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Erzherzog Ferdinand II. Landesfürst von Tirol: Sein Leben. Seine Herrschaft. Sein Land
Erzherzog Ferdinand II. Landesfürst von Tirol: Sein Leben. Seine Herrschaft. Sein Land
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Erzherzog Ferdinand II. Landesfürst von Tirol: Sein Leben. Seine Herrschaft. Sein Land

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LEBEN UND SCHAFFEN EINER AUßERORDENTLICHEN HERRSCHERPERSÖNLICHKEIT
1567 kehrt Ferdinand II. nach seiner Zeit als böhmischer Statthalter in Prag nach Innsbruck zurück und übt von nun an als Regent einer der bedeutendsten europäischen Herrscherdynastien entscheidenden politischen und religiösen Einfluss aus. Michael Forcher wendet sich anlässlich des 450. Jubiläums des Einzugs nach Innsbruck der Geschichte dieses vielseitigen Herrschers zu und legt die erste umfassende und moderne Biografie zu Erzherzog Ferdinand II. von Tirol vor.

Ferdinand II. von Tirol verteidigt in der Gegenreformation einerseits den Katholizismus mit strenger Hand, andererseits führt seine heimliche Hochzeit mit der bürgerlichen PHILIPPINE WELSER zu einem großen Skandal. In der Hofburg kann Philippine nicht bleiben, deshalb baut Ferdinand für sie das Innsbrucker Schloss Ambras zu einem der bedeutendsten Renaissancebauwerke Europas. Dort versammelt er europäische Künstler um sich und trägt wesentlich zur Verbreitung der Renaissance in Mitteleuropa bei. Er erneuert Verwaltung, Schule und Wirtschaft. Seiner Liebe zur Kunst verschafft er in seiner KUNST- UND WUNDERKAMMER AUF SCHLOSS AMBRAS Ausdruck, einer riesigen Sammlung an Porträts, Waffen, Münzen, Schriften und Meisterwerken des Kunsthandwerks - eine der bedeutendsten dieser Art überhaupt. Seine Feste sind legendär, die Liebe zu seiner Frau Philippine Welser brachte ihm in der Tiroler Bevölkerung große Sympathie ein.

MICHAEL FORCHER - der Garant für lustvolle Wissensvermittlung - geht den Spuren dieses humanistisch gebildeten und kunstsinnigen Landesfürsten nach. Kompetent und mitreißend zeichnet er nicht nur ein fundiertes und mannigfaltiges Bild von Ferdinand II., sondern auch seines Landes und seiner Residenzstadt Innsbruck: Lebendig erzählt Michael Forcher vom Habsburgerreich des 16. Jahrhunderts, führt uns in die Geschicke von Ferdinands Regentschaft ein und geht der Frage nach, was nach seinem Tod von ihm blieb.
LanguageDeutsch
PublisherHaymon Verlag
Release dateJul 4, 2017
ISBN9783709937884
Erzherzog Ferdinand II. Landesfürst von Tirol: Sein Leben. Seine Herrschaft. Sein Land

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    Erzherzog Ferdinand II. Landesfürst von Tirol - Michael Forcher

    ein.

    DES NEUEN LANDESFÜRSTEN ANKUNFT IN TIROL

    äre es als böses Omen gesehen worden, Erzherzog Ferdinand II. hätte gleich wieder umkehren müssen. Allzu viel ging schief, als der neue Landesfürst am 17. Jänner 1567 in seine zukünftige Residenzstadt Innsbruck einzog.

    Am nördlichen Innufer, auf der Brücke und vor dem Inntor war alles für den festlichen Empfang vorbereitet. Man hatte die Straße vom Unterinntal herauf, die erst seit einigen Jahrzehnten auch zwischen Mühlau und der Anpruggen (St. Nikolaus) am nördlichen Innufer entlang führte, von Eis und Schnee befreit und geschmückt. Ein Aufgebot von fünf Fähnlein mit 2200 Bewaffneten säumte den Weg. Am »Saggenfelde« drüben standen Geschütze aufgereiht und gaben Salutschüsse ab. An der Biegung zur Innbrücke, wo die Straße weiter innaufwärts führt, und an der Fleischbank auf der anderen Seite hielten Wachmannschaften mit langen Speerstangen und Hellebarden die Massen der herandrängenden Schaulustigen zurück. Als Fanfarenklänge das Nahen des fürstlichen Zuges ankündigten und der Jubel anschwoll, stellten sich die vornehmsten Vertreter des Adels und der Geistlichkeit dort auf, wo die Gasse nach Hötting hinauf führt. Alles genau nach der Absprache zwischen dem Erzherzog und seinem Vertrauten in Innsbruck, dem aus Prag vorausgeeilten Hofkaplan und Beichtvater Giovanni Cavalieri. Die Herren von Trapp, Trautson und Spaur trugen als Erbhofmeister, Marschall und Schenk die Embleme ihrer Würde, Landeshauptmann Wilhelm von Wolkenstein führte als oberster Ständevertreter die Mitglieder der anderen Adelsgeschlechter an.

    Dann war es soweit. Der Landesfürst mit seinem Gefolge erreichte die Brücke, machte Halt und blickte huldvoll auf die Versammelten. Der Weihbischof von Brixen, Biagio (Blasius) Aliprandini, trat vor und begann gemäß dem Protokoll mit seiner Begrüßungsrede – auf Italienisch. Doch der Erzherzog wollte deutsch begrüßt werden. Allseits Verlegenheit. Der zweithöchste geistliche Würdenträger des Tiroler Bistums war des Deutschen nicht mächtig! Der Inhaber des Bischofstuhls, Kardinal Cristoforo Madruzzo, der zugleich Bischof von Trient war, hatte es nicht als notwendig empfunden, in Innsbruck zu erscheinen. Er weilte ja nur selten in seiner Diözese und überließ das seelische Wohl eines großen Teils der Tiroler Bevölkerung seinem aus Welschtirol stammenden Generalvikar und Weihbischof. Immerhin wurde Ferdinand auf diese Weise schon frühzeitig mit einem der kirchlichen Missstände in Tirol konfrontiert. Wenige Augenblicke später sollte er einen weiteren kennenlernen, denn auch der zweite Programmpunkt entfiel, weil die anwesenden Geistlichen nicht fähig waren, den vorgesehenen Psalm zu singen – ein deutliches Schlaglicht auf den Bildungsstand des Klerus, selbst dessen höchster Vertreter.

    Letztlich beschränkte sich die Begrüßungszeremonie an der Innbrücke darauf, dass Weihbischof Aliprandini dem Erzherzog ein silbernes Reliquienkreuz zum Kuss reichte. Und schon ritt man weiter. Es ist nicht überliefert, ob der Habsburger sich über den missglückten Empfang ärgerte. Über die Unfähigkeit der hohen Geistlichkeit in seinem neuen Herrschaftsgebiet milde lächeln zu können, dürfte jedenfalls nicht seinem Naturell entsprochen haben. Dazu war ihm auch das Anliegen Kirchenreform zu wichtig. Und hier hatte man ihm gleich den Beweis ihrer dringenden Notwendigkeit geliefert. Es gab viel zu tun in dem Herrschaftsgebiet, das ihm durch die Länderteilung zwischen den habsburgischen Brüdern zugefallen war. Aber leicht war auch seine bisherige Aufgabe als Statthalter in Böhmen nicht gewesen. Dort sollte nun der zum Kaiser gewählte ältere Bruder Maximilian als der Zweite dieses Namens regieren, außerdem waren diesem die an der Donau liegenden Länder zugefallen. Der Jüngste, Erzherzog Karl, hatte Innerösterreich erhalten, grob zusammengefasst die Steiermark, Krain und ein Stück Küstengebiet an der Adria.

    Die schriftlichen Anweisungen des Erzherzogs für seinen Empfang in Innsbruck wurden durch diese Skizze ergänzt: An der »pruckhen« (Innbrücke) ist der »platz zu Empfahung« (Platz für den Empfang) eingezeichnet. Die auf dieser Seite des Inn weiter flussaufwärts zum Schießstand (heute Mariahilf) führende Straße (»gasse auf die schieshütten«) sollte gesperrt werden, bei der Auffahrt nach Hötting (»Hettingergassen«) der »Prelatenstandt« (Podium der hohen Geistlichkeit) aufgebaut sein.

    Bisher hatte Erzherzog Ferdinand bei seinem Einzug in Tirol nur positive Eindrücke gewonnen.

    Am 2. Jänner war er mit großem Gefolge in Prag aufgebrochen. Über Pilsen war man ins westböhmische Bischofteinitz (heute Horšovský Týn) gelangt, wo man die erste Rast einlegte und das Dreikönigsfest feierte. Nächste Stationen waren Straubing, Landshut und Rosenheim. Am 14. Jänner wurde die Tiroler Landesgrenze erreicht. Hier erwartete ihn eine Schar junger Tiroler Adeliger, die dem neuen Landesherren entgegengeritten waren und von nun an sein zahlreiches Gefolge weiter vermehrten. Von der Festung Kufstein herab grüßten die Kanonen. Immer wieder musste der stattliche Zug Halt machen, um Bürgervertretungen und Abgeordneten des Landvolks die Gelegenheit zu geben, den Fürsten untertänigst willkommen zu heißen. Zwischen den Bergwerkstädten Rattenberg und Schwaz bildeten 3400 in weiße Kittel gekleidete Knappen mit ihren typischen Werkzeugen und 1300 bewaffnete Bauern ein beeindruckendes Spalier.

    In Hall versammelte sich die Bürgerschaft in Kriegsrüstung – »in Harnisch und Wehr ganz wohl geziert«, wie es der Organist Franz Schweyger in seiner Chronik der Stadt ausdrückt – am Milser Tor, an der Spitze der Stadtrat (»ein ehrsamer und weiser Rat«), um seine Durchlaucht zu erwarten und zu begrüßen. Die Ansprache hielt nicht der Bürgermeister, sondern der wohl redegewandtere Stadtschreiber Hans Forcher. Er überbrachte die Glückwünsche des Rates, der Bürgerschaft und der Inwohner – so nannte man die Einwohner ohne Bürgerrecht –, empfahl die Stadt der Gnade des neuen Landesfürsten und überreichte ein vergoldetes, mit Münzen gefülltes Trinkgefäß. »Seine fürstliche Durchlaucht hat dieses Geschenk huldvoll und mit Wohlgefallen persönlich angenommen und mündlich versichert, er wolle der Stadt ein gnädiger Fürst und Herr sein und ihre Freiheiten schützen. Auf seinem Ritt durch die Stadt begleiteten ihn von der Ringmauer und allen Tortürmen herab Freudenschüsse aus großen und kleinen Büchsen und Geschützen.« So beschließt Stadtchronist Schweyger (in heutiges Deutsch übertragen) seine Schilderung des denkwürdigen 17. Jänner 1567.

    In Innsbruck war der Stadtrat in die Begrüßungszeremonie nicht eingebunden. Das bürgerliche Element blieb gegenüber der Funktion der Stadt als Residenz und Regierungssitz im Hintergrund. Der von Sängern der Hofkapelle und Hofmusikern begleitete Einzug durch das Inntor zur Pfarrkirche erfolgte in neuer Ordnung: Jetzt ritt ein Herold im goldglänzenden Prunkgewand voraus, ihm folgten Adel und Klerus. Das Zentrum des feierlichen Zuges führte Erbmarschall Balthasar von Trautson an, der ein blankes Schwert trug. Hinter ihm fungierten junge Adelige als Träger eines Brokatbaldachins, wie wir ihn als »Himmel« heute noch von kirchlichen Prozessionen kennen. Darunter ritt der Erzherzog auf einem prächtig aufgeputzten Schimmel. Vor der Kirche wurde Ferdinand von seinen unverheiratet gebliebenen Schwestern Magdalena und Helena begrüßt, den Gründerinnen des Haller Damenstifts, das in den nächsten zwei Jahren am Gelände des Ansitzes Sparberegg errichtet werden sollte. Margarethe, die dritte in Innsbruck gebliebene Schwester und Mitbegründerin des Damenstifts, war damals schon krank – sie starb zwei Monate später – und konnte deshalb nicht zum Empfang erscheinen. Nach dem feierlich gesungenen »Te Deum laudamus« in der St.-Jakobs-Kirche, dem heutigen Dom, zog sich Erzherzog Ferdinand in die für ihn hergerichteten Gemächer der alten Hofburg zurück.

    Trompeter der Hofmusik gehörten zu jedem festlichen Einzug (aus L. Fläxls »Lobspruch des Fuerstlichen Freischießens zu Inßbruck«, 1569).

    Auf den Einzug in die Residenzstadt folgte am nächsten Tag die Erbhuldigung der Ständevertreter im Rahmen eines eigens dazu einberufenen Landtags. Der Adel und die hohe Geistlichkeit, Bürger und Abgeordnete der Landgemeinden waren versammelt. Der Landesfürst entbot ihnen seinen Gruß und versprach, die Freiheiten des Landes zu erhalten, auf gute Ordnung und Frieden zu achten und die Landesbistümer zu schützen. Die Vertreter seiner Untertanen leisteten daraufhin im eigenen Namen und im Namen der gesamten Bevölkerung Tirols den Eid auf Treue und Gehorsam. Dass sie gleichzeitig einige Bitten und Beschwerden vortrugen, gehörte zur Praxis ständischer Politik. Es waren großteils alte Forderungen, die jeder neue Landesfürst zu hören bekam. So wollte man z. B. die Zusicherung, dass Regierungsämter nur mit Tirolern besetzt werden und dass bei anstehenden Entscheidungen über wichtige Fragen sieben qualifizierte Ständevertreter beigezogen werden. Auch der Aufruf zur Sparsamkeit war nichts Neues. Zum Schluss überreichten die Stände Tirols ihrem neuen Landesfürsten ein Geschenk von 15.000 Gulden in goldenen und silbernen Bechern.

    In den Tagen darauf regnete es landesfürstliche Geschenke – hauptsächlich Münzen und Pokale – an alle maßgeblich an den Feiern des Einzuges und der Erbhuldigung beteiligten Personen – bis hin zu den Artilleristen an den Kanonen im Saggenfeld. Huld und Gnade des Erzherzog ergossen sich auch über die Insassen der Gefängnisse, von denen viele die Freiheit erlangten; wer sich einer Strafe durch Flucht entzogen hatte oder durch Gerichtsurteil in die Verbannung geschickt worden war, durfte aus der Verbannung zurückkehren.

    Erst vier Wochen nach dem Einzug Ferdinands in Innsbruck erfolgte die offizielle Begrüßung durch die Vertreter der Stadt. Am 16. Februar 1567 fanden sich zu diesem Zweck der Stadtrat und einige andere Honoratioren in der erzherzoglichen Tafelstube der Hofburg ein. Wie schon in Hall hielt nicht der Bürgermeister, sondern der Stadtschreiber die Ansprache. Und auch die Innsbrucker Bürgerschaft überreichte ein Geschenk, und zwar ein aus Silber gefertigtes und vergoldetes Trinkgefäß in Form eines Adlers.

    Mit Huldigung und Eid der Ständevertreter gab sich Erzherzog Ferdinand nicht zufrieden. In den folgenden Monaten wurden daher in den Städten und Gemeinden des Landes öffentliche Versammlungen abgehalten, bei denen die männliche Bevölkerung »mit aufgereckten Schwurfingern« die Eidesformel nachsprechen musste, die ein Vertreter des neuen Landesfürsten vorlas. Monatelang zog sich diese Prozedur hin. In Innsbruck fand die Zeremonie, geleitetet von Landeshauptmann Wilhelm von Wolkenstein und Kammerpräsident Blasius Khuen von Belasy, erst am 30. September 1567 im städtischen Ballhaus statt. Gleichsam als Gegenleistung wurde von Vertretern des Landesfürsten versichert, »die fürstliche Durchlaucht werde gemeine Stadt bei ihren Freiheiten, gueten alten Herkommen und Gebräuchen bleiben lassen, handhaben und gnädigst bestätigen«.

    Innsbruck um 1575 (Braun-Hogenberg)

    In die mit Tirol zusammengeschlossenen Herrschaften »vor dem Arlberg«, in Schwaben und am Oberrhein begab sich Erzherzog Ferdinand höchstpersönlich, um sich der Treue und Ergebenheit seiner Untertanen auch dort zu versichern.

    Kaiser Maximilian I. mit seiner Familie, die ein Weltreich beherrschen wird, gemalt 1515/16 von Bernhard Strigl: rechts seine früh verstorbene Frau Maria von Burgund, in der Mitte beider Sohn Philipp der Schöne († 1506), unten die Enkel Ferdinand (I.) und Karl (V.), ganz rechts Ludwig II. von Böhmen und Ungarn, der Mann von Maximilians Enkelin Maria und der Bruder von Ferdinands Gemahlin Anna Jagiello.

    TIROL UND DIE HABSBURGER VOR FERDINAND II.

    ass die Habsburger ihren riesigen Länderkomplex unter sich aufteilten, war nichts Neues. Schon 40 Jahre nachdem Herzog Rudolf IV. von Habsburg 1363 in der Besitz der Grafschaft Tirol gekommen war, hatte sie einen eigenen Landesfürsten bekommen. Das ganze 15. Jahrhundert hindurch wurde Tirol von einer habsburgischen Zweiglinie regiert, zuerst von Herzog Friedrich IV. (»mit der leeren Tasche«) und dann von seinem Sohn Erzherzog Sigmund (»der Münzreiche«). Der hatte keine erbberechtigten Söhne, und auch die Wiener Linie starb aus. Einziger männlicher Habsburger war ab 1493 Erzherzog Maximilian von der steirischen Linie. 1490 hatte er die Regierung Tirols und der habsburgischen Stammlande im schweizerisch-oberrheinischen Raum übernommen. Als unangefochtenes Familienoberhaupt vereinigte er alle habsburgisch-österreichischen Länder unter seiner Herrschaft und trug die deutsche Königskrone. 1508 nahm er, da ihm der Weg nach Rom zur Kaiserkrönung verwehrt war, den Titel eines Erwählten Römischen Kaisers an.

    Tirol verlor damit zwar viel von seiner Selbständigkeit, behielt jedoch eine gewisse Sonderstellung und nahm an Bedeutung sogar noch zu. Denn für Maximilian, dessen Herrschaftsbereiche und Interessensgebiete von der Schweiz bis nach Ungarn und auf den Balkan, von der Bretagne und den Niederlanden bis nach Italien reichten, dessen Ehe- und Bündnispolitik darüber hinaus Spanien und England, ja sogar Russland mit einbezog, für diesen Herrscher voll weitgespannter Pläne war Tirol geradezu das natürliche Zentrum seiner Regierung. Außerdem hegte der König eine besondere Vorliebe für das Land, das er gerne auf seinen Jagdabenteuern durchstreifte. Tirol wurde aus diesen Gründen nicht etwa zu einem vernachlässigten Nebenland, sondern zu einem zentralen Bereich des Reichs, Innsbruck zu einem bevorzugten Aufenthaltsort des Herrschers, zur Residenz seiner zweiten Gemahlin Bianca Maria Sforza von Mailand.

    Das Goldene Dachl in Innsbruck steht für Tirols »Goldenes Zeitalter« unter Maximilian I.

    Auch in den Jahrzehnten nach Maximilians Tod (1519) hatte Tirol keinen eigenen Landesfürsten. Maximilians Nachfolge als König und Kaiser im Reich war seinem Enkel Karl (V.) zugefallen, der bereits König von Spanien war und auch das burgundisch-niederländische Erbe Maximilians zu seinem Herrschaftsbereich schlug. Die österreichischen Länder überließ er 1521 vertraglich seinem Bruder Ferdinand I., der mit Anna, der Schwester des letzten Jagiellonenkönigs Ludwig verheiratet war und ganz unerwartet Anspruch auf die Krone Böhmens und Ungarns erheben konnte, als Ludwig 1526 im Kampf gegen die Türken einen frühen Tod fand. In Böhmen konnte sich Ferdinand durchsetzen und wurde von der Ständeversammlung zum König gewählt, nachdem er das Blaue vom Himmel versprochen hatte. In Ungarn wurde der Habsburger nur von einem Teil des Adels anerkannt und in Pressburg gekrönt, während andere Adelige opponierten und aus ihren Reihen Johann Zápolya auf den Thron hoben. Das Land war zum größten Teil von den Türken besetzt. Im Osten (Siebenbürgen) behauptete sich Zápolya, und nur die westlichen Komitate mit dem heutigen Burgenland und Teilen der Slowakei und Kroatiens beherrschte der habsburgische König. Ferdinand musste sein neues Königreich Ungarn also erst erobern. Wenig half ihm dabei die Tatsache, dass er 1531 von den Reichsfürsten zum römisch-deutschen König und damit zum Stellvertreter und designierten Nachfolger seines kaiserlichen Bruders gewählt wurde.

    Porträtmedaille Ferdinands I. und der Anna Jagiello, deren Ehe den Habsburgern Ungarn und Böhmen einbrachte

    Durch die neue habsburgische Ostpolitik mit all ihren Chancen und Problemen verlor Tirol die zentrale Bedeutung für die Habsburger, die es unter Maximilian gehabt hatte. Dass auch jetzt durch Jahre die königliche Familie in Innsbruck weilte und der spätere Landesfürst Ferdinand II. hier seine Kindheit und frühe Jugend erlebte, hängt mit der größeren Entfernung Tirols von der unsicheren Ostgrenze zusammen. Doch auch Tirol war vor kriegerischen Ereignissen nicht sicher.

    Im Juli 1546 brachen die Truppen des Schmalkaldischen Bundes der protestantischen Fürsten in Tirol ein und besetzten die Ehrenberger Klause bei Reutte, ehe entscheidende Abwehrmaßnahmen getroffen werden konnten. Bald darauf gelang dem Landesaufgebot jedoch die Wiedereroberung der Befestigungsanlage und die Vertreibung der Feinde. Im Mai 1552 marschierte das Heer des Kurfürsten Moritz von Sachsen nach Tirol, um Kaiser Karl V. zu fangen, der sich seit November 1551 in Innsbruck aufhielt. Während der Kaiser Hals über Kopf zum Brenner entfloh, von wo er über das Pustertal nach Kärnten eilte, gestattete die Tiroler Regierung dem Kurfürsten freien Durchzug, wenn er Land und Leute dafür schone und den Proviant käuflich erwerbe. Daran hielt sich zwar die beutehungrige Soldateska nicht – u.a. wurde das Stift Stams geplündert –, doch nach zwei Tagen war der Spuk ohnehin vorbei. Die Eindringlinge zogen über Seefeld wieder ab.

    Um wenigstens keiner Gefahr von innen ausgesetzt zu sein, reagierte die Obrigkeit auf jedes Anzeichen der Unbotmäßigkeit unzufriedener Untertanen mit äußerster Strenge. Der Schock des Bauernaufstandes von 1525/26 war bei Regierung und Ständevertretern noch nicht überwunden, auch wenn die Aufständischen letztlich in die Knie gezwungen worden waren und das folgende Strafgericht jeden Widerstandswillen für Jahrzehnte gebrochen zu haben schien. Der gefährlichste und hartnäckigste Anführer der Bauern, der in Sterzing geborene Brixner Beamte Michael Gaismair, war mit vielen seiner treuesten Anhänger ins Exil gegangen und hatte mit venezianischen Truppen gegen den Kaiser gekämpft.

    Unterschrift Michael Gaismairs, des Bauernführers im Aufstand von 1525, auf einem Protestbrief an die Regierung

    Trotz emsiger Bemühungen setzte er sich mit seinen Kriegsplänen gegen die habsburgische Stellung in Tirol bei der Regierung des Dogen aber nicht durch. Er gab deshalb seine Anstellung als venezianischer Landsknechtführer auf und erwarb ein Landgut bei Padua, von wo aus er weiter gegen Habsburg konspirierte. Landesfürst und Regierung in Tirol fürchteten ihn immer noch, setzten Spione, Agenten und Mörder auf Gaismair an. Eine hohe Kopfprämie verfehlte schließlich ihre Wirkung nicht. 1532 starb der Bauernrevolutionär in Padua unter 42 Dolchstößen eines Verräters und zweier gedungener Mörder.

    Wer konnte jedoch garantieren, dass Gaismairs Ideen von einer Bauernrepublik Tirol nicht weiter in den Köpfen unzufriedener Männer aus unteren sozialen Schichten lebendig geblieben waren? Zumal viele bauernfreundliche Reformen, die der »Bauernlandtag« von 1525 durchgesetzt hatte, mit der Landesordnung von 1532 wieder außer Kraft gesetzt worden waren. Noch drei Jahrzehnte später genügten großspurige Redereien im Wirtshaus, um die Behörden in Aufregung zu versetzen. Ein gewisser Hans Weißensteiner aus Bruneck hatte in St. Lorenzen von gefährlichen Umtrieben gehört und bei der bischöflichen Regierung in Brixen angezeigt. Der ehemalige Müller Balthasar Dosser aus Lüsen, der sich jahrelang als Landsknecht verdingt hatte und nach seinem Ausscheiden aus dem Kriegsdienst bettelnd durch das Land zog, soll Pläne für einen neuerlichen Bauernaufstand geschmiedet und schon viele Gleichgesinnten um sich gesammelt haben. Am Heiligen Abend 1561 während der Christmette sollte es im Pustertal losgehen. Aber auch am Eisack und an der Etsch werde Dosser Schlösser erobern und in den Städten und Dörfern Schreiber und Richter seines Vertrauens einsetzen. Dann werde er »in Brixen Ordnung machen« und ins Inntal marschieren. Überall stünden Mitverschworene aus dem Landvolk und kriegserfahrene Gartknechte, also ehemalige Söldner bereit. Dosser selbst sei gerade dabei, im Engadin Hilfstruppen anzuwerben, von 6000 Engadinern sei die Rede.

    Die Tiroler Landesordnung von 1532, deren Titelseite den Landesfürsten Ferdinand I. zeigt. Sie nimmt viele der von den Bauern 1525/26 erreichten Verbesserungen ihres sozialen und rechtlichen Status wieder zurück.

    So martialisch und gefährlich das alles klang, so einfach war es schließlich, Balthasar Dosser gefangenzunehmen. Denn dieser war nicht in der Schweiz, sondern zog mit seiner Lebensgefährtin und einigen Anhängern zwischen Bozen und Klausen herum, wo man dem Ahnungslosen in der Nacht vom 23. auf den 24. Dezember 1561 eine Falle stellte und ihn überwältigen konnte. Bis Anfang Jänner zogen sich die »gütlichen und peinlichen« Verhöre hin. Unter der Folter gab Dosser nach und nach seine Pläne und Ziele preis, die in der Einführung einer republikanischen Verfassung gipfelten, wie die Engadiner sie hätten. Zur neuen Ordnung solle auch gehören, dass keine Steuern und Zinsen mehr entrichtet werden müssten. Nur bei der Bevölkerung beliebte Richter, Pfleger und sonstige Obrigkeiten sollten geschont, alle anderen erbarmungslos erschlagen werden. Dosser hoffte darauf, dass sich einzelne Städte und Dörfer dem Aufstand anschließen würden. Bewaffnete Einfälle aus dem Engadin sollten die Aufständischen im Vinschgau unterstützen.

    Nach ersten »umschweifigen«, aber offenbar zu wenig konkreten Geständnissen, holten die Brixner Räte den Scharfrichter von Hall, dessen wirkungsvolleren Foltermethoden Dosser nicht widerstehen konnte. Bald nannte er geheime Treffpunkte der Anführer und die Namen zahlreicher Mitverschworener, die nun ihrerseits gütlich und peinlich – also wieder unter der Folter – einvernommen wurden. Es stellte sich heraus, dass bei manchen weniger der Wunsch nach einer Verbesserung der eigenen Lage und der ihrer Landsleute der Anstoß zum Mittun war, sondern mehr die Hoffnung auf Truhen voller Goldstücke und Fässer mit silbernen Talern, die man hinter den Mauern eroberter Burgen finden würde. Mit derartigen Versprechungen war Balthasar Dosser offenbar sehr großzügig umgegangen.

    Eine wirkliche Gefahr dürfte die von unausgegorenem Wunschdenken und weltferner Aufschneiderei getragene »Verschwörung« wohl zu keinem Zeitpunkt bedeutet haben. Doch die Regierung sah es offenbar anders und wollte Dossers Hinrichtung nicht dem fürstbischöflichen Gericht von Brixen überlassen. Man verlangte seine Auslieferung und Überstellung nach Innsbruck, wo ein möglichst wirksames Exempel statuiert werden sollte. So wurde Dosser am 26. Februar 1562 auf einer Bühne vor dem Goldenen Dachl in vier Teile zerrissen, wie es für Hochverräter vorgesehen war. Die abgetrennten Gliedmaßen wurden zur Abschreckung an den Ausfallstraßen der Stadt aufgehängt. Drei weitere Rädelsführer erlitten dasselbe Schicksal in Meran, einer in Brixen. Andere kamen mit weniger grausamen Strafen davon.

    Seite aus den Protokollen der Verhöre von 1562 über die Aufstandpläne des Balthasar Dosser und seiner Mitverschworenen (hier Valtin Spilmüller)

    In den Verhörprotokollen rund um Dossers Aufstandspläne wird die Aussage eines Angeklagten festgehalten, dass man es besser machen wolle als die Bauernrebellen von 1525/26. Die Erinnerung war also lebendig, die Regierung konnte sich ihres Sieges von damals nicht sicher sein. Auch die vorwiegend religiös motivierte, aber zusätzlich mit sozialer Sprengkraft ausgestattete Täuferbewegung – besser bekannt unter dem Begriff »Wiedertäufer« – glaubte man in Tirol ausgerottet. Zu Unrecht, obwohl schon in den 1530er Jahren eine große Zahl ihrer Anhänger hingerichtet worden und Tausende andere geflüchtet waren. Nach ihrem Anführer Jakob Huter aus St. Lorenzen bei Bruneck, der 1536 vor dem Goldenen Dachl den Tod am Scheiterhaufen erlitt, nannte man sie auch die Huterischen Brüder. Als mit Niederschlagung des Bauernaufstandes der Versuch gescheitert war, eine Reform des Gesellschaftssystems und eine konkrete Besserung der Lebensbedingungen mit Gewalt zu erreichen, erhielt diese radikal-reformatorische Bewegung, die auch ein besseres Leben versprach, großen Zulauf aus den sozial benachteiligten Gruppen in der Tiroler Landbevölkerung. Obwohl sie auf Gewalt verzichtete, erschien sie den Herrschenden nicht weniger gefährlich. Dementsprechend nervös reagierte man, wenn Propagandisten der verbotenen Religionsgemeinschaft aus ihren Zufluchtsorten in Mähren nach Tirol zurückkehrten. Auch wenn es ihnen unmöglich gemacht wurde, hier neue Täufergemeinden zu gründen, waren sie immerhin dafür verantwortlich, dass sich weitere Gruppen neu angeworbener Männer und Frauen zur Auswanderung entschlossen. Ihr zurückgelassener Besitz wurde von der Regierung konfisziert, wer den Häschern in die Hände fiel, konnte nicht auf Gnade hoffen.

    Ein Täuferprozess fällt fast genau mit Erzherzog Ferdinands Einzug in Tirol zusammen. Anfang 1567 wurde mit dem Kitzbüheler Nikolaus Geyersbühler (auch Niklas Geiersbichler) einer dieser aus dem Exil heimgekehrten Prediger festgenommen. Er wurde im Kräuterturm

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