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Faire Fachkräftezuwanderung nach Deutschland: Grundlagen und Handlungsbedarf im Kontext eines Einwanderungsgesetzes
Faire Fachkräftezuwanderung nach Deutschland: Grundlagen und Handlungsbedarf im Kontext eines Einwanderungsgesetzes
Faire Fachkräftezuwanderung nach Deutschland: Grundlagen und Handlungsbedarf im Kontext eines Einwanderungsgesetzes
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Faire Fachkräftezuwanderung nach Deutschland: Grundlagen und Handlungsbedarf im Kontext eines Einwanderungsgesetzes

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Gut gesteuerte Zuwanderung wirkt sich positiv auf Deutschland aus: Sie verjüngt die Bevölkerung, federt regionale und berufsbezogene Fachkräfteengpässe ab und fördert den kulturellen Austausch. Aber gilt das auch in Zeiten hoher Flüchtlingszuwanderung? Wie ist es um die Offenheit der Gesellschaft bestellt und wie wirkt sich der wachsende Rechtspopulismus aus? Welche Rolle spielt die Fachkräftesicherung über Zuwanderer, wenn die einheimische Bevölkerung besser in Arbeit gebracht werden soll? Ist Deutschland attraktiv genug für ausländische Fachkräfte oder brauchen wir gar ein neues Einwanderungsgesetz?
Der Sammelband beleuchtet diese und viele weitere Fragen aus verschiedenen Perspektiven und stellt faire, zielorientierte Lösungen vor. Mit seinen Impulsen für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft möchte der Band die Debatten zur Fachkräftezuwanderung und zu einem Einwanderungsgesetz bereichern.
LanguageDeutsch
Release dateAug 1, 2017
ISBN9783867938136
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    Faire Fachkräftezuwanderung nach Deutschland - Verlag Bertelsmann Stiftung

    Stiftung

    Teil 1 Die Grundlagen der Fachkräftesicherung im Kontext der offenen Gesellschaft

    1.1 Herausforderungen und Chancen der Fachkräftezuwanderung nach Deutschland

    Thomas K. Bauer

    Seit 2010 steigt die Nettozuwanderung in Deutschland stetig an und erreichte im Jahr 2015 mit 1,14 Millionen Personen einen neuen Höchststand. Diese Entwicklung ist insbesondere zurückzuführen auf eine steigende Zuwanderung von Personen aus den osteuropäischen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU), den von der Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise besonders stark betroffenen EU-Staaten Griechenland, Spanien und Italien sowie – besonders seit 2015 – auf den außergewöhnlich hohen Anstieg von Schutzsuchenden aus Drittstaaten (Statistisches Bundesamt 2017a). Angesichts der steigenden Zuwanderung in Kombination mit zuletzt steigenden Geburtenraten äußert selbst die Bundesregierung in ihrer neuesten demographiepolitischen Bilanz die Hoffnung, dass sich die Bevölkerungszahl Deutschlands auf dem heutigen Niveau stabilisieren könnte (BMI 2017).

    Ist die Demographiekrise damit abgewendet? Keineswegs! Zum einen hat die aktuelle Zuwanderung keinen wesentlichen Einfluss auf die Alterung der Bevölkerung. Zwar wird nach der 13. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung in einem Szenario dauerhaft hoher Wanderungsgewinne von 300.000 Personen pro Jahr die Bevölkerung bis 2040 relativ zum Jahr 2013 voraussichtlich konstant bleiben. Die Zahl der 20- bis 66-Jährigen würde jedoch von knapp 51,2 Millionen im Jahr 2014 um elf Prozent auf 45,6 Millionen im Jahr 2040 abnehmen und die Zahl der ab 67-Jährigen würde von 15,2 auf 21,6 Millionen um 42 Prozent steigen (Statistisches Bundesamt 2016). Der Altenquotient, also das Verhältnis der ab 67-Jährigen zu den 20- bis 66-Jährigen, steigt in diesem Zeitraum von knapp 30 über 66-Jährigen je 100 Personen im erwerbsfähigen Alter auf mehr als 47 an. Betrachtet man den Gesamtabhängigkeitsquotienten, also das Verhältnis der Personen im nicht erwerbsfähigen Alter zu denen im erwerbsfähigen Alter, zeigt sich, dass im Jahr 2040 100 Personen im erwerbsfähigen Alter für knapp 78 Personen im nicht erwerbsfähigen Alter aufkommen müssen – im Jahr 2014 waren es noch etwas mehr als 58 Personen.

    Zum anderen zeigt die Erfahrung aus der Vergangenheit, dass der Wanderungssaldo erheblichen Schwankungen unterliegt – Zeiten hoher Zuwanderung folgten stets Zeiten hoher Abwanderungen (Abbildung 1.1-1). Demnach ist in den kommenden Jahren zumindest wieder von einer geringeren Nettozuwanderung auszugehen, sofern sich nicht aufgrund anderer Faktoren – wie etwa nicht abnehmender Fluchtursachen oder eines weiteren Anstiegs der Arbeitsmigration – Schwankungen des Wanderungssaldos auf einem höheren Niveau einspielen. Die Prognose künftiger Wanderungsgewinne unterliegt daher einer hohen Unsicherheit. Zudem ist die Abnahme der absoluten Zahl an Personen im erwerbsfähigen Alter mit einem Rückgang des Angebots qualifizierter Arbeitskräfte verbunden. Letzteres trifft dabei auf eine nicht zuletzt aufgrund des technischen Fortschritts in der Informations- und Kommunikationstechnologie und der damit verbundenen Zunahme komplexer dienstleistungs- und wissensbasierter Tätigkeiten (z. B. Acemoglu und Autor 2011; Dauth 2014; Goos, Mannig und Salomons 2014; Spitz-Oener 2006) stark steigende Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften.

    Auch wenn sich der daraus ergebende zukünftige Fachkräftemangel nur schwer und mit erheblichen Unsicherheiten prognostizieren lässt, muss davon ausgegangen werden, dass in naher Zukunft einige Berufe und Regionen einen erheblichen Fachkräftemangel zu bewältigen haben (BMAS 2013).

    Abbildung 1.1-1: Wanderungssaldo für Deutschland, 1950–2015

    Quelle: Statistisches Bundesamt 2017b; eigene Darstellung.

    Grundsätzlich steht der Politik eine Vielzahl von Instrumenten zur Verfügung, um den Folgen des demographischen Wandels für den Arbeitsmarkt und die Sozialversicherungssysteme zu begegnen. Hierzu gehören verstärkte Bildungsinvestitionen, eine Verlängerung der individuellen Lebensarbeitszeit, Maßnahmen zur verbesserten Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit oder die Aktivierung von Erwerbslosen und der Stillen Reserve. Im Umfeld des Fachkräftemangels wird insbesondere auch die Rekrutierung von qualifizierten Arbeitskräften aus dem Ausland diskutiert. Inwieweit eine Strategie der Ausweitung der Zuwanderung von Fachkräften geeignet ist, die Folgen des demographischen Wandels abzuschwächen, ist ebenso wie die mit einer derartigen Strategie verbundenen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen Gegenstand dieses Beitrags.

    Chancen der Fachkräftezuwanderung

    Die Notwendigkeit einer auf qualifizierte Arbeitskräfte ausgerichteten Zuwanderungspolitik wird überwiegend mit dem infolge des demographischen Wandels erwarteten Fachkräftemangel begründet (z. B. BMI 2017: 16; BMAS 2011). Hierbei stellt sich in einem ersten Schritt die grundlegende Frage, ob ein Mangel an Fachkräften in bestimmten Berufen oder Regionen überhaupt eine selektive Zuwanderungspolitik legitimieren kann und welche wirtschaftlichen Folgen mit einem Fachkräftemangel verbunden sind.

    In einem perfekten Arbeitsmarkt mit vollkommener Mobilität der Arbeitskräfte und vollkommenen Informationen aller Marktteilnehmer würde eine Ungleichgewichtssituation, in der zum herrschenden Lohn die Nachfrage nach Arbeitskräften das entsprechende Angebot übersteigt, zu Reallohnsteigerungen führen und damit über den Marktmechanismus eliminiert werden. Es existiert daher aus ordnungspolitischer Sicht keine unmittelbare Notwendigkeit, einen Fachkräftemangel über eine selektive Zuwanderungspolitik auszugleichen, sofern kein Marktversagen in Form etwa einer eingeschränkten Mobilität der Arbeitskräfte, rigider Löhne oder mangelnder Informationen seitens der Marktteilnehmer vorliegt.

    Doch selbst im Falle eines Marktversagens ist für die Beurteilung der Sinnhaftigkeit einer selektiven Zuwanderungspolitik zur Bekämpfung eines Fachkräftemangels die Kenntnis der Ursachen dieses Mangels von zentraler Bedeutung (Zimmermann et al. 2002: 26 ff.). Kann ein Fachkräftemangel beispielsweise überwiegend auf einen andauernden technischen Fortschritt zurückgeführt werden, ist eine selektive Zuwanderung in diese Arbeitsmarktsegmente positiv zu beurteilen, da damit die Entwicklung innovativer Wirtschaftsbereiche begünstigt werden kann. Ist er hingegen auf Informationsdefizite oder eine mangelnde regionale oder berufliche Mobilität der Arbeitskräfte zurückzuführen, ist aus ökonomischer Sicht eine selektive Zuwanderung keine sinnvolle Option, da damit eine Verfestigung struktureller und friktioneller Arbeitslosigkeit einhergehen kann.

    In einer alternden Bevölkerung ergeben sich zusätzliche Argumente, die einen Zuwanderungsbedarf begründen können. Dabei wird insbesondere die Frage diskutiert, ob eine vermehrte Zuwanderung zur langfristigen Tragfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme beitragen kann. Hier stehen das umlagefinanzierte soziale Alterssicherungssystem sowie die erwarteten Kostensteigerungen für Gesundheits- und Pflegedienstleistungen im Zentrum der Diskussion. Inwieweit Zuwanderung die mit dem demographischen Wandel verbundenen fiskalischen Belastungen der inländischen Bevölkerung abmildern oder zumindest abschwächen kann, ist dabei in erster Linie eine empirische Frage. Die Quantifizierung des fiskalischen Beitrags von Zuwanderung ist jedoch mit erheblichen konzeptionellen und methodischen Problemen verbunden. Daher müssen die durchaus sehr unterschiedlichen Ergebnisse derartiger Berechnungen (z. B. Bonin 2014; Sinn 2015) mit der gebotenen Vorsicht interpretiert werden.

    Eine gemeinsame Erkenntnis dieser Studien ist jedoch, dass insbesondere eine humankapital- und arbeitsmarktorientierte Zuwanderungspolitik einen erheblichen Beitrag zur fiskalischen Entlastung der Bevölkerung leisten kann, sofern eine schnelle Integration in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft gelingt und somit die Kosten der Integration der Zuwanderer gering gehalten werden können. So kommt Bonin (2014) zu dem Ergebnis, dass eine jährliche Zuwanderung von 200.000 Personen die einheimische Bevölkerung um etwas mehr als 400 Euro pro Kopf und Jahr entlasten würde, wenn 30 Prozent der Zuwanderer hoch qualifiziert wären, 50 Prozent eine mittlere Qualifikation und nur 20 Prozent eine niedrige Qualifikation vorweisen könnten.

    Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen des demographischen Wandels gehen jedoch weit über die Finanzierungsprobleme der umlagefinanzierten sozialen Sicherungssysteme hinaus (Börsch-Supan 2003; Fertig und Schmidt 2003; Bauer und Schmidt 2008). So führt der demographische Wandel zu einer Verschiebung relativer Knappheiten, insbesondere zu einer Veränderung des Verhältnisses zwischen »erfahrenen« und »jungen« Arbeitskräften mit potenziell erheblichen Auswirkungen auf die individuelle und gesamtwirtschaftliche Produktivität sowie die Lohn-, Einkommens- und Beschäftigungsstruktur. Darüber hinaus kommt es zu altersstrukturbedingten Veränderungen des Konsum- und Sparverhaltens. Diese haben wiederum verhaltensbedingte Anpassungsreaktionen zur Folge, die die Folgen des demographischen Wandels verstärken, aber auch dämpfen können.

    So können die auf den demographischen Wandel zurückzuführenden Lohn- und Beschäftigungseffekte die Entscheidungen der Arbeitnehmer hinsichtlich ihres Arbeitsangebots sowie ihrer Bildungs- und Wanderungsentscheidungen beeinflussen. Beispielsweise haben junge Arbeitskräfte einerseits aufgrund steigender Humankapitalerträge einen höheren Anreiz, in Bildung zu investieren; andererseits sinken ihre Ausbildungsanreize aufgrund eines mit dem demographischen Wandel verbundenen verringerten Wettbewerbs auf dem Arbeitsmarkt. Ob mit dem demographischen Wandel das durchschnittliche Qualifikationsniveau zu- oder abnehmen wird, ist daher offen (Zimmermann et al. 2002: 37).

    Zudem wird der demographische Wandel Unternehmensgründungen voraussichtlich entscheidend beeinflussen. Dabei wird nicht nur die Zahl der möglichen Unternehmensgründer zurückgehen, sondern es verändern sich auch die Alternativen talentierter und leistungsbereiter Personen zur Selbstständigkeit. Schließlich können bestehende Institutionen die Folgen des demographischen Wandels verstärken. So ist mit der Alterung der Bevölkerung tendenziell ein Anstieg der Steuerlast verbunden, die wiederum insbesondere von der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter getragen werden muss. Von der sich daraus ergebenden höheren Steuerbelastung können dann negative Effekte auf das Arbeitsangebot in der Form ausgehen, dass vermehrt Personen ins Ausland abwandern oder – insbesondere verheiratete Frauen – von einer Vollzeit- auf eine Teilzeitbeschäftigung wechseln oder ganz aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden (Keane 2011).

    Eine in der Diskussion weitgehend vernachlässigte Dimension des demographischen Wandels ist seine regionale Heterogenität. Abbildung 1.1-2 zeigt für die Bundesrepublik die Entwicklung des Anteils der über 65-Jährigen zwischen 2015 und 2035 auf Kreisebene (Kaeding, Breidenbach und Schaffner 2017). Die Abbildung verdeutlicht zum einen die fortschreitende Alterung in allen Regionen Deutschlands. Sie zeigt aber insbesondere die Gefahr einer regionalen demographischen Polarisierung mit einer dynamisch fortschreitenden Alterung der Bevölkerung beispielsweise in Teilen Ostdeutschlands, des Saarlands, des südlichen Rheinland-Pfalz sowie des Ruhrgebiets und einer vergleichsweise jungen Bevölkerung in den Metropolregionen, wie etwa Berlin, München, Stuttgart oder Hamburg.

    Abbildung 1.1-2: Regionales Wachstum des Anteils der über 65-Jährigen, 2015–2035

    Quelle: Kaeding, Breidenbach und Schaffner 2017; eigene Darstellung.

    Entsprechend werden die oben diskutierten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen des demographischen Wandels regional sehr unterschiedlich ausfallen. Diese regionale Heterogenität könnte durch die Zuwanderung von Fachkräften noch verstärkt werden, wenn sich diese vor allem in »jungen« Regionen ansiedeln sollten. Zur Sicherstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik könnte man für Zuwanderer aus Drittstaaten jedoch Anreize vorsehen, sich überwiegend in den stark alternden Regionen anzusiedeln, um damit die regionale Heterogenität der Alterung zumindest teilweise zu stoppen.

    Ohne Veränderungen der Institutionen und des wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Rahmens haben diese mit dem demographischen Wandel verbundenen Anpassungen auf den Arbeitsmärkten und den Märkten für Waren, Dienstleistungen und Kapital potenziell erhebliche negative wirtschaftliche und gesellschaftliche Implikationen – sowohl auf Bundesals auch auf regionaler Ebene. Auch wenn die bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse über die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen des effektiven demographischen Wandels – das heißt die Folgen unter Einbeziehung möglicher Anpassungen der Märkte und Verhaltensänderungen der auf diesen Märkten agierenden Akteure – eher als rudimentär zu bezeichnen sind (Bauer und Schmidt 2008), begründet das Potenzial dieser Effekte durchaus einen Bedarf an Zuwanderung von Arbeitskräften, die schnell in den Arbeitsmarkt integriert werden können.

    Angesichts der hohen Flüchtlingszuwanderung in den letzten Jahren stellt sich die Frage, ob eine zusätzliche Anwerbung qualifizierter Arbeitskräfte überhaupt noch notwendig ist. Gerade zu Beginn der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 herrschte insbesondere bei den Arbeitgebern und der Politik die Hoffnung, dass man mit den Flüchtlingen den in einigen Branchen und Regionen bereits spürbaren Fachkräftemangel beheben könnte (»Gabriel sieht Flüchtlinge als Chance gegen Fachkräftemangel« 2015; »Flüchtlinge könnten Wirtschaftswunder bringen« 2015). Dieser Hoffnung folgte inzwischen eine gewisse Ernüchterung. Aus verschiedensten Gründen ist nicht zu erwarten, dass Flüchtlinge einen erheblichen Beitrag zur Lösung der Probleme aus dem demographischen Wandel leisten können.

    Während Arbeitsmigranten ihre Wanderung üblicherweise im Vorfeld planen und bestenfalls bereits notwendige Investitionen in die Übertragbarkeit ihres im Heimatland erworbenen Humankapitals auf die Anforderungen des deutschen Arbeitsmarktes vorgenommen und vielleicht auch schon die deutsche Sprache erlernt haben, kann bei Flüchtlingen nicht von einer geplanten Wanderung ausgegangen werden. Es ist daher zu erwarten, dass geflüchtete Menschen zu Beginn ihres Aufenthalts im Empfängerland relativ zu vergleichbaren Arbeitsmigranten größere Probleme haben, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren, und erhebliche Investitionen getätigt werden müssen, um ihre erfolgreiche und nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft zu erreichen (Bauer 2015). Entsprechend zeigen empirische Studien, dass die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen im Vergleich zu Arbeitsmigranten sehr viel mehr Zeit benötigt und Erstere vergleichsweise niedrigere Löhne erhalten, auch wenn über die Zeit eine Konvergenz der Arbeitsmarktposition von Flüchtlingen und Arbeitsmigranten zu beobachten ist (Bauer, Braun und Kvasnicka 2013; Brücker, Hauptmann und Vallizadeh 2015). Neben der fehlenden Passgenauigkeit der Qualifikationsprofile und den Bedarfen des deutschen Arbeitsmarktes kann aufgrund der relativ hohen Integrationskosten darüber hinaus nicht davon ausgegangen werden, dass die Zuwanderung von Flüchtlingen zu einer fiskalischen Entlastung der einheimischen Bevölkerung beitragen kann.

    Wie weiter unten ausgeführt wird, erfolgt mit der Hoffnung, dass mit der Flüchtlingszuwanderung die demographischen Herausforderungen Deutschlands bewältigt werden könnten, schließlich eine wenig Erfolg versprechende Vermengung verschiedener migrationspolitischer Ziele. Das primäre Ziel der Flüchtlingspolitik ist humanitärer Natur – inwieweit damit auch wirtschaftliche Probleme gelöst werden können, ist zunächst sekundär und muss der Arbeitsmigrationspolitik vorbehalten bleiben.

    Politische Herausforderungen

    Akzeptiert man die aus dem demographischen Wandel resultierende Notwendigkeit einer auf Fachkräfte ausgerichteten selektiven Zuwanderungspolitik, entstehen für die Politik einige Herausforderungen. Eine ergibt sich aus der Erkenntnis, dass die Nachfrage Deutschlands nach qualifizierten Arbeitskräften nicht notwendigerweise auf ein entsprechendes Angebot trifft.

    Nicht zuletzt aufgrund der zunehmenden weltwirtschaftlichen Verflechtung sowie der Fortschritte in der Informations- und Kommunikationstechnologie ist die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften weltweit stark gestiegen. In diesem internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe hat Deutschland nicht nur gegenüber den klassischen Einwanderungsländern bedeutende Wettbewerbsnachteile, die sich vor allem aus der einwanderungspolitischen Reputation und aus der Verkehrssprache ergeben. Nachdem Deutschland über Jahrzehnte die Zuwanderung von Arbeitsmigranten weitgehend abgewehrt hat, muss man sich zudem erst wieder eine Reputation als Land, das Zuwanderer willkommen heißt, erarbeiten. Und obwohl sich die Zahlen der Deutschlernenden nach einem weltweiten Rückgang inzwischen wieder stabilisieren, ist Englisch international immer noch dominierend (Auswärtiges Amt 2015).

    Aus diesen Nachteilen im internationalen Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte ergeben sich wichtige Konsequenzen für die Zuwanderungspolitik. Will man potenzielle Fachkräfte für Deutschland gewinnen, muss man die institutionellen und ökonomischen Rahmenbedingungen für sie – relativ zu ihren Perspektiven in anderen potenziellen Zielländern – verbessern. Hinsichtlich der rechtlichen Rahmenbedingungen hat Deutschland in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht (SVR 2014, 2015). Nicht zuletzt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat Deutschland bescheinigt, eine im Vergleich zu anderen OECD-Ländern liberale Zuwanderungspolitik für Arbeitsmigranten zu verfolgen (OECD 2013: 15). Auch der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR 2014) sieht bei den rechtlichen Regelungen zur Zuwanderung von Arbeitsmigranten keinen grundlegenden Reformbedarf.

    Die künftige politische Herausforderung besteht darin, diese liberalen Zuwanderungsregelungen angesichts der momentan geführten migrationspolitischen Debatte zu erhalten und in einigen Teilen sogar zu erweitern, um die Position Deutschlands im internationalen Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte zu sichern und möglichst auszubauen. Die im derzeitigen Bundeswahlkampf von der SPD und Bündnis 90/Die Grünen präsentierten Vorschläge zur Gestaltung eines Einwanderungsgesetzes stimmen eher nachdenklich. Beide Konzepte sehen im Kern ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild vor und bleiben hinter den derzeitigen Regelungen zurück (SVR 2016b). Abgesehen davon werden die aktuellen, vergleichsweise liberalen Regelungen nicht ausreichen, um Deutschland als Zielland für qualifizierte Migrantinnen und Migranten attraktiv zu machen, solange diese Regelungen national wie international kaum bekannt sind. Trotz des Engagements einiger Ministerien und des von der Bundesregierung betriebenen Willkommensportals www.make-it-in-germany.com fehlt es hier noch an einem systematischen und offensiven Marketing, etwa durch aktive Werbekampagnen an ausländischen Universitäten (SVR 2015: 43).

    Vor diesem Hintergrund zeigt sich eine weitere zentrale politische Herausforderung: die Entwicklung eines zuwanderungspolitischen Gesamtkonzepts. Die in den letzten Jahren vorgenommenen Veränderungen der Regelungen zur Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte entstanden besonders im Umfeld der Diskussionen eines sich abzeichnenden Fachkräftemangels. Die heutige Debatte konzentriert sich – verständlicherweise – nahezu ausschließlich auf die Asyl- und Flüchtlingspolitik, während die Arbeitsmarktmigrationspolitik zumindest in der öffentlichen Diskussion nahezu vollständig in den Hintergrund gedrängt wurde.

    Insgesamt erweckt die Zuwanderungspolitik Deutschlands den Eindruck einer Ad-hoc-Gesetzgebung, die überwiegend auf jeweils aktuelle Debatten und Entwicklungen reagiert und zu einem komplizierten, unübersichtlichen System aufenthaltsrechtlicher und arbeitsmarktpolitischer Regelungen und Verordnungen geführt hat. Angesichts der demographischen, wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen fehlt eine Migrationspolitik aus einem Guss bzw. ein Nationaler Aktionsplan Migration (NAM), wie er seit einigen Jahren beispielsweise vom Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR 2013, 2014) gefordert wird.

    Zwar wird derzeit intensiv über die Notwendigkeit eines Einwanderungsgesetzes diskutiert und einige Parteien haben bereits entsprechende Vorschläge vorgelegt. Keiner dieser Vorschläge scheint jedoch eine zuwanderungspolitische Gesamtstrategie in dem Sinne zu verfolgen, dass verschiedene Formen der Zuwanderung (u. a. Fachkräftezuwanderung und Zuwanderung Niedrigqualifizierter, Asyl- und Flüchtlingspolitik, Familienzusammenführung, EU-Binnenmigration, Studierendenmobilität) diskutiert und zueinander in Beziehung gesetzt werden. Darüber hinaus würden die bisher vorgelegten Vorschläge die bestehenden Regelungen tendenziell eher verkomplizieren als vereinfachen und wären nur schwer mit europarechtlichen Vorgaben vereinbar (Kolb 2017).

    Im Rahmen eines nationalen Aktionsplans sollten alle wichtigen migrationspolitischen Akteure eine migrations- und integrationspolitische Gesamtstrategie erarbeiten und zur Diskussion stellen. Im Zentrum einer solchen Debatte könnten im ersten Schritt folgende Fragen stehen: Welches Ausmaß an Zuwanderung möchte Deutschland in Zukunft erreichen? Welche Zuwanderungsströme kann man und welche will man steuern? Welche Ziele sollen mit einer Zuwanderungspolitik erreicht werden und wie können sie erreicht werden?

    Allgemein können mit einer Zuwanderungspolitik soziale, humanitäre, demographische und ökonomische Ziele verfolgt werden, wobei die verschiedenen Personengruppen, die in der sozialen Wohlfahrtsfunktion eines Einwanderungslandes Berücksichtigung finden können (die einheimische Bevölkerung, die Immigranten, die Bevölkerung der Herkunftsländer), eng mit diesen Zielen verbunden sind (Zimmermann et al. 2002: 8 ff.). Ziel eines NAM müsste sein, einen weitgehenden gesellschaftlichen Konsens zu erreichen »über die Gewichtung der Interessen verschiedener Personengruppen in der Wohlfahrtsfunktion des Einwanderungslandes und über die vorrangigen Ziele, denen die Zuwanderungspolitik dienen soll« (ebd.: 8 f.). Sicherlich handelt es sich hier um ein schwieriges Unterfangen, da neben den unterschiedlichen Interessen der diversen gesellschaftlichen Gruppen potenziell viele Zielkonflikte auftreten. So wird eine Zuwanderungspolitik, die humanitären Zielen ein hohes Gewicht beimisst, zwar die Wohlfahrt der Zuwanderer vergrößern, gleichzeitig jedoch durch die damit – zumindest temporär – verbundene höhere fiskalische Belastung eine Verringerung der Wohlfahrt der einheimischen Bevölkerung in Kauf nehmen.

    Auch bei einer auf Fachkräfte ausgerichteten selektiven Zuwanderungspolitik entstehen Zielkonflikte, sobald die Wohlfahrt der Bevölkerung der Herkunftsländer miteinbezogen wird. Eine solche Politik erhöht zwar die Wohlfahrt der einheimischen Bevölkerung, kann jedoch über einen möglichen Braindrain zu einer verringerten Wohlfahrt der Bevölkerung der Herkunftsländer führen – auch wenn die aktuelle wissenschaftliche Forschung ebenfalls die Möglichkeit eines durch diese Politik entstehenden »Braingain« in den Herkunftsländern diskutiert (SVR 2016a: 162 ff.). Doch selbst wenn ein Konsens hinsichtlich der vorrangigen Ziele einer Zuwanderungspolitik nur schwer erreichbar scheint, würde eine derartige Diskussion zumindest die verschiedenen Interessen der beteiligten Gruppen sowie potenziell auftretende Zielkonflikte verdeutlichen.

    Konzentriert man sich auf die Arbeitsmigrationspolitik, ergeben sich weitere grundlegende Fragen: Will man weiterhin auf eine überwiegend nachfrageorientierte Zuwanderungspolitik setzen oder diese durch angebotsorientierte Elemente ergänzen? Soll sich die Zuwanderungspolitik lediglich auf hoch qualifizierte Arbeitskräfte konzentrieren oder sollte man auch die Zuwanderung für Personen mit mittleren oder niedrigen Qualifikationen ermöglichen? Will man, ähnlich den klassischen Einwanderungsländern, überwiegend permanente Zuwanderung fördern, in einigen Bereichen – wie in der Vergangenheit – nur temporäre Zuwanderung erlauben oder auf zirkuläre Migrationsströme setzen?

    Die Veränderungen der zuwanderungsrechtlichen Regelungen der letzten Jahre im Bereich der Arbeitsmigration und auch die bisher vorliegenden Vorschläge zur Gestaltung eines neuen Einwanderungsrechts deuten in vielen Fragen auf einen recht breiten Konsens der Parteien hin, auch wenn im Detail sicher Unterschiede bestehen. Nahezu alle Parteien sehen die Notwendigkeit der Zuwanderung insbesondere von qualifizierten Arbeitskräften, wobei nicht nur die Zuwanderung von Akademikern, sondern auch die von Nichtakademikern in Mangelberufen unterstützt wird. Die Vorschläge von SPD und Bündnis 90/Die Grünen legen nahe, dass darüber hinaus zumindest in Teilen der Politik ein Bedarf gesehen wird, die derzeitigen Regelungen um (weitere) angebotsorientierte Komponenten zu ergänzen. Auch die Notwendigkeit, die Zuwanderungsregelungen für Arbeitskräfte durch liberale Regelungen bei der Zuwanderung von Familienangehörigen und deren Arbeitsmarktzugang sowie ein ausreichendes Angebot an Integrationsmaßnahmen zu ergänzen, erscheint bei den meisten Parteien unstrittig (SVR 2015).

    Die Möglichkeiten, über die Zuwanderungspolitik die zu beobachtende demographische Polarisierung Deutschlands zu bekämpfen, bleiben bisher jedoch in den öffentlichen wie auch in den wissenschaftlichen Überlegungen weitgehend unberücksichtigt. So gehen alle bisherigen Diskussionen über ein Einwanderungsgesetz implizit vom Status quo der Zuwanderungspolitik als Bundesangelegenheit mit einem geringen Handlungsspielraum der Länder aus. In dieser Hinsicht lohnt ein Blick nach Kanada und Australien, die im Rahmen ihres Punktesystems Migrantinnen und Migranten bevorzugen, die bereit sind, sich in bevölkerungsarmen Regionen anzusiedeln.

    In Kanada ermöglicht das Provincial Nominee Program (PNP) den kanadischen Provinzen und Territorien, selbst einwanderungspolitisch tätig zu werden (SVR 2017: Abschnitt A.3.3). Da sich die Zuwanderer in Kanada sehr stark in Ontario, British Columbia und Quebec konzentrierten, äußerten die eher ländlich geprägten Regionen den Wunsch, mehr von der Einwanderung zu profitieren. Daraufhin wurde den Provinzen mit dem 1995 eingeführten und inzwischen stark an Bedeutung gewonnenen PNP die Möglichkeit eröffnet, eigenständig Einwanderer auszuwählen, wobei jedoch eine sekundäre Weiterwanderung in andere Provinzen nicht verhindert werden kann. Die Erfahrungen mit dem PNP sind gemischt. Eine 2011 durchgeführte Evaluation zeigte bei den Bleibequoten der über dieses Programm zwischen 2000 und 2008 Zugewanderten ein sehr heterogenes Bild. Im Durchschnitt blieben 82 Prozent der Zuwanderer in der »nominierenden« Provinz. Allerdings gab es regional erhebliche Unterschiede: Die Bleibequoten schwankten zwischen knapp 95 Prozent in Alberta und British Columbia und durchschnittlich 56 Prozent in den Regionen an der Atlantikküste (Citizenship and Immigration Canada 2011: 52 f.).

    In Deutschland kann das im Herbst 2016 in Baden-Württemberg gestartete Punktebasierte Modellprojekt für ausländische Fachkräfte (PuMa) als erster Schritt in Richtung Regionalisierung der Arbeitsmigrationspolitik gesehen werden (BMAS 2016; Kolb 2016). Es eröffnet Personen mit beruflicher Ausbildung außerhalb der Mangelberufe im Rahmen eines einfachen Punktesystems die Zuwanderung, wobei die Aufenthaltserlaubnis zunächst zeitlich befristet erteilt wird und ihre räumliche Eingrenzung auf Baden-Württemberg vorgesehen ist. Eine weitere Regionalisierung der Erwerbsmigrationspolitik erfolgte auf Initiative des Bundesrates (BR-Drs. 182/13) im Rahmen der Regelungen zur Zuwanderung von Nichtakademikern in Mangel- oder Engpassberufen (§ 6 Abs. 2 Nr. 2 BeschV), für deren Ermittlung die Bundesagentur für Arbeit (BA) verantwortlich ist. Diese weist nicht nur Berufe aus, für die bundesweit ein Engpass ermittelt wurde, sondern führt darüber hinaus eine regionale Betrachtung durch (und kennzeichnet in ihrer Positivliste Berufsgattungen mit lediglich regionalen Engpässen mit einem Sternchen).

    Erweisen sich diese ersten Schritte zu einer regionalisierten Erwerbsmigrationspolitik als effektiv, sollten sie konsequent weiterentwickelt werden, um der zunehmenden regionalen Heterogenität des demographischen Wandels entgegenzuwirken. So könnte man in Anlehnung an das kanadische PNP oder das baden-württembergische PuMa den Ländern im Zuge einer Gesamtstrategie die Möglichkeit eröffnen, selbst eine Zuwanderungsquote für Fachkräfte aus Drittstaaten festzusetzen, und ihnen dabei die Auswahl der Fachkräfte überlassen. Nicht zuletzt die kanadischen Erfahrungen zeigen, dass eine derartige Politik erfolgreich sein kann, wenn in den Regionen eine schnelle Integration in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft gelingt.

    Eine weitere politische Herausforderung liegt darin, die einheimische Bevölkerung von der Notwendigkeit einer aktiven Erwerbsmigrationspolitik zu überzeugen. Letztlich ist für die erfolgreiche Integration der Migranten und damit den Erfolg der Politik entscheidend, dass die Bevölkerung diese Politik akzeptiert. Dabei ist die Mehrheit der einheimischen Bevölkerung gegenüber der Zuwanderung von Hochqualifizierten durchaus positiv eingestellt. Im Migrationsbarometer 2011 des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration antworteten knapp 58 Prozent der Befragten ohne Migrationshintergrund und 59 Prozent der Personen mit Migrationshintergrund auf die Frage »Sollten mehr oder weniger hoch qualifizierte Zuwanderer, wie zum Beispiel leitende Angestellte oder Akademiker, nach Deutschland kommen?« mit »viel mehr« oder »etwas mehr« und nur jeweils rund 33 Prozent mit »etwas weniger« oder »viel weniger«. Auf die Frage »Sollten mehr oder weniger Zuwanderer nach Deutschland kommen, um einfache Arbeiten zu verrichten?« antworteten hingegen rund 21 Prozent mit »viel mehr« oder »etwas mehr« und über 68 Prozent mit »etwas weniger« oder »viel weniger«.

    Hinsichtlich der Zuwanderung Hochqualifizierter bestätigen die Ergebnisse des SVR-Integrationsbarometers 2014 diesen Befund (www.svr-migration.de/barometer). Der Aussage »Es sollten mehr Hochqualifizierte aus Nicht-EU-Staaten zuwandern« stimmten knapp 63 Prozent der Befragten ohne Migrationshintergrund mit »voll und ganz« oder »eher« zu und nur knapp 36 Prozent mit »eher nicht« oder »gar nicht«. Bei den Befragten mit Migrationshintergrund ergab sich hingegen ein heterogenes Bild: Zwar stimmten durchweg mehr als 56 Prozent der Aussage tendenziell zu, doch sprachen sich rund 43 Prozent der Spätaussiedler und Personen aus der Türkei tendenziell gegen eine verstärkte Zuwanderung von Hochqualifizierten aus.

    Die Entscheidung Großbritanniens, aus der Europäischen Union (EU) auszusteigen, die nicht unerheblich auf zuwanderungspolitische Fragen zurückgeführt werden kann, die damit verbundene gesamteuropäische Diskussion über die Zukunft der Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU sowie das in vielen Ländern zu beobachtende Erstarken rechtspopulistischer Parteien zeigen jedoch, dass diese mehrheitlich positive Einstellung gegenüber der Zuwanderung von Hochqualifizierten nicht als selbstverständlich angesehen werden kann. In einer empirischen Analyse von Befragungsdaten aus zwölf OECD-Ländern zeigen Bauer, Lofstrom und Zimmermann (2000), dass die Einstellungen und Ängste der einheimischen Bevölkerung zu Fragen der Zuwanderung stark mit der Ausgestaltung der Zuwanderungspolitik korrelieren. Dabei legen die Ergebnisse nahe, dass eine auf Arbeitsmarktbedarfe ausgerichtete Einwanderungspolitik die Akzeptanz der Zuwanderung durchaus positiv beeinflussen kann. Insofern könnte eine zuwanderungspolitische Gesamtstrategie die Akzeptanz in der Bevölkerung erhöhen bzw. verstetigen.

    Fazit

    Deutschand befindet sich in einem demographischen Umbruch, der sich nur schwer umkehren lässt und mit potenziell erheblichen Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Wirtschaft verbunden ist. An diesem Befund ändern voraussichtlich auch die jüngst zu verzeichnenden höheren Zuwanderungszahlen wenig. Sollte sich diese erhöhte Zuwanderung als ein dauerhaftes Phänomen erweisen, kann zwar ein Schrumpfen der Bevölkerung hierzulande vermieden, der Trend einer zunehmenden Alterung aber nur begrenzt beeinflusst werden. Darüber hinaus führt dieser Umbruch tendenziell zu einer demographischen Polarisierung Deutschlands mit »alten«, eher ländlich geprägten Regionen und »jungen« Metropolregionen.

    Den Folgen des demographischen Umbruchs kann mit einer Vielzahl von Maßnahmen begegnet werden – von einer verlängerten Lebensarbeitszeit über höhere Bildungsinvestitionen bis hin zu einer verbesserten Vereinbarkeit von Familie und Beruf –, doch die Dynamik des Wandels legt nahe, dass diese Maßnahmen nicht ausreichen werden und Deutschland weiterhin auf die Zuwanderung junger und qualifizierter Personen angewiesen ist, wenn man das derzeitige Wohlstandsniveau sichern möchte.

    Hinsichtlich der Erwerbsmigrationspolitik erscheint Deutschland auf den ersten Blick gut gerüstet. Es verfolgt im Vergleich zu anderen OECD-Ländern gerade im Hinblick auf qualifizierte Arbeitskräfte eine sehr liberale Zuwanderungspolitik und hat sich damit im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe gut positioniert. Doch es bleiben einige große Herausforderungen. Hierzu gehört ein aktives Marketing der Zuwanderungsmöglichkeiten für qualifizierte Arbeitskräfte, da die derzeitigen liberalen Regelungen international und national wenig bekannt sind. Aufgrund einer in der Vergangenheit tendenziell verfolgten Ad-hoc-Gesetzgebung, die vor allem auf aktuelle Problemlagen reagierte, hat sich ein kompliziertes und unübersichtliches zuwanderungspolitisches Regelwerk entwickelt.

    Die aktuelle politische Diskussion zur Notwendigkeit eines Einwanderungsgesetzes zeugt zwar von der Einsicht, dass dieses Regelwerk vereinfacht und systematisiert werden muss – die bisher vorliegenden Vorschläge würden jedoch nicht nur hinter die derzeitigen Regelungen zurückfallen, sondern diese auch tendenziell komplizierter machen. Insgesamt mangelt es in allen Diskussionen momentan an einer Vision für eine zuwanderungspolitische Gesamtstrategie, die die verschiedenen Formen der Zuwanderung zueinander in Beziehung setzt und kohärent in das europäische zuwanderungspolitische Regelwerk einordnet. Angesichts der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sozialen Herausforderungen, die sich nicht zuletzt aus dem demographischen Umbruch ergeben, erscheint eine solche Zuwanderungspolitik aus einem Guss dringend notwendig. Sie zu gestalten, wird wohl die größte zuwanderungspolitische Herausforderung der kommenden Jahre sein.

    Literatur

    Acemoglu, Daron, und David H. Autor. »Skills, Tasks and Technologies: Implications for Employment and Earnings«. Handbook of Labor Economics. Volume 4. Hrsg. Orley Ashenfelter und David E. Card. Amsterdam 2011.

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    Bauer, Thomas K. »Schnelle Arbeitsmarktintegration von Asylbewerbern – Was ist zu tun?«. Zeitschrift für Wirtschaftspolitik (64) 3 2015. 305–313.

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    BMAS. Arbeitsmarktprognose 2030 – Eine strategische Vorausschau auf die Entwicklung von Angebot und Nachfrage in Deutschland. Berlin 2013.

    BMAS. »Punktebasiertes Modellprojekt zur Fachkräftezuwanderung ab Herbst 2016«. Pressemitteilung vom 26. Februar 2016. www.bmas.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2016/punktebasiertes-modellprojekt-zur-fachkraeftezuwanderung.html (Download 14.2.2017).

    BMI – Bundesministerium des Innern.

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