SPINOZA - Lebensgeschichte, Philosophie und Theologie
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Fritz Mauthner (1849-1923) war ein deutschsprachiger Philosoph und Schriftsteller.
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SPINOZA - Lebensgeschichte, Philosophie und Theologie - Fritz Mauthner
I.
Inhaltsverzeichnis
Wer unter „Religion, entgegen allem gegenwärtigen Denken und Dichten, nach wie vor irgendeine Form der Furcht und Knechtschaft unter übermenschlich offenbarten Gesetzen verstehen will, der wird der Meinung zustimmen müssen, Spinoza sei der erste grundstürzende Gottesleugner gewesen; wer aber mit dem schillernden Worte „Religion
- mit mir - nichts ausdrücken will, als tiefen Ernst in der Besinnung über das Menschenleben, der wird erkennen müssen, daß Spinoza eine durchaus und wesentlich religiöse Natur war, der erste stillsiegende Bekenner der neuen Religiosität. Es brauchte eine lange Zeit, bevor diese Einsicht sich durchrang. Spinozas Philosophie war über hundert Jahre lang das Aschenbrödel, von ihren bösen Schwestern, den Philosophien der Schule, in den Schmutz verurteilt; erst seit Lessing und Goethe steht sie in ihrer ursprünglichen Schönheit vor uns, die geborene Fürstin.
Spinoza wurde, da er noch lebte, von einigen freien Männern in England und in Frankreich als ein Gelehrter und als ein Weiser geschätzt, in Holland von wenigen Freunden und Freireligiösen als ein Heiliger verehrt; nur die rechtgläubigen Juden verfolgten ihn seit seiner Jugend, dann die ebenso rechtgläubigen Protestanten, nachdem er (1670) durch seinen „Traktat Denkfreiheit verlangt und besonders Bibelkritik entscheidend begründet hatte. Nach seinem Tode (1677) wurde aber die Darstellung seiner Philosophie, die nur zufällig „Ethik
heißt, von seinen Genossen herausgegeben und seitdem gehörte es zum guten Ton wohlanständiger Schriftsteller, von Spinoza entweder gar nicht zu reden oder in herabwürdigenden Ausdrücken. Die protestantische Orthodoxie war noch eifriger als die erfolgreiche katholische Gegenreformation an der Arbeit, das Lebenswerk des verwegenen Denkers durch das wohlfeile Mittel der Beschimpfung zu vernichten; den ohne Verabredung vereinigten Feinden der Gedankenfreiheit kam es zustatten, daß Spinoza jüdischen Stammes war; daß man also den immer bereiten Judenhaß gegen ihn aufreizen könnte, wie vielleicht schon Jesus Christus als ein Jude dem Römer Tacitus verächtlich schien (wenn nämlich die Stelle nicht doch ein späterer Zusatz ist). Die Bezeichnung „Spinoziste" wurde zu einem gemeinen Schimpfworte.
Es gibt wohl nur noch einen einzigen Fall, in welchem die Leistung eines bedeutenden Denkers ebenso brutal für lange Zeit totgeschlagen, in Kot begraben wurde, den Fall des Philosophen Epikuros, dessen materialistische, doch geistige und feine Weltanschauung gleich für zwei Jahrtausende beiseite geschafft wurde, nicht totgeschwiegen, aber totgeflucht und totgelogen; der Lügenfeldzug gegen Epikuros erbte sich über von den Stoikern, den Pharisäern des klassischen Altertums, zu den Kirchenvätern, zu den Scholastikern und noch zu den Kartesianern. Es sollte beachtet werden, daß die „Rettung" des Epikuros, die Verteidigung seiner Persönlichkeit und auch seiner naturwissenschaftlichen Lehre, durch Gassendi erfolgte (1647), als der fünfzehnjährige Spinoza eben anfing, sich innerlich von der Religion zu lösen, in der er geboren worden war. Wahrscheinlich machte bereits dieser junge Spinoza auch die äußeren Bräuche seiner Stammesgenossen nicht mehr mit und fügte sich bald auch nicht mehr den Anordnungen der Rabbiner; diese Lostrennung wird den überfall durch einen frommen Juden veranlaßt haben, mag diese Roheit nun nur eine hitzige Rauferei oder wirklich ein Attentat gewesen sein. Die feierliche Austreibung aus der Judengemeinde von Amsterdam erfolgte erst 1656; Spinoza war an diesem seinem Ehrentage noch nicht 24 Jahre alt.
Der Bann, den die Synagoge über Spinoza verhängte, hatte nur die eine Folge, daß er ihn von jeder Rücksicht auf die jüdische Religionsgemeinschaft befreite; aber die Verfemung durch die orthodoxen Pastoren, die seit der Dordrechter Synode wieder mächtig geworden waren, setzte sofort nach Erscheinen des freidenkerischen „theologisch-politischen Traktats ein, und seitdem blieb Spinozas Denkarbeit geächtet. Der Traktat wurde verboten (die Neudrucke, die alle die Jahreszahl 1670 tragen, sind wahrscheinlich später erschienen und vordatiert). Mit dieser Ächtung hängt es vielleicht zusammen, daß sogar Spinozas „Opera postuma
nicht seinen Namen trugen, sondern nur die Anfangsbuchstaben B. d. S. Ganz grotesk erscheint uns Nachgeborenen diese Scheu, den Namen Spinoza auszusprechen, bei der Herausgabe der ersten deutschen Übersetzung seines Hauptwerkes. Um dieser Tollheit willen und um des Übersetzers willen muß ich einige Zeilen daran wenden,
Der Übersetzer war Lorenz Schmidt, ein Mann, der es nicht verdient hat, verschollen zu bleiben. Er hatte kurz vor Lessing in Wolfenbüttel eine Zuflucht gefunden, auch er - wie Spinoza - ein Verfemter; Lessing machte sich den Spaß, ihn - als der Zorn der Zionswächter über die Veröffentlichung der „Frag-mente auszubrechen drohte - für den wahrscheinlichen Autor der antichristlichen Stücke auszugeben, damit Reimarus, der wahre Verfasser, nicht bekannt würde. Dieser Lorenz Schmidt (geb. 1702, gest. 1749), Sohn eines Pfarrers und selbst Theologe, hatte im Jahre 1735 durch seine Übersetzung des Pentateuchs einen Sturm im theologischen Sumpf hervorgerufen, einen Zorn, zu dessen Verständnis wir uns heute kaum mehr hinabsenken können. Was man ihm so übel nahm, war zunächst die Verwegenheit, den durch eine Tradition von 200 Jahren beinahe geheiligten Text Luthers verdrängen zu wollen; dann aber war es der Wolffsche Rationalismus, mit welchem er den Urtext wörtlich wiedergab (z. B. „ein starker Wind
wehte über den Wassern, anstatt „der Geist Gottes")¹ und mit welchem er in zahlreichen und oft überflüssigen Anmerkungen die Bibelworte schlicht erklärte, in der durchgehenden Absicht, alle Weissagungen des Alten Testaments, die auf Jesus Christus nämlich, kritisch abzulehnen. Er wurde für einen Religionsspötter erklärt, und besonders der bösartige Fanatiker Joachim Lange hetzte die evangelische Kirche und den Reichsfiskal hinter ihm her. Der Schutz des gräflichen Hauses Wertheim, wo er als Erzieher der jungen Herren lebte, konnte ihm nicht viel helfen, weil die fürstliche Linie des Hauses die Befehle des Kaisers auszuführen sich anschickte; doch ließ man ihn nach der Konfiskation des Buches und nach seiner Verhaftung (1737) freundlich entkommen, nach Altona, wo er wahrscheinlich als Korrektor und gewiß als Übersetzer der verrufensten Bücher der Freidenkerei sein Leben fristete, bis er eben endlich in Wolfenbüttel geduldet wurde und sterben durfte,
Der Herausgabe des deutschen Spinoza ging 1741 eine Übersetzung von Tyndals erschrecklicher Schrift „Christentum so alt wie die Welt voraus; schon da deckte Schmidt sich schlau durch die Hinzufügung einer Widerlegung, der von Forster. Die gleiche Vorsicht waltet nun bei der Herausgabe von Spinozas „Ethik
, nur daß hier schon der Titel grotesk wirkt - wie ich gesagt habe - und die Stellung grell beleuchtet, die Spinoza, nur 40 Jahre vor seiner Wiederentdeckung durch Lessing, in der Republik der Gelehrten einnahm. Noch durfte sein Name nicht genannt werden. „B. v. S. Sittenlehre widerlegt von dem berühmten Weltweisen unserer Zeit Herrn Christian Wo1f. Wolff hatte diese „Widerlegung
schon 1737 in seine natürliche Theologie eingeschaltet, wohl nicht ganz ehrlich, eigentlich in der Absicht, die alte Beschuldigung zu entkräften, daß er (Wolff) den freien Willen leugne, den Fatalismus lehre und somit dem Soldatenkönige verbiete, seine langen Kerls wegen Desertion zu bestrafen; war er doch