Peter Handke und kein Ende: Stationen einer Annäherung
By Peter Hamm
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Dass ein Kritiker das Werk eines Schriftstellers über fast 50 Jahre begleitet, wird nicht eben häufig sein, aber dass so eine Geschichte mit einer Polemik beginnt, dann zu einer langsamen Annäherung führt, zu einer immer tiefer gehenden Auseinandersetzung, für die gerade das Stichwort Langsamkeit bedeutend ist, und schließlich zu einer Lebensfreundschaft – das dürfte einzigartig sein. Das erste Mal schrieb der junge Lyriker und Kritiker Peter Hamm schon im aufgeheizten politischen Klima von 1968 über den damals gerade 26-jährigen Peter Handke, dessen gegen die Sprache des SDS gerichteten Aufsatz »Totgeborene Sätze" er in der Zeit als »peinlich" und »bestürzend" zurückwies. Vier Jahre später bescheinigt er dem Autor von »Der kurze Brief zum langen Abschied" immerhin: »Jetzt kann er Ich sagen". Aber es ist noch ein weiter Weg, bis aus Verständnis Einverständnis wird und bis Peter Hamm anlässlich der Verleihung des Schiller-Preises seine begeisterte Laudatio auf Peter Handke hält oder bis er im neuen Jahrtausend in weit ausholenden Aufsätzen »Mein Jahr in der Niemandsbucht" und »Der Bildverlust" würdigt.
Peter Hamm legt verborgene Bezüge und Motive in Handkes Werk offen, und er beteiligt die Leser an diesem Entdeckungsprozess. Er kann das aus einer genauen Werkkenntnis heraus wie wohl kein anderer.
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Peter Handke und kein Ende - Peter Hamm
Dichters
Versäumte Solidarität
Eine Erwiderung auf »Totgeborene Sätze«, Peter Handkes Attacke gegen Thesen einer SDS-Gruppe
Es ist nicht meine Absicht, die Thesen der Berliner SDS-Gruppe »Kultur und Revolution« über »Kunst als Ware der Bewußtseinsindustrie« zu diskutieren, sie sind, wie Peter Handke nachgewiesen hat, undiskutabel. Handkes Nachweis hingegen ist diskutabel. Bedeutsam ist dieser Unterschied nur für jene, die glauben, dass derartige Diskussionen einen Sinn haben. Diesen Gläubigen möchte ich im folgenden zu überlegen geben, auf wessen Kosten und zu wessen Vergnügen Handke in seinem Diskussionsbeitrag zu dem SDS-Elaborat brillant ist und ob er nicht unfreiwillig mit dieser seiner Brillanz alles das bestätigt, was der SDS-Gruppe »Kultur und Revolution« zu artikulieren sicher vorschwebte, aber zu formulieren versagt blieb.
Mein erster Eindruck beim Lesen des Handke-Beitrags mag ungerecht sein, es war derselbe Eindruck, den ich noch jedesmal beim ersten Lesen eines Handke-Textes hatte: Hoppla, jetzt komm ich! Dieser Text schien mir in seiner auftrumpfenden, witzigen Überlegenheit schamloser zu sein als das SDS-Manifest, dem Handke Schamlosigkeit vorgeworfen hatte. Aber da möchte ich mich jetzt korrigieren, denn »schamlos« ist sicher eine ebenso unsinnige Kategorie wie, sagen wir, »modisch« (die man so gerne für Handke bemüht); beides sind Begriffe, die an gewisse historische und soziale Voraussetzungen gebunden sind, das heißt, Handke schämt sich für etwas anderes als ein paar Mitglieder des Berliner SDS. Nein, »Eitelkeit« und »Schamlosigkeit« sind keine Argumente gegen Handkes Text. Blieben demnach nur Handkes Argumente selber, die widerlegt sein wollen. Aber auch da muss ich passen, denn Handkes Argumente sind als Argumente unwiderlegbar. Was dann? Kann jemand ernsthaft gegen richtige Argumente polemisieren? Schwerlich. Ich kann also nur versuchen, mein Unbehagen über diese Art von richtigen Argumenten zu beschreiben.
Also. Mich stört zunächst das, was offenbar auch Hellmuth Karasek so störte, dass er die Glosse »Alles oder nichts« schreiben musste, nämlich die Tatsache, wie leicht es in unserer Situation ist, recht zu haben. Wo eigentlich alle, wenn sie nicht gerade so sprachlos sind wie die SDS-Gruppe »Kultur und Revolution«, recht haben können, erbringt aber vielleicht recht zu haben nichts mehr – jedenfalls weniger als diese von Handke konstatierte Sprachlosigkeit der SDS-Gruppe. Das soll heißen: Die »totgeborenen Sätze« der SDS-Gruppe geben mir zu denken (eben weil sie totgeboren sind), Handkes Sätze nicht; was Handke vorbringt, könnte ich zur Not auch noch selber vorbringen (weniger witzig, zugegeben), was dagegen die SDS-Gruppe vorbringen möchte und nicht vorzubringen vermag, würde auch ich gerne vorbringen und weiß es doch nicht viel überzeugender vorzubringen (bestenfalls besser zu formulieren).
Und gerade das macht mich nachdenklich, um nicht zu sagen: es bestürzt mich. Und eben diese Bestürzung über eine (unsere) Situation, die ganz unerträglich scheint, uns aber doch nicht mehr als verbale Proteste und verbale Erwiderung auf diese abnötigt, diese meine Bestürzung ist es wohl, die mir die sprachsichere Erwiderung Handkes peinlicher erscheinen läßt als jene Sprachlosigkeit, die diese zur Plattform nimmt.
Mir macht es Unbehagen, oder ich bin bestürzt darüber, daß der SDS-Text Handke nicht Unbehagen macht oder bestürzt, sondern daß er ihn offenbar nur belustigt. Daß die »totgeborenen Sätze« dieses Manifests Handke nicht zu schade und noch lebendig genug sind, sich darüber zu mokieren, statt zu versuchen, sie ein bißchen zum Leben zu erwecken, das ist es, was mich bestürzt. Über Leute, die schreiben: »Kunst ist gesellschaftlich, und dies in dreierlei Hinsicht«, kann man sich nicht mokieren, meine ich, man kann jedoch forschen nach den Ursachen ihres gestörten Verhältnisses zur Sprache, einer Sprache, die offenbar das, was gesagt werden soll, nicht mehr auszudrücken vermag – und wenn sie es vermag, wie in Handkes Erwiderung, das Auszudrückende degradiert zum bloßen Ausdruck, zum bloßen Ausgedrückten. Natürlich bietet es sich an, zu kontern: »Der SDS ist gesellschaftlich, und dies in dreierlei Hinsicht …«, aber eben weil sich das so sehr anbietet, könnte man es sich doch, auch wenn man Handke heißt, versagen, nur zu kontern. Daß Handke Vergnügen daran hat, auf Kosten eines total rat- und sprachlosen SDS eloquent zu sein, ist mir kaum begreiflich.
Warum, wenn Handke nicht, was ich verstehe, seine Sprache einfach dem SDS »zur Verfügung stellen« kann, warum verzichtet er nicht darauf, das verbale Revolutionsspielchen mitzuspielen, verweigert seine Sprache? Die einzig überzeugende Alternative zu der aus Ratlosigkeit zur Scholastik hochstilisierten SDS-Sprache scheint mir jene große Verweigerung zu sein, wie sie etwa Handkes Landsmann Thomas Bernhard praktiziert, der seine Sprache nicht dazu hergibt »Diskussionen« in Gang zu halten – oder gar die Sprachlosen zu beleidigen, nur weil sie keine Sprache haben.
Dass Handke den SDS-Jargon zum Anlass nimmt, um seine Sprachbegabung unter Beweis zu stellen, lässt im übrigen auffallenderweise oft genug seine eigenen Sätze verkommen. Als ich sie zum erstenmal las, erinnerte ich mich an Alexander Kluges Film Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos, den ich mit Handke zusammen besucht habe und den Handke, meiner Meinung nach, mit Recht als »preziös« bezeichnete; offensichtlich störte Handke, dass Ratlosigkeit hier allzu schick und selbstgefällig präsentiert wurde. Nun aber hat Handke selber der Ratlosigkeit, die aus dem SDS-Text spricht, nur jenen Schick, den er Kluge ankreidete, entgegenzusetzen; mit einem Wort, seine Erwiderung ist preziös. Zu schön, um wahr zu sein. Oder: zu wahr, um wahr zu sein. Etwas mehr Ratlosigkeit auch auf ihrer Seite, schon wäre sie vertrauenswürdiger. In dieser Form nützt sie jedenfalls nur jenen ganz und gar nicht Ratlosen, die für alles einen Rat wissen, und auch dafür, wie man die Ratlosigkeit des SDS am raschesten aus der Welt schaffen könnte. Diese Antwort – schwerwiegendster Vorwurf – stellt einen Akt versäumter Solidarität dar. Sie kommt dem SDS-Text nicht zur Hilfe. Sie wirkt deshalb auch elitär. So elitär, wie viele Leser eines bürgerlichen Weltblattes den »Künstler« gerne haben wollen. So elitär, wie die Berliner SDS-Gruppe »Kultur und Revolution« den Künstler offenbar und mit Recht nicht mehr haben möchte, obwohl sie uns Alternativen, Dieter E. Zimmer hat darauf hingewiesen, nicht zu artikulieren vermag.
Sicher, dieses SDS-Manifest hätte besser nicht geschrieben werden sollen, schon deshalb nicht, weil es zulässt, dass es Leser der ZEIT mit dem SDS schlechthin identifizieren; aber erst recht nicht hätte geschrieben werden sollen eine Erwiderung, die es sich so leicht macht, nur zu beweisen, dass dieses Manifest nicht hätte so geschrieben werden sollen. Sondern anders. Wie, lieber Peter Handke? Es wäre vielleicht an Ihnen gewesen, uns das zu sagen.
Theodor W. Adorno hat in seinem vor dreißig Jahren geschriebenen Aufsatz »Über den Fetischcharakter in der Musik« (dessen Argumentation übrigens hinter der Sprachlosigkeit des SDS-Manifests gewissermaßen noch zu erahnen ist) die Art Solidarität, die ich von Handke glaubte erwarten zu können, genau charakterisiert, Adorno schreibt: »Die kollektiven Mächte liquidieren auch in Musik die unrettbare Individualität, aber bloß Individuen sind fähig ihnen gegenüber, erkennend, das Anliegen von Kollektivität noch zu vertreten.« Handke vertrat leider, wieder einmal, bloß sich selber. Das finde ich schade. Das bestürzt mich.
Erstdruck in: Die Zeit, 13.12.1968.
Der neueste Fall von deutscher Innerlichkeit: Peter Handke
Peter Handke: »Das Lieblingskind der westdeutschen Kritik« (FAZ), »längst die Signal-Figur seiner Generation« (Christ und Welt), »Showboy der jungen Literatur« (Abendzeitung), »Handke hat es in sich« (Rheinischer Merkur), »alle lieben Peter Handke« (Tagesspiegel), »Handke ist in« (FAZ), »der Erfolgreichste« (Spiegel). Kein Zweifel: Nach Günter Grass hat Peter Handke von allen deutschsprachigen Autoren die meiste Publicity. Auffallend ist allerdings der Unterschied zwischen der Grass- und der Handke-Gemeinde: Die erstere hat ihren Autor gelesen oder doch zumindest angelesen, wohingegen die meisten Handke-Fans von diesem kaum mehr kennen dürften als den Titel seines bekanntesten Theaterstücks, Publikumsbeschimpfung – und eben Peter Handke.
Nicht der Autor Handke ist »in«, sondern sein Image (dem trägt der Suhrkamp-Verlag ganz offensichtlich Rechnung, wenn er das neueste Buch dieses Autors kurzerhand unter dem Titel Peter Handke anbietet und gleich mit 12 Handke-Fotos den Buchumschlag bestückt).
Will man Handkes Disposition für dieses attraktive Image in Erfahrung bringen, stößt man zunächst auf die Tagung der Gruppe 47 in Princeton, USA, die Handke über Nacht bekannt machte, weil er hier in einem bis dahin bei der Gruppe 47 ungewöhnlich rüden Vokabular die so genannte »Beschreibungsliteratur« attackiert hatte. Einem breiteren Publikum war nun freilich der Gegenstand dieser Attacke völlig egal, ihm gefiel nur, daß es da ein Junger den Etablierten offenbar gegeben hatte; die Gruppe 47 jedoch – und das ist das für Handke Symptomatische an diesem Vorgang – war ja überhaupt nur deswegen bereit, diese Attacke hinzunehmen, weil Handke sich ihr gerade durch ein Stück Beschreibungsliteratur – das Ödeste übrigens, das sich denken läßt, den Roman Die Hornissen – als vertrauenswürdig empfohlen hatte.
Von Princeton bis heute arbeitete Handke erfolgreich nach diesem Muster, sich bereits erarbeitete Techniken anzueignen, sie als Methode zu institutionalisieren, um gleich darauf empört festzustellen, dass sie institutionalisiert und also nicht mehr brauchbar seien. Handkes Image beruht also primär darauf, dass er es versteht, als Außenseiter aufzutreten – ohne einer zu sein; wäre er einer, fände er gewiss kein Forum fürs seinen Auftritt. Zustatten kommt ihm dabei sein Äußeres, seine Begabung, sich geschickt zu verkleiden, die auch die Siebenundvierziger, die offenbar vor Princeton nie Derartiges gesehen hatten, zu glauben veranlasste, ein echter Beatnik wäre ihnen da erwachsen. So willkommen war dieser ihnen jedoch mit Sicherheit nur, weil er trotz langer Haare, Samtjacke und ungeschminkter Redeweise durchblicken ließ, dass er dennoch zur Zunft gehöre. (»Ob Handke will oder nicht: er ist ein Dichter«, das darf heute mit Recht sogar Friedrich Torberg in der Welt feststellen.)
Amüsiert stellt man fest, dass dieses Handke-Bild vom Jüngling mit dem ungewohnten Äußeren und dem gewohnten Inneren sich publizistisch inzwischen bis in der hintersten Provinz durchgesetzt hat; so liest man etwa in einem »Porträt des Tages« im Regensburger Tagesanzeiger über Handke: »Auf den ersten Blick wirkt er wie ein ganz gewöhnlicher Beat-Fan mit seinem langen Haar, seinem karierten Hemd und seinen engen Hosen, bei näherem Hinsehen registriert man außer der ›Verpackung‹ gute Manieren und eine leise, beherrschte Sprechstimme und ist versucht, den ersten Eindruck zu revidieren und zuzugeben, dass man es mit einem gut erzogenen jungen Mann zu tun hat. Doch in Wirklichkeit sitzt uns im Parkhotel Maximilian ein Schriftsteller gegenüber …«
Solche Sätze verändern die Situation unfreiwillig zur Kenntlichkeit, entsprechen dem, was Handke unentwegt freiwillig tut, nämlich das endlich »ganz gewöhnlich« Gewordene wieder mit ungewöhnlicher Bedeutung aufzuladen, das, was dem Zugriff des Kulturbetriebs schon entzogen war, diesem wieder zurückzuerstatten, äußerliche Attribute der Subkultur zur Bereicherung der privaten Kunstproduktion zu verwenden und bereits öffentlich Vermitteltes zu reprivatisieren. Den »ganz Gewöhnlichen« wird dabei suggeriert, einer der ihren habe jetzt sogar das Theater erobert (und also könne am Theater vielleicht doch was dran sein); in Wirklichkeit werden sie und was sie auszeichnet, zum bloßen Spiel-Material degradiert. Wie früher Literaten das Bürgertum ästhetisch ausbeuteten (was diesem immerhin adäquat ist, lebt es doch selbst von Ausbeutung), beutet heute der Literat Handke ästhetisch »die ganz Gewöhnlichen« aus (obwohl sie doch schon im Produktionsprozess ausgebeutet werden). Handke macht ihre winzigen Widerstandsgesten und Freizeit-Fluchtversuche (die ja ohnehin nur der Reproduktion der Arbeitskraft dienen) auf dem Theater für ein bürgerliches Publikum konsumierbar. Er integriert sie und ihre Gegenkultur wieder in die Kultur bürgerlicher Herrschaft.
Bezeichnend hierfür sind etwa die (sich freilich schon durch ihren Chic verratenden) »Regeln für die Schauspieler«, die Handke seiner Publikumsbeschimpfung vorangestellt hat. Da heißt es:
»Die Anfeuerungsrufe und die Schimpfchöre auf den Fußballplätzen anhören. Die Hitparade von Radio Luxemburg anhören. Die Beatles-Filme ansehen. In dem Film ›Der Mann aus dem Westen‹ das Gesicht Gary