Was ist Anthroposophie?: Sieben Perspektiven.
By Jörg Ewertowski, Ruth Ewertowski, Nana Göbel and
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About this ebook
den Horizont zur Seele und zum Geistigen in der Welt und im Menschen. Sieben Perspektiven, die gleichsam Wege sein können zur Wirklichkeit des Lebens, schildern die Autoren.
Jörg Ewertowski
Jörg Ewertowski, geboren 1957 in Zweibrücken, absolvierte eine Ausbildung zum Goldschmied und arbeitete in diesem Beruf, bevor er ein Studium der Philosophie, Germanistik, Theologie und Kunstgeschichte in Frankfurt am Main aufnahm. Seit 1994 leitet er die Bibliothek des Rudolf Steiner Hauses in Stuttgart. Er promovierte 1997 über F.W.J. Schelling mit seiner Dissertation: "Die Freiheit des Anfangs und das Gesetz des Werdens". Im Verlag Freies Geistesleben erschien von ihm bereits: "Die Entdeckung der Bewusstseinsseele - Wegmarken des Geistes" (2007).
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Book preview
Was ist Anthroposophie? - Jörg Ewertowski
WAS IST
ANTHROPOSOPHIE?
Sieben Perspektiven
Herausgegeben von Jean-Claude Lin
Mit Beiträgen von Marian Conens, Jörg Ewertowski, Ruth Ewertowski, Nana Göbel, Wolfgang Held, Martin Kollewijn, Gottfried Stockmar und Albert Vinzens
VERLAG FREIES GEISTESLEBEN
Inhalt
Was ist Anthroposophie?
Vorwort des Herausgebers
Sieben Perspektiven
Freude in der Gegenwart
Jean-Claude Lin
Das Gespräch mit dem Kosmos
Wolfgang Held
Fühlen auf dem Grund des Lebens
Ruth Ewertowski
Die Wahrnehmung des Menschen
Albert Vinzens
Mut zum Leben
Nana Göbel
Schöpfen aus der Kraft des Denkens
Martin Kollewijn
Sich selbst wandeln im Erkennen
Jörg Ewertowski
Zugabe
Eine Begegnung mit der Anthroposophie im Zeichen der Freiheit
Begegnung mit Marian
Gottfried Stockmar
Fragmente eines Menschen: Gottfried
Marian Conens
Über Rudolf Steiner und die Autoren
Jean-Claude Lin
Impressum
Leseprobe
Newsletter
Fußnoten
Was ist Anthroposophie?
Vorwort des Herausgebers
Was Anthroposophie ist, kann sehr verschiedene Gestalten annehmen. Im Grunde genommen so viele, wie es Menschen gibt. Damit ist keine bloß subjektive Willkür gemeint. Es soll vielmehr darauf hinweisen, dass Anthroposophie mit der Entwicklung des Innersten im Menschen, seiner Individualität, verbunden ist. Wie viele andere Menschen auch, lernte ich die Anthroposophie zunächst in ihrer Praxis kennen. Genauer gesagt: ich lernte sie im Handeln der von ihr inspirierten praktisch tätigen Menschen kennen. Mit acht Jahren kam ich in die zweite Klasse der nördlich von London gelegenen Waldorfschule in Kings Langley: The New School, die allgemein als «Steiner-Schule» bezeichnet wurde. Wenn ich damals Menschen erzählte, dass ich auf eine Steiner-Schule ging, fragte man mich, was denn mit mir sei. Denn es waren in den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts hauptsächlich die heilpädagogischen Schulen und sozialtherapeutischen Camphill-Gemeinschaften, die man mit dem Namen Steiners verband. «Mit mir» war aber nichts, außer dass ich in meiner zuletzt besuchten staatlichen Schule in eine höhere Klasse gesteckt wurde als meine Klassenkameraden, die mir bis dahin vertraut waren, weil man mich intellektuell dafür besser geeignet fand. Ich erinnere mich gut an meine letzten Unterrichtsstunden dort über die Menschen in der Steinzeit, wie ich überhaupt keine Beziehung zu diesen sehr behaarten, etwas krumm gehenden Zweibeinern herstellen konnte.
Wie anders war das, als ich in die zweite Klasse der neuen Schule kam! Da erzählte mein Klassenlehrer Tag für Tag eine Heiligenlegende oder eine Fabel. Insbesondere seine Nacherzählung des Königssohns von Irland berührte mich so stark, dass ich unbedingt ein Exemplar des Buches von Padraic Colum erwerben musste. In der dritten Klasse erzählte mein Klassenlehrer Geschichten aus dem Alten Testament, in der vierten aus der nordischen Mythologie um Odin, Loki, Freya und Thor, in der fünften aus der griechischen Mythologie und von den griechischen Heroen. Mit der sechsten Klasse wurde aus den Geschichten des Altertums zunehmend Geschichte – mit Rom als Wendepunkt. Ich saugte alle diese Geschichten mit ganzer Seele auf und fühlte mich in dieser Schule sehr zu Hause. Einmal im Jahr wurde an Rudolf Steiners Geburtstag des Inaugurators der Pädagogik gedacht, die unserer Schule zugrunde lag. Aber viel wurde sonst nicht über ihn und seine Anthroposophie gesagt – und falls etwas gesagt worden war, behielt ich es nicht in so lebendiger Erinnerung wie die anderen mir erzählten Geschichten.
Erst als ich am Ende der zwölften Klasse mit dem Abitur die Schule verließ – bevor ich mein Universitätsstudium begann –, da wollte ich wissen, was denn Rudolf Steiner mit der Anthroposophie begründet hatte. So las ich in den Sommerferien seine Geheimwissenschaft im Umriss. Ich las seine Ausführungen über das Wesen des Menschen, darüber, dass ein Mensch nicht nur einen physischen Leib hat, sondern ebenso einen «Ätherleib» als Träger des Lebens, einen «Astralleib» als Träger der Seele und auch ein «Ich». Ich las darüber, wie der Mensch im Schlaf und im Tod und darüber hinaus existiert. Und ich las vor allem, wie unsere Erde entstand und wie viele verschiedene geistige, göttliche Wesen an ihrer Entwicklung und der Entwicklung ihrer Vorstufen – dem «Alten Saturn», der «Alten Sonne» und dem «Alten Mond»– beteiligt waren, bis der Mensch schließlich als selbstbewusstes und mit der Freiheit begabtes Wesen entstehen konnte.
So kurz aneinandergereiht mag eine solche Aufzählung bizarr, wenn nicht sogar befremdend klingen. Vielleicht halfen mir meine Erfahrungen mit den vielen Geschichten aus den Mythologien der Menschheit, die ich im Laufe meiner Schulzeit gehört hatte, auch die Erzählung Steiners in seiner Geheimwissenschaft nicht als puren Humbug abzutun. Im Nachhinein betrachtet muss ich das Buch wie einen Roman gelesen haben. Aber es faszinierte mich, und ich ahnte, die Werke dieses Mannes würden mich weiter beschäftigen. Und so war es. In jeder Lebenslage konnte ich etwas finden, womit ich weiter kam und weiter wuchs, auch wenn ich gleichzeitig feststellen musste, dass ich vermehrt Fragen an das Gelesene richtete oder manches sogar hinterfragte.
Es ist ein einmalig vielfältiges Werk, das Rudolf Steiner mit seinen Büchern, Vorträgen und praktischen Impulsen geschaffen hat. Jeder Mensch, der sich ernsthaft mit diesem Werk befasst, kann Anregungen für sich daraus holen, wenn er nur die entsprechenden Bedürfnisse und Fragen seiner Seele empfindet.
In den folgenden sieben Perspektiven ist versucht worden zu zeigen, wie die Anthroposophie zu einer Wissenschaft des Verborgenen, der Schöpfung führt, wie sie im Gespräch mit dem Kosmos entsteht, wie sie sich im Gefühl als Liebe mit dem Grund des Lebens verbindet, wie sie aus und zu einer neuen Wahrnehmung des Menschen erwächst, wie sie Mut zum Leben verleiht und aus der Kraft des Denkens schöpft und wie sie der Selbstverwandlung des Erkenntnissuchenden innewohnt.
Als Zugabe ist diesen sieben Perspektiven die kurze Schilderung einer Lebensbegegnung angefügt worden: die Begegnung eines etwas älteren mit einem jüngeren Menschen, die sich durch die Anthroposophie kennenlernten und sich insbesondere mit dem Grundimpuls Rudolf Steiners verbunden fühlen – die Freiheit des Menschen zu erkennen und lebensvoll zum Ausdruck zu bringen.
Mögen Sie, liebe Leserin, lieber Leser, etwas in diesem Buch finden, das Ihnen Anregung und Orientierung bedeuten kann. Anlässlich des
70-jährigen
Jubiläums des 1947 gegründeten Verlags Freies Geistesleben grüße ich Sie von Herzen,
Stuttgart, den 17. Januar 2017 Jean-Claude Lin
Sieben Perspektiven
Was ist Anthroposophie?
«Anthroposophie ist ein Erkenntnisweg, der das Geistige im Menschenwesen zum Geistigen im Weltenall führen möchte. Sie tritt im Menschen als Herzens- und Gefühlsbedürfnis auf. Sie muss ihre Rechtfertigung dadurch finden, dass sie diesem Bedürfnisse Befriedigung gewähren kann. Anerkennen kann Anthroposophie nur derjenige, der in ihr findet, was er aus seinem Gemüte heraus suchen muss. Anthroposophen können daher nur Menschen sein, die gewisse Fragen über das Wesen der Menschen und die Welt so als Lebensnotwendigkeit empfinden, wie man Hunger und Durst empfindet.»
Rudolf Steiner
Anthroposophische Leitsätze.
Der Erkenntnisweg der Anthroposophie.
Erste Buchausgabe, Dornach 1925. Erster Leitsatz.
Jean-Claude Lin
Freude in der Gegenwart
Ein Weg zu einer Wissenschaft der Schöpfung
Alles was mit der Entdeckung und Nutzung der Kernenergie zu tun hat, trägt den Keim des Todes und die Kraft der Zerstörung in sich.
Am 6. August 1945 fiel die erste Atombombe. Die Amerikaner warfen sie nach monatelanger fieberhafter Entwicklungsarbeit unter dem Decknamen «Manhattan Project» auf die japanische Stadt Hiroshima ab. 200.000 Menschen starben. 100.000 wurden schwer verletzt. Als einziges durch die Atombombe nicht zerstörtes Gebäude der Stadt stand das Rathaus. Drei Tage später, zum Beweis, dass Amerika es geschafft habe, mehr als nur eine solche Schreckenswaffe herzustellen, wurde eine zweite Atombombe auf die Stadt Nagasaki abgeworfen. Es starben wieder in einem über-blendenden, fürchterlichen Augenblick 74.000 Menschen. Angesichts solcher nie zuvor gekannten Vernichtungswut kapitulierten die im Krieg gegen die Vereinigten Staaten von Amerika und deren Alliierte befindlichen Japaner am 14. August bedingungslos.
Nach Konrad Lorenz zählen die Kernwaffen zu den «acht Todsünden der zivilisierten Menschheit». Aber: «Wenn man die Bedrohung der Menschheit durch die Kernwaffen mit den Auswirkungen vergleicht, die von den anderen sieben Todsünden auf sie ausgeübt werden, kann man sich der Erkenntnis nicht verschließen, dass sie unter den acht die am leichtesten zu vermeidende ist.» Das ist zunächst ein überraschendes Fazit. Doch Lorenz hat dafür eine einsichtige Begründung. Es ist «völlig und unwiderruflich klar, was man gegen ‹die Bombe› zu machen hat: Man braucht sie nur nicht herzustellen oder nicht abzuwerfen.» Bei den anderen Todsünden «wissen nicht einmal diejenigen, die sie klar sehen, was man dagegen unternehmen soll». Und Lorenz setzt sogar noch hinzu: «Bezüglich des Nichtgeworfenwerdens der Atombombe bin ich optimistischer, als ich in Bezug auf die anderen sieben Todsünden der Menschheit bin.» Allerdings räumt er einen Schaden ein, der sich auch unabhängig davon, ob Kernwaffen tatsächlich eingesetzt werden oder nicht, bereits bemerkbar macht: Die Bedrohung, die die Kernwaffen auf die Menschheit ausübt, erzeuge eine allgemeine «Weltuntergangsstimmung» mit weit reichenden, oft nicht bewussten Wirkungen: «Die Erscheinungen einer unverantwortlichen und infantilistischen Strebung nach sofortiger Befriedigung primitiver Wünsche und einer entsprechenden Unfähigkeit, sich für etwas verantwortlich zu fühlen, was in der fernen Zukunft liegt, hängt ganz sicher damit zusammen, dass unterbewusst allen Entscheidungen die bange Frage zugrunde liegt, wie lange die Welt noch steht.»
Als dieser Satz Anfang der siebziger Jahre geschrieben wurde, bestand die Gefahr einer offenen, unerbittlichen und die ganze Menschheit und die Erde vernichtenden nuklearen Auseinandersetzung zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten (mit Frankreich und Großbritannien im Schlepptau) offenkundiger als heute. Doch sollten wir eines nicht vergessen: die heutigen nuklearen Sprengköpfe, die es tausendfach in den Waffenarsenalen Russlands und der Vereinigten Staaten gibt, die weiterhin in großem Umfang in Frankreich und Großbritannien und seit einigen Jahren in China, Pakistan und Indien und vielleicht auch in Israel vorhanden sind, besitzen eine zigtausendfach größere Vernichtungsgewalt als die verhältnismäßig sehr kleinen Atombomben, die auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden.
Was können wir tun?
Was können wir im Bewusstsein solchen Vernichtungspotenzials tun?
Für Konrad Lorenz lag der Urquell der acht Todsünden bei der sich unbegrenzt steigernden menschlichen Bevölkerung der Erde: in der Übervölkerung. Daraus entstehen seiner Ansicht nach die restlichen sieben Todsünden: die Verwüstung des natürlichen Lebensraumes; der kommerziell bedingte immer selbstzerstörerischere Wettlauf des Menschen mit sich selbst; der Schwund aller starken Gefühle und die damit zusammenhängende schwindende Fähigkeit, Schmerz und Leid zu ertragen; der genetische Verfall; das Abreißen der Tradition; die Zunahme der Indoktrinierbarkeit der Menschen und schließlich die sich ausbreitende Aufrüstung der Menschheit mit Kernwaffen.
Konrad Lorenz’ Beurteilung der