Italien Roman
By Lisi Schuur and Eike M. Falk
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About this ebook
Das ist das Ziel. Für beide.
Für die Zeit nach der Berufstätigkeit.
Einen neuen Anfang wagen.
Es ist die einzige Gemeinsamkeit.
Ein Mann und eine Frau.
Aus verschiedenen Richtungen.
Jeder auf seinem eigenen Weg.
Lisi Schuur
Aufgewachsen in der Kanalstadt Datteln/Westfalen. Während meiner Schulzeit in Kaiserswerth war der Rhein mein Beobachter und Versteher. Meine erste Zigarette blieb unser Geheimnis. Irgendwann schaufelte sich doch ein Fünkchen Verstand den Weg aus dem Knäuel versponnener Gedanken. Aus zwei Menschen und ihrem Sohn wurde eine Familie, der drei längst erwachsene, wunderbare Enkelkinder angehören. Es treibt mich immer noch weiter ins Leben zu gehen, das Staunen möchte ich niemals verlieren. Und die Liebe, die aus Fragezeichen den Stoff der Bedingungslosigkeit webt.
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Italien Roman - Lisi Schuur
67
1
Erfahrungen macht man, hofft, dass man Erfahrener werde mit dem Alter, das ist falsch.
Es erfährt sich nur immer Neues, das hört nie auf.
Es ist wie ein Erdhügel, den man anhäuft, Schaufel um Schaufel, eine Grabarbeit, die einen ermüdet, erblinden lässt von den Tränen, die man weint.
Die Hände, die Arme, der ganze Körper ertaubt.
So vergeht die Zeit, die nichts anderes bildet als ein unfertiges Sein, das in einem Tod endet.
Da waren gute Jahre, da waren böse Jahre. Sie sind ununterscheidbar geworden wie in einem Strauß bunter Blumen, haben sich aufgelöst in ein Konzert duftender Farben.
Es war, es ist mein Leben.
Ich mochte niemals Blumensträuße haben.
Ich mochte ihnen nicht zusehen beim Verfall.
Ich mochte sie nicht auf den Kompost werfen.
Ich möchte noch einmal aufbrechen. Ich möchte noch einmal erleben, tief und intensiv erleben, noch einmal um mich schauend mich staunen sehen.
Vielleicht, dass sich dieses Mal eine neue Art der Erfüllung findet.
Ich bin nicht gewillt die Hoffnung aufzugeben, auch wenn ich keine großen Erwartungen mehr damit verbinde.
Von der Menschheit erwarte ich nichts, keine Utopien geistern mehr durch meinen Kopf.
Es wird sich nichts ändern. Es wird weitergehen bis zu einem zufälligen Ende.
Da der letzte Mensch mit einem Seufzer erwacht. Er dreht sich noch einmal zur Seite - und stirbt. Ein unspektakuläres Ende.
Nein, von der Menschheit wird nichts zu erwarten sein. Die Menschheit, das ist ja doch nur ein abstraktes Gebilde. Es ist der Einzelne, auf den es ankommt. Auf den ich mich immer verlassen kann, immer verlassen konnte.
Die einfachen Zufälle des Lebens sind es, Begegnungen, Worte.
Worte zu sprechen, das ist wie ein Akt der Bescheidenheit. Es braucht ja doch nicht viel den Mund zu bewegen, die Lippen, die Zähne in Gebrauch zu nehmen.
Es könnte ein Schrei entspringen. Ein Mensch, der um Hilfe ruft.
Es könnte sich um Worte handeln, die mit Absicht ins Unklare gestellt sind.
Jemand, der sich zu mystifizieren sucht.
Es könnten einfache Worte sein, eindeutige Worte. Ich liebe dich.
Und morgen bin ich auf der Autobahn und fahre in den Süden.
Menschen zu finden, Worte und Sätze.
Ich werde es versuchen.
Ich werde mich versuchen.
Und ich sage nicht: zum letzten Mal.
Auch wenn ich mich selbst nun der Mystifizierung zu beschuldigen habe.
2
Du denkst, es passiert etwas Neues. Nie Dagewesenes.
Du versprichst es dir jedenfalls.
Es kann doch nicht sein, dass es nichts Neues mehr für dich gibt.
Du begibst dich auf eine Reise.
Und erwartest eine Erkenntnis nach der anderen.
Hast du auch. Tatsächlich. Nur steckt ein Fehler darin.
Es ist kein Erkennen. Es ist ein Wiedererkennen.
Alles aufgewärmt. In groben Zügen alles schon mal gewesen.
Na, denkst du.
Wenn das alles ist.
Kann ich gleich zu Hause bleiben.
Und doch. Es kann nicht sein. Ich suche, muss erst die passenden Gedanken finden. Dann wird es möglich sein.
Das Niedagewesene.
Was soll ich dazu nur denken?
Ich weiß es nicht. Gut, dass es so ist.
Dann kann es nichts Aufgewärmtes sein.
Vielleicht denke ich besser gar nicht.
Und stürze mich unbedacht in etwas hinein.
Kann ja mal passieren, dass du auf den Teppich pieselst. Sag ich zum Hund. Und streichel ihn.
Kann ja mal passieren, dass du nicht nachdenkst, sag ich zu mir. Und bin mir nicht böse.
3
Für mich ist von jeher der Brenner die Wegscheide gewesen, die den Norden vom Süden trennt, die den Norden dem Süden zuführt, langsam hinabgleiten lässt. Man braucht nur die Räder rollen lassen. Von hier an bis zu den Limonen.
In zwei Stunden werde ich am Gardasee sein.
Dann beginnt das Abenteuer.
Sobald ich die Grenze passiert habe, lege ich eine Pause ein, rauche eine Zigarette, schaue hinunter ins Tal und lasse meine Gedanken schweifen.
Es sind ganz bestimmte Prüfensblicke, die ich aussende, keine Prüfungsblicke, wohlgemerkt, das fiele mir im Traum nicht ein, es ist mehr wie ein Schnuppern, ein Vorahnen dessen, was mich erwartet. Wenn man so will, wird hier ein Motiv gesetzt, das meine Reise begleiten soll.
Es liegt kein strenges Reglement darin. Ich kann die hier erstellte Vorlage jederzeit verwerfen, neuen Gegebenheiten anpassen.
Es ist nur so - einfach - eine Spielerei, ein Skizzenentwurf.
Es könnte jetzt Mendelssohns italienische Sinfonie erklingen, oder Beethovens fünftes Klavierkonzert, beides erschiene mir stimmig. Ich stelle es mir vor.
Und lasse meine Blicke schweifen. Die Gedanken folgen hinterher wie rauschende Wildbäche.
Es ist der Wilhelm Meister, an den ich denken muss, genauer gesagt die ersten Kapitel der Wanderjahre. Wo es in die Täler hinunter geht. Es wird dort nicht explizit zum Ausdruck gebracht, aber es ist doch ersichtlich, was gemeint war: Italien.
Ach, das silberne Licht des Südens!
Hier in den Bergen ist es mir noch niemals erschienen. Selbst wenn ich im Sommer hier stand, habe ich nur selten Sonnentage erlebt.
Meist war es trübe wie heute.
Die Wolken stehen tief, zum Greifen nahe.
Das Licht verkümmert sich. Was wenig verwundert. Es ist Herbst. Ich hatte sogar mit Schnee gerechnet.
Es ist aber, ich sagte es ja schon, weniger das Hier und Jetzt, das meine Gedanken bewegt, es ist die Erwartung. Und die ist immer eine andere. War immer eine andere, und ist heute eine sehr eigene, besondere, eine, auf die es mir ankommt, darum lasse ich mir mehr Zeit als gewöhnlich, trotz des schlechten Wetters.
Ich bin nicht geflohen. Nicht vor dem Wetter, nicht vor mir, auch vor den Menschen nicht.
Nicht einmal vor Heines langnasigen, sich schneuzenden Gesichtern daheim, an der Elbe.
Schöner Süden, deinen Himmel such ich.
Doch auch der ist ein anderer im Winter, ich weiß es gut genug, ich bin schon einmal im Winter hier gewesen, wenn auch nur auf zwei Wochen. Diesmal will ich bleiben.
Bleiben ...
Ja, doch. Zumindest den Winter über. Und solange meine Mittel reichen.
Ich bin alt und arm. Das ist eine Kombination, wie sie kläglicher nicht sein könnte.
Ersparnisse habe ich. Die gedenke ich während dieser Reise aufzubrauchen bis auf den letzten Cent. Ich werde an nichts sparen.
Dann kehre ich zurück zu meiner spärlichen Rente.
Und werde genug Zeit haben die langnasigen Gesichter zu betrachten, von denen ich selber eines bin.
Doch nun - fahre ich dem Frühling entgegen, wollte ich gerade sagen. Doch es ist ja der Herbst, und auch der kann sehr schön sein in Italien.
Und ich habe es mir ja auch genauso gewünscht. Herbst und Winter.
Und ich will es genießen. Darum geht es. Und um Entdeckungen, wie immer bei mir. Die Neugierde, die sich um jede kleinste Ecke noch krümmt.
Es wird vieles zu entdecken geben.
Auch mich selbst, füge ich hinzu. Denn auch für mich selbst möchte ich mir Zeit nehmen.
Vielleicht bin ich ja ein ganz anderer als ich denke. Ein Fünkchen Hoffnung besteht immer. Doch ich will nicht sarkastisch sein.
Den Sarkasmus werde ich gleich hier bei den Hörnern packen und in diesem überquellenden Müllcontainer entsorgen.
Und warum Italien?
Das ist eine gute Frage.
Ich werde sie mir beantworten, wenn ich am Gardasee bin.
4
Alle haben sie mir gesagt, ich solle nicht, ich könnte doch...
Ja, dachte ich dann, ihr hättet gerne, dass ich nicht wollen kann. Und ihr mich beratschlagen müsst.
Aber spart euch das. Ich mache nur noch das, was mir behagt.
Nicht wie früher: Wie du meinst, und scheint denn dafür auch die Sonne?
In manchen Dingen bin ich die Unfähigkeit.
Das weiß ich.
Doch bin ich auch die Sehnsucht nach dem Meer. Und darin bin ich groß.
Und nach dem See. Die Sehnsucht nach dem idyllischen Lago.
Wie lange sie anhalten wird, weiß ich nicht.
Bin gespannt.
Die andere Sehnsucht, die, nach dem Meer, hält sich jedenfalls seit Ewigkeiten.
Manchmal bin ich die träumende Erde.
Die ihre Keimlinge ausstößt. Die sich die Wege bahnt.
Ich weiß nicht. Bahnt sie sich oder anderen die Wege?
Ich bin die Wegbahnerin. War ich meistens.
Drängend. Bedrängt.
Eher Letzteres. Oder?
Ich weiß es nicht. Will es auch nicht wissen.
Momentan nicht. Da weiß ich gar nichts.
Auch von mir nur manches.
Das wird sich ändern. Wenn ich eine Weile in bella Italia bin.
Ich lasse mich anstecken. Von wem?
Gute Frage. Die kann ich nicht beantworten.
In der Erinnerung kam dieses Land gut weg.
So ist das. Mehr nicht.
Und die Italiener? Sie eher nicht. Zu glatt. Zu gesprächig. O sole mio.
Obwohl. Einer war dabei, der war nicht so.
Aber auch nicht so, wie ich ihn gerne gehabt hätte.
Das tut aber nichts zur Sache. Das läuft nur so mit.
Wenn, dann ja. Wenn nicht, dann nein.
Mittlerweile steh ich über solchen Dingen.
Früher war das anders. Da konnte ich nicht über Dingen stehen.
Ich rutschte aus, und lag mitten drin.
Fehlten nur noch die Wellen, die mich zuklatschten.
Und das Aufstehen. Meine Güte. Bis mir das überhaupt einfiel.
Da war ich meistens schon so tief hineingerutscht, dass es richtig schwierig war.
Irgendwie bekam ich es hin. Ich hab das, was neben dem 'irgendwie' übrig war, einfach verleugnet. Bin gut darin.
Ich kann es mir so gut erklären, dass ich überzeugt bin, dass der Himmel die Hölle ist.
Und das sitzt tief. Weil ich es mir überzeugend dargestellt habe.
Damit ist nun auch Schluss.
Weil ich mich entblößt habe.
Und das ist schwierig. Anfangs hab ich mich nur angeschielt.
Ach so. Es ist immer noch anfangs.
Und so ein Anfang kann sich ganz schön hinziehen.
Ich schiele also. Mal hierhin. Mal dahin.
Aber mich in erster Linie schiele ich an.
Das hab ich mir versprochen.
5
'Italiener