autorinnen und Autoren gehören verschiedenen kirchlichen Traditionen an. Wer sich Tag für Tag Zeit nimmt, um den entsprechenden Abschnitt in der Bibel aufzuschlagen und sich mit der Auslegung auseinanderzusetzen, kann so nicht nur mehr von der Bibel entdecken, sondern auch ökumenische Vielfalt erfahren. Die Autoren und Autorinnen suchen den Bibeltext zu verstehen und in unsere Zeit hinein auszulegen. Manche Bibelabschnitte werden sich uns erschließen, manche werden sperrig bleiben. Das liegt nicht unbedingt an der Qualität der Auslegung oder an der konfessionellen Herkunft des Auslegers. Es wäre geradezu anmaßend, wenn wir uns die Bibel so aneignen wollten, dass wir alle Spannungen auflösen, die uns in diesem Buch begegnen. Wir würden uns Gott handlich machen, anstatt uns von den biblischen Zeugnissen herausfordern zu lassen. Wer aufmerksam hinhört und in Jesu Schule Lernschritte geht, wird ein Leben lang neue Schätze aus der Bibel heben können. Im Namen der Herausgeberinnen und Herausgeber danke ich den Autorinnen und Autoren und insbesondere Herrn Bischof Dr. Ulrich Fischer, der zum ersten Mal die Redaktionsarbeit übernommen hat. Die vielen Mitarbeitenden machen dieses Buch zu einem einzigartigen Handwerkszeug. Den Leserinnen und Lesern wünsche ich, dass ihnen bei der Entdeckungsreise durch das Jahr 2015 die Bibel ein wertvoller Begleiter ist.

    Rosemarie Wenner

    Hinweise zum Gebrauch dieses Buches

    Die Lesungen des Tages folgen dem Ökumenischen Bibelleseplan. Auf diese Weise lernen Sie im Lauf der Jahre die wichtigsten Texte der Bibel kennen. Auch die Kirchenjahreszeiten werden berücksichtigt. Die Schreibweise der biblischen Eigennamen folgt den Loccumer Richtlinien.

    Dieses Jahr haben wir die Einführung in die biblischen Bücher an den Schluss der Auslegungen gestellt.

    Ein paar praktische Hinweise für die Benutzung dieses Buches:

    Wir haben die Jahreslosung an den Beginn der Auslegungen gestellt. Dort finden Sie auch die Monatssprüche.

    Lesen Sie zunächst den Bibeltext selber. Legen Sie am besten die Lutherbibel oder die Einheitsübersetzung an einen festen Platz in Ihrer Wohnung.

    Im »Verzeichnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter« erhalten Sie einen alphabetischen Überblick.

    Im Quellenverzeichnis erfahren Sie, woher die Gebetstexte am Ende der Auslegung kommen. Die Morgen- und Abendgebete für jeden Tag der Woche wurden dieses Jahr von Geschwistern der ökumenischen Kommunität der Jesus-Bruderschaft Kloster Volkenroda geschrieben.

    Ein Abkürzungsverzeichnis für die biblischen Bücher finden Sie am Ende des Buches.

    Ein Bibelstellenregister erleichtert das Auffinden der entsprechenden Auslegung.

    Wenn Sie auch den Folgeband 2016 beziehen möchten, können Sie das in einer Buchhandlung in Ihrer Nähe tun. Sie können Ihre Bestellung auch an einen der beiden Verlage schicken. Einen Bestellzettel finden Sie am Ende des Buches.

    Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.

    Ihr

    Ulrich Fischer

    Für die ganze Bibel gilt, was Erich Zenger über die Psalmen sagt: »Mit den Psalmen der Bibel ist es wie mit dem Brot. Über Brot kann man diskutieren, man kann es analysieren, chemisch in seine Bestandteile auflösen …, doch nur dem, der das Brot isst, gibt und stärkt es das Leben.«

    Jahreslosung 2015

    NEHMT EINANDER AN, WIE CHRISTUS EUCH ANGENOMMEN HAT ZU GOTTES LOB.

    Röm 15,7 (L)

    Monatssprüche 2015

    Januar

    Solange die Erde besteht, sollen nicht aufhören Aussaat und Ernte, Kälte und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.

    Gen 8,22 (E)

    Februar

    Ich schäme mich des Evangeliums nicht: Es ist eine Kraft Gottes, die jeden rettet, der glaubt.

    Röm 1,16 (E)

    März

    Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein?

    Röm 8,31 (L)

    April

    Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!

    Mt 27,54 (L)

    Mai

    Alles vermag ich durch ihn, der mir Kraft gibt.

    Phil 4,13 (E)

    Juni

    Ich lasse dich nicht los, wenn du mich nicht segnest.

    Gen 32,27 (E)

    Juli

    Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein; alles andere stammt vom Bösen.

    Mt 5, 37 (E)

    August

    Jesus Christus spricht: Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben.

    Mt 10,16 (L)

    September

    Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.

    Mt 18,3 (L)

    Oktober

    Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?

    Ijob 2,10 (L)

    November

    Erbarmt euch derer, die zweifeln.

    Jud 22 (L=E)

    Dezember

    Jauchzet, ihr Himmel; freue dich, Erde! Lobet, ihr Berge, mit Jauchzen! Denn der HERR hat sein Volk getröstet und erbarmt sich seiner Elenden.

    Jes 49, 13 (L)

    L = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

    E = Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © 1999 Verlag Katholisches Bibelwerk, Stuttgart

    Donnerstag, 1. Januar

    Psalm 8

    Die universale Menschenwürde

    Eine Nachterfahrung wird hier erzählt. Unter dem nächtlichen Himmel angesichts des unendlichen Universums sehen Menschen sich selbst – zerbrechlich und gefährdet. Im Staunen klingt die Bedrohung der Nacht nach, im Staunen über die Bedeutung des bedrohten Menschleins. Mit Würde hat Gott sie gekrönt (V. 6)!

    In Weltgestaltung und Weltverantwortung findet die Menschenwürde ihren Ausdruck (V. 6–9), doch abhängig von der Fähigkeit zur Weltgestaltung ist sie nicht. Was das heißt, wird deutlich, wenn uns die Fähigkeit zur Gestaltung verloren geht. Wenn ich die Menschen, die ich liebe, nicht mehr wiedererkenne, meinen eigenen Namen nicht mehr weiß – bin ich dann immer noch mit Würde gekrönt?

    Die Verse sagen Außergewöhnliches. Was über den nächtlichen Himmel hin zu hören ist, was in der Nacht an die menschliche Würde erinnert, das ist der Schrei derjenigen, die keine Gestaltungsmacht haben, sondern um Hilfe brüllen. Der Psalm spricht von Säuglingen. In ihrer Bedürftigkeit stellt Israels Gottheit sich dar (V. 2f). Im Schwächsten der Gemeinschaft zeigt diese Gottheit ihr Wesen und ihre Macht: als ein Gegenüber, das nach Liebe und Zuwendung verlangt! Psalm 8 ist mit seinem Nachdenken über die Menschenwürde zugleich eine kleine Theologie der Macht Gottes. Gottes Macht auf der ganzen Erde ist, dass jeder Mensch aus dem Mund von Kindern den Ruf zur Verantwortung hört.

    Und so bezeugen gerade die, die um Hilfe schreien, die königliche Würde aller Menschen. Gerade sie sind Botschafterinnen und Botschafter der Gottheit. Denn aus ihrer Bedürftigkeit spricht die Bedürftigkeit Gottes, die uns zur Verantwortung ruft.

    KLARA BUTTING

    Du, unser Gott, wie groß und wunderbar sind deine Taten. Den Schwächsten unter den Menschen ist es zu verdanken, dass wir uns nicht in der Nacht verlieren. Hilf mir, deine Stimme in ihrem Ruf zu hören.

    Freitag, 2. Januar

    Genesis 1,1–13

    Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat

    Die Schöpfungsgeschichte zum neuen Jahr. Schön. Vor Jahren hatte ich in einer Predigt gesagt: »Glaube und Denken sind kein Gegensatz.« Ein Physiklehrer hinterher: »Das glauben Sie doch selbst nicht! Siehe Schöpfungsgeschichte. Da muss man doch den Verstand abschalten.« – »An welche von beiden denken Sie?«, frage ich. – »Gibt’s zwei?«, fragt er verblüfft. – »Ja«, sage ich, »die erste mit der Erschaffung von Mann und Frau am sechsten Tag und die zweite, in der zuerst Adam, dann die Tiere und danach erst Eva geschaffen werden.« – »Und welche stimmt?« – »Beide in ihrer Zeit«, sag ich. »Die Leute haben jeweils das, was sie über den Anfang dachten, mit ihrem Glauben verbunden, dass Gott sie selbst und die Welt geschaffen hat. Müssen Sie ja heute auch! Verstehen Sie sich und diese Welt als sinnlosen Zufall oder als Gottes Werk? Auch wenn Sie genug wissen über Zeugung und Geburt, bleibt diese Frage. Wir würden die Weltentstehung heute anders beschreiben, vielleicht käme der Urknall darin vor, aber die Grundfrage, sinnloser Zufall oder von Gott gewollt, bleibt bestehen. Und: Das braucht meine persönliche Antwort.« – Es wurde ein langes Gespräch.

    Unser Textabschnitt setzt im Hebräischen ein mit dem Wort bara. Gott bara Himmel und Erde. Das Wort ist eigentlich unübersetzbar. Luther schreibt: Gott schuf. Doch daraus wird ein Bild: Gott ist Handwerker. Aber er ist ganz anders. Wenn wir sagten: »Gott bewirkt Himmel und Erde«, wäre das besser? Er bewirkt zudem allein durchs Wort. Ungewöhnlich. Am Anfang ist nur Tohuwabohu, Chaos. Dann werden – seltsamerweise ohne Sonne – Licht und Finsternis bewirkt. Der Himmel wie eine Glaskuppel. Die hält das Wasser darüber (!) zurück. Darunter die grüne Erde und das Meer wie auf einer flachen Scheibe. Und Gott stellt fest: Licht und Finsternis, Himmel und Wasser darüber, Erde und Meer darunter seien gut. Bestreitet das jemand? Vielleicht die Tsunami-Geschädigten! Also: Glaube und fragendes Denken gehören zusammen.

    HORST HIRSCHLER

    Du, mein Gott, hab Dank, dass du mich geschaffen hast, samt allen Kreaturen, und mich nach dir fragen lässt.

    Samstag, 3. Januar

    Genesis 1,14–25

    Gott allein ist zu verehren

    Der dritte Tag ist der Schöpfungstag von Sonne und Mond. Gott wirkt dabei wie ein Elektriker, der Lampen an der gewaltigen Glaskuppel des Himmels anbringt. Fast umständlich werden die Funktionen von Sonne und Mond beschrieben. Man ahnt, hier liegt Streit in der Luft. Jeder dieser Sätze sagt in penetranter Deutlichkeit: Nein, Sonne und Mond sind keine Götter wie in Ägypten und Babylon. Das ist Unsinn. Das sind nur Beleuchtungskörper. Ihr wäret bescheuert, wenn ihr die anbeten würdet. Das sind von Gott geschaffene Hilfsmittel, damit wir Tag und Nacht einteilen und uns zurechtfinden können.

    Eine bewusste Provokation im Kontext der damaligen Zeit. Überall wurden Sonnen- und Mondgottheiten angebetet. »Du sollst keine anderen Götter neben mir haben, bete sie nicht an und diene ihnen nicht«, sagt Gottes Gebot. Es gibt nur den einen Gott und was durch ihn geschaffen ist. Dabei sind Gott und die geschaffene Welt streng zu unterscheiden. Wer etwas Geschaffenes zum Gott macht, wird zum Götzendiener. Wer sein Grundvertrauen auf sein Geld setzt, auf seinen Beruf, seine Gesundheit, auf sein Können, ist dumm, denn das trägt nicht dauerhaft. Gott allein ist zu vertrauen. Die Dinge der Welt dürfen nicht zu Göttern werden und uns beherrschen, sie sind zu bewahren und sollen uns dienen.

    Aber, sagen manche, müssen unsere Welt, die Natur, die ganze Schöpfung, die Lebewesen, auch die Menschen nicht doch eine eigenständige Würde haben? Die Erde wird sonst nur noch unverantwortlich ausgebeutet. Bei Menschen, Tieren und Bodenschätzen gilt nur noch, welchen praktischen Nutzen sie heute haben. Brauchen sie nicht neu die alte Verehrung? Unser Text sagt: Seid vorsichtig! Alles, was geschaffen ist, hat seinen göttlichen Wert allein vom Schöpfer her. Den sollt ihr verehren, die Geschöpfe nicht. An unserem Bibeltext sieht man übrigens, dass es geradezu eine Freude ist, die Erschaffung der Vögel in den Lüften, der Tiere im Meer und auf den Feldern zu bewundern und zu achten.

    HORST HIRSCHLER

    Allmächtiger Gott, hab Dank, dass du mich geschaffen hast und diese wunderbare, rätselvolle Welt.

    Sonntag, 4. Januar

    Psalm 33

    Mein Gott, mein Glück

    Ich mag das gängige Sprichwort »Jeder ist seines Glückes Schmied« überhaupt nicht. Es entspricht weder meiner Lebenseinstellung noch meiner Lebenserfahrung. Vieles in meinem Leben betrachte ich als Geschenk. Sicher, ich habe mein Eigenes dem Geschenk oft hinzugefügt, aber mein Glück habe ich damit ganz sicher nicht geschmiedet.

    Der vorliegende Psalm ist eine Hymne auf Gott, der unser Schöpfer ist und alles Leben in der Hand hat. Der Dichter des 33. Psalms denkt wohl ähnlich über das Glück wie ich, auch wenn er einen weitaus größeren Bogen zieht. Er fordert die Gläubigen zum Lobpreis Gottes auf. Fast scheint es, als könne dieser Jubelruf den Singenden Mut zusprechen und sie stark machen. Mich erinnert das an das Warmmachen von Teams vor großen Spielen. Alle stellen sich im Kreis auf, beschwören den Teamgeist und brechen am Ende in einem ermutigenden Schlachtruf aus. Auch wir haben allen Grund, Gott so zu preisen. Ist er es doch, der die Welt erschaffen hat und alles Geschick auf ihr lenkt. Mögen die Menschen sich einbilden, sie könnten etwas dabei ausrichten mit all ihren Plänen und Waffen. Der Psalmist weiß um Gottes Leiten und Lenken und führt vor Augen, wie Gottes Heilsplan über die Pläne von Herrschern und Königen triumphiert. Und das nicht nur im großen Weltgeschehen. Der lebendige Gott gestaltet auch das Ergehen eines jeden Menschen ganz persönlich. In anschaulichen Worten werden wir erinnert und ermutigt, dass Gott die Seinen nicht vergisst. Auch gegen unser Alltagsempfinden sollen wir wissen, dass wir auf ihn und sein Handeln vertrauen können.

    Ich finde es wichtig, sich dessen bewusst zu sein. Allzu leicht geraten wir in Sicherheitsdenken oder Schicksalsergebenheit. Für mich ist das Wichtigste: Alles, mein ganzes Leben, ist in Gottes Hand. Ich bin nicht meines Glückes Schmied, sondern mein Gott ist mein Glück.

    BIRGIT FAHNERT

    Lebendiger Gott, lass mich dir ganz vertrauen und mach mich fest in der Gewissheit, dass ich nicht tiefer fallen kann als in deine Hand.

    Montag, 5. Januar

    Genesis 1, 26–2,4a

    Der Mensch – die Krone der Schöpfung

    Diese Formulierung hat schon zu vielen Missverständnissen Anlass gegeben, sie hat zu menschlicher Überheblichkeit im Umgang mit der anvertrauten Schöpfung geführt. Und doch kommt dem Menschen innerhalb der Schöpfungsgeschichte eine besondere Rolle zu. Es ist der ausdrückliche Wille Gottes, ein Wesen zu schaffen, das ihm entspricht, ein Gegenüber. Im Menschen, wie Gott ihn schuf, spiegelt sich das Bild Gottes. So war es gedacht am Anfang. Als Mann und Frau schuf Gott den Menschen: Menschsein bedeutet Mann und Frau sein. Erst als gemeinschaftliches Wesen ist der Mensch wahrhaft Mensch, und gerade diese Gemeinschaft ist Teil der Ebenbildlichkeit Gottes. Denn Gott ist in sich selbst Gemeinschaft. Gott ist in sich selbst gelebte Beziehung, und so ist der Mensch erst vollständig und ganz bei sich in der Beziehung. »Lasst uns Menschen machen«, in dieser Selbstaufforderung bekennt Gott, dass sein Wesen Gemeinschaft ist, gelebte Beziehung. Aus christlicher Sicht mag man in dieser Aufforderung Gottes an sich selbst bereits die verborgene Dreieinigkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist erkennen. Gemeinschaft als grundlegendes Wesensmerkmal des Menschen ist Ausdruck der Ebenbildlichkeit. Das gilt für unsere Beziehungen untereinander, die in der Beziehung von Mann und Frau ihren innersten Grund haben, und für unser Bezogensein auf Gott hin.

    »Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.« Als Menschen jenseits des Paradieses fällt es uns heute schwer, dieses Gute und sehr Gute in der gefallenen Schöpfung und in unserer gebrochenen Existenz zu erkennen. Aber es ist das Wesen Gottes, Gutes und sehr Gutes zu schaffen und zu erschaffen. Gott bleibt sich treu und sein Wesen ist und bleibt, Gutes zu schaffen. Erinnern wir uns heute bewusst daran, gerade angesichts all dessen, was nicht gut ist, bedroht und zerstört.

    BRIGITTE ARNOLD

    Guter Gott, stärke in mir den Glauben, dass dein Ziel die gute, unversehrte Schöpfung ist. Lass mich heute im Schauen auf dich dahin unterwegs sein.

    Dienstag, 6. Januar

    Psalm 72

    Der gottgeschenkte Messiaskönig

    Psalm 72, eine Hommage an König Salomo, interpretiert die altorientalisch beeinflusste vorexilische Jerusalemer Königsideologie nachexilisch neu und transformiert sie überbietend. Der Text folgt keinem linearen Gedankengang; Motive werden wiederholt, variiert, ineinander verwoben: Da ist die besondere Art der Machtausübung dieses Königs (V. 1.2.4.12–14); da sind ihre segensreichen Auswirkungen auf Gesellschaft (V. 3.6.7) und Natur (V. 16) und schließlich die Anerkennung, die dieser König von (Groß-)Palästina (V. 8) in der gesamten Völkerwelt (V. 9–11) genießt. Da ist die räumlich und zeitlich unbegrenzte Ausdehnung seiner Königsherrschaft (V. 5.15.17). Im Kern geht es dabei um die außergewöhnliche Art, Gerechtigkeit auszuüben. Nicht Prunk und militärische Siege sind das unterscheidende Merkmal seiner Herrschaft, sondern der Einsatz für das Recht der Elenden und Armen. Sein gerechtes Richten bezieht sich ausschließlich auf die Geringen und Hilflosen; seine Fürsorge gilt nicht primär den Mächtigen, sondern den Opfern von Gewalt. Sie kommen bei ihm – anders als bei anderen Königen – ohne Ansehen der Reichen und Einflussreichen zu ihrem Recht. Die erniedrigten, ausgemergelten Armen sind ihm »kostbar«.

    Hinweise auf die »alle Generationen« und sogar Sonne und Mond überdauernde Regentschaft (V. 5.7.17) entheben diesen König jeder geschichtlich erfahrbaren politischen Realität. Damit wird deutlich: Hier ist ein Größerer als Salomo (vgl. Mt 12,42; Lk 11,31). Psalm 72 ist ein Zukunftsbild, das Sehnsuchtsbild des erwarteten Königs, der am parteiischen Gott Israels Maß nimmt. Und so richtet sich die Sehnsuchtsbitte an Gott, einen ihm gemäßen, gerechten König zu beauftragen (V. 1), ihn gleichsam »regnen« zu lassen (V. 6; vgl. dazu Jes 45,8). Das Lob am Ende (V. 18f) ist Ausdruck gläubiger Erfüllungsgewissheit.

    BERNHARD KRAUTTER

    Gott, du Anwalt der Niedrigen und Armen! Sende den gerechten König, der ihnen Recht schafft, nicht erst am Ende der Zeiten, sondern schon jetzt, in der Zeit!

    Mittwoch, 7. Januar

    Genesis 2,4b–17

    Angewiesen sein

    Menschliches Leben ist Leben in Beziehung. Leben in Beziehung ist angewiesenes Leben. So hat Gott den Menschen geschaffen. Indem er ihm den Odem des Lebens in die Nase blies, legte er in den Menschen die Sehnsucht nach Gott. Ein lebendiges Wesen sein bedeutet fortan für den Menschen, auf Gott hin ausgerichtet zu sein. Augustin hat dies so formuliert: »Du hast uns zu dir hin geschaffen, und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir.« In paradiesischer Zeit war diese Gemeinschaft, dieses unbedingte Bezogensein des Menschen auf Gott hin, ungebrochen, unversehrt, vollkommen, intakt. Gott sorgte für den Menschen, setzte ihn in einen Garten, den er bebauen und bewahren sollte. In dieser vollkommenen Beziehung des Menschen zu Gott hatte die Unterscheidung von Gut und Böse keine Bedeutung für ihn. Der Mensch brauchte keine eigenen, unabhängigen Entscheidungskriterien, solange er in dieser ungebrochenen Beziehung zu Gott lebte. Auch das könnte mit Augustin so ausgedrückt werden: »Liebe und tu, was du willst.«

    Dass diese paradiesische Urzeit von einem Verbot geprägt war, hat Menschen schon immer empört. »Du sollst nicht essen von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, denn an dem Tage, da du davon isst, musst du sterben.« Welch ungebührliche Einschränkung menschlicher Freiheit, hört man. Aber letztlich geht es dabei um die Frage, an wem oder woran ich meine Freiheit festmache. Bin ich autonom, unabhängig, selbst Macher oder alleinige Bestimmerin meines Lebens? Oder kommen mein Leben und meine Freiheit von dem her, der mich geschaffen hat? Solange der Mensch im Vertrauen lebt, dass Gott es gut mit ihm meint, erkennt er an, dass allein Gott zu entscheiden vermag über Gut und Böse. In der guten Ordnung des Paradieses ordnet der Mensch sich Gottes Entscheidung unter. Er ist Geschöpf: Der, der ihm das Leben gegeben hat, der hat es gut eingerichtet.

    BRIGITTE ARNOLD

    Herr, mein Gott, du allein weißt, was für mich gut ist oder schlecht.

    Dir vertraue ich mich an mit allem, was ich bin.

    Donnerstag, 8. Januar

    Genesis 2,18–25

    Ein Teil von mir

    Wenn wir einander doch so begegnen könnten! In dem Wissen und Erkennen, dass der andere Teil von mir ist, »Bein und Fleisch von meinem Fleisch«.

    Der erste Mensch erkennt sich, indem er sich in seinem Gegenüber erkennen kann, als Teil eines Ganzen. Mann und Frau ein Fleisch, geschaffen auf Augenhöhe. Kein Platz für Stammtischwitze, keine Unterordnung des einen unter den anderen. Und was hier im Paradiesgarten für Mann und Frau exemplarisch erzählt wird, gilt ebenso für Schwarz und Weiß, für Arm und Reich, für Einheimische und Fremde. Als Menschen sind wir geschaffen auf Augenhöhe miteinander, sind Teil eines Ganzen, haben Anteil aneinander. Als Menschen sind wir geschaffen in Gemeinschaft und für Gemeinschaft. Wir brauchen einander als Ergänzung des einen Ganzen, als Hilfe. Nicht zuerst ein Herrschaftsverhältnis ist hier beschrieben, das erzählt die Geschichte von Mensch und Tier: Der Mensch gibt den Tieren ihre Namen, damit übt er Herrschaft über die Tiere aus. Aber erst dem anderen Menschen begegnet der erste Mensch auf Augenhöhe. Mann und Frau, die Urform von Gemeinschaft, Keimzelle der Familie, Fortbestand des Lebens.

    Von den beiden ersten Menschen heißt es, dass sie nackt waren und sich nicht schämten. Auch das ist wieder Ausdruck einer ungetrübten, direkten, unbeschädigten Beziehung zueinander und zu Gott. Scham kommt mit Schuld daher, begangener oder angetaner Schuld. Scham macht deutlich: Ich will und kann mich dem anderen nicht ungeschützt zeigen. In der guten Schöpfung Gottes aber ist unversehrtes, ganzes, heiles und geborgenes Leben angelegt. Wenn später die Propheten und Jesus selbst eine zweite, eine neue Schöpfung Gottes verheißen, dann wird es genau darum gehen, dass vor Gott und voreinander wieder unversehrtes, heiles, ganzes Leben möglich wird. Leben im schalom – im Frieden, in der Ganzheit. Versöhntes Leben.

    BRIGITTE ARNOLD

    Du, Herr, bist das Leben in Fülle, unversehrt, ganz. Dir bringe ich die Scherben und Bruchstücke meines Lebens. Du willst es neu schaffen.

    Freitag, 9. Januar

    Genesis 3,1–13

    Dich sehen, wie du wirklich bist

    »Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan, und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren.« Es ist wohl in jeder Liebesbeziehung so: Irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem wir einander sehen, wie wir wirklich sind. Da enden die Übertragungen, die Projektionen haben sich aufgebraucht. Die Beschönigungen, die Wunschträume, die Illusionen fallen weg. Wir sehen einander so, wie wir wirklich sind. Dem Mann und der Frau muss es in diesem Augenblick so gegangen sein. Sie wurden gewahr, dass sie nackt waren, buchstäblich, aber auch in einem tieferen Sinn. Das sind die Augenblicke, in denen man einander nichts mehr vormacht. Da kommt die Erkenntnis, dass der andere gar nicht der ist, für den ich ihn gehalten habe. Und dass ich nicht die bin, für die er mich gehalten hat. Ob man sich dann noch lieben kann, wenn man so voreinander steht – darauf kommt es dann wohl an, wenn die Beziehung Bestand haben soll. Kann ich den anderen lieben, auch ohne das, was ich in ihn hineingelesen habe und was er gar nicht ist? Kann ich den anderen lieben, wenn die Zeit des Paradieses endet und es mühsam wird, einander zu verstehen? Können wir einander auch dann noch lieben, wenn wir aneinander schuldig geworden sind?

    Von dem ersten Paar erfahren wir, dass sie einander ihre Fürsorge nicht entziehen. Gemeinsam machen sie sich Schurze aus Blättern und gemeinsam verstecken sie sich unter den Bäumen im Garten. Vor Gott geben sie sich inmitten der Krise gegenseitig die Schuld an der Misere. Aber später, wenn sie das Paradies verlassen, weil sie zu erwachsen geworden sind, um bleiben zu können, da wird Adam für seine Frau einen zärtlichen Namen finden: Eva, Mutter des Lebens. Wie hoffnungsvoll ist das. Adam und Eva haben einander zwar verloren, aber dann doch auch wiedergefunden.

    MONIKA LEHMANN-ETZELMÜLLER

    Bewahre die Liebe in uns, Gott, wenn wir in unseren Beziehungen erkennen, wie wir wirklich sind. Wenn wir aneinander schuldig geworden sind, wenn die Wunschbilder abfallen, dann bewahre die Liebe in uns, dass wir einander annehmen können, so wie wir sind.

    Samstag, 10. Januar

    Genesis 3,14–24

    Einmal wird alles wieder gut

    Es hätte so schön sein können: die Welt ein Paradies, das Leben ohne Not, Mensch und Natur eine harmonische Einheit. Ungehorsam und Leichtsinn haben das alles zerstört. Es wäre zu einfach, die Schuld für diese Misere den Ureltern, Adam und Eva, anzulasten und den eigenen Anteil jedes Menschen an dieser Geschichte zu leugnen. Die Genesis erzählt keine Anfangsgeschichte in chronologischer Reihenfolge. Sie erzählt von dem, was heute geschieht. Sie erzählt von dem ewig lauernden Konflikt zwischen der Zuneigung zu Gott und der Verlockung, eigensüchtig Grenzen zu setzen. Jeder und jede, der davon berührt wird, hat die Freiheit und gleichzeitig die Not der Entscheidung zu bestehen. Menschen zieht es nun einmal nicht immer eindeutig in die eine oder in die andere Richtung. Und wenn etwas verboten ist, ist es oft doppelt attraktiv.

    Gott beginnt sein Gespräch bei der Schlange und endet damit bei sich selber. Wie tröstlich! Selbst wenn er von Fluch und Feindschaft redet, von Verlangen und Herrschaft, von Staub und Tod anstelle von Liebe, Respekt und Leben, bricht er nicht mit denen, die dieses Unheil treffen wird. Gott bleibt bei seiner Sorge. Er schenkt Schutz und Wärme, ermöglicht Diskretion und Intimität. Der Prophet Jesaja geht noch einen Schritt weiter, wenn er sagt: Gott kleidet in Gewänder des Heiles. Es soll also dem Menschen zum Heil dienen, dass er nicht ewig lebt, nicht endlos eingespannt ist in das Joch seiner Schuld, seiner Mühen und seiner natural-materiellen Begrenzungen.

    Das Paradies kommt nicht mehr zurück; das zu hoffen wäre banal. Aber alles wird gut werden in Vollendung.

    AURELIA SPENDEL OP

    Gott, das Leben ist mühsam geworden, nachdem meine Schwester Eva und mein Bruder Adam dein Wort und deine Weisung missachteten. Auch mein Leben ist manchmal mühsam und mehr noch als das. Hülle mich in deine Gnade, damit ich nicht schutzlos dem ausgeliefert bin, was mich bedrängt. Sprich zu mir dein Wort des Trostes und der Treue, damit ich Kraft gewinne, um mein Leben zu meistern und anderen beizustehen in ihren Nöten.

    Sonntag, 11. Januar

    Psalm 101

    Der »gute« Mächtige sorgt für Gottesfürchtigkeit

    Sehr löblich, was der Herrschende in diesem Psalm betet. Nichts außer Gottesfürchtigkeit und Recht lässt er zu, allem anderen wird der Garaus gemacht. So soll ein für Gott positives, aufmerksames und verlässliches Umfeld entstehen. Das ideale (Gottes-)Reich soll hier auf Erden durch die Ausmerzung von Abweichlerinnen und Abweichlern gelebt werden. Eine gottesfreundliche Diktatur ist das verkündete Ziel dieses Psalms.

    In den gegenwärtigen Zeiten der Pluralität und im Wissen um die lebens- und gottesfeindlichen Diktaturen der Neuzeit klingt dieser Psalm harsch und widergöttlich. Und so widerstrebt es mir, ihn zu loben, auch wenn die Absicht aus Sicht des Beters löblich zu sein scheint. Sich an Gottes Weisung zu orientieren kann als ewiger Maßstab des Lebens und des Miteinanders nicht verkehrt sein. Widersacher Gottes vom Gegenteil zu überzeugen, das ist auch löblich. Dennoch sträuben sich mir die Nackenhaare, wenn ich über die fatalen Konsequenzen des Beters nachsinne.

    Dabei ist klar: Vorteilsnahme und Selbstsucht beispielsweise, gegen die Zehn Gebote und die Gesellschaft zu handeln, sind in keiner Staatsform förderlich. Egoistische Verhaltensweisen nicht überhandnehmen zu lassen, das sollte Aufgabe aller Herrschenden sein. Eine Gesellschaft, die sich auf Recht und Respekt gründet, wird in Freiheit und Frieden leben können. Gerade diese Freiheit bedingt allerdings, dass auch Menschen in dieser Gesellschaft geachtet leben dürfen, die nicht das gleiche Glaubensbekenntnis teilen. In den Schriften des Hebräischen und des Neuen Testaments sind Achtung und Schutz der Fremdlinge ein hohes Gut, das Herrschende durchsetzen müssen. In dieser Spannung schauen wir auf den Psalm, in dieser Spannung lesen wir die Worte, die von einer höchst engagierten Gottesfürchtigkeit und Gottverbundenheit Auskunft geben.

    DIRK GRÜTZMACHER

    Führe mich, o Herr, und leite meinen Gang nach deinem Wort; sei und bleibe du auch heute mein Beschützer und mein Hort. Nirgends als von dir allein kann ich recht bewahret sein. (Heinrich Albert)

    Montag, 12. Januar

    Genesis 4,1–16

    Sehen und gesehen werden

    So bekannt die Geschichte von Kain und Abel auch ist, ich entdecke immer wieder neue Facetten. Da ist das Opfer, das nicht angenommen wird. Da ist der »ergrimmte« Bruder, der Mord. Die bekannte Frage: »Wo ist dein Bruder Abel?« führt zur altbekannten Antwort: »Soll ich meines Bruders Hüter sein?« Da ist das Zeichen an Kain, sind die legendären Worte »jenseits von Eden«. Stoff für viele Romane. Und da ist auch das Thema »Sehen und gesehen werden«. Mehrfach geht es ums Sehen, um den Blick, das Angesehenwerden.

    Kain senkt seinen Blick. Das sieht Gott, der genau ihn ins Auge fasst und fragt: »Warum senkst du deinen Blick? Kannst du nicht frei den Blick erheben?« Ja, warum senkt Kain den Blick? Ob er befürchtet, dass seine Augen widerspiegeln, was in seinem Herzen tobt, Grimm, Zorn, verletzter Stolz, Eitelkeit? Will er sich schützen, seinen verletzten Stolz für sich behalten? Sein Opfer wird nicht angenommen! Wird er nicht gesehen? Aber Gott sieht ihn an, ganz genau: »Warum senkst du deinen Blick?«

    Mit dem Sehen und Gesehenwerden beginnt dieser erste Kriminalfall der Bibel. Aber es bleibt nicht dabei – das Gesehene wird gedeutet, Kain zieht seine Schlüsse, rasch und kompromisslos. Trotz Gottes Einspruch – »warum senkst du deinen Blick?« – bleibt Kain bei dem so heftig und ungestüm gefassten zornigen Entschluss: Er erschlägt Abel. Damit andere wiederum recht sehen und nicht falsch entscheiden, bekommt Kain von Gott das Zeichen, das Kainszeichen. Und er geht weg, weg vom Angesicht des Herrn. Ich frage: Hat Kain denn richtig gesehen – am Anfang, als er meinte, sein Opfer würde nicht wahrgenommen? Wenn das ein Irrtum war, wie tragisch ist der gewesen – er führt zum Mord.

    Viele Facetten hat diese Geschichte. Heute möchte ich verstehen: »Schau genau hin und schau zweimal hin, bevor du Schlüsse ziehst. Und vertraue, dass Gott dich immer sieht, mit gutem, geduldigem Blick.«

    BÄRBEL SCHÄFER

    Hilf mir, zu sehen, Gott! Hilf mir, zu vertrauen, dass du mich siehst, mich wahrnimmst, mich annimmst – liebevoll, aufmerksam, geduldig. Immanuel, Gott mit mir.

    Dienstag, 13. Januar

    Genesis 4,17–26

    Das Leben geht weiter! Oder: Zwischen den Zeilen lesen

    Jenseits von Eden lebt Kain, eine schwere Schuld trägt er im Herzen. Bewahrt von Gott ist er dennoch. Er lebt. Und gibt Leben weiter. Seine Nachkommen haben wieder Nachkommen. Die Verse heute belegen den so gut bekannten, ja banalen Satz: Das Leben geht weiter. Aber wie? Es ist nämlich nicht banal. Das Leben entwickelt sich. Das entdecken wir auch in unseren Versen, wenn wir genau hinschauen und zwischen den Zeilen lesen. Eine spannende Kulturgeschichte verbirgt sich da: Städte werden gebaut – Architektur und Baukunst entstehen. Daneben gibt es andere Lebensformen, etwa die der Nomaden: Sie wohnen in Zelten und halten Vieh. Das Leben ist vielgestaltig, es darf unterschiedliche Lebensentwürfe geben. Musik wird entdeckt – Zither- und Flötenspiele erfreuen das Herz der Menschen. Die Kunst, Eisen zu schmieden, wird entdeckt: Unter Kains Nachkommen sind Erz- und Eisenschmiede. Und die haben sicher nicht nur Kunst erzeugt, sondern auch handfest Notwendiges. Töpfe, so denke ich mir, zum Kochen.

    Das lesen wir also zwischen den Zeilen: Das Leben geht nicht einfach weiter, sondern es gestaltet und wird gestaltet! Es bietet Lebensraum, Schutzraum, Freude für die Seele. Gott hatte noch etwas vor mit diesem Kain, mit seiner Schuld, trotz seiner Schuld. Kain durfte nicht einfach nur überleben – er durfte Leben gestalten. Gott hat ihm und den Seinen etwas zugetraut. »Die Erde bebauen und bewahren« – das war es doch, das war und ist der Auftrag. Dazu gibt Gott eine zweite Chance. Eine zweite Chance auch für Eva und Adam. Der Tod Abels ist nicht das Ende. Set wird geboren, ein weiterer Sohn. Und auch mit ihm hat Gott Pläne. Sie sind ganz einfach: Set und seine Nachkommen lernen, Gott anzubeten. Damit beginnt eine weitere wichtige, nein: entscheidende Etappe der Kulturgeschichte: Gebet statt Opfer!

    BÄRBEL SCHÄFER

    Dass du uns Leben schenkst – immer wieder neu: wie gut!

    Dass du uns das Beten schenkst: wie gut!

    Gott, hilf mir, zu beten. Hilf mir, mein Leben dir anzuvertrauen.

    Mittwoch, 14. Januar

    Genesis 6,5–22

    Gesehen: ein Kasten aus Holz

    Wieder eine bekannte biblische Geschichte: die Arche Noah. Und auch sie beginnt mit dem Sehen! Gott sieht eine verdorbene Erde, er sieht die Herzen der Menschen und ein »böses Sinnen und Trachten« in ihnen. Das lässt Gott nicht kalt. Er ist traurig, wütend, ja aggressiv. Schluss mit der Menschheit! Aber da ist der eine Mensch Noah. In seinem Herzen sieht Gott anderes; ihm traut er den Neuanfang zu. (Ist das nicht eine Ähnlichkeit zur Geschichte von Kain und Abel? Gott sieht Abel – und der findet Anerkennung. Gott sieht Noah – und der findet Anerkennung.) Gott sieht Noah. Sieht einen Menschen, dem er eine Chance geben will. Und nicht nur ihm: Auch seine Familie und von jedem Tier ein Paar sollen eine Chance bekommen in der Arche, in dem Kasten aus Holz.

    Ein Kasten aus Holz hat später noch einmal Hoffnung bedeutet, ein Zeichen zu neuem Leben. Das war die Bundeslade, die mit dem Volk Israel durch die Wüste zog. Die Dichter der Noah-Erzählung kannten die Geschichte mit der Bundeslade.

    Und ich sehe noch einen weiteren Kasten aus Holz vor mir: die Krippe. Ein Kasten aus Holz – da liegt das Kind, Gott auf Erden. Neues Leben für alle, die keine Lebenschance haben. Der so menschliche Gott dieser Geschichte von der Arche Noah, er bleibt sich treu. Er fühlt nicht nur wie ein Mensch, er wird Mensch – und schenkt nicht nur der Noah-Familie, sondern uns allen das neue Leben.

    Wer sieht dieses Kind im Kasten aus Holz, der Krippe? Hirten, Vergessene der Gesellschaft damals, keine Angesehenen. Dann kamen die Weisen aus dem Morgenland und erkannten den König. Ein langer Weg zum Sehen. Wer sieht dieses Kind in der Krippe denn noch? Wir! Uns wird es vors innere Auge gezeichnet in Texten der Bibel, in Liedern, in Erfahrungen – und nicht nur in der Weihnachtszeit.

    BÄRBEL SCHÄFER

    Ich sehe dich mit Freuden an und kann mich nicht satt sehen. Und weil ich nun nichts weiter kann, bleib ich anbetend stehen. O dass mein Sinn ein Abgrund wär und meine Seel ein weites Meer, dass ich dich möchte fassen. (Paul Gerhardt)

    Donnerstag, 15. Januar

    Genesis 7,11–24

    Bewegt über dem Chaos

    Wo unsägliche Lebenszerstörung um sich greift, werden die Worte dürr und sachlich. Listen mit Namen von Toten, die verlesen werden, Jahr für Jahr an den Orten, die zum Symbol für Zerstörung geworden sind. Ground Zero, die Strände des Tsunami, Fukushima. Eine nüchterne Chronologie der Ereignisse. Auch der Bericht von der großen Flut liest sich nüchtern. Minutiös, aber undramatisch berichtet. Nach und nach gehen Noah und seine Familie samt den Tieren in die Arche. Keine hektische Rettung in letzter Sekunde, sondern ein geordneter Gang in die Arche, die zum Schutzort des Lebens wird. Die Wasser wachsen und begraben das Leben unter sich, es ist eine brodelnde Todesflut. Wie sich einst der Geist Gottes über dem Tohuwabohu zu Anfang der Schöpfung hin und her bewegte, bewegt sich jetzt die Arche auf den Chaosfluten.

    Im großen und sprudelnden Chaos geht alles unter, was auf Erden ist. Es gibt kein Entrinnen vor der großen Flut. Das Wasser steht längst nicht nur bis zum Hals, es wächst und wächst, der Lebensraum schrumpft auf die Arche zusammen. Mich berührt die kleine Geste Gottes: Gott selbst schließt hinter dem Völkchen in der Arche zu. So trägt er selbst Sorge dafür, dass es Leben über und jenseits von den Chaosmächten gibt. Die Arche wird zum behutsam verschlossenen Lebensort, der schaukelnd Oberwasser behält. Was nach einem großen Racheakt Gottes für die Verfehlungen der Menschheit aussieht, trägt doch auch hoffnungsvolle Hinweise auf die bleibende Zuwendung Gottes in sich. Es scheint alles zu Ende, das Leben ist ertränkt. Und doch ist hinter den bergenden Planken der Arche ein Anfang gelegt für neues Leben, für eine Zukunft über und nach den zerstörerischen Chaosmächten.

    HEIKE SPRINGHART

    Gott, die Bilder von brodelndem und zerstörerischem Chaos in mir und auf dieser Welt stehen mir vor Augen. Sie machen mich sprachlos und hilflos. Ich bringe sie vor dich und bitte dich: Lass diese Welt und mein Leben nicht aus den Augen.

    Freitag, 16. Januar

    Genesis 8,1–12

    Abwesende Anwesenheit

    Gedenken ist mehr als der plötzliche Einfall, dass da doch noch etwas war. Es ist auch mehr als das Gegenteil von Vergessen, mehr als der Knoten im Taschentuch zur Erinnerung. Mehr als Vergissmeinnicht. Dass Gott derer gedenkt, die in der Arche mit Noah hin und her treiben, bedeutet, dass er sich kümmert und sich ihnen wieder zuwendet. 40 Tage Flut, das sind 40 Tage, an denen Gott abwesend war, sich abgewendet hat von der Welt. Fast könnte es scheinen, als ob Gott zwischen Schöpfung und Flut wie ein unerwarteter Besucher ist, der immer wieder auftaucht und auch wieder verschwindet. Später wird das anders sein. Aber hier zu Beginn der Geschichte Gottes mit dieser Welt gibt es auch die Zeiten, in denen Gott abwesend ist. Was für ein realistischer Blick auf die Welt! Entscheidend und tröstlich ist, dass Gott sich kümmernd seiner Schöpfung wieder zuwendet. Der, der einst die Tore der Arche verschlossen hat, verschließt jetzt die Brunnen der Tiefe und die Fenster des Himmels. Der Regen hat ein Ende. Endlich. Und der Wind Gottes trocknet das Nass der Fluten. Wie zu Beginn der Schöpfung lässt er das Chaos dem Lebensförderlichen weichen. Die Welt wird wieder zu einem bewohnbaren Ort. Noah entdeckt es erst nach und nach. Er schickt Rabe und Tauben aus, bis das Ölblatt im Schnabel der Taube ihn aufmerken lässt. Ganz geheuer ist es ihm nicht, er wartet mit den Seinen sieben weitere Tage in der Arche. Der Weg zurück ins Leben kann lang sein. Aber der Wind Gottes legt die Lebensräume frei. Mit tastenden Schritten kommen sie zurück. Noah, die Tiere, aber auch Gott selbst und sein Wind. Keine triumphalen Paukenschläge, sondern behutsames Wehen und vorsichtige Schritte. Nach so viel Zerstörung und Schmerz geht es langsam.

    HEIKE SPRINGHART

    Gott, wenn die Fluten über mir zusammenschlagen, wende dich mir zu. Wenn ich mich verlassen und vergessen fühle, gedenke du meiner und lass mich deinen Atem des Lebens spüren.

    Samstag, 17. Januar

    Genesis 8,13–22

    Gottes Umkehr

    Die Geschichte von der großen Flut ist auch die Geschichte einer großen Umkehr, weniger der Umkehr von geläuterten und zerknirschten Menschen. Die Geschichte der Flut in der Bibel redet vor allem von der Umkehr des Schöpfers selbst. Frustriert über den Eigensinn und die Gewaltbereitschaft seiner Geschöpfe, darüber, dass sich Geschwister bis aufs Messer die Köpfe einschlagen, hatte Gott die Flut kommen lassen. Großes Aufräumen war der Plan. Erst schien alles glatt zu gehen, wenn auch brutal. Die große Flut vernichtete alles. Alles, was in langen Jahren gewachsen war, mühsam gebaut, alles wurde weggespült. Häuser und Dörfer bis übers Dach ein Opfer der Fluten. Tiere ertrunken, Hab und Gut verschlammt.

    Und am Ende? Da war nicht endlich aufgeräumt. Da blieben auch nicht nur die übrig, die weiße Westen hatten. Am Ende stand auch nicht eine Gruppe zerknirscht Geläuterter. Am Ende hatte Gott selbst ein Einsehen. Was auf den ersten Blick resigniert klingt, ist bei genauem Hinsehen höchst realistisch.

    Am Ende verspricht Gott, die Erde nie mehr zu zerstören. Am Ende bleibt das Versprechen, dass der Kreislauf von Sommer und Winter, Frost und Hitze, Tag und Nacht nicht aufhören wird, solange die Erde lebt. Aber nicht, weil sich die Menschen geändert hätten, sondern weil Gott sieht, dass Menschen manchmal gar nicht anders können, als einander zu verletzen: »Das Dichten und Trachten des Menschen ist böse von Jugend auf.«

    Am Ende der Geschichte von der großen Flut geht alles anders aus, als man denkt, vielleicht sogar anders, als Gott dachte. Am Ende geht es irgendwie weiter nach der Flut. Gott verspricht, die Erde nicht untergehen zu lassen. Am Ende bleibt die Erkenntnis: Im Hier und im Jetzt wird alles neu, so schwer das manchmal ist.

    Die Geschichte von der Flut in der Bibel hat damit zu tun, dass es manchmal sehr viel anders kommt, als man denkt. Auch darin liegt ein Segen, Gottes Segen.

    HEIKE SPRINGHART

    Gott, heute bringe ich vor dich die Flut meiner Ernüchterung, den Schmerz über das, wo sich Hoffnung auf Besserung nicht erfüllt, die Sehnsucht danach, dass alles neu wird.

    Sonntag, 18. Januar

    Psalm 70

    Adonaj, eile mir zu helfen

    »Ich kann nicht klagen.« Wenn wir diesen Satz hören, wissen wir, dass es einem Menschen gut geht. Es ist schon fast entschuldigend. Eigentlich – so klingt der Satz – hat jeder etwas zu klagen, eigentlich ist ein Mensch ohne Klage unvollständig. Menschen klagen gerne, und dennoch ist die Klage nicht gewollt. Nicht klagen zu müssen, das ist das große Lebensziel unserer Zeit. Die Klage gehört zum Menschen. Jeder Schmerz, jeder Verlust, jede Missachtung, alle mangelnde Wertschätzung bedrängen die Seele und den Geist. Kurzfristig mag das tragbar sein, wenn überhaupt. Wer alles klaglos hinnimmt, häuft große Lasten für Seele, Körper und Geist an. Sie können so belastend sein, dass sie uns unbeweglich machen.

    Die Klage eines Menschen ist da ein gutes Ventil, und es hilft, laut und vernehmlich der Trauer oder Wut, der empfundenen Ungerechtigkeit Ausdruck zu verleihen. Klage reinigt ein Stück weit den Geist und die Seele. »Ich kann nicht klagen« kann da schon fast

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