Seefelder Tango: 17 Kurzgeschichten
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Die Leichenbestatterin Lara hat nur eine Leidenschaft: das Kochen. Die Latte für einen Partner liegt bei ihr verdammt hoch. Wird sich ihr Mister Right beim Special-Diner bewähren oder ...?
Die Studentin Dana findet in einem Müllcontainer am Badesee eine Leiche und last but not least wäre Sebastian ein Traummann, wäre er nicht unglücklicherweise verheiratet.
Siebzehn Kurzkrimis warten auf Sie. Für das Lesen zwischendurch, für das Schmöckern beim Warten auf den Liebsten oder die Liebste statt dem Stück Schokolade auf der Couch?
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Book preview
Seefelder Tango - Barbara Ludwig
Lait
SEEFELDER TANG O
Ihr Seidentuch zauberte Farbe in das dämmrige Weiß des verschneiten Waldes, sein unruhiges Auf und Ab ähnelte dem Flattern eines aufgeregten Zitronenfalters im Sommerwind. Seine Augen saugten sich für einen Moment am wippenden Gelb fest, bevor sie sich an das Nachtsichtgerät pressten. Leise summte er den Tango mit, dessen Töne in ausgefransten Fetzen zu ihm drangen. Sorgfältig und subtil hatte er das Thema ausgewählt. Diese hier wiegte und drehte sich, ebenso versunken zum drängenden Rhythmus der Musik wie die zwei anderen vor ihr. Sie schwebte geradezu über die Unebenheiten des Bodens. Er lächelte. Sein Kalkül war erneut aufgegangen.
Nachdem er sie am Waldrand abgesetzt hatte, tänzelte sie wie ferngesteuert in Richtung der Klänge. In einigem Abstand folgte er ihr. Er bewunderte ihre Grazie. Aus der Entfernung störten ihn weder ihr bereits faltiger Hals, ihr zerknittertes Dekolleté, die herben Linien um ihren Mund noch die grauen Strähnen in ihrem blondiertem Haar. Sie schien perfekt: schlank, grazil und biegsam.
Seine behandschuhten Finger begannen unruhig, auf das Fernglas zu trommeln. Wie lange würde diese Tangoprinzessin durchhalten? Er wartete auf den Showdown.
Für diese wenigen Minuten hatte er die ganzen, langen Vorbereitungen in Kauf genommen, sie verschafften ihm den Kick. Er fieberte dem Moment des Absturzes entgegen.
Endlich! Die Frau in dem langen, schwarzen, bis zum Oberschenkel geschlitzten Kleid strauchelte, der gelbe Schal sank zu Boden, sie stürzte. Aber welch einen Anblick bot sie ihm! Mit entsetzlich uneleganten Bewegungen rappelte sie sich auf, krabbelte auf die Knie. Ekel stieg in ihm hoch. Er setzte das Glas ab, zählte bis zehn, bevor er es erneut hastig vor die Augen presste. Auf keinen Fall durfte er den richtigen Moment verpassen. Er atmete auf. Gerade noch rechtzeitig. Die Frau brach zusammen, fiel malerisch zu Boden und blieb wie ein toter, schwarzer Engel im Weiß liegen. Sein Werk war vollbracht. Zufrieden ging er durch den Wald zum Auto zurück.
An einem anderen Tag, an einem anderen Ort
.„Wachtmeister Huber? Komme gleich, bin droben, auf der Leiter", rief Anna durch die Registratur, einem großen Raum im Keller des Polizeipräsidiums, als ein Lufthauch sie streifte.
.„Sagen’s einfach Huber zu mir, erwartete sie als Antwort und lächelte, weil sich das Spiel täglich zwischen ihnen wiederholte. Huber besaß neben Anna einen Zugangschip zum .„Hades
, wie die alte Polizeiregistratur scherzhaft genannt wurde. Verstaubte Polizeiakten türmten sich in deckenhohen Regalen. Relikte, die bald der Vergangenheit angehören würden.
Der Wachtmeister blieb ihr die Antwort schuldig. Sie zuckte die Schultern und griff sich den nächsten Ordner, um ihre Arbeit fortzusetzen. Plötzlich, wie von Geisterhand angestoßen, fingen die Regalwände an, sich zu regen.
.„Stop, wer auch immer da an den Steuerrädern dreht, hier ist noch wer", beschwerte sie sich lauthals, sprang von der Leiter und hechtete den immer enger werdenden Gang entlang. Schließlich hatte sie wenig Lust, von den Ordnern erdrückt zu werden, einige polterten bereits hinter ihr zu Boden. Bevor sie sich in den breiten Gang, der sich vor dem riesigen Gleitschrank erstreckte, retten konnte, klang ein raues, kehliges Frauenlachen an ihr Ohr, das sie sehr wohl kannte.
.„Sylvie, was soll dieser Blödsinn! Hör sofort damit auf!"
.„Wie ich sehe, sind deine Reflexe noch in Ordnung, Schwesterherz. Ich wollte dich nur informieren: Ab heute arbeite ich über dir." Ihr Daumen wies zur Decke. Anna stemmte die Arme in die Taille und musterte ihre Halbschwester. Sylvies schmales Gesicht leuchtete im Neonlicht kalkig. Ein höhnisches Lächeln mit sorgfältig geglossten Lippen kerbte zwei starke Abwärtslinien und rückte das spitze Kinn in den Fokus des Betrachters. Ihr blondes Haar war im Nacken zu einem strengen Pferdeschwanz gebunden. Ihre Figur, groß und überschlank, täuschte dem Betrachter den Körper einer Zwanzigjährigen vor, obwohl Sylvie vor ein paar Jahren in den Vierzigern angelangt war. Ihre langen Beine steckten in schwarzen, engen Hosen und kniehohen Stiefeln mit Stilettos. Den mädchenhaften Oberkörper hüllte ein schwarzer Sweater ein. Ein weiblicher Zorro, nur Revolvergurt und Waffen um die Hüfte fehlten.
.„Gut, ich nehme zur Kenntnis, dass man dich nach München versetzt hat. Wunschgemäß? Warum? Sehnsucht nach mir wird es wohl kaum gewesen sein. Mutter? Oder ...?"
.„Vielleicht, um unsere Rechnung zu begleichen, wer weiß?" Sylvies knochige Hand spielte mit einem Ordner, der in Augenhöhe stand, schob ihn ein Stück weit vor, dann zurück, bevor sie Anna mit ihren glasklaren, blauen Augen scharf musterte.
.„Solltest wieder joggen, wirst langsam fett. Tanzt du nicht mehr? Wäre perfekt, hätten wir ein Problem weniger."
.„Alessandro? Noch immer?"
.„Du bist gewarnt. Im Dienst werden wir uns kaum begegnen, da du .„Undercover arbeitest
, blaffte sie hämisch. .„Bei der Milonga in Seefeld ..., du weißt, was du mir schuldig bist. Sonst ..."
Anna schwieg, blieb einfach stehen, kniff die Augen zusammen und runzelte die Stirn, wie sie es immer machte, wenn sie keinen anderen Ausweg sah, und wartete ab. Nach einer Weile hüstelte Sylvie nervös, drehte sich um und stöckelte aus dem Raum. Das Klackern ihrer Absätze klang wie das Hämmern eines Maschinengewehrs auf dem Betonfußboden.
Als die Tür ins Schloss fiel, atmete Anna erleichtert auf und rätselte, wie Sylvie es beim Eintreten geschafft hatte, geräuschlos den Raum zu durchqueren. Der Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es auf fünf zuging. Unmöglich würde sie sich erneut auf das Aktenstudium konzentrieren können und sie beschloss, Feierabend zu machen.
Als Anna die Kaufinger Straße betrat, war der Himmel dunkel und es schneite. Sie schlug den Jackenkragen hoch und versuchte das künstliche Licht einzufangen, mit dem die Geschäfte Optimismus verbreiteten, bis sie am Stachus in den Untergrund verschwand und sich in die Reihe der grauen Gesichter am Bahnsteig einordnete.
Während der Zugfahrt nach Herrsching gelang es Anna einigermaßen, die Panik, die Sylvies Auftauchen in ihr erzeugte, in den Griff zu bekommen. Außerhalb der Stadt schmeckte die Luft kälter und frischer. Der Schnee tanzte nicht mehr, sondern trieb in geballter Form herunter, unter den Füßen knirschte er. Als sie nach zwanzig Minuten Fußmarsch das Reihenhaus erreichte, in dem sie wohnte, fühlte sie sich gut durchlüftet. Während sie nach dem Schlüssel kramte, erklang ein klägliches Maunzen. Ihm folgte ein großer, gelb getigerter Kater und rieb sich an ihren Beinen, als gäbe es nichts Schöneres auf der Welt und das Maunzen verwandelte sich in ein Schnurren.
.„Ramses, alter Rumtreiber, warum bist du nicht bei deinem Frauchen?" Ungeachtet der Worte drängte er sich vorbei, setzte sich auf den Fußabstreifer und wartete. Anna öffnete, schüttelte sich den Schnee von den Kleidern, wand sich aus den Winterklamotten und ging auf Socken zum Kühlschrank. Der mit Katzenfutter gefüllte Teller entlockte dem Kater wenig später einen kurzen aufgeregten Laut der Zufriedenheit. Nachdem er leer geschleckt war, strich das Tier noch ein oder zweimal an ihren Beinen entlang, um anschließend geräuschlos in der Hecke zur Nachbarwohnung abzutauchen. Sie blickte ihm versonnen nach. Eine Tangomelodie wehte von irgendwoher zu ihr. Leise und samtig schlichen die Töne sich heran. Anna schloss die Augen. Piazolla, La Muerte Del Ángel, sie musste die CD irgendwo haben. Sie hob die Arme zum Tanz, machte einen Grundschritt, lauschte, und folgte mit Schritten und Drehungen dem Schluchzen der Melodie, bis die Musik jäh abbrach. Das Klingeln des Telefons riss sie aus ihrer Trance.
.„Hallo Anna, Alessandro. Sylvie ist wieder da. Ich werde dir einen anderen Tanzpartner besorgen. Du verstehst? .„Ja
, sagte Anna nur und legte auf. Sie starrte versonnen auf das Telefon, bis ihr der kalte Wind, der ins Haus blies, bewusst wurde. Die Hand bereits an der Türklinke der Eingangstür besann sich Anna anders und trat vor das Haus.
Eine Schneeschicht bedeckte die Stufen, nach wenigen Schritten waren Annas Socken durchweicht. Die Luft schien vor Schnee zu bersten. Das Vorgartengrün war im Weiß verschwunden und schimmerte diffus im Lichtkegel. Die Fenster der Nachbarwohnung gähnten dunkel, die Straße menschenleer. Weiter unten hörte sie einen Wagen starten.
Anna schüttelte den Kopf über ihre Unvernunft, als ihr Blick an einem schwarzen Fleck im Schnee hängen blieb. Hatte Ramses wieder eine hilfslose Amsel angeschleppt? Im Korridor streifte sie die nassen Socken von den Füssen, schlüpfte in Stiefel und stapfte in den Garten.
Der Schnee hatte sich wie ein Leintuch an der Hecke hochgezogen und war gut und gern zwanzig Zentimeter tief. Morgen könnte sie einen Schneemann bauen, ging ihr durch den Kopf und eine kleine Welle Kindheitsglück schwappte in ihr hoch. Oft hatte sie davon geträumt, während sie in tropischen Gegenden geschwitzt und die Moskitos sie umschwirrt hatten. Nur