Die Richtung finden: Ein spiritueller Reisebegleiter für den langen Weg des Glaubens
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Book preview
Die Richtung finden - Henri J. M. Nouwen
Henri Nouwen
Die Richtung finden
Ein spiritueller Reisebegleiter
für den langen Weg des Glaubens
Aus dem Amerikanischen
von Bernardin Schellenberger
Impressum
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
Spiritual Direction. Wisdom for the Long Walk of Faith
Copyright © The Estate of Henri J. M. Nouwen / The Henri Nouwen
Legacy Trust, Michael J. Christensen, Rebecca J. Laird, 2006
Als deutsche Bibelübersetzung ist zugrunde gelegt:
Die Bibel. Die Heilige Schrift des Alten und des Neuen Bundes.
Vollständige deutschsprachige Ausgabe
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2005
© KREUZ VERLAG
in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2015
Alle Rechte vorbehalten
www.kreuz-verlag.de
Umschlaggestaltung: agentur Idee
Umschlagmotiv: © Jürgen Fälchle – Fotolia.com
E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
ISBN (E-Book) 978-3-451-80344-4
ISBN (Buch) 978-3-451-61331-9
Inhalt
Danksagung
Vorwort: Worum es in diesem Buch geht
Einführung: Geistliche Begleitung
Erster Teil: Den Blick nach innen ins Herz lenken
1Wer wird meine Fragen beantworten?
2Wo fange ich an?
3Wer bin ich?
4Wo war ich, und wohin gehe ich?
Zweiter Teil: Im Buch lesen, um Gott zu finden
5Was ist Gebet?
6Wer ist Gott für mich?
7Wie kann ich das Wort Gottes hören?
Dritter Teil: Sich in der Gemeinschaft um andere kümmern
8Wohin gehöre ich?
9Wie kann mein Dienst aussehen?
Epilog: Wohin gehe ich von hier aus?
Anhang 1: Mit seinen Fragen leben: Die zehn Gleichnisse von Henri Nouwen
Anhang 2: Wie man einen geistlichen Begleiter findet von Rebecca J. Laird
Zur weiteren Lektüre
Quellennachweise
Danksagung
Technisch gesehen ist das vorliegende Buch nicht von Henri Nouwen geschrieben, aber es enthält seine Worte und seine Weisheit. Er selbst hat zu seinen Lebzeiten nur einen einzigen Beitrag geschrieben, in dessen Überschrift der Begriff »geistliche Begleitung« vorkam. Das vorliegende Buch ist also ein von uns Herausgebern zusammengestelltes posthumes Werk von Henri Nouwen über die geistliche Begleitung. Dafür haben wir aus seinen vielen Predigten, Aufsätzen, Zeitschriftenbeiträgen, Vorlesungsnotizen, unveröffentlichten Manuskripten und veröffentlichten Schriften Elemente gesammelt, die zeitlose Weisheiten über die persönliche Begleitung enthalten, und haben diese so zusammengestellt, dass sie eine praktische Anleitung ergeben. Für dieses zwei Jahre dauernde Unternehmen brauchten wir die Erlaubnis und Mitarbeit der Institution, die Henris literarischen Nachlass verwaltet, des Henri Nouwen Literary Trust, um seine Ausführungen in den heutigen Kontext versetzen, seine Ausdrucksweise aktualisieren, seine Weisheit konzentrieren und an vielen Stellen Überleitungen formulieren zu können, und das auf eine solche Art, dass wir seinen Auffassungen und seinem Stil treu bleiben konnten.
Wir Herausgeber möchten uns ausdrücklich bei allen bedanken, die uns beim Verfassen dieses Buches geholfen haben: bei Steve Hanselman und John Loudon vom Verlag HarperCollins dafür, dass sie dieses Projekt zusammen mit Rebecca entworfen haben; bei Sue Mosteller, der für Nouwens Schriften zuständigen literarischen Nachlassverwalterin, sowie bei dem Team, das sich um die Projekte zur Veröffentlichung des Nachlasses von Henri Nouwen kümmert: Nathan Ball, Robert Ellsberg, Gabrielle Earnshaw und Joe Vostermans. Sie haben zahlreiche Entwürfe durchgesehen und uns auf der Grundlage ihrer genauen Kenntnis des Lebens und Werks von Henri viele wertvolle Hinweise gegeben. Zudem hat uns Gabrielle Earnshaw in ihrer Rolle als Archivarin der J. M. Nouwen Archives and Research Collection geholfen, ursprüngliches Quellenmaterial und die am frühesten veröffentlichten Fassungen von Henris Schriften ausfindig zu machen, zu kopieren und zu prüfen. John und Carol Lang sowie Jeff Wittung, Doktoranden an der Drew University, haben für uns das Einscannen zahlreicher Nouwen-Dokumente besorgt, die wir dann in das Endmanuskript einfügen konnten; Mitglieder der Henri Nouwen Society, vor allem Jeff Imbach und Virginia Hall Birch, haben das Manuskript durchgesehen und uns hilfreiche Anregungen geliefert; und Mickey Maudlin, Roger Freet, Kris Ashley und Carolyn Holland waren unser zuverlässiges Team beim Verlag HarperCollins.
Vor allem aber bedanken wir uns bei unseren jungen Töchtern Rachel und Megan für ihre Geduld mit uns in der Zeit, in der wir voll damit beschäftigt waren, dieses Buch vor dem zehnten Jahrestag von Henris Tod fertigzustellen. Es sollte nämlich anlässlich dieses Termins unser Geschenk und ein Zeichen der Liebe und Dankbarkeit für ihn werden. Wir sind zuversichtlich, dass die Weisheit und die Freundschaft, die er uns zu seinen Lebzeiten geschenkt hat, auch noch in künftigen Jahren das Leben anderer Menschen prägen werden.
Vorwort
Worum es in diesem Buch geht
Als junger Priester verstand Henri Nouwen die geistliche Begleitung als formelle Beziehung zwischen einem reifen geistlichen Leiter und einem Neupriester oder Seelsorger, und zwar zum Zweck der Supervision und des Rechenschaftgebens.¹ Später in seinem Leben bevorzugte er die Begriffe spiritual friendship (»geistliche Freundschaft«) oder soulfriend (»Seelenfreund«), in denen das dazu notwendige gegenseitige Geben und Nehmen im Prozess des spirituellen Rechenschaftgebens und der Glaubensbildung angedeutet war. Für Henri war ein geistlicher Begleiter einfach jemand, der mit einem anderen spricht und mit ihm betend sein Leben überdenkt. Die Weisheit und die Leitung ergaben sich aus dem spirituellen Dialog und der gegenseitigen Beziehung von zwei oder mehr gläubigen Menschen, die sich spirituellen Übungen widmeten und einander die für ein spirituelles Leben erforderliche Rechenschaft ablegten. Von daher lässt sich geistliche Begleitung, wie Henri sie verstand, definieren als eine Beziehung, die ein spirituell Suchender mit einem im Glauben reifen Menschen eingeht, welcher willens ist, mit ihm zu beten und sich mit Weisheit und Verständnis auf seine Fragen im Hinblick darauf einzulassen, wie man in einer Welt voller Zwiespältigkeiten und Zerstreuungen spirituell leben kann.
Laut Henri beruht das spirituelle Leben auf einem Paradox: »Ohne Alleinsein ist es praktisch unmöglich, ein spirituelles Leben zu führen.«² Und dennoch können wir unser spirituelles Leben nicht allein führen. Um Gott zu erkennen, brauchen wir zwar das Alleinsein, aber wir brauchen zugleich auch eine Glaubensgemeinschaft, die uns in die Pflicht nimmt. Wir müssen lernen, wie wir auf das immer in unserem Herzen gegenwärtige Wort Gottes hören können. Wir brauchen intensives Studium und eine konsequente spirituelle Praxis, um das Wort Gottes in den Worten der Heiligen Schrift zu erkennen. Wir brauchen eine Kirche oder Glaubensgemeinschaft, die uns die Möglichkeit zum Gottesdienst und zum Miteinander-Teilen bietet, die uns zu gegenseitiger Korrektur und zum gemeinsamen Tragen unserer Lasten, zum Sündenbekenntnis, zum Gewähren von Vergebung und zum Feiern des Lebens auffordert. Zudem brauchen wir Führung: spirituelle Freunde, einen spirituellen Begleiter oder eine Gruppe, der wir Rechenschaft ablegen und die uns zum sicheren Ort für das Leben unserer Seele werden kann.
Henri schuf Gemeinschaft, wohin immer er kam, und innerhalb dieser Gemeinschaften bot er spirituelle Begleitung an, zuweilen ganz formell, aber meistens in informellen Gesprächen und Freundschaften. Zudem war er mittels seiner persönlichen Korrespondenz, seines öffentlichen Unterrichts und seiner Schriften, die er veröffentlichte, für viele ein spiritueller Begleiter. Vor seinem Tod sagte er zu seinen Freunden, wenn er sterbe, werde sein Geist allen zugänglich sein, die er liebe und die ihn liebten. Deswegen vertrauen wir darauf, dass auch die Leser und Leserinnen dieses Buches hier und jetzt aufgrund der Kraft des geschriebenen Wortes und durch das Wirken des Heiligen Geistes die persönliche Erfahrung machen können, von Henri Nouwen spirituell begleitet zu werden.
Wie es dazu kam, dass dieses Buch geschrieben wurde
Die Idee für dieses Buch ergab sich aus einer einfachen Begegnung: Eine Veranstaltung, bei der Rebecca einen Vortrag über Henri Nouwen hielt, war mit einem Festessen verbunden. Dabei ergab es sich, dass eine junge Protestantin, die gerade in der Ausbildung zur geistlichen Begleiterin war, ihre Tischnachbarin wurde und ihr von ihren derzeitigen Problemen erzählte. Infolge einer Depression aufgrund ihrer Unfruchtbarkeit war sie ganz niedergeschlagen und antriebslos geworden. Sie erzählte: »Das Einzige, was mich durch den letzten Sommer gebracht hat, waren Henris Bücher, die ich gelesen habe. Er wurde mir anhand seiner Bücher zum persönlichen Begleiter durch meine dunkle Nacht.«
Wie kam es, dass ein römisch-katholischer Priester, der beim Schreiben seiner letzten Bücher schon mehr als sechzig Jahre alt gewesen war und nie die Höhen und Tiefen der Unfruchtbarkeit oder der Ehe durchgemacht hatte, das verwundete Herz dieser Frau hatte ansprechen können? Zwar gibt es die Depression quer durch alle Geschlechter und Altersstufen, aber das hier ging weit darüber hinaus. Henri kam auf ganz allgemeine spirituelle Bedürfnisse und Sehnsüchte zu sprechen. Er hatte erfasst, dass das Allerpersönlichste zugleich das Umfassendste ist. Er hatte aus der Tiefe der christlichen spirituellen Tradition gelebt und es gelernt, genau auf die grundlegenden Fragen zu hören, die dem Ringen aller Menschen zugrunde liegen.
Viele Menschen suchen in Henris Büchern spirituelle Anleitung. Aber viele von uns wünschen, sie hätten persönlich von Angesicht zu Angesicht mit Henri sprechen und ihm ihre drängendsten spirituellen Fragen stellen können. Doch das ist nicht mehr möglich. Henri weilt physisch nicht mehr unter uns. So entstand bei uns der Wunsch nach einem Buch, das seine Leser auf dem Gang durch die großen Fragen begleiten könnte, auf die viele Menschen stoßen, wenn sie sich bewusst daranmachen, sich mit grundlegenden Fragen des spirituellen Lebens auseinanderzusetzen, und sich dafür nach einem Begleiter umsehen.
Michael, der im Seminar in den Genuss von Henris spiritueller Begleitung gekommen war, erinnerte sich, dass er immer noch seine Mitschriften aus einem Kurs besaß, den Henri an der Divinity School in Yale gegeben hatte. Das genügte, um uns anfangen zu lassen. Wir suchten dann im Henri-Nouwen-Archiv am St. Michael’s College in Toronto nach seinen unveröffentlichten Schriften über die spirituelle Formung auf dem Wege spiritueller Begleitung. Was wir fanden, war mäßig viel, aber wunderbar, doch es war eine ziemliche Arbeit, es zu einem guten, flüssig durchlaufenden Text zusammenzusetzen und sprachlich neu zu fassen.
So setzten wir also bislang unveröffentlichte Gedanken, Ausführungen, Predigten, Vorlesungsmitschriften und Praxisvorschläge von ihm zusammen. Zudem verwoben wir damit Material, das ursprünglich in Form von Zeitschriftenbeiträgen erschienen war. Wir stellten fest, dass diese Texte formloser und direkter waren als die stärker geglätteten Fassungen, wie sie sich in seinen Büchern finden. Gelegentlich verwendeten wir auch Auszüge aus Henris Büchern, wenn für ein bestimmtes Thema keine bessere Originalquelle verfügbar war. Der sich daraus ergebende Flickenteppich ist unser Versuch, in Zusammenarbeit mit dem Henri Nouwen Literary Trust Henris Aussagen zu einigen der großen Fragen im Hinblick auf das spirituelle Leben vorzustellen, um die es überall geht, wo jemand eine regelmäßige spirituelle Begleitung erfährt. Unsere Absicht ist es, eine spirituelle Begleitung durch Henri Nouwen zu ermöglichen, der aus seinen Schriften und praktischen Ratschlägen auch heute noch zu uns spricht. Unserer Überzeugung nach gibt der von uns ausgearbeitete Text den »klassischen Henri« wieder, nämlich sein spätes und reifstes Denken. So kann man über die vorliegenden Ausführungen in eine lebendige Beziehung zu ihm eintreten und eine persönliche spirituelle Anleitung von ihm erfahren. Allerdings muss man zugeben, dass sich natürlich mit den Worten eines gedruckten Buches keine lebendige Weggemeinschaft und Rechenschaft herstellen lässt. Aber auf jeden Fall erschließt dieses Buch hier Henris Weisheit und sein theologisches Denken. Es bietet wertvolle Anregungen sowohl für geistliche Begleiter als auch für solche, die Begleitung suchen. Es möchte zum persönlichen Nachdenken und Sich-Einlassen auf andere anregen.
Wir vertrauen darauf, dass seine Leserinnen und Leser rasch merken, dass es für sie am fruchtbarsten wird, wenn sie es nicht nur für sich lesen, sondern sich gleichzeitig auch auf das geistliche Gespräch mit jemand anderem einlassen.
Wie man dieses Buch lesen kann
Das Buch ist so angelegt, dass man es mindestens zweimal lesen sollte: ein erstes Mal rasch und zügig von Anfang bis Ende, vielleicht in einem einzigen Zug, und das zweite Mal langsam und meditativ, vielleicht über zehn Wochen hinweg nur ein Kapitel pro Woche. Man kann diese Kapitel allein für sich oder gemeinsam lesen, eins nach dem anderen oder in irgendeiner anderen Reihenfolge, je nachdem, welche Fragen, Bedürfnisse und Interessen einen bewegen. Wir hoffen, dass die Fragen »zum Nachdenken und für das Tagebuch« am Ende eines jeden Kapitels für das Nachdenken und die Vorbereitung auf das Gespräch mit anderen hilfreich sind. Die Übungen am Ende jedes Kapitels (die meisten von ihnen hat Henri persönlich verwendet und empfohlen) sind so gedacht, dass man sie gemeinsam mit seinem geistlichen Begleiter oder einem geistlich eng verwandten Menschen oder in einer kleinen Gruppe macht.
Das Buch ist so aufgebaut, dass es zehn grundlegende Themen des geistlichen Lebens anspricht. Diese Themen werden in Form von Gleichnissen, persönlichen Schilderungen und biblischen Überlegungen vorgestellt. Das war die Art und Weise, wie Henri seine Vorlesungen und Retreat-Kurse aufbaute: Er erzählte kurze, prägnante Gleichnisse, stellte grundlegende und zeitlos aktuelle Fragen, wählte für seine Überlegungen meistens Evangelientexte aus, führte zahlreiche spirituelle Möglichkeiten und Weisungen an und empfahl bestimmte Weisen der Glaubensvertiefung.
Ganz gleich, auf welche Weise Sie dieses Buch lesen oder verwenden – jedenfalls ist es ein Angebot, sich eine bestimmte Zeit lang lesend auf die persönliche Begegnung mit Henri einzulassen. Das wird Ihnen helfen, im Rahmen Ihrer eigenen Gemeinschaft spirituell weiter zu wachsen. Zu jedem Kapitel verweisen wir am Ende des Buches auf die ursprünglichen Fundorte der einzelnen Ausführungen in Henris Schriften, sodass, wer will, auch auf die Originaltexte und ursprünglichen Zusammenhänge zurückgreifen kann. Die Anhänge enthalten zusätzliche Anregungen und Hilfen, wie man einen geeigneten geistlichen Begleiter erkennen und für sich finden kann, mit dem zusammen man dann die Disziplin der geistlichen Begleitung weiter üben kann.
Wir sind selbst in den Genuss von Henris persönlicher geistlicher Begleitung gekommen, wie er sie sein Leben lang praktiziert hat. Von anderen, die ihn besonders gut gekannt haben, haben wir erfahren, dass Henri eine besondere Gabe dafür hatte, sich bei Alltagsgesprächen gründlich auf geistliche Wirklichkeiten und Wahrheiten einzulassen. Er verfügte zudem über eine ausgesprochen starke Begabung für Freundschaft und Gastlichkeit.
Henri weilt nicht mehr unter uns, aber seine Weisheit bleibt uns. Auf dem Weg über das, was er geschrieben hat, können wir ihm immer noch im Geist ganz nahe kommen. Da er dem Leibe nach nicht mehr bei uns ist, müssen wir unser Vertrauen jetzt desto mehr auf den Führer und Begleiter schlechthin setzen, der natürlich der Heilige Geist ist. Wir sind fest davon überzeugt, dass Henri sich ganz hinter diesen Hinweis stellen und uns genau wie schon zu seinen Lebzeiten ständig auf Gott verweisen würde, den Geber, Schöpfer und Gestalter unseres Lebens.
Michael J. Christensen
Rebecca J. Laird
Einführung
Geistliche Begleitung
Zu Beginn dieses unseres gemeinsamen Weges in der geistlichen Begleitung³ möchte ich Sie dazu einladen, zunächst einmal in Ihrem Leben für Gott Raum zu schaffen. Dazu brauchen Sie Zeit und Einsatz. Jede Selbstverpflichtung zu einer geistlichen Begleitung bringt die Möglichkeit zu geistlicher Freundschaft mit sich und liefert die Zeit und Struktur sowie die Weisheit und Disziplin, um in Ihrem Leben einen heiligen Raum zu schaffen, in dem Gott wirken kann. Indem Sie einen heiligen Raum schaffen, reservieren Sie ein Stück Ihrer selbst. Das verhindert, dass Ihr eigenes Leben restlos mit allem Möglichen ausgefüllt, belegt oder beschäftigt ist. Die geistliche Begleitung richtet im Haus Ihres Lebens sozusagen eine »Anschrift« ein, sodass Gott Sie beim Gebet dort vorfinden und ansprechen kann. Wenn das der Fall ist, beginnt sich Ihr Leben zu verändern, und zwar auf Weisen, die Sie überhaupt nicht vorgesehen und mit denen Sie nicht gerechnet hätten, denn Gott wirkt in unserem Leben auf ganz wunderbare und verblüffende Art.
Das Ziel der geistlichen Begleitung ist die geistliche Formung, die darin besteht, dass Ihre Fähigkeit, aus Ihrem Herzen heraus ein geistliches Leben zu führen, immer größer wird. Ohne Disziplin, Praxis und das Ablegen von Rechenschaft lässt sich kein intensives geistliches Leben ausbilden. Spirituelle Übungen gibt es viele. Fast alles, was uns regelmäßig dazu auffordert, die Dinge langsamer zu tun und unsere Zeit, unsere Wünsche und Gedanken fest darauf ausrichtet, unserer Selbstsucht, Unbesonnenheit oder hastigen Verschwommenheit entgegenzuwirken, kann zur spirituellen Übung werden.
Meiner Überzeugung nach sind zumindest drei klassische Disziplinen oder geistliche Übungen besonders wichtig, wenn man sich auf die Beziehung einer geistlichen Begleitung einlassen will. Sie können helfen, in uns Raum für Gott zu schaffen: 1. die Disziplin des Herzens, 2. die Disziplin des Buches und 3. die Disziplin der Kirche oder Glaubensgemeinschaft. Das Zusammenspiel dieser drei geistlichen Übungen hilft uns, unsere Widerstände gegen das kontemplative Hören und den aktiven Gehorsam gegenüber Gott zu überwinden und uns dafür frei zu machen, ein leibhaftiges und erfülltes geistliches Leben zu führen.⁴
Den Blick nach innen ins Herz lenken
Die erste und wesentlichste geistliche Übung, zu der jeder geistliche Begleiter alle auffordern muss, besteht darin, sich um die Disziplin seines Herzens zu bemühen.⁵ Die uralte Disziplin, dank deren wir Gott in unserem Herzen zu sehen beginnen, besteht aus der Innenschau und dem kontemplativen Gebet. Beim innerlichen Gebet geht es um das sorgfältige Aufmerken auf den, der im Mittelpunkt unseres Wesens