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Ein neuer Fall für Weinzierl und Oberhauser. Ein toter Asylbewerber. Nicht ganz einfach in einer Zeit, in der man sofort differenziert: Gut oder böse, links oder rechts, Gutmensch oder Nazi. Wie zu erwarten: Eine Gratwanderung. Doch die Kommissare haben auch ein Privatleben, oder zumindest was davon bleibt. Weniger wäre mehr, wenn überraschend die Mutter auf der Matte steht. Und das nicht allein. Sie hat ihren Putzfimmel mitgebracht. Über Jahre gehegt und gepflegt. Richtig aufgeblüht ist er; geradezu perfektioniert. Es beginnt eine Leidenszeit für Weinzierl und seinen Hund. Da hilft auch eine Frau Dr. Sandra Fröhlich nicht wirklich. Magda Oberhauser spielt Theater. Eine kleine Rolle. Der Senfsamen in Shakespeares Sommernachtstraum. Oberhauser leidet unter ihrer Abwesenheit. Sie ist nicht da für ihn, wenn er sie braucht. Und das tut er. Gewohnheitsmäßig. Sie werden auch diesen Fall zu Ende bringen, die beiden Kommissare aus Regensburg. Allerdings mit Kratzern auf der Seele.
LanguageDeutsch
Release dateJul 11, 2017
ISBN9783954520831
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    Ausknipst - Pia Roth

    Kapitel 1

    »Biermoser, gud Moang!« Man traf sich auf dem Gang zu den Büros im ersten Stock der Kriminalpolizei in Regensburg.

    »Servus Weinzierl! Na, wie geht’s so alloa ohne Kollegn? Hast ja im Moment ned so vui z’doa, wie ich ghört hab, gell?« Angriffslust lag in Biermosers Stimme. »De Drecksarbat ham ja mir, der Huber und ich.« Er räusperte sich.

    Weinzierl überhörte den Vorwurf. »Und? Kummts weiter mit eurer Bahnleich?«

    »Ach, koa Drodenga! Es war ja sowieso a Glück – ach, was hoaßt in dem Foi scho Glück! Für uns wars koans«, bellte er, »dass oana von da Feiawehr gmerkt hod, dass der Mo scho tot war, bevor eam da Zug dawischt hod. Du woaßt scho, oana von dene Männa, die de Streckn gramt ham. Und der gute Doktor Anton Späth hat des nach da Leichenschau bestätigt.« Er machte eine abwertende Bewegung mit dem Kopf hin zu Weinzierl, als hätte dieser bei der Obduktion assistiert und wäre persönlich für die Diagnose verantwortlich, ehe er fortfuhr: »Glaubst, uns war liaba gwesn, der Feiawehrler hätt des ned gmerkt. Er hat gmoant, dieser Mann hätte nicht geblutet! So ein Gschaftl! Aber des nur unter uns. Und mir stenga jetzt da, wia da Ox vorm Berg. Der Mo war a ordentlicher Familienvadda, zwoa Kinder, verheirat mit a schena Türkin«, wobei er mit der Zunge schnalzte, »mit am guadn Job, politisch engagiert, ehrenamtlich in mehreren Vereinen und allgemein beliebt. Da find amoi wos, wost osetzn konnst.« Ärgerlich, wie er nun war, schüttelte er den Kopf und wechselte zu etwas Ergiebigerem: »Wo hast denn heid dein Hund?« Herausfordernd schaute er nach rechts und links.

    »Der ist bei der Nachbarin, da wo er immer ist, wenn ich ihn ned dabei hab.« Weinzierl wandte sich bereits zum Gehen. Das heikle Thema Hund mit Biermoser zu erörtern, brachte beide ziemlich sicher an den Rand eines Konflikts.

    Aber der Kollege war noch nicht fertig: »So, aha! Bei dir mächad i Nachbar sei, des derfst ma glam!« Sein Blick sagte weit mehr als seine Worte. Dann, selbst Biermoser mochte die Woche nicht in Unfrieden beschließen, etwas versöhnlicher: »Wann kummt denn da Hausl wieda?«

    »Am Montag ist er wieder da, so Gott will, und er sich ned an Virus eighandelt hat in seim Urlaub. Oder ein kleines Bazillchen. Du kennst ihn doch! Er ist prädestiniert im Dawischen von Krankheiten, welcher Art auch immer.« Weinzierl steckte den Schlüssel ins Schloss seiner Bürotüre.

    »Kleines Bazillchen! Hä, hä, hä, des is guad!«, krächzte Biermoser. Beide lachten. Darin war man sich einig. Hier wollte und konnte selbst der Kollege nicht widersprechen.

    »Also, servus Sepp. Einen erfolgreichen Freitag wünsch ich euch, dir und dem Huber. Und koane Bahnleichen mehr! Und a schens Wochenend, falls ma uns nimmer seng. Servus.«

    »Habe die Ehre Kurt! Du hast ja bestimmt einen geruhsamen Tag. Du scho! Oiso, dir a a schens Wochenend.« Biermoser tippte sich an die Stirn und verschwand in seinem Büro.

    Weinzierl sperrte die Türe auf und trat ein. »Wie’s da herin wieder müffelt«, brummelte er vor sich hin, dachte flüchtig an das Stück Käse, das er gestern auf die schnelle in der Schreibtischschublade deponiert hatte, öffnete das Fenster und starrte gedankenverloren auf die Straße. Erst hatte er sich auf die Zeit gefreut, die er allein hier im Büro verbringen sollte; konzentriert arbeiten wollte er. Aber jetzt, nach zwei Wochen war er es leid, so ohne Ansprache, ohne Kontroversen und ohne Lachen hier herumzusitzen. Es war wie jedes Jahr, wenn der Kollege im Urlaub war. Noch dazu war im Moment bei ihnen wirklich nicht viel zu tun, wie Biermoser es grantig, leicht neidisch, doch richtig bemerkt hatte. Er wandte sich vom Fenster, füllte die Kaffeemaschine und setzte sich an seinen Schreibtisch. Gelangweilt machte er sich über Arbeiten her, die bereits seit einiger Zeit unberührt herumlagen und die er in der kollegenfreien Zeit wegarbeiten wollte. Das trug nicht dazu bei, seine Laune zu verbessern. Wird Zeit, dass der Hausl wieder kommt, dachte er und erledigte einen Teil der Ablage via Papierkorb. Selbst der Kaffee schmeckte so allein beinah wie lauwarmer Tee. Bei Tee dachte er an den Kollegen und lächelte. Apropos Tee: Hatte er Frau Künzer informiert, dass ein Paket für ihn auf dem Weg war, und sie es für ihn in Empfang nehmen sollte? Er hatte sich endlich, nach langem Überlegen, dazu entschlossen, einen Kaffeevollautomaten anzuschaffen und einen solchen im Internet bestellt. Er kannte sich inzwischen aus mit der modernen Kommunikation. Selbst der Hausl hatte das bereits bemerkt. Dieser sparte sich mittlerweile Bemerkungen über unbedarfte Kollegen, die der Fortschritt – er meinte damit das Internet – nicht beleckt hatte. Hatte er doch seit einiger Zeit einen heimischen Internetzugang und damit das aktuelle Wissen. Kurts Gedanken kehrten zurück zu seiner Bestellung. Über eintausend Euro kostete dieses Brühwunder aus der Schweiz. Würde Frau Künzer die Sendung nicht in Empfang nehmen, musste er am Samstag, also morgen, nach Wörth fahren und das Paket selbst bei der Post abholen. Dazu hatte er wenig Lust. Was ihn dort erwartete war bekannt. Er würde dann wieder ewig in dem engen Laden stehn, ganz hinten in der Schlange, und er würde vor sich hin schimpfen, mehr oder weniger laut, über die langsame, trödelige Abfertigung. Er würde murren über die Extrawünsche der Kunden und mit dem neben ihm Harrenden, der ebenfalls grantig motzte, wissende Blicke tauschen. Der Andrang war gerade an Samstagen besonders groß. Er ärgerte sich dann darüber, dass einige unter den Wartenden genauso gut an einem Wochentag den Weg zur Post machen könnten und nicht am Samstag den Schalter blockieren mussten. Aber wie es so ist, wenn er dann endlich dran war, gab es sicher auch bei ihm wieder Schwierigkeiten bei der Herausgabe der Sendung. Die gab es immer. Irgendwas war selten so, wie es den postalischen Vorschriften entsprechend sein musste. Entweder hatte er seinen Pass vergessen oder derselbe war abgelaufen, was auch schon einmal vorgekommen war. Oder er hatte die Mitteilung vom Paketdienst zu Hause liegen lassen oder sie war nicht ordnungsgemäß ausgefüllt; oder die Abholfrist war bereits abgelaufen und das Erwartete wieder auf dem Weg zum Absender, auch das war ihm schon passiert. Er hatte auch des Öfteren erlebt, dass die Sendung zum genannten Abholtermin noch nicht im Postamt eingetroffen war. Sie war anscheinend noch unterwegs oder lagerte irgendwo, wäre aber sicher an einem der nächsten Tage abholbereit, würde die trostreiche Auskunft lauten. Sie fanden immer ein Argument, um das Erwartete nicht aushändigen zu müssen, so kam es ihm wenigstens vor. Und die Schlange der Wartenden wuchs, während er am Schalter resigniert dem Kommenden entgegensah. Oft war dann aus der Reihe hinter ihm Geraune oder sogar Schimpfen zu hören, was er als unmöglich, überflüssig, ja geradezu empörend empfand. Man kannte das Prozedere doch! Musste man das denn dauernd kommentieren? Peinlich. Mitmenschen gab es! Er konnte sich nicht erinnern, dass irgendwann so eine Paketabholung problemlos über die Bühne gegangen wäre. Apropos Bühne. Da fiel ihm ein, dass die Magda nun zur Gilde der Schauspieler gehören würde. Zu den Laienschauspielern, um der Wahrheit Ehre zu geben. Der Hausl hatte ihm so was erzählt am letzten Tag vor seinem Urlaub. Er stand auf, holte sich Kaffee. Seit sie die neue Kollegin hatte in der Kanzlei, in der sie arbeitete, würde sie sich für die Schauspielerei interessieren, seine Magda, hatte er gesagt. Die Magda wäre prädestiniert für die Bühne, soll die neue Kollegin gemeint haben. Und anscheinend hatte sie Magda davon überzeugt. Hausl war eher skeptisch, kam es Kurt vor. Sie würden ein Stück von Shakespeare aufführen im Saal vom Stümpflinger. Kurt hatte gelacht, als Hausl ihm das berichtet hatte. Das passte wie die Faust aufs Auge. Der Sommernachtstraum auf der Bühne beim Stümpflinger! Ausgerechnet beim Stümpflinger! Kurt grinste in sich hinein, knüllte ein Blatt Papier, das für die Ablage bestimmt war und warf es in den Papierkorb. Magda im Sommernachtstraum! Wen würde sie wohl darstellen? Erbsenblüte, Spinnweb, Motte, Senfsamen? Also eine der Elfen? Nein. Dazu war sie nicht mehr jung genug. Obwohl, warum mussten Elfen eigentlich jung sein? Sicher gab es auch ältere, alte Elfen, sofern es überhaupt Elfen gab. Er spitzte einen Bleistift und stellte sich Magda als Senfsamen vor, klein, rund und kugelig. Das ging nicht. Auf keinen Fall! Kurt hätte das Argument Alter oder Figur niemals vor den Ohren seines Kollegen vorgebracht. Aber so bei sich….Magda als Senfsamen! Fast gemein. Nein. Magda als Spinnweb! Hi, hi. Magda als Spinnweb! So ein Fädelchen war sie nun auch wieder nicht. Er griff zum nächsten Stift und merkte nach der ersten Umdrehung, dass er einen Kugelschreiber erwischt hatte. Er legte ihn weg und gestand sich seine gedachte Gemeinheit ein. Spinnweb! Nein, das ging überhaupt nicht. Er wischte den Gedanken beiseite. Sie wäre eher geeignet für Hippolyta, die Königin der Amazonen. Er sah sie auf einem weißen Pferde sitzend mit entblößter Brust – wie es sich für Amazonen gehört – erhobenen Hauptes, Armbrust und Pfeil in den Händen. Und das auf der Bühne beim Stümpflinger. Unmöglich! Aber Hippolyta würde schon in ihre Richtung gehen. Nur die entblößte Brust… Nein. Kurt stand auf, entleerte den Spitzer und setzte sich wieder. Magda war Titania! Nur die Rolle der Titania kam für sie in Frage. Die Königin der Elfen. Das war die Magda! Seine Fantasie schlug Blasen. Und der Hausl war Oberon. Hausl als Oberon! Das war wie Stoiber als Kanzler! Kurt lachte laut und schlug sich auf den Schenkel. Oberon und Titania Oberhauser! Und der Herr Schröder war der Puck! Aber Hausl spielte ja gar nicht mit und der Hund wahrscheinlich auch nicht. Gott sei Dank. Bisher, jedenfalls, hatte Hausl diesbezüglich nichts angedeutet. Es reichte schon die Magda. Kurt saß da und träumte vor sich hin. Das kommt davon, wenn man so allein ist, dachte er nach geraumer Zeit. Man wird merkwürdig. An was man so alles denkt! An Magda mit entblößter Brust. Pfui über ihn! Aber irgendwie hatte die Vorstellung was. Sicher hatte sie einen schönen Busen. Alles an ihr war nach seinem Geschmack. Und nach dem Geschmack vom Kollegen. Also fort mit diesen Gedanken. Er mochte diese Frau, daran bestand kein Zweifel. Und er mochte den Hausl. Schon darum kam sie als Hippolyta nicht in Frage. Auf keinen Fall spielte Magda die entblößte Hippolyta! Nicht einmal mehr in seinen Gedanken. Und schon gar nicht beim Stümpflinger. Das Telefon tat ein Übriges.

    »Ah, servus Anton. Was gibt’s? Sag bitte nicht, du hast a Leich für mich. Nicht mehr in der Woch, ned heid am Freitag! Nächste Woch kannst uns eine aufs Aug drücken, wenns schon sein muss, da ist dann der Hausl wieder da. Wennst heut eine hast, gib sie dem Biermoser, der gfreit sich; hat er mir vorhin gsagt.« Pause. Kurt hörte zu. »Ach, so! Sag des doch gleich. Nein. Leider, kann ich heut nicht. Gern wär ich wieder einmal zum Stammtisch gekommen, aber heut muss ich mich um meinen Hund kümmern, der kennt mich ja schon gar nimmer. Die ganzen letzten Tag war er jetzt bei der Nachbarin. Des ist schon fast eine Zumutung, weißt. Mitbringen? Meinen Hund? Ich glaub, besser nicht. Wer weiß, was er wieder anstellt. Außerdem stinkt er bestimmt wieder und dann müsste ich ihn erst baden. Mei, Anton, mit dem Kerl hab ich mir was aufbrummt.« Pause. »Ja, ja, du hast mich gewarnt! Ich habs nicht vergessen. Aber mei, so ists halt. Na, heut geht’s wirklich nicht. Mach ma was aus für nächste Woch am Freitag, da ist dann a der Hausl wieder da. Du, ich gfrei mich. Wirklich. Hab schon an richtigen Stammtischentzug. Also dann, bis nächste Woch, da telefoniern wir dann aber vorher noch einmal. Servus Anton, und a schöns Wochenend.« Er legte auf. Gern wäre er heute wieder einmal zum Stümpflinger gegangen. Seit vierzehn Tagen hatte er keine richtige Ansprache mehr, seit der Hausl in Urlaub war. Freilich, mit den anderen Kollegen hatte er schon hi und da einen Ratsch gehalten. Aber so eine richtige, tiefgehende Unterhaltung, nein, die hatte er nicht gehabt. Mit dem Helmut oder der Hannelore so über den Gartenzaun ein paar Worte übers Wetter oder Pawels neue Streiche, ja, das schon; mit Frau Künzer über Mephistos Unmöglichkeiten oder Floris schulische Leistungen, die oftmals nicht ihren Erwartungen entsprachen. Aber sonst? Der Hausl fehlte ihm schon sehr. Er hätte das gar nicht gedacht. Jedes Jahr traf er diese Feststellung aufs Neue.

    Wieder läutete das Telefon. »Weinzierl. Ja, Frau Künzer, griaß eahna! Was…?« Weiter kam er nicht. Frau Künzers Stimme überschlug sich bereits: »Herr Weinzierl, es ist was Furchtbares passiert! Der Mephisto ist angefahren worden. Oh mei, oh mei! Und es schaut nicht gut aus.« Es folgte ein erbärmliches Schluchzen. »Mein Gott, er hat nicht gefolgt. Ich war beim Einkaufen, da hab ich ihn dabeigehabt.« Wieder war nur ihr Weinen zu hören und Gestammel. »Einfach losgerissen hat er sich, wegen der Katz.« Schluchzen. »Und dann ist es passiert. Er ist hinter dem Vieh her über die Straß. Er war so schnell, hat sich losgerissen, einfach so. Mein Gott, Herr Weinzierl, ich hab ihm noch gschrien! Herr Weinzierl, bitte kommen Sie! Ich weiß nicht, was ich machen soll. Es ist so schlimm und ich bin schuld!« Er hörte, wie ihre Stimme langsam wieder in Höhen stieg, die einem Weinkrampf vorausgingen. »Frau Künzer, ich komm sofort, bleibens ruhig. Ich bin schon unterwegs. Wo sinds denn?« Darauf verließ er das Büro im Laufschritt.

    Auf der Heimfahrt plagte ihn sein Gewissen. Er hatte seinen Hund vernachlässigt. Aufs Gröbste hatte er ihn vernachlässigt. Er hatte sich nicht um ihn gekümmert. Was war er doch für ein schlechter Mensch, ein mieses Herrli. Wenn er so nachdachte, konnte er sich nicht erinnern, in letzter Zeit für seinen Hund auch nur ein paar freundliche Worte gehabt zu haben. Immer hatte er nur mit ihm geschimpft. Sein ewiger Gestank ging ihm auf die Nerven. Sogar vorhin beim Anton hatte er ihn noch angeschwärzt. Und nun das. Er verachtete sich. Es war seine Schuld, dass der Hund nicht folgte. Keine fünf Minuten hatte er sich Zeit genommen, den Kerl ordentlich zu erziehen. Im Gegenteil, oft hatte es ihn belustigt, wenn sich der Hund daneben benahm. Als er die Wurst vom Biermoser gefressen hat, war er fast stolz auf ihn. Und jetzt das. Grad recht geschieht es mir. Und der unschuldige Mephisto musste es ausbaden. Das zweite Mal ist er jetzt schon angefahren worden. Hoffentlich überlebt er es. Wenn er diesmal noch durchkam, wollte er in Zukunft alles besser machen. Eine Hundeschule würde er mit ihm besuchen. Er wollte sich künftig um ihn kümmern. Er gelobte es. Er fing an, das Vaterunser zu beten, hörte aber bald wieder auf, er hatte den Text vergessen. Auch das noch. Ein ganz schlechtes Omen. Die letzte Zeit war der Kerl doch nur bei den Künzers deponiert. Aber es war doch sein Hund! Armer Mephisto. Das schlechte Gewissen hatte ihn voll im Griff. Er fühlte, wie auf seiner Stirn Hörner wuchsen.

    Am Nachmittag berichtete er Flori, was die Tierärztin an Verletzungen festgestellt hatte. »Ach, weißt, Flori, die Fraktur am Hinterlauf wär noch das kleinere Übel. Die Milzruptur ist das Schlimme. Und dazu kommt, dass unser Tierarzt nicht da war. Auch das noch. Jetzt hab ich ihn nach Oberachdorf zu der Neuen bringen müssen. Woher soll ich wissen, ob die was taugt. Aber auf die Schnelle ist mir nichts anderes übrig geblieben. Sie hat ihn operiert und zur Beobachtung dabehalten. Jetzt weiß ich nicht, wie es ihm geht, ich erreiche sie nicht. Nur der Anrufbeantworter ist dran. Glaubst Flori, richtig fertig bin ich.« Er stöhnte leise und wischte sich mit zittriger Hand über die Stirn, auf der Angstschweiß stand.

    »Ach Herr Weinzierl, ich glaub, Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, wenn es ihm schlecht ginge, würde die Frau Sie schon anrufen. Ich mein, es wird schon wieder.« Der Optimismus der Jugend, dachte Weinzierl, erwiderte aber mit einem Nicken. Floris Worte trafen nicht ganz den Nerv, der bei ihm blank lag. Kurt kannte die Tierärztin ja nicht. Er kannte auch keinen, der sie kannte, bei dem er sich informieren könnte über ihre Fähigkeiten, ihr Fachwissen, ihr Können. Sie hatte die Praxis erst kürzlich eröffnet. Ihm war sie nicht so recht vertrauenswürdig vorgekommen. Gut, sie hatte eine Diagnose gestellt. Fragt sich nur, ob die auch richtig war. Sie hatte seinen Mephisto operiert. Da hatte er aber nicht dabei sein dürfen. Wahrscheinlich, damit er nicht mitbekam, wenn sie Fehler gemacht oder stümperhaft gearbeitetet hatte mit ihren lackierten Fingernägeln. Er traute dieser Frau nicht zu, seinen Hund richtig verarztet zu haben. Er würde es überhaupt keiner Frau zutrauen, wenn er ehrlich war. Ein Tierarzt war ein Mann! Er stellte sich vor, er hätte ein Pferd gebracht. Wie sollte diese Frau mit so einem großen Tier fertig werden? Würde sie nicht. Dazu fehlten ihr schon rein körperlich alle Voraussetzungen. Daraufhin überlegte er, seinen Hund abzuholen und in die Tierklinik zu bringen. »Was meinst du?«, wandte er sich an Flori, der ihm gegenübersaß und Weinzierls Selbstgespräche an sich vorbeiziehen ließ, »soll ich ihn in die Tierklinik bringen? Die kennen sich halt aus.«

    »Und wenn ihm der Transport schadet, so kurz nach der Operation? Wenn ihm dann was passiert, ist es Ihre Schuld. Ich würde ihn dortlassen.« Flori hatte nicht ganz unrecht. »Ich glaub, ich muss jetzt wieder zu meiner Oma rauf. Die ist auch ganz fertig, weil ihr das heute passiert ist. Aber ich kenn den Mephisto. Oma trifft ganz bestimmt keine Schuld. Er kann ein furchtbarer Hund sein. Und hören tut er rein gar nicht. Man müsste mit ihm in eine Hundeschule. Da lernt er, dass er folgen muss. Und ganz ehrlich, das wäre nicht schlecht. Der Kerl macht nur, was er will. Ich habe auch oft meine Schwierigkeiten mit ihm. Aber ich bin halt schneller als meine Oma. Sie hatte keine Chance bei ihm. Noch dazu, wenn er eine Katz gesehen hat. Bei Katzen dreht er jedesmal völlig durch. Er muss unbedingt das Folgen lernen.«

    »Genau das hab ich auch gedacht, heute Vormittag beim Heimfahren. Er muss lernen, dass er zu gehorchen hat. So geht das mit dem Kerl nicht weiter. Ich werde mit ihm in die Hundeschule gehen. Sofern er wieder gesund wird..«, stöhnte er, stand auf, griff zum Telefon und wählte erneut die Nummer der Tierärztin. Wieder erreichte er nur den Anrufbeantworter. »Herr Weinzierl, ich geh jetzt. Wenn Sie was hören, sagen Sie uns bitte Bescheid. Schon wegen der Oma.«

    »Mach ich Flori, ist doch klar. Und sag ihr, sie braucht sich keine Gedanken machen, sie trifft keine Schuld, ich kenn meinen Hund.«

    Das Brühwunder stand bei Frau Künzer. Weinzierl hatte es vergessen. Auch Frau Künzer hatte anderes im Kopf.

    »Diese Herwarterei halte ich nicht aus. Das ist ja zum aus der Haut fahren«, stöhne Weinzierl als er die Tür hinter Flori schloss.

    Da fiel ihm der Anton ein. Genau, den Anton musste er fragen. Der kannte sich aus; der wusste bestimmt, was bei einer Milzruptur zu tun war, wie sie behandelt werden musste. Und er kannte seinen Mephisto, hatte er ihm doch schon einmal das Leben gerettet. Das war die Lösung überhaupt! Und er musste den Abend nicht allein verbringen. Er würde zum Stammtisch fahren. Zu Hause, so auf sich reduziert, würde er doch keine ruhige Minute haben. Gesagt, getan.

    Beim Stümpflinger war Hochbetrieb. Freitagabend. Der Stammtisch war schon fast bis auf den letzten Platz besetzt. Und auch sonst war einiges los. Es hatte sich offensichtlich weiträumig herumgesprochen, dass man hier besonders gut und reichlich aß. Hausl schwörte auf die Küche vom Wirt. Kurt bahnte sich den Weg zum Stammtisch, an dem bereits in trauter Runde der Anton saß und ganz offensichtlich die Anwesenden politisch auf Vordermann brachte. Die Männer am Tisch, der Apotheker Ernst Knaus, der Professor Doktor Ludwig Leuther, Philologe emeritus, Doktor Paul Langer, ehemaliger Chirurg – die Herren waren Mitglieder des Stadtrates – hörten mehr oder weniger interessiert zu. Sie kannten den Anton und wussten ihn zu nehmen. Späth gestikulierte mit dem Weißbierglas in der Hand und übertönte die Gespräche an den Nachbartischen. Vom Tisch, an dem die Mitglieder des Sportvereins saßen, wurden Stimmen laut, die den Pathologen um phonetische Mäßigung baten. Mehr oder weniger freundlich und natürlich vergeblich. Am anderen Nachbartisch, den der Kirchenchor belegt hatte, wurden Antons laute Kommentare mit gottergebenem Kopfschütteln bedacht. Man wusste Bescheid. So war er immer. Politik war sein Leben und kam gleich nach oder sogar vor seinen Leichen. Kurt überlegte kurz, wieder nach Hause zu fahren, als er Anton so in seinem Element sah. Es war ihm fast etwas peinlich, sich dazu zu setzen. Das aufkommende Schamgefühl unterdrückte er. Er würde den Anton mit seinen Fragen nach den Genesungsaussichten seines Mephistos auf andere Gedanken bringen und von seinem politischen Vortrag ablenken. Dieser setzte in dem Augenblick, als Kurt Platz nahm, sein Bierglas hart auf den Tisch, es schwappte über. »Bist jetzt doch kuma?« Er wischte die Bierlache mit einer kurzen Handbewegung vom Tisch. Es interessierte ihn nicht, dass der Schwall auf der Hose seines Nachbarn landete. Mit solchen Nichtigkeiten vertat er die kostbare Zeit am Stammtisch nicht. Da gab es beileibe Wichtigeres. Er erwartete von Kurt keine Antwort, sondern setzte seine Rede, die durch dessen Eintreffen kurz unterbrochen worden war, fort: »Ich lass mir das doch nicht verbieten! Ich sag Neger! Grad und mit Absicht. Neger hab ich schon als Kind gesagt, genau wie meine Mutter. Und Zigeuner sag ich auch! Ja Himmelherrgottsakrament, wo kummatn mir denn da hi, wenn so dahergelaufene, selbsternannte Gutmenschen von einer grünen oder roten Partei nimmer wissen, was sie uns noch alles vorschreibn solln? Ha? Einen verordneten fleischfreien Dog in da Woch! Veggieday! Fandad i generell ned schlecht. Aber ich lass mir doch das nicht vorschreiben! Am Dienstag koa Fleisch! Vielleicht hab ich aber grad am Dienstag einen Heißhunger auf eine Blutwurst. Und am Mittwoch Lust auf Dampfnudeln. Und dann? Diesen Paternalismus lass ich mir ned gfalln. Alles wird einem vorgschrieben. Fehlt nur noch, dass sie uns song, wann wir zum Scheißen gehen dürfen. Alle, die arbeiten müssen, morgens von 5 Uhr 50 bis sieben Uhr. Dann die Schüler von sieben bis halb acht. Die Alten und Hausfrauen von acht bis zehn Uhr. Das würde die Wasserwerke entlasten. Es geht doch wirklich nicht an, dass alle gleichzeitig aufs Klo rennen. Der Karl Valentin war schon für eine solche Regelung. Am Montag nur Radfahrer, am Mittwoch nur Droschken, am Samstag nur Bierfuhrwerke. Und die Feierwehr nur am Feiertag. Bei dem war es Parodie. Aber diese Weltverbesserer meinen es ernst! Und dann die Demonstrationen gegen Rechts! Dabei san die Linken koa bissl besser mit eanare Methoden. Im Gegenteil!« Er schnaubte und fuhr dann ungebremst fort: »Neger deafat ma nimma song! Das Wort bedeutet nix anders als schwarz. Da beißt sich doch d´ Katz in Schwanz! Sog i Neger, moan i schwarz; sag i schwarz, konn i genausogut Neger song. Als ob des was schlimmes wär! Neger! Da hört sich doch ois auf! Negerküss ham mir gessen als Kinder. Guad warns. Oder Mohrenköpf. Genau des gleiche. Und, hamas überlebt? Aus den

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