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Generalprobe: Erzählung
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Generalprobe: Erzählung

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Für Dezember 2012 bedingen das Ende des Maya-Kalenders und die Botschaft des englischen Kornkreises die Prognose eines Weltuntergangs, der nicht eintritt. Super-GAU und Asteroideneinschlag, Umweltverschmutzung und Klimakatastrophen sowie Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrisen bedeuten die reale Apokalypse. Eine neue, atemlose Ära voller Widerstände hat begonnen. Wie nie zuvor heißt es, sich zu bewähren, sein Bestes zu geben. Dabei treten immer wieder existenzielle Fragestellen in den Fokus: Wird man auch in der neuen Zeit wieder zu einem selbstverständlichen Miteinander und Füreinander finden und werden auch wir unsere unzähligen Generalproben meistern und den Reigen unseres Lebens zu einem guten Ende führen?
LanguageDeutsch
Release dateAug 1, 2014
ISBN9783837214871
Generalprobe: Erzählung
Author

Renate Dalaun

Renate Dalaun (Pseudonym), 1935 in Karlsbad-Fischern geboren, 1946 Aussiedlung in die BRD, Studium der Pädagogik, Lehramt für Volks-, Real- und Fachoberschulen (II. Bildungsweg). Nach 41 Dienstjahren Versetzung in den Ruhestand. Veröffentlicht Lyrik, Kurzepik, Hörbücher, Erzählungen, Romane und Bühnenstücke.

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    Generalprobe - Renate Dalaun

    Abenteuer

    I. Schreckerregende Ereignisse, Prognosen und

    fragwürdige Versuche, Umdenken zu erzwingen

    Schreiben bedeutet Eintauchen in ein Stoffgebiet, Abtauchen in die Tiefe des eigenen Innenraumes und wieder Auftauchen mitten in den Alltag. Es ist eine Art Schwimmbewegung der Vergangenheit oder Zukunft entgegen, zuweilen auch ein Umkreisen der Gegenwart. Ich bewege mich auf etwas zu, analysiere, bewerte. Wer das Element, in dem er sich bewegt, kennt, den schreckt die Tiefe nicht, über der er schwimmt. Die Gefahr, in einen Wirbel zu geraten, ist groß. Es kommt auf die Intensität des Lichtes an, auf den Einfallswinkel. Sie beeinflussen die Interpretation, die Wertung der Ereignisse.

    Jedes schöpferische Tun hilft bei der Problembewältigung. Was dem Maler die Farbe, dem Komponisten die Töne bedeuten, ist für den Schriftsteller das Wort, auf das er sich einlässt. Wer könnte aussagen, was sich nicht in Worte kleiden lässt? Verstümmelt, verkürzt, durch Polyrhythmen und Dissonanzen verwirrt, muss sich das Wort immer wieder neu seine Aussagekraft erkämpfen.

    Ja, ich habe mich mit ihm eingelassen. Wir sind Verbündete. Den Schreibtisch brauche ich nicht immer dazu. Ein Baumstumpf, ein Balken oder eine Gartenbank genügen. Gedichte entstehen gelegentlich auch bei der Gartenarbeit. Heute sitze ich in einem versteckten Winkel in der Nähe des Gartentors. Manchmal gehen Leute hier vorbei, oder ein Auto verirrt sich auf dieser Nebenstraße. Isabella fährt gerade von der Probe heim. Früher erinnerte mich Josef, wenn sie mit ihm im Rollstuhl hier vorbeikam, an eine eingestürzte Säule, aber davon später.

    Schräg gegenüber, unter dem großen Ahorn, parkt der Agent von Zeit zu Zeit sein Auto. Ein Luftzug aus seiner Richtung zwingt wie die Ereignisse zu Beginn der neuen Ära zu erhöhter Wachsamkeit, und ich denke sofort an einen verlegten Schlüssel.

    Es fing eigentlich mit der Prognose des Weltunterganges an. Für Dezember 2012 hatte man ihn vorhergesagt. Jeder dachte zuerst an einen dritten Weltkrieg. Viele fürchteten sogar Atombomben. Dann überraschte uns der Große Super-GAU und zeigte neue Gefahren an. 2011 war es, als sich große Wassermassen ins Land wälzten und viele Opfer forderten. Das Unwetter beschädigte auch das Kernkraftwerk in Fukoshima. Ein Tsunami, der das Unwetter begleitete, zerstörte die Kühlungsmöglichkeiten, und die fortgeschrittene Kernschmelze setzte eine so hohe Strahlung frei, dass viele Menschen ihren Wohnsitz verloren und evakuiert werden mussten. Durch das Leck im System konnte das hochgiftige Gas entweichen. Es blieb nicht bei Wasserstoffexplosionen. Große Mengen radioaktiver Stoffe traten im Laufe der Zeit aus, und die nukleare Katastrophe schien die Prognose zu bestätigen, wenn sich auch viele Länder der großen Entfernung wegen nicht gefährdet fühlten.

    Nachdem die radioaktive Verseuchung des Pazifik, in den hochgiftiges Wasser geleitet wurde, wie die verseuchten Nahrungs- und Futtermittel, die mit Cäsium belastet waren, ein großes Gesundheitsrisiko darstellten und man nach der Explosion Plutonium fand, beschlossen etliche Länder, bald auch Deutschland, aus der Kernkraft so bald wie möglich auszusteigen.

    In Japan fürchtete man nicht allein nukleare Kettenreaktionen. Das Gesundheitsrisiko vergrößerte sich zusehends. Bereits vier Monate nach der Katastrophe stieg das Krebsrisiko sogar für Kinder erschreckend schnell.

    Man bemühte sich in allen Ländern das Sicherheitsrisiko der Kernkraftwerke so klein wie möglich zu halten, beschloss die Notwendigkeit alternativer Energien zu erwägen.

    Als mir am 21. Dezember das Kalenderblatt vor die Füße segelte, beschloss ich, der Prognose genauer nachzugehen.

    Die Prognose gilt als weltbewegendes Ereignis, das sich auf den englischen Kornkreis zurückführen lässt, eine Darstellung unseres Sonnensystems. Forscher fanden eine Übereinstimmung des Datums mit der Planetenkonstellation zwischen dem 21. und 28. Dezember 2012. Der Maya-Kalender endet hier. Die Welt ging zu jener Zeit natürlich nicht unter, aber Pepper Lewis, die das „Spürbewußtsein zu haben glaubte, prophezeite den Beginn der „neuen Ära durch die Veränderung der Erde und die Folgen dieser Veränderung.

    Tatsächlich traten Erderwärmung, Erdbeben, Wirbelstürme verstärkt auf. Wetterexperten sprachen von einer „Umbruchsituation". Pepper Lewis riet zu einer „Bewusstseinsänderung, wobei wir uns nicht selbst im Wege stehen dürften. So einfach erscheint dieser Rat nicht umsetzbar zu sein, setzt er doch voraus, dass wir uns aus den bisher üblichen Mustern befreien müssten, und wie sollte innerhalb der Gesellschaft ein Miteinander aus einem Gegeneinander oder aus einem Aneinandervorbei entstehen? Ich beschloss, es genau zu beobachten.

    In der Natur fing die Erdveränderung bereits mit der Minimierung der Sonnenflecken an, weil sie die geringe Aktivität des Planeten zeigt. Die Einstrahlung auf die Erde erhöhte die Temperatur. Wissenschaftler schlossen daraus auf die Klimaänderung, die von kosmischen Strahlen ausgelöst wird.

    Ich wollte weder in die Steinzeit zurückfallen noch unter den Folgen der ständigen Energieausbrüche auf der Sonne leiden. Der Planet befand sich offensichtlich bereits in Aufruhr. Statt Yoga und Entgiftungskur, wie empfohlen, verstärkte ich sportliche Betätigung, wanderte und arbeitete im Garten. An den prognostizierten Weltuntergang dachte bald niemand mehr. Die Natur blühte, und die Vögel zwitscherten und sangen wie bisher. Der Mai entfaltete seine Blütenpracht. Dass sich unter einem neuen Bewusstsein auch andere Vorstellungen verbergen können, bewies eine Gruppe von Frauen. Auf einer Parkwiese sah ich sie üben. Es war eine Gruppe von Feministinnen, die durch Bauchtanz eine neue Lebensqualität anstrebte. Die Frauen, zwischen fünfzig und fünfundsiebzig Jahren schienen sich zu langweilen und Anerkennung zu suchen, Probleme auszuagieren.

    Eine der Damen kannte ich flüchtig. Sie wohnte in meiner Nähe. Aufgefallen war sie mir, weil sie im Frühling und Sommer fast immer ein weißes Kleid oder ein weißes dekolletiertes Oberteil und einen engen schwarzen Rock trug, der alle Konturen des Körpers nachzeichnete. Eigentlich schaue ich Menschen wie Skulpturen an, aber dass die Unfarbe Weiß aufregend ist, bemerkte ich erst damals. Vielleicht verursachte auch die Sonneneinstrahlung diese prismatische Entfaltung. Kurz, ich vermutete eine alleinstehende Frau, die gelangweilt Anschluss, Aufmerksamkeit sucht, aber diese Dame war verheiratet. Sie begeisterte sich für den Bauchtanz, übte oft mit der Gruppe und feierte gerne Feste. Feiern baut Anspannung, Stress ab, lässt Distanz vom Alltag zu. Vielleicht wollte sie gerade für den Alltag Kraft schöpfen. Ich wusste es nicht. Es war nicht verwunderlich, dass der Ehemann in der Freizeit Sport trieb und im Garten arbeitete. Isabella ärgerte die „Verständnislosigkeit des Gatten, sein Spott über die Aktivität der Gattin. Der Stachel saß jedenfalls tief mitten im Fleisch der Eheleute, aber selbst dieses Abwechslungsbedürfnis erschien wie ein Merkmal der neuen Zeit. Es ließ auch Isabella unruhig werden. Der Begriff „abgestandene Ehe aus ihrem Mund blieb mir im Gedächtnis. Der Gatte interessierte sich wie wir alle für Wetterprognosen und die extremen Veränderungen. Meine psychologischen Berufskenntnisse reichten aber nicht aus, um die seltenen Vorlieben der Bauchtänzerinnen zu erklären. Dass sich die Einstellungen alleinstehender und verheirateter Damen voneinander unterschieden, war augenfällig. Die einen litten unter einem Mangel an Aufmerksamkeit, die anderen behaupteten, begeisterte Großmütter zu sein, und sie verbrachten viel ihrer Zeit mit den Enkelkindern, wenn sie nicht tanzten.

    Ich schämte mich geradezu, weil es mir um Leistung und neue Erkenntnisse ging.

    In der Faschingszeit traf ich Isabella mit ihrer Gruppe beim Faschingsumzug mit den in allen Farben glitzernden Hüten und lustigen Masken. Sie feierten, wo immer sich die Gelegenheit ergab. Unter den Masken fiel mir ein Mann in einem seltsamen Gewand auf, das einen Riesenschlüssel ergab. Vielleicht bildete ich mir seine Absicht nur ein, aber ich dachte an ein Entschlüsseln, wurde den Verdacht nicht los, er wäre einem Geheimnis auf der Spur, das es zu lüften galt. Der beobachteten Dame schien seine Bemühung um ihre Person sehr peinlich zu sein, denn die Bauchtänzerin erweckte den Eindruck, Angst zu haben Geheimes könnte dem Agenten offenbart worden sein.

    Es war ein kühler Frühlingsmorgen. Gelangweilt schob die Sonne die Zeit vor sich hin, und es wollte nicht hell werden, als ein Herr im Dämmerschein vor meiner Haustüre stand. Wie einen Schattenriss nahm ich den Herrn wahr, der zur Faschingszeit als „Schlüssel maskiert der Bauchtänzerin folgte. Ich sah Isabella wie aus einem dunklen Grund vor mir emporwachsen, und mein Verdacht wuchs mit ihr. Der Herr wollte offensichtlich meinen Informationsvorsprung nützen, weil er mich für eine gute Bekannte der Bauchtänzerin hielt. Ich demonstrierte Unwissenheit, hielt ihn aber für einen von deren eifersüchtigem Gatten abgeordneten Freund, von dem er Etliches zu erzählen wusste. Warum sollte es verwunderlich sein, wenn er sich zum Wetterexperten entwickelt hatte? Es war schließlich die Zeit des prognostizierten Weltunterganges, der Beginn der neuen Ära. Isabella amüsierte sich mit ihren Freundinnen über die neuen Interessen ihres Ehemannes und nannte es seine „neue Wissenschaft. Er wollte es genau wissen, wie viele Liter Regen auf einen Quadratmeter fielen, wo Starkregen, Wirbelstürme auftraten. Hitzewellen in der ganzen Welt waren seine Spezialität. Tatsächlich schien die Bedeutung des Klimas, mit einer Maschine verglichen, einen Gang höher geschaltet zu sein. Sein Freund aber wirkte wie ein Geheimagent, der mich über diese Frau befragen wollte. Er war es, der immer zur Vorsicht mahnte, zum Absperren der Haustüren bei Abwesenheit.

    Wir nannten den Geheimagenten „Schlüssel, was auf seine Maske im Fasching verwies. Viele sprachen vom „Spion, denn er suchte, was uns lange nicht auffiel, einen angehenden Mediziner, der durch ein Experiment offensichtlich ahnungslose Menschen schädigte.

    Dass ich im Traum so fieberhaft meinen Schlüssel suchte, mich so heftig hin und her warf, fast aus dem Bett gefallen wäre, hatte sein Rat, das Haus nie unverschlossen zu lassen, verursacht.

    Man sollte etwas Wichtiges nicht erst träumen müssen, um sich daran zu erinnern. Meine Decke lag auf dem Boden, und es war empfindlich kalt im Raum, da die Temperatur im Schlafzimmer selten die im Garten übersteigt.

    Die Sonne ging gerade auf, ich war im Begriff aufzustehen und meinen verlegten Schlüssel dort zu suchen, wo ich ihn nicht finden konnte, denn er lag, wo er sich immer fand. Aber die Schlüsseldose, in der ich jahrelang meine ausgetauschten Schlösser und Schlüssel aufbewahrte, an die mich der Traum erinnerte, stand in einem Fach der Bibliothek. Ich nenne sie so, weil sich seit meiner Berufstätigkeit sehr viele Bücher ansammelten, die ich auf Ramschtischen und in Antiquariaten fand und kaufte. Die Bücher in mittelhochdeutscher Sprache verhalfen mir damals zu der für meine Prüfung geforderten Fertigkeit des Übersetzens. Belletristik wie Fachliteratur füllen die Regale. Der Traum war es also, der mich an die Gründe meiner angelegten Schlüsselsammlung erinnerte, mich zur Vorsicht mahnte, da der Verlust dem Finder die Möglichkeit bietet, in meiner Abwesenheit mein Haus zu betreten. Trotz Vorsicht fand ich eines Tages Zigarettenstummel auf meinem Teppich, was eine fanatische Nichtraucherin wie mich natürlich schockte. Ich verständigte die Polizei. Die Schlösser wurden ausgetauscht.

    Der „Schlüssel" behauptete, Isabella hätte sich sichtbar verändert. Die Ursache glaubte er in einem getesteten Medikament zu erkennen, das ungeahnte Nebenwirkungen zeigte: Verhaltensveränderung. Meine Neugierde war geweckt, und ich fragte nach und erfuhr schließlich, dass sich Isabella mit der erwachsenen Tochter identifizierte, in deren Rolle schlüpfe, ohne es zu merken.

    Als ich zu Hause unser Gespräch in Gedanken überarbeitete, kam ich zu dem Schluss, dass man dem eifersüchtigen Gatten einen Streich spielen wollte.

    Isabella verglich sich tatsächlich mit der jungen Frau. Das Bild „Tochter zeigte sie mit extrem schmalen Gliedern. Die Arme hingen senkrecht am Körper herab. Die Beine, eine nahtlose Fortsetzung des Körpers, schienen nur aus zwei langen Knochen zu bestehen. Isabellas Begeisterung sprach aus jedem ihrer Worte. Ich maß dem Spaß, wie ich glaubte, keine Bedeutung bei, hielt den Konflikt für den langsamen Verfall der Ehe, die mit der Entfremdung der Partner begann. Isabellas Denkweise unterschied sich kaum von der der anderen Bauchtänzerinnen. Sie alle suchten Aufmerksamkeit, eine höhere Lebensqualität, Abwechslung. Ein extremer Freiheitsdrang mochte vielleicht eine wichtige Ursache sein. „Zu einer neuen Zeit gehört doch eine neue Einstellung, begründete Isabella ihre neuen Vorlieben, ihr Umdenken. Der Gatte verrenkte das Gesicht und probte Widerstand.

    Wenn das eigene Ego wächst, dachte ich, dominiert Eigennutz. Jeder verfolgt sein persönliches Ziel, ohne Rücksicht auf den anderen. Der Gegner wird berechenbar.

    Es war ein Samstagmittag im August, als wir uns zufällig trafen. Mit einer Bekannten war ich durch unseren Talkessel gewandert, und wir ließen uns an dem von Lärchen umrahmten See nieder. Die vier Bauchtänzerinnen tauchten gerade mit Mini-Bikinis ins Wasser, als wir ankamen. Auch eine „neue, gewagte Mode, wie sie sagten, gehöre zu einer neuen Ära wie ein frischer Anstrich zu einem neuen Haus. Sie verwiesen auf ihre Mini-Anzüge und wollten sich im Zeitalter des Sexismus nicht ausgeklammert, „zum alten Eisen gezählt wissen. Die Damen lachten zwar, sprachen von „Humor oder von „Spaß, aber es schien ihnen ernst zu sein.

    Ich unterstellte den verheirateten Frauen, es mit der Ehe nicht so ernst zu nehmen, was sich als Fehlschluss erwies. Als Isabella nicht mit den anderen im Bus zurückfuhr, sondern von einem Herrn mit dem Auto abgeholt wurde, fühlte ich mich bestätigt. Sie fuhren an uns fast vorbei, als wir die Brücke überquert hatten und in einen Wiesenweg einbogen. Zu meinem Erstaunen handelte es sich wieder um den „Schlüssel", der Isabellas Geheimnis auf die Spur kommen wollte. Ich hielt ihn für einen recht zweifelhaften Freund des Ehegatten.

    Es war der Tag, an dem ein Asteroid knapp an der Erde vorbeiflog und in Russland und Sibirien Turbulenzen schuf. Viele Menschen wurden durch herumfliegende Glassplitter, zerbrochene Fensterscheiben verletzt. Wände schwankten, Fußböden ächzten, und etliche erlitten Schocks oder wurden durch Schnittwunden verletzt. Sie bevölkerten die zwei Krankenhäuser.

    Der „Asteroid 12", sagte man, sei durch Kollision mit einem Koloss vom Weg abgekommen und auf die Erde zugerast. Experten beobachteten Kolosse und neunhundert Asteroiden am Himmel, die bei einem Einschlag Riesenkrater auf der Erde einreißen würden. Ganze Länder könnten dabei ins All geschleudert werden. Entging die Erde einer tödlichen Kollision, einem Weltuntergang vielleicht? Dann hätte der Schöpfer die Erde im letzten Augenblick davor bewahrt. Über das Ereignis wurde, im Gegensatz zum Super-GAU in Fukoshima, nur am Rande berichtet, trotz der weltweiten Bedeutung übersahen es viele. Man wollte Panik vermeiden, da die Prognose noch in den Köpfen der Menschen Unruhe stiftete. Auch Dankgottesdienste blieben aus. Nicht immer findet der Mensch das richtige Wort für jede Stelle am Horizont. Der Gerettete hat oft die Tendenz, wegzustecken, was ihn belastet, einfach so.

    Als dieses Ereignis gerade durch meinen Kopf spukte, überholte Isabellas Stimme meine schweren Gedanken. Sie überraschte mich bei der Gartenarbeit, berichtete, was man ihr erzählt hatte. Es betraf uns doch nicht, sagte sie fast beleidigt, weil man sie damit belastete. Vielleicht hatte der Bauchtanz die Sicht verstellt. Das Leben blendet uns zuweilen, dass wir weltbewegende Ereignisse an den Rand stellen. Wir stemmen uns gegen Belastungen, die uns zur Wachsamkeit anhalten könnten. Vielleicht gewinnen persönliche Ereignisse zu viel Eigengewicht. Wer fürchtet sich schon vor dem eigenen Schatten? Kaum jemand. Selbst dann nicht, wenn er überdimensional vergrößert auftritt. Ich pinselte gerade an einer abgestürzten Pergola herum und seufzte gelegentlich in die Stille hinein.

    Das Haus ist mehr als fünfzig Jahre alt, und ich strich, um Türen, Fenster und Garagen vor dem Verfall zu retten. Niemand störte hier meine Ruhe, seit eine Häuserreihe abgerissen wurde, eine Parkanlage entstand. Die Allee aus Ahornbäumen begrenzt an Stelle der Häuserreihe die großen Rasenflächen. Sie belieferte zwar im Herbst die Gärten mit vielen Blättern, aber der Wind lässt sich nicht bestechen. In der Nähe der Stadtmitte wohnt man hier, doch fern dem Verkehr, denn die Straße ist wenig belebt.

    Zwischen Toreinfahrt und Garagenbereich gestehe auch ich dem fleischigen Gras in den Fugen ein wildes Wuchern zu. Ungezähmt wächst und wuchert hier alles zwischen den Steppengräsern. Aus dem Keller kam gerade die grauweiße Katze des Nachbarn geschlichen. Denke ich an die neunhundert Asteroiden, die noch kollabieren und auf die Erde zurasen könnten, fällt mir der von Vater mit Traversen gestützte Luftschutzkeller ein, und ich ärgerte mich, weil Isabella das Ereignis in Sibirien bagatellisierte. „Aber das betraf uns doch nicht. Typisch, diese Haltung, dachte ich. Katastrophen interessieren uns nur, wenn sie uns selbst oder die Familie betreffen. Werden wir je freiwillig umdenken lernen? Anzeichen gab es noch nicht. Ich sage „freiwillig, weil die genannten Nebenwirkungen des getesteten Medikamentes auf den Versuch verweisen, Einstellungsänderungen zu erzwingen. Patienten verloren das Erinnerungsvermögen und begriffen nicht mehr, warum sie bisher eine andere Einstellung besaßen.

    An welche Zukunft aber dachten die „Feministinnen damals, die sich mit Isabella am Bauchtanz beteiligten? Sie schienen jedenfalls einer Meinung zu sein. Aber ich begriff nicht, warum Geselligkeit dieser Art, eine fast unangemessene Art der Anerkennung und Aufmerksamkeit, die neue Lebensqualität ausmachen sollte. Die Haltung vieler älterer Damen zeigte jedenfalls, dass Manipulation durch Trends, durch Modeerscheinungen, durch neue Informationstechnologien eine gefährliche Erscheinung der neuen Zeit zu sein schien. Warum litten plötzlich bestimmte Altersgruppen an einem Mangel an Aufmerksamkeit durch die Jüngeren? Dieser Trend war mir nie vorher aufgefallen. Die Abhängigkeit des Menschen bezog sich auf den Fortschritt der Produkte. Viele wollten um jeden Preis als modern gelten. Gewählt wurde, was man für nützlich und fortschrittlich hielt. Daran scheint sich nichts geändert zu haben. Dass der Fleischesser mit Problemen, wie mit vergammeltem Fleisch oder Chemie in Nahrungsmitteln noch kämpft, beweist, dass die Bedeutung gesundheitsbewusster Ernährung wächst. Den Feministinnen ging es vielmehr um eine „gute Figur, jugendliches Aussehen, kurz, um Äußerlichkeiten. Sie wollten ankommen, Anerkennung finden, ohne auf den Ehepartner angewiesen zu sein. Die Ehe stand zu Beginn der neuen Ära nicht sehr hoch im Kurs. Nicht deshalb, weil man Homo-Ehen und Lesbinnen-Ehen gleichstellen wollte, die christliche Ehe abwertete, auch weil der Wechsel der Ehepartner keine Ausnahme bildete. Der Begriff der Toleranz lässt sich unterschiedlich definieren, Man gestand jedenfalls gleichgeschlechtlichen Paaren das Adoptionsrecht zu. Obwohl ich mir einredete, altmodisch zu denken, beunruhigte mich diese Entwicklung. Ich hätte ihnen zwar rechtliche und finanzielle Gleichstellung zugestanden, aber die Kinder halte ich für benachteiligt.

    Die Entfremdung der Gläubigen von der Kirche wurde durch dieses Phänomen noch vertieft.

    Es gehörte zu meiner Lebensphilosophie, Unabänderlichem mit neuen Strategien zu begegnen, es einzuplanen, aber es lag etwas in der Luft, das zu Wachsamkeit aufrief, und ich schickte allen meinen Exkursionen ein wach beobachtendes Auge voraus.

    Als an einem Samstagnachmittag die Katze des Nachbarn schauerlich den Mond anklagte, während hinter meinem Rücken die Sonne hinter dem Vogelbeerbaum verschwand, fragte mich eine fremde Stimme nach Isabella. Sie wollte wissen, wo die Generalprobe stattfinde. Ich dachte zuerst an den Bauchtanz, wusste aber nichts von einer Generalprobe und konnte die Frage nicht beantworten.

    Die Proben fanden wöchentlich statt. Dass sie jedoch jede Generalprobe nannten, lag an der Aussage der Vortänzerin. Wer jede Probe für die Generalprobe hält, gibt immer sein Bestes. Ich glaube, dass jeder Mensch den Tänzer in sich trägt und ihn in seiner individuellen Form auslebt. Auf Isabellas Einladung hin besuchte ich eine der Proben.

    Mit rollenden Bewegungen des Unterleibs wollten sie die neue Zeit eintanzen. Eigentlich tanzten sie nicht konzentriert, bewusst. Es tanzte sie vielmehr. Es war ein Schlattern und Schlittern, Kribbeln und Zucken, Wabbeln, und ich gewann den Eindruck totaler Zügellosigkeit. Wollten sie so der neuen Ära begegnen? Energie strömte ihnen

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