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Vatermord: Der erste Wiener Uni-Krimi
Vatermord: Der erste Wiener Uni-Krimi
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Vatermord: Der erste Wiener Uni-Krimi

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„Die Stimme des Intellekts ist leise.“ Die Stele für Sigmund Freud im Votivpark spricht eine Warnung in Richtung der Universität Wien aus. Als dort einer jungen Wissenschaftlerin die Kehle durchgeschnitten wird, beginnt die Fassade rationaler und objektiver Wahrheitssuche zu bröckeln.

Bei einem großen Historikerkongress und während des Verfahrens zur Berufung auf eine wichtige Professur braut sich weiteres Unheil zusammen. Der mächtige und rücksichtslose Vorstand des Instituts für Geschichte Josef Amblic wird tot in seinem Büro gefunden – neben einer Giftschlange. Assistent Martin Heiser gerät in die Rolle des Ermittlers und sucht im akademischen Mikrokosmos die Wahrheit, welche die Inspektorin alleine nicht fi nden kann. Seine Albträume refl ektieren die Ereignisse auf tieferer Ebene und geben ihm wichtige Hinweise. Er entdeckt überraschende Verfl echtungen des akademischen Umfelds mit verworrenen Familienverhältnissen – und findet sich in einer Schlangengrube wieder.

Voller Anspielungen und Seitenhiebe spiegelt der erste Wiener Uni-Krimi die akademische Binnenwelt in einer gesellschaftlichen Situation, welche der Universität überstürzte Reformen, Sparbudgets, den Bologna-Prozess und heftige Studentenproteste beschert hat.
LanguageDeutsch
Release dateSep 30, 2014
ISBN9783826080128
Vatermord: Der erste Wiener Uni-Krimi
Author

Isabel Bernardi

Isabel Bernardi ist eine Veterinärmedizinerin und eine Philosophin, Verfasserin zahlreicher wissenschaftlicher Werke.

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    Vatermord - Isabel Bernardi

    www.buchkatalog.de

    1

    Im Votivpark neben dem Hauptgebäude der Wiener Universität blühten die Bäume und die Vögel zwitscherten aus vollem Hals. Die ersten Studenten lagerten sich wieder auf die Wiesen und auf die weiß-roten Liegestühle, mit denen Werbung für Wien gemacht wurde – praktischerweise auch gleich für die Stadträtin, welche für diese großzügige Aktion zugunsten der Volksentspannung verantwortlich war. Die Studierenden nutzten gerne aus, dass sie auf diese Weise auch einmal etwas von den Steuergeldern hatten, wie sie meinten. Es war der Donnerstag Mittag vor den Osterferien an der Universität, die diesmal spät im Jahr waren und auf die sie sich mit Leib und Seele einstimmten. Von dem bedeutenden Historikerkongress, der am selben Nachmittag nebenan beginnen würde, wussten sie nichts und wollten es auch nicht wissen, selbst wenn sie vom Fach waren. Zum Glück schien der Klimawandel der Sonne schon an diesem 5. April zu kräftiger Wirkung zu verhelfen.

    An einer Ecke des Parks stand neuerdings ein riesiger sechseckiger Steintisch mit zwölf Stühlen aus Granit rund herum, deren jeder ein europäisches Land symbolisierte, das am 1. Mai 2004 der Europäischen Union beigetreten war – Österreich, symbolisiert im Tisch, natürlich in der Mitte. Tisch und Bett gehören ja zusammen, tu, felix Austria, nube: Auf der Platte turtelten zwei Tauben. Als eine dröhnende Autolawine auf der mehrspurigen Straße zwischen der Votivkirche und dem Park vorbeiraste, flogen sie auf und zogen sich auf die Südseite der Grünanlage zurück, auf eine graue Granitstele zum Gedenken an jenen bedeutenden Sohn der Stadt, der dem Park auch seinen offiziellen Namen gab: Sigmund Freud. Unter seinen Lebensdaten waren die beiden griechischen Buchstaben Psi und Alpha für „Psychoanalyse eingraviert und in schwarzer Schrift: „Die Stimme des Intellekts ist leise.

    Die Tauben hinterließen eine Markierung auf der Stele, wie nicht anders zu erwarten, und flogen über die Universitätsstraße auf das dahinter hoch aufragende Universitätshauptgebäude. Dort im erstem Stock lagen die Räume des Instituts für Geschichte. Den wenigsten Studierenden und Lehrenden fiel jemals auf, dass jene skeptische Botschaft Freuds nicht zum Park hin, sondern nach außen, genau auf die andere Seite der Universitätsstraße gerichtet war.

    Dort zeigte sich die Natur von einer weniger angenehmen Seite: Dr. Martin Heiser, Assistent am Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte, befand sich gerade am hinteren Ende des Historikerganges, der von dem prachtvollen Stiegenhaus mit der klingenden Bezeichnung „Stiege 2 parallel zur Universitätsstraße verläuft und die Seitengänge des Instituts für Geschichte erschließt. Dort saß er auf der menschenleeren Toilette in einer der vier Kabinen hinter dem Vorraum mit den Waschmuscheln und den beiden Pissoirs. Und er saß lange. Die Verstopfung, unter der er seit acht Monaten immer wieder litt, konnte durchaus psychosomatisch interpretiert werden, das war ihm selbst vollkommen klar. Schließlich lebte er seit seiner Matura, also seit vielen Jahren, in der Stadt Sigmund Freuds, und besaß ein gewisses psychologisches Grundwissen: Eigentlich sollte seine Habilitationsschrift schon abgeschlossen sein und er damit zu den höchsten akademischen Weihen aufgestiegen – doch seit Monaten hatte er eine Schreibhemmung. Im Kopf war seine Arbeit ziemlich fertig, so wie sein Darm mit der Verdauung des Mensamenüs vom Vortag, doch heraus und ans Licht der Welt wollte weder das eine noch das andere kommen. Da er sich intensiv mit dem mittelalterlichen Denken befasst hatte, wusste er natürlich schon von daher, dass der Leib als Instrument der Seele auch an deren Problemen mitleidet. Nicht von ungefähr hatte er als Habilitationsthema „Inszenierungen und Praktiken des Leibes an zentraleuropäischen spätmittelalterlichen Herrscherhöfen genommen: Der „Sitz im Leben" dieser Themenwahl hatte zweifellos etwas mit der empfindsamen Konstitution zu tun, die ihn jetzt auf dem Toilettensitz in der Universität festhielt. Mit solchen psychosomatischen Blockaden würde er noch lange auf dem Leerstuhl statt auf einem Lehrstuhl sitzen.

    Das sagte ihm die Stimme des Intellekts schon eine Weile und recht laut. Martin Heisers Gedanken kreisten auch jetzt um seine in mehrfacher Hinsicht elende Lage. Ja eigentlich war er zornig über die Demütigung, sich zum wiederholten Male beim Versuch der Entleerung so quälen zu müssen – deshalb hatte er vergessen, die Toilettentüre abzusperren. Vielleicht spielte es auch eine Rolle, dass er die mit kommunistischen und schlimmeren Parolen beschmierte Türe am liebsten nie anfassen würde. Diese Aborte wurden selten betreten und so war nicht zu ahnen, dass sein Versehen diesmal dramatische Folgen zeitigen würde.

    Zwei Männer betraten die Herrentoilette und stellten nach einem flüchtigen Blick auf die Türschlösser der Kabinen fest, dass niemand anwesend zu sein schien. „Koana do!" Martin wollte sich noch vorbeugen, um abzusperren, doch irgendeine dumpfe Ahnung hielt ihn zurück und befahl ihm, sich so still wie möglich zu verhalten.

    „Also lieber Hans, wie stehen jetzt die Aktien?" Diese sonore Stimme mit bayerischem Akzent war ihm irgendwie bekannt.

    „Mach dir keine Sorgen, Franz-Josef, hörte er seinen Chef antworten, den Ordinarius für mittelalterliche Geschichte Johannes Hochgruber. „Du wirst nächstes Jahr als Kollege hier amtieren!

    „Hier im Pissoir?" witzelte der andere. In dem Moment wurde Martin klar, dass es um die Wiederbesetzung des vakanten, also momentan leeren Lehrstuhls für Geschichte und Kunde des Altertums ging. Hochgruber sprach mit Fornberger aus München, seinem Favoriten für den Posten. Demnächst würde die Berufungskommission wieder tagen, allerdings war noch keineswegs klar, dass der Münchner Bewerber das Rennen machen würde – zu verschieden waren die Interessen der Kommissionsmitglieder. Das wusste sein Chef doch nur zu gut! Wollte er dem Kollegen gegenüber einfach als souveräner Königsmacher erscheinen? Nun drückte es den Assistenten endlich, doch gerade jetzt konnte er dem befreienden Drängen absolut nicht nachgeben, ohne seine Anwesenheit zu verraten.

    „Lass dich nicht vom Amblic einschüchtern, das versucht er immer. Ich habe gestern schon mit Schmittinger gesprochen ..."

    „Deinem Doktorvater?"

    „Ja, und wir sind uns völlig einig darüber, dass die andern Bewerber dir nicht das Wasser reichen können. Und natürlich ist der alte Schmittinger der renommierteste Gutachter."

    „Freilich, aber Amblic ist noch über jedes Gutachten drübergefahren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er nicht alles tun wird, um mich zu verhindern!"

    Während die Spülung des Pissoirs rauschte, hörte Martin seinen Chef antworten: „Den kannst du getrost mir überlassen – wir werden ihn schon kleinkriegen!"

    Als er wieder allein war, sperrte er die Türe ab und gab der nächsten Welle des imperativen Drängens nach. Erleichtert blieb er noch einige Minuten sitzen, um sicher zu gehen, dass die beiden auch nicht mehr im Gang vor der Toilette sein würden. Denn offenbar hatten sie sich unbelauscht unterhalten wollen. Da kam ein anderer herein und machte sich an der Waschmuschel zu schaffen. Martin zog sich an und ging hinaus, auf einen Sprung in den aufblühenden Votivpark: wie neugeboren – und zugleich beunruhigt. Das seit langem andauernde Berufungsverfahren gehörte zu den delikatesten und kompliziertesten Personalentscheidungen. Wie konnte sein Chef annehmen, so leicht mit dem mächtigen und rücksichtslosen Institutsvorstand fertig zu werden? Er wusste, dass die Universität zur Schlangengrube wurde, wenn es um Ämter, Posten und Macht ging. Martin versuchte, sich aus den Machenschaften der diversen und konkurrierenden Seilschaften heraus zu halten, aber als Absolvent eines kirchlichen Gymnasiums war ihm klar: Wer vom Baum der Erkenntnis naschte, sollte mit dem Auftreten der Schlange rechnen.

    2

    Als die Sonne sich neigte und den Votivpark, das Schottentor und die Universität ein wenig vergoldete, eilten die Teilnehmer des Kongresses die große Freitreppe, die von der Ringstraße zum Haupteingang führt, hinauf und in die Eingangshalle dahinter. Lieber die seitliche Rampe als die Stufen hinauf zogen einige schwarz Gekleidete mit kleinen Rollköfferchen hinter sich – unzweifelhaft deutsche Kollegen, die direkt vom Flughafen gekommen waren, Businessmen des akademischen Betriebs.

    Die große Aula zwischen Eingang und Arkadenhof war kürzlich von der Universitätsleitung neu gestaltet worden. Aufmerksamen Gästen, die früher bei ähnlichen Gelegenheiten an der Wiener Universität getagt hatten, konnte das Fehlen des so genannten Siegfriedskopfes auffallen, eines deutschnationalen Symbols. Nach Auseinandersetzungen über schlagende Burschenschaften und rechtsradikales Gedankengut war er zwar nicht gänzlich entfernt, aber an eine etwas weniger prominente Stelle im Arkadenhof versetzt worden – eine typisch österreichische Lösung. Stattdessen hatte man an der linken Wand der Aula auf gläsernen Stelen Porträtfotografien von neun Gewinnern des Nobelpreises angebracht, die einmal in ihrem Leben irgendetwas mit der Universität zu tun hatten. Als Ergebnis einer teuer bezahlten Designidee zierte die freie Stele in der Mitte keine Fotografie, sondern ein großes Fragezeichen. Manch einer hatte schon gemeint, dass das der für ihn bestimmte Platz sei: Sollte die leere Stele nicht sinnfällig darauf hinweisen, dass der nächste Wiener Nobelpreisträger vielleicht schon durch die hehren Hallen marschierte? Tatsächlich war sie aber eine Mahnung an die personellen Lücken, die die Vertreibung und Ermordung der Juden während des Nationalsozialismus gerissen hatte.

    Der steinerne Siegfriedskopf ruhte inzwischen im hinteren rechten Eck des Arkadenhofs in einem großen, gläsernen Sarkophag. Dort schlenderte die Studentin Yvonne Oberberger den Gang nach hinten, um in der relativ einsamen Ecke ungestört mit ihrem Freund zu telefonieren. Sie wählte seine Nummer. Als er sich meldete, schrie sie laut auf. Zwischen den beiden Pfeilern und dem Sarkophag lag eine junge Blondine in einer Blutlacke. Ihre dünne, etwas zerrissene Bluse war so nass, dass sich ihre großen Brüste deutlich abzeichneten, ihr geschminkter Mund und ihre hellbraunen Augen waren weit offen und sie trug nur einen Stöckelschuh. Die klaffende Schnittwunde am Hals war eindeutig. Das hätte auch Dr. Leopold Ritter Schrötter von Kristelli bestätigt, der aus seiner Gedenktafel heraus immer in den Gang blickte – passenderweise Professor für Laryngologie. Yvonne Oberberger schrie um Hilfe, bis drei Leute aus dem vorderen Bereich des Hofes zu ihr liefen.

    In einem anderen Teil des Gebäudes strömten inzwischen die nichts ahnenden Kongressteilnehmer zu ihrem akademischen Event. Zum Glück hatte die Gebäudeverwaltung bei ihrem Bemühen, dem historistischen Bau ein moderneres Aussehen zu verschaffen, auch hilfreiche Hinweisschilder zur Orientierung anbringen lassen. So fand immerhin die Hälfte der Teilnehmer pünktlich zum kleinen Festsaal oberhalb der Eingangshalle.

    Die großen Fenster auf den Ring hinaus erhellten den in dunklem Holz getäfelten Raum mit dem knirschenden Parkettboden nur so weit, dass der bei älteren Konferenzteilnehmern beliebte Kongressschlaf nicht gestört wurde. Heute allerdings herrschte eine gewisse Spannung. Die Wissenschaftsministerin persönlich sollte den Historikerkongress unter dem modischen Titel „Future History eröffnen. Dass sie schon im Raum war, konnten die Eintretenden daran erkennen, dass am Eingang zwei gut gebaute Männer standen, deren Gesichter ebenso unakademisch waren wie ihre auffallend korrekten dunklen Anzüge. Die Türsteher hatten wohl die Aufgabe, darauf zu achten, dass keine mit Eiern oder Paradeisern bewaffneten Studenten in den Raum gelangen würden. Die ankommenden Professorinnen und Professoren, Assistentinnen und Assistenten, Dozentinnen und Dozenten suchten sich freie Plätze, nicht ohne zur Sicherheit mit ihren Köpfen in alle Richtungen verbindlich zu nicken, um auch wahrgenommen zu werden. Dieses Ritual des Sehens und Gesehenwerdens garantierte, dass der Hauptzweck der Tagungsteilnahme erfüllt werden konnte – sofern man nicht von solcher Wichtigkeit in der „scientific community war, dass ein Fernbleiben allein schon für Gerede und Spekulationen sorgte.

    Als der Vizerektor für Lehre Günther Halbmeyer zum Mikrofon trat, ebbte das Gemurmel der versammelten netzwerkenden Konferenzteilnehmer ab. Er hieß alle herzlich willkommen und übergab gleich das Wort an die Wissenschaftsministerin.

    „Mein lieber Herr Vizerektor, hochverehrte Kolleginnen und Kollegen ... Die Anreden sollten, österreichischen Usancen entsprechend, Familiarität und Amikalität signalisieren, unbeschadet dessen, dass die Ministerin keinerlei akademische Leistungen vorzuweisen hatte. „... Meine Damen und Herren! Wie gerne habe ich auch dringende Amtsgeschäfte liegen gelassen, um der großen Ehre und Freude willen, diesen bedeutenden internationalen Kongress eröffnen zu dürfen – dies umso lieber, als sein Programm, das zwar nicht der Geschichte der Zukunft gewidmet sein kann ... (höfliches leises Lachen im Publikum), „aber der Geschichtswissenschaft der Zukunft verspricht, die ungebrochene Relevanz der Geisteswissenschaften für aktuelle und für Zukunfts-Themen zu verdeutlichen."

    Sie kam dann lobend auf die Öffnung der Wiener Historiker für solche Themen zu sprechen, vorangetrieben vom über die Grenzen des Landes hinaus so geschätzten Professor Josef Amblic (weniger höfliches Lachen in den hinteren Reihen). Nicht fehlen durfte die Werbung für die geplante Neustrukturierung der Geistes- und Kulturwissenschaften an der Wiener Universität. Dieses mutige Projekt entspreche eben den Anforderungen der Zukunft. „Solche strukturellen Veränderungen werden natürlich nicht sofort die Zustimmung aller finden, aber ich appelliere doch, die synergetischen Effekte einer Zusammenführung mit anderen kulturwissenschaftlichen Fächern und verwandten Instituten anzuerkennen und mitzutragen! Die geplanten und heftig umstrittenen Zusammenlegungen der Institute für Archäologie, Kunstgeschichte, Numismatik, für österreichische Geschichtsforschung, Wirtschaftsgeschichte und anderer zusammen mit dem Institut für Geschichte zu einem „Department for Historical and Cultural Studies würden eine große und international konkurrenzfähige wissenschaftliche Einheit ermöglichen. Ihre offenkundig miserable Aussprache des Englischen hinderte die Ministerin nicht daran, sich für die globalisierte (das heißt natürlich amerikanisierte) Zukunft der Geschichtswissenschaften an der Wiener Universität in Begeisterung zu reden.

    Im weiteren Verlauf ihrer Begrüßungsansprache ließ sie es sich nicht nehmen, auch ministerielle Führungskompetenz zu zeigen, indem sie mit erhobener Stimme darauf beharrte, dass das wissenschaftliche Qualitätsmanagement durch die derzeit diskutierte Zentralstelle für Plagiatsverdachtsfälle einen „Quantensprung machen würde. Da unter ihren Zuhörern ausschließlich Geisteswissenschafter waren, fiel wohl niemandem auf, dass ein Quantensprung eine subatomisch kleine Veränderung bedeutet. Offenbar wollte die Ministerin auf keinen Fall als bürokratische Verwalterin auftreten, weshalb sie gleich für ihre Lieblingsidee, diese Zentralstelle, die Bezeichnung „Center for Bad Academic Practice vorschlug. Das wurde wiederum mit Gelächter aufgenommen.

    Sie kam noch einmal auf den Kongress selbst zu sprechen, dem sie gutes Gelingen wünschte, und bedauerte „zutiefst, dass sie die hochinteressanten Vorträge nicht würde miterleben können, da sie noch am selben Abend nach Brüssel zu einem Treffen der europäischen Bildungsminister müsse. Für den Schlussappell hielt sie sich offenbar wieder an die Vorlage ihres Ghostwriters: „Darum, meine sehr verehrten Damen und Herren, hege ich ganz persönlich keinerlei Zweifel daran, dass auch die Geisteswissenschaften eine Zukunft haben, eine future history (sie lächelte während der Kunstpause ins Publikum) „– eine Zukunft nicht nur für unsere Stadt und unser Land, sondern für die Sicherung von Frieden und Demokratie in Europa – ja, darüber hinaus in einer globalisierten Welt!"

    Als das Stichwort „Demokratie" aus den Lautsprechern quoll, atmeten die Vertreter des Mittelbaus, also vor allem angestellte und teilweise definitiv gestellte Assistenten, mit geöffneten Mündern und verdrehten Augen scharf ein – immerhin hatten sie durch die von der Regierung durchgepeitschten Reformen im Universitätswesen an Mitbestimmungsmöglichkeiten empfindlich eingebüßt. Nach dem kurzen Applaus trat Professeur Hautregard, der Vorsitzende des europäischen Historikerverbandes, ans Mikrophon. Er machte seiner Profession alle Ehre und sprach ausschließlich von der glorreichen Vergangenheit des Wiener Instituts für Geschichte.

    „Wer aus unseren Reihen, deklamierte er mit starkem französischen Akzent, „würde sich nicht an den Begründer des Institutes erinnern ...

    Heiner Heiskopf in der dritten Reihe, ein junger Assistent für Zeitgeschichte, bemerkte halblaut: „So alt sind nicht alle hier!" Der am Rande der Reihe sitzende Martin Heiser grinste. Der Oberhistoriker schritt unverdrossen weiter die Ahnengalerie ab und endete taktvoll in den 1920er Jahren.

    Ebenso taktvoll wurde applaudiert, während

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