Evolution in Menschenhand: Synthetische Biologie aus Labor und Atelier
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Book preview
Evolution in Menschenhand - Verlag Herder
Sonja Kießling und
Heike Catherina Mertens (Hrsg.)
Evolution
in Menschenhand
Synthetische Biologie
aus Labor und Atelier
Impressum
Diese Publikation dokumentiert in erweiterter Form die Beiträge des Symposiums »Evolution in Menschenhand? Synthetische Biologie aus Labor und Atelier«, das von der Schering Stiftung in Kooperation mit der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften im März 2015 in Berlin veranstaltet wurde.
Herausgegeben für die Schering Stiftung von Sonja Kießling und Heike Catherina Mertens.
039.epsSchering Stiftung
Unter den Linden 32–34
10117 Berlin
info@scheringstiftung.de
www.scheringstiftung.de
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2016
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Übersetzung des Interviews Van Balen/Mertens: Manuela Thurner, München
Lektorat: Alwin Letzkus, Freiburg
Coverbild: Pigeon d’Or, 2011, © Revital Cohen & Tuur Van Balen
Bild vor Teil I: Quandt, H.-J., Broer, I. & Pühler, A. (1992): Tissue-specific activity and light-dependent regulation of a soybean rbcS promoter in transgenic tobacco plants monitored with the firefly luciferase gene. In: Plant Science 82, S. 59–70, Abb. 2; mit Genehmigung von Elsevier.
Bild vor Teil II: © Keith V. Wood
Bild vor Teil III: http://www.gaudi.ch/GaudiLabs/?page_id=19. © Urs Gaudenz, GaudiLabs, 2015, Lizenz: CC-BY-SA-3.0
Umschlaggestaltung: Claudia Wild, Konstanz
E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
ISBN (E-Book) 978-3-451-80960-6
ISBN (Buch) 978-3-451-34841-9
Inhalt
Zum Geleit
Jörg Hacker, Charlotte Klonk, Bernd Müller-Röber
Editorial
Sonja Kießling und Heike Catherina Mertens
Synthetische Biologie als Form der kulturellen Praxis
Heike Catherina Mertens im Gespräch mit Tuur Van Balen
Teil I: Evolution in Menschenhand? – Was ist und was kann Synthetische Biologie?
Synthetische Biologie – das perfekte Werkzeug für die Biotechnologie
Alfred Pühler Centrum für Biotechnologie der Universität Bielefeld
Was ist Leben? Eine Annäherung von Seiten der Synthetischen Biologie
Petra Schwille Max-Planck-Institut für Biochemie, Martinsried
Versteckt, entlarvt, inszeniert: Spielarten von Kunst mit nassen Händen und reinem Gewissen
Jens Hauser Institut für Kunst und Kulturwissenschaften und Medical Museion der Universität Kopenhagen
Bio-Nutzen, Bio-Träume – Leben gestalten in Labor und Atelier
Reflexionen zur Podiumsdiskussion mit Petra Schwille, Alfred Pühler, Jens Hauser und Charlotte Klonk
Volkart Wildermuth Biochemiker und Wissenschaftsjournalist
Teil II: Kunst und Wissenschaft als Poiesis? Synthetische Biologie aus Labor und Atelier
Synthetische Natur
Zur Literaturgeschichte der Lebenswissenschaften
Hans-Christian von Herrmann Institut für Philosophie, Literatur-, Wissenschafts- und Technikgeschichte der Technischen Universität Berlin
Synthetische Biologie und biologisches Design in Kunst und Wissenschaft
Ingeborg Reichle Institut für Kulturwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin
Von der Kunst und der Herausforderung, eine ›neue Biologie‹ zu erschaffen
Tobias J. Erb Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie, Marburg
Faszinierende Grenzgänge. Synthetische Biologie in Labor und Atelier
Reflexionen zur Podiumsdiskussion mit Hans-Christian von Herrmann, Desiree Förster, Tobias J. Erb und Jörg Hacker
Norbert Lossau Physiker und Wissenschaftsjournalist, »Die Welt« | N24
Teil III: Forschungsroutine oder Grenzüberschreitung? Philosophische und normative Aspekte der Synthetischen Biologie
Biohacking als emanzipierte Citizen Science (Lizenz CC-BY-SA-3.0)
Rüdiger Trojok Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse des Karlsruher Instituts für Technologie
(Verfassungs-)Rechtliche Aspekte Synthetischer Biologie
Tade M. Spranger Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Bonn
Forschungsroutine oder Grenzüberschreitung?
Reflexionen zur Podiumsdiskussion mit Marcel Weber, Rüdiger Trojok und Bernd Müller-Röber
Michael Lange Biologe und Wissenschaftsjournalist
Teil IV: Zusammenfassung
Synthetische Biologie aus Labor und Atelier
Hans-Jörg Rheinberger Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin
Die Autoren
Zum Geleit
Seit der Antike träumen Menschen davon, Leben künstlich zu erschaffen. Angetrieben durch die enormen Fortschritte bei der DNA-Sequenzierung und der Gensynthese ist mit der Synthetischen Biologie inzwischen eine Fachdisziplin entstanden, die es ermöglicht, das Erbgut von Organismen umfassend umzuprogrammieren und lebende Systeme mit Eigenschaftskombinationen herzustellen, die es in der Natur bisher nicht gegeben hat. Mittels dieser Verfahren könnten, so lautet das Versprechen, zukünftig Lösungen für drängende Probleme in Bereichen wie Gesundheit, Umwelt und Energie gefunden werden. Gleichzeitig bringt die Synthetische Biologie neben den wissenschaftlichen auch politische, rechtliche und ethische Herausforderungen mit sich, die eine gesamtgesellschaftliche Diskussion erfordern.
Die Schering Stiftung veranstaltete in Kooperation mit der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften am 13. März 2015 das Symposium »Evolution in Menschenhand – Synthetische Biologie aus Labor und Atelier«, das Natur-, Geistes-, Rechts- und Kulturwissenschaften zusammenführte, um aktuelle Entwicklungen der Synthetischen Biologie aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten.
Das Symposium fand begleitend zu der Ausstellung »assemble | standard | minimal« von Revital Cohen und Tuur Van Balen statt, die von Januar bis Mai 2015 im Projektraum der Schering Stiftung zu sehen war. In einer der gezeigten Arbeiten, der Videoinstallation Pigeon d’Or, werden Tauben zur Projektionsfläche der Anwendung von Synthetischer Biologie. In dem Kunstprojekt, das in Zusammenarbeit mit dem Biochemiker James Chappel entstanden ist, untersucht Tuur Van Balen ethische und politische sowie Umwelt- und Sicherheitsfragen der Synthetischen Biologie. Die Arbeit regt dazu an, komplett neue Anwendungen für die Synthetische Biologie zu imaginieren, die weit über die klassischen Paradebeispiele aus Medizin und Energieproduktion hinausgehen.
Die wesentlichen Beiträge des Symposiums sowie die Ergebnisse der zum Teil kontroversen Diskussionen sind in der vorliegenden Publikation zusammengefasst. Mit der Veröffentlichung der Tagungsbeiträge verbinden wir die Hoffnung, den Begriff der Synthetischen Biologie, der für viele immer noch ein sehr abstraktes Forschungsgebiet mit wenig Alltagsnähe bezeichnet, einem breiteren und interessierten Publikum zugänglich zu machen. Das Symposium sollte Auftakt und Anregung sein, die begonnenen Diskussionen an der Schnittstelle verschiedener Disziplinen, aber insbesondere auch an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Kunst fortzuführen.
Berlin, November 2015
Jörg Hacker
Charlotte Klonk
Bernd Müller-Röber
»Weder ist eine Kultur ohne Wissen vorstellbar noch ein Wissen, das nicht in eine Kultur eingebettet wäre.«¹
Editorial
Sonja Kießling und Heike Catherina Mertens
Seit ihrer Gründung im Jahr 2002 verfolgt die Schering Stiftung mit ihren Förderprogrammen in Wissenschaft und Kunst das Ziel, Wissen zu fördern, zugänglich zu machen und zu verbreiten. Unser Augenmerk gilt dabei weniger dem bereits Gewussten als dem Entstehen neuen Wissens – in den Wissenschaften und den Künsten. Das Wissen der Künste? Gibt es ein solches überhaupt? Muss nicht der Kunst jegliches Wissen abgesprochen werden? Dieser Auffassung des Szientismus, nach der jedes Wissen begründetes Wissen sein muss, das überprüfbar, reproduzierbar und objektiv ist, halten wir mit Jürgen Mittelstraß entgegen, dass es neben diesem begrifflichen, expliziten Wissen noch ein anderes, implizites Wissen gibt: »das sich in der (künstlerischen) Darstellung ausdrückende (ästhetische) Wissen«.² Künstler zeigen die Ergebnisse ihrer Forschungen: in der Malerei und Skulptur ebenso wie in den neuen künstlerischen Medien wie Film, Performance oder Installation.
Das vorliegende Buch ist der Versuch, sich der Synthetischen Biologie sowohl aus wissenschaftlicher als auch aus künstlerischer Sicht zu nähern, um so unser Wissen über diese Fachdisziplin zu erweitern und zugleich die damit verbundene gesellschaftliche Verantwortung zu reflektieren. Während die beteiligten Natur- und Geisteswissenschaftler im vorgegebenen Format ›Buch‹ ihr übliches Werkzeug, die Sprache, nutzen können, sind die Möglichkeiten der Kunst hier zwangsläufig beschränkt: aus Filmen, die Bewegung und gesprochene Sprache (auf-)zeigen, werden stumme Bilder; von lebenden Tieren, Objekten und gestaltetem Raum bleiben nur Fotos. Wir haben daher weitgehend auf Ansichten der Ausstellung »assemble | standard | minimal« von Revital Cohen und Tuur Van Balen verzichtet, die den Anlass für das Symposium »Evolution in Menschenhand?« gegeben hat. Stattdessen kommt der Künstler Tuur Van Balen in einem Interview selbst zu Wort und beschreibt drei zentrale Werke aus der Ausstellung: Sterile, Albino-Goldfische ohne Fortpflanzungsorgane aus einem japanischen Labor, Sensei Ichi-gō, eine Maschine, die in der Lage ist, sterile Goldfische zu erzeugen, und Pigeon d’Or, eine Videoinstallation, die eine Reihe von Interventionen zeigt, in denen Wissenschaftler, Taubenzüchter und der Künstler selbst das Ziel verfolgen, unter Nutzung von Methoden der Synthetischen Biologie Tauben Seife ausscheiden zu lassen.
Revital Cohen und Tuur Van Balen zeigen auf ihre Weise, wie Menschen in biologische Prozesse eingreifen, und sie werfen Fragen auf, die nicht allein aus künstlerischer Sicht betrachtet werden sollten. Zusammen mit der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften hat die Schering Stiftung daher renommierte WissenschaftlerInnen eingeladen, diese Fragen aus multidisziplinärer Perspektive zu erörtern. Dass dies nötig ist, belegt eine Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach und der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, die im Januar 2015 veröffentlicht wurde. 82 Prozent der Befragten wissen kaum etwas oder gar nichts über das noch junge Fachgebiet der Synthetischen Biologie. Weder ist der Begriff bekannt, noch gibt es großes Interesse an diesem Forschungsfeld, was überrascht, angesichts des gesellschaftlichen Interesses an wissenschaftlichen und ethischen Fragen der modernen Gentechnik.
Demzufolge widmen wir uns im ersten Teil dieses Buches zunächst den Fragen »Was ist und was kann die Synthetische Biologie?«, die chemische, lebenswissenschaftliche, biotechnologische und ingenieurwissenschaftliche Ansätze miteinander verbinden.
Alfred Pühler definiert den Begriff und stellt die Synthetische Biologie in den Kontext der modernen Biowissenschaften, insbesondere der Gentechnik. Auch werden potenzielle Anwendungsmöglichkeiten in der Biotechnologie sowie deren Grenzen herausgearbeitet.
Petra Schwille stellt die Frage nach der Entstehung des Lebens, nach der Entwicklung vom Einfachen zum Komplexen. Das ist auch Gegenstand ihrer eigenen Forschung. Um die Merkmale von Zellen als minimale Einheiten belebter Materie zu erkennen und zu verstehen, untersucht sie zelluläre Abläufe in einer vereinfachten zellfreien Umgebung. Ihr vorläufiges Ziel ist es, aus einzelnen Zellbausteinen ein Gebilde zu konstruieren, das aussieht wie eine Zelle und sich kontrolliert teilen kann. Sie hofft, mit diesem »Bottom-up«-Ansatz der Synthetischen Biologie die minimalen Voraussetzungen für zelluläres Leben zu entschlüsseln.
Jens Hauser, Kurator der Ausstellung »assemble | standard | minimal« in der Schering Stiftung, stellt das Werk von Revital Cohen und Tuur Van Balen in den Kontext weiterer künstlerischer Ansätze, die sich der Methoden und Konzepte Synthetischer Biologie für ihre eigenen, subjektiven Zwecke bedienen. Mitnichten verstehen sich die Künstler dabei als Übersetzer oder Vermittler dieses Forschungsgebietes für die Öffentlichkeit. Vielmehr geht es häufig um kritisch-reflektierende Betrachtungen und Inszenierungen sowie um direkte Kooperationen von Künstlern und Wissenschaftlern, die nicht selten auch von Missverständnissen begleitet werden.
Im