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Von Mord stand nichts im Drehbuch: Roman
Von Mord stand nichts im Drehbuch: Roman
Von Mord stand nichts im Drehbuch: Roman
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Von Mord stand nichts im Drehbuch: Roman

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About this ebook

Marokko, Sommer 1964: Nur wenige Wochen nachdem die Leipziger Studentin Telse den französischen Filmregisseur Robert Valmy heiraten durfte, wird ihre Ausreise aus der DDR genehmigt. Kaum ist sie in Paris gelandet, muß sie schon wieder ein Flugzeug besteigen. Ihr Mann soll in Marokko sechs Folgen einer Fernsehserie drehen. Ihre Flitterwochen hatte sich Telse anders vorgestellt. Als sie jedoch für eine verhinderte Schauspielerin einspringen darf, ist sie überglücklich, denn sie ahnt nicht, daß diese erste Rolle beinahe ihre letzte sein wird. Eine spannende Reiseerzählung mit autobiographischen Zügen.
LanguageDeutsch
Release dateMar 30, 2010
ISBN9783837251364
Von Mord stand nichts im Drehbuch: Roman
Author

Claire Vernay

Claire Vernay (Pseudonym), geb. in Mülheim a.d. Ruhr, wuchs in Sachsen-Anhalt auf. Nach dem Abitur an der Martin-Luther-Oberschule in Eisleben, folgt ein Studium der Romanistik in Leipzig, das sie 1964 abbricht, um einen französischen Filmregisseur zu heiraten und nach Paris zu gehen. Dort langjährige Tätigkeit bei Film und Fernsehen, daneben Jurastudium. Promotion zum Dr. iur. Nach dem Tod ihres Mannes, Niederlassung als Rechtsanwältin am Cour d’Appel Paris. Heute lebt Claire Vernay als freie Autorin in Baden-Württemberg.

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    Von Mord stand nichts im Drehbuch - Claire Vernay

    Vernay

    Kapitel 1

    „W ir dürften jetzt gerade über den Pyrenäen sein."

    Telse warf einen Blick durch das Kabinenfenster auf die schneeweiß glänzende Pracht, über der sich ein kitschpostkartenblauer Himmel wölbte. Dann schloß sie geblendet die Augen und drehte sich wieder zu ihrem Mann.

    „Sieht eher nach Südpol aus. Nur sind die Eisberge dort kantiger."

    Robert schmunzelte.

    „Leider ist die Sicht schlecht, aber von oben gesehen bieten die Wolken doch einen wunderschönen Anblick." Telse nickte zustimmend, dann bückte sie sich und kramte in ihrer Handtasche.

    „Ich dachte, die Sonnenbrille brauche ich erst nach unserer Ankunft in Casablanca", seufzte sie und lehnte sich behaglich in dem bequemen Sessel zurück. Das war doch ein bedeutend angenehmerer Flug als der von Ost-Berlin nach Paris vor genau zwei Wochen. Abgesehen davon, daß sie in der Propellermaschine der LOT ganz schön durchgeschüttelt wurde, hatte sie schon vor lauter Nervosität den Flug nicht genießen können. Die Aufregung war allerdings umsonst gewesen. Das Flugzeug war planmäßig in Le Bourget gelandet, und Robert hatte sie bereits sehnsüchtig erwartet.

    Soeben erschien eine Stewardeß und klappte die Tischchen in den Rückenlehnen der Sitze vor ihnen herunter.

    „Aber es ist doch erst elf, und wir haben vor der Zwischenlandung in Bordeaux gefrühstückt", flüsterte Telse Robert zu. Dieser grinste zurück.

    „In der First Class bekommst du dauernd etwas zu essen oder zu trinken. Das Croissant und die Tasse Kaffee waren nur der Anfang. Jetzt kommt ein Champagnerfrühstück."

    Und das Champagnerfrühstück kam, bestehend aus einem schaumigen Omelett, knusprigem Bacon, winzigen warmen Brötchen, Butter, Konfitüre, Gebäck und einem Obstsalat. Telse breitete die Serviette über ihre Knie und nahm das Glas in die Hand.

    „Trinken wir auf den Erfolg deiner Arbeit in Marokko", sagte sie und nahm einen kräftigen Schluck. Robert hob sein Glas.

    „Und darauf, daß du trotz allem Spaß hast. Unsere Hochzeitsreise hatte ich mir ja auch etwas anders vorgestellt. Aber die Dreharbeiten für die nächsten sechs Filme der Serie ließen sich einfach nicht verschieben. Wir sind schon um ein paar Wochen im Rückstand. Eigentlich war vorgesehen, daß wir im Frühjahr drehen und nicht erst jetzt in dieser Sommerhitze. Aber die Co-Produzenten konnten sich wieder einmal nicht einigen. Übrigens wußte ich auch gar nicht, wann man dich ausreisen lassen würde."

    „Das wußte ich bis zum letzten Moment ja selbst nicht", lachte Telse und attackierte ihr Omelett. Wieder seufzte sie vor Behagen.

    „Du hast es wirklich schwer. Oder war es ein Ausdruck der Erleichterung?" fragte Robert neckend.

    „Natürlich bin ich jetzt erleichtert. Die Hektik der letzten Wochen war ja kaum auszuhalten."

    „Immerhin angenehmer als die Warterei der letzten Jahre."

    Das stimmte.

    Vor genau drei Jahren, im Juli 1961, hatte sie Robert in Paris kennengelernt. Zwar war es schon damals schwierig gewesen, aus der DDR in den Westen zu reisen, aber nicht unmöglich, wenn man sich auskannte. Kurz nach ihrer Rückkehr in die DDR und noch ganz euphorisch von ihren Urlaubserlebnissen wurde sie plötzlich vom Bau der Berliner Mauer überrascht. Vor zwei Jahren hatten sie dann beschlossen zu heiraten, und Telse stellte ihren ersten Antrag auf Genehmigung der Eheschließung bei den DDR-Behörden. Dieser Antrag wurde natürlich abgelehnt, wie später auch ein zweiter.

    Vor einem Jahr zeichnete sich jedoch ein Hoffnungsschimmer am Horizont ab. In ihrer Verzweiflung war Telse auf die Idee gekommen, der DEFA anzubieten, daß Robert in die DDR kommen und für sie arbeiten sollte. Schließlich war er  kein Unbekannter. Mehrere seiner Filme waren dort mit großem Erfolg gelaufen. Trotzdem war Telse überrascht, als ihr Angebot für zunächst einen Film akzeptiert wurde. Vor zwei Monaten durften sie dann heiraten, und sechs Wochen später bekam Telse die Genehmigung zur Ausreise nach Frankreich.

    So ganz konnte sie ihr Glück immer noch nicht fassen. Es hätte so leicht schiefgehen können. Versonnen lächelte sie das Stück gebratenen Speck auf der Gabel in ihrer rechten Hand an.

    „Iß, mahnte Robert, „kalter Bacon schmeckt scheußlich. Und außerdem werden wir wohl auf das Mittagessen verzichten müssen. Ich habe heute nachmittag bereits zwei wichtige Termine. Du kannst ja inzwischen Siesta halten.

    „Fällt mir nicht ein, sagte Telse und spülte den letzten Bissen Omelett mit einem Schluck Champagner hinunter. „Ich werde zuerst eine Buchhandlung aufsuchen. Über Marokko weiß ich nämlich so gut wie gar nichts.

    „Pas possible, spöttelte Robert, „daß du einmal nicht informiert bist. Du weißt doch sonst immer alles.

    „Das klingt ja gerade so, als wäre ich ein notorischer Besserwisser. Das stimmt nun wirklich nicht."

    „So meine ich es nicht, beschwichtigte Robert seine Frau. „Aber du bist tatsächlich ungeheuer belesen und hast manchmal eine etwas oberlehrerhafte Art, meine Bildungslücken zu füllen.

    „Touchée. Aber ich bin durchaus nicht so eine Intelligenzbestie, wie du anzunehmen scheinst. Wir hatten in der DDR fast alle einen viel größeren Bildungshunger als im Westen. Außerdem verschafften wir uns durch Lesen Unterhaltung und Informationen, die wir anders nicht bekommen konnten. Schon vor dem Mauerbau waren Reisen nur für wenige möglich. Einen Fernseher haben noch nicht viele Leute. Sport kann man auch nicht den ganzen Tag treiben. Und Westfilme sind in den Kinos eher selten. Die wenigen DDR-Zeitschriften sind uninteressant und voller Propaganda wie die Zeitungen. Was macht man da? Man liest Bücher. Was Verwandte und Bekannte so noch alles aus der Vorkriegszeit gerettet und nicht aus Angst verbrannt haben, was man aus dem Westen einschmuggeln konnte und was es in der DDR zu kaufen gibt. Wie du weißt, sind Bücher in der DDR äußerst preiswert, und es wird durchaus nicht nur kommunistische Literatur verlegt. Natürlich gibt es die deutschen Klassiker zu kaufen, aber auch Mark Twain, Herodot, Francis Bacon, Voltaire…"

    „Das ist ja eine komische Mischung. Und wer trifft da die Auswahl, was gedruckt wird?"

    „Das frage ich mich auch manchmal. Aber zusammen mit den bereits vorhandenen Büchern und denen, die an der Grenze nicht konfisziert wurden, macht das schon ein ganz schönes Angebot. Und der Tausch blüht. Ich denke, wenn man eingesperrt ist – und das waren wir nicht erst seit dem Bau der Berliner Mauer –, wächst der Wissensdurst, siehe Edmond Dantès."

    „Und wahrscheinlich auch das Bedürfnis, dem Alltag zu entfliehen."

    „Genau. Wenn ich Probleme hatte, schnappte ich mir ein Buch,  und schon war ich am Nordpol, in Australien oder in Ägypten, zur Zeit der Pharaonen."

    „Nur nicht in Marokko. Hat dein geliebter Karl May nichts über Marokko geschrieben?"

    „Nein, seine Reiseerzählungen beginnen in Algerien, und alle folgenden Schauplätze liegen weiter östlich oder westlich, was die Indianergeschichten betrifft.  Aber Hadschi Halef Omars Vorfahren waren mit Sicherheit Marokkaner."

    „Woher willst du denn das wissen?"

    „Na ja, er wurde in der Ebene Admar geboren, wo sein Vater auf einer Pilgerfahrt hängengeblieben war, denn er fand dort die Frau seines Lebens. Die Ebene Admar habe ich in meinem Atlas ausfindig gemacht. Sie liegt in Algerien nahe der heutigen libyschen Grenze. Halefs Vater kam also von Westen, da er nach Mekka wollte. Und dessen Vater auch, denn er blieb ebenfalls auf einer Hadsch am Brunnen Trasa kleben. Natürlich war auch hier eine Frau daran schuld. Wo dieser Brunnen liegt, weiß ich nicht, und ich habe auch den Djebel Schurschum nicht gefunden, wo Hadschi Halefs Großvater herstammt. Dieser Berg dürfte jedoch im Atlasgebirge liegen, also in Marokko…"

    „Arrête! protestierte Robert lachend und verdrehte die Augen, „So viel wollte ich gar nicht wissen. Deine Vorliebe für Karl Mays Romane in allen Ehren, aber…

    „Von Karl May habe ich über den Islam allgemein eine Menge gelernt, wenn auch nichts über Marokko. Er hat für seine Romane hervorragende Quellen benutzt, die heute noch an den Universitäten als Autoritäten auf diesem Gebiet gelten. Das weiß ich von Marie-Luise." Marie-Luise war Telses beste Freundin an der Leipziger Universität und studierte Arabistik.

    „Ich verstehe nicht, weshalb du dich nicht besser vorbereitet hast. Ich habe doch in meinem Arbeitszimmer eine Menge Bücher über den Maghreb. Und du hattest zwei Wochen Zeit."

    „Ich habe ja gesucht, aber in diesem Durcheinander überhaupt nichts gefunden. Ich verstehe nicht, daß ein so ordnungsliebender Mensch wie du seine Bücher in einem derartigen Chaos lassen kann. Sie stapeln sich ja sogar schon auf dem Fußboden. Und fragen konnte ich dich nicht, weil du jeden Abend erst spät nach Hause kamst."

    „Ich bekenne mich schuldig, seufzte Robert. „Aber du ahnst ja nicht, wie viele Bücher pro Woche dazukommen. Es sind ja nicht nur die, die ich selbst kaufe. Ich werde auch noch von Autoren, die ihre Romane verfilmt sehen wollen, mehr als großzügig mit Literatur eingedeckt. Da ich aber ständig unterwegs bin, wachsen die Stapel, weil die Regale nicht mehr ausreichen. Nach unserer Rückkehr hast du gleich eine lohnende Aufgabe.

    „Avec plaisir. Aber denke nur nicht, daß ich innerhalb von wenigen Tagen Ordnung schaffe. Ich befürchte nämlich, daß ich jedes interessante Buch erst einmal selbst lesen muß."

    „Wie schön, das wird bestimmt Jahre dauern."

    Bevor Telse antworten konnte, brachte die Stewardeß noch Kaffee. Robert stand auf und entschuldigte sich. Telse nickte nur zerstreut. Sie dachte an Marie-Luise, die jetzt wohl mitten in den Prüfungen steckte. Gleich nach ihrer Ankunft in Paris hatte sie ihr eine riesige Ansichtskarte geschickt. Gestern war schon die Antwort gekommen. Wie schön wäre es gewesen, wenn Marie-Luise auf dieser Reise dabeisein könnte. Da es sowieso keine richtige Hochzeitsreise war, weil Robert arbeiten mußte und sie wahrscheinlich auch sonst ständig mit einer Menge Leute zusammen waren, hätte Marie-Luise nicht gestört. Außerdem sprach sie bereits ziemlich gut Arabisch. Das sagte Telse auch zu Robert, als er zurückkam. Aber er winkte nur ab.

    „Fast alle Marokkaner sprechen Französisch. Sie lernen es in der Schule, und alle Inschriften, wie Firmen- und Straßennamen, Hinweise und Bekanntmachungen, sind zweisprachig. Du wirst nicht die geringsten Verständigungsprobleme haben."

    Telse knabberte an einer Waffel und blickte aus dem Fenster. Die Wolkendecke war verschwunden, und sie flogen über einem Meer von einem fast so intensiven Blau wie der Himmel.

    „Es tut mir allerdings leid, daß du nur einen Bruchteil von Marokko zu sehen bekommst. Ich hätte sehr gern im Innern des Landes gedreht, aber die Kosten wären zu hoch gewesen. Die Städte, die wir besuchen werden, lassen zum Teil sehr stark französischen, portugiesischen oder spanischen Einfluß erkennen. Trotzdem wirst du genug über arabische Kultur…"

    „Den Ausdruck solltest du nicht benutzen, unterbrach ihn Telse, „denn er ist irreführend. Man denkt dabei an ein kulturell hochstehendes Volk, das anderen primitiveren Menschen die Errungenschaften seiner überlegenen Zivilisation gebracht hat.

    „Das haben die Araber doch, oder etwa nicht?"

    „Nicht ihre eigene Kultur. Zu Mohammeds Zeiten waren die meisten Araber viehzüchtende Nomaden. Es gab auch Städte, aber die waren nicht bedeutend. Dort lebten vor allem Handwerker und Kaufleute. Mohammed war Kaufmann. Ein einfacher Gehilfe, bevor er seine Chefin, die reiche Witwe Chadidscha, heiratete. Er war weitgereist und konnte lesen und schreiben. Das war schon etwas Besonderes. Aber namhafte Wissenschaftler, Dichter, Ärzte oder Baumeister gab es nicht. Mohammeds Heerscharen konnten den Nachbarstaaten, in die sie noch zu dessen Lebzeiten einfielen, schon deshalb keine arabische Kultur bringen, weil es eine solche nicht gab."

    „Laß das nur in Marokko niemanden hören", warnte Robert.

    „Warum nicht? Die Araber haben etwas getan, was in meinen Augen viel klüger ist, als anderen Völkern die eigene Kultur aufzuzwingen. Ihre Anführer haben in den eroberten Ländern nicht nur die Verwaltung bestehen lassen, sondern auch Wissenschaftler und Künstler an ihre Höfe geholt, wo sie größte Achtung genossen. Die ersten sogenannten arabischen Gelehrten waren vor allem Juden und Perser. Auch Übersetzer hatten Hochkonjunktur. Die neuen arabischen Herrscher interessierten sich sehr für die griechischen Autoren, wie zum Beispiel Aristoteles. Die Übersetzer waren meist christliche Syrer."

    „Mir scheint, die Araber haben damit auf ihre Weise das Werk Alexanders des Großen fortgeführt."

    „Nur daß dieser durch seine Feldzüge eine durchaus existierende griechische Kultur in den besetzten Gebieten verbreiten half. Diese bereicherte sich im Lauf der Zeit durch den Austausch mit den ebenfalls hochentwickelten persischen, indischen und ägyptischen Kulturen. Und in diese Zivilisationen brachen die Araber ein. Anstatt sie jedoch zu zerstören, paßten sie sich an und förderten noch den Austausch. Genial."

    „Und die Religionen?"

    „Anfangs legten die Araber keinen Wert auf die Bekehrung der eroberten Völker zum Islam. Zwangsbekehrungen gab es erst viel später und nie in einem so großen Ausmaß wie bei den Christen. Andersgläubige, besonders Juden und Christen, die ja an den gleichen Gott glaubten, wurden respektiert. Sie mußten nur eine besondere Steuer zahlen."

    „Und um das zu vermeiden, liefen die Ungläubigen sicher scharenweise zum Islam über, spottete Robert. „Wenn es um finanzielle Vorteile geht…

    „Das mag ein Anreiz gewesen sein. Aber es gab auch politische und religiöse Gründe. Viele Menschen in den eroberten Gebieten waren froh, ihre byzantinischen Unterdrücker loszuwerden. Vergiß nicht, daß das mächtige Byzanz für seinen heute unvorstellbaren Prunk und Pomp Geld brauchte und deshalb die Bevölkerung knechtete und auspreßte. Außerdem war das byzantinische Christentum durch höchst gelehrte dogmatische Streitereien gespalten. Nicht nur das ungebildete Volk war davon irritiert und zog den Islam vor, der für die einfachen Menschen verständlicher und besser auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten war. Zwar übernahmen auch die arabischen Herrscher die verfeinerte byzantinische Lebensart, allerdings ohne Exzeß."

    „Das war wieder sehr klug von ihnen. Leider kam es ja gerade bei Menschen, die aus einfachen Verhältnissen stammten und an eine eher frugale Lebensweise gewöhnt waren, nur zu häufig vor, daß sie nun ihrerseits in Prunk und Luxus schwelgten und verweichlichten. Oder, das andere Extrem, alles kurz und klein schlugen."

    „Die arabischen Herrscher nicht. Sie wohnten zwar in den eroberten Städten, genossen den Luxus, umgaben sich mit Ärzten, Dichtern, Philosophen, die sie übrigens fürstlich belohnten, aber sie vergaßen darüber nicht ihre Expansionspolitik. Das immer größer werdende arabische Reich wurde von den Städten aus regiert, die gleichzeitig religiöse, wirtschaftliche und kulturelle Zentren waren. Die Beziehungen zwischen diesen Städten waren äußerst intensiv, von Spanien bis Indien. Nicht nur Künste und Wissenschaften standen in voller Blüte, auch Handwerk und Gewerbe."

    „Ich habe in Museen Kleider, Teppiche, Gebrauchsgegenstände und Waffen aus der Zeit der Kreuzzüge gesehen, nickte Robert. „Es gab damals schon Uhren und andere feinmechanische Erzeugnisse, Glaswaren und sogar Kristall. Auch hervorragende Hieb- und Stichwaffen…

    „Damaszener Klingen…" warf Telse ein.

    „Ja. Nicht nur wunderschön, sondern auch von absolut tödlicher Qualität."

    „Aber alle diese Sachen haben die Araber den eroberten Völkern nicht gebracht, sondern dort vorgefunden. Ihr Verdienst ist es, den Austausch gefördert und der Kultur dadurch zu einer ungeahnten Blüte verholfen zu haben."

    „Kein geringer Verdienst", sagte Robert.

    „Das meine ich auch. Deshalb habe ich keine Bedenken gegen den Ausdruck ‚Islamische Kultur‘. Letztendlich sind die eroberten Völker im Laufe der Zeit fast gänzlich zum Islam übergetreten."

    „Aber die arabischen Zahlen wurden von den Arabern erfunden", behauptete Robert.

    „Auch nicht. Sie stammen aus Indien. Die Araber hatten sie nur über Spanien nach Europa gebracht. Und selbstverständlich spielten bei der Verbreitung der Errungenschaften des islamischen Reiches auch die Kreuzritter eine Rolle."

    „Dann haben also die Araber gar nichts selbst erfunden?" fragte Robert.

    „Doch, die Null."

    „Comment?" Robert verschluckte sich an seinem Kaffee und hustete.

    „Die Null, bestätigte Telse und klopfte ihm den Rücken. „Die Römer kannten keine Null, auch die Inder nicht. Aber ohne die Null gäbe es keine moderne Mathematik. Wieder erschien die Stewardeß und fragte, ob sie noch einen Wunsch hätten. Robert und Telse verneinten.

    „Es dauert zwar noch ein Weilchen bis zur Landung, aber Sie sollten jetzt gleich Ihre Uhren eine Stunde zurückstellen", sagte sie noch, bevor sie sich entfernte.

    Telse trank ihren Kaffee aus und erhob sich. In der Toilette wusch sie ihre Hände, frischte das Make-up auf und betrachtete sich prüfend im Spiegel. In ihrem zitronengelben Leinenkleid mit den halblangen Ärmeln würde sie wohl nicht unangenehm auffallen. Außerdem war Casablanca schließlich ein internationaler Hafen und die zweitgrößte Stadt Nordafrikas. Trotzdem fragte sie Robert vorsichtshalber danach.

    „Die Marokkaner sind Ausländern gegenüber sehr viel toleranter als die Bewohner anderer islamischer Staaten. Allerdings hast du völlig recht, wenn du nicht auffallen willst. Aber ich verlasse mich da ganz auf dein Taktgefühl und auf deine Kenntnis des Islam. Dein Kleid ist in Ordnung. In den Großstädten wirst du zahlreiche Marokkanerinnen treffen, die sich europäisch kleiden. Die meisten tragen aber weiter die djellaba, weil sie in dem Klima so praktisch ist. Vielleicht auch aus Koketterie. Ich selbst finde die djellaba sehr kleidsam. Den litam tragen aber nur noch wenige.

    „Litam?" fragte Telse.

    „Den Gesichtsschleier. Meist ist er aus schwarzer Spitze."

    Telse fragte sich, warum Robert wohl die schwarzen Säcke, in die sich die Frauen in den islamischen Ländern zu hüllen pflegten, als kleidsam bezeichnete. Sie fand die Dinger nicht nur häßlich, sondern die Farbe Schwarz auch noch unpraktisch in der Sonne. Bevor sie jedoch fragen konnte, fuhr ihr Mann fort:

    „Was mir allerdings Sorgen macht, ist deine spitze Zunge. Du wirst zwar viel Schönes zu sehen bekommen, aber auch manches, das du als Mitteleuropäerin nicht richtig oder sogar schockierend finden wirst und…"

    „Für wie überheblich hältst du mich eigentlich? unterbrach Telse ihn empört, „Ich komme schließlich als Gast in ein Land, das ich überhaupt nicht kenne. Genauso wenig, wie ich durch unpassende Kleidung auffallen möchte, will ich mich durch dumme Bemerkungen unliebsam machen. Ich werde weder im ärmellosen Kleid eine Moschee besuchen noch mich kritisch über irgendwelche Mißstände äußern.

    „Du wirst überhaupt keine Moschee besuchen, weder mit noch ohne Ärmel, denn wir Nicht-Muslime dürfen keine Moschee betreten."

    „Das ist schon in Ordnung, sagte Telse, „und außerdem ein sehr vernünftiges Verbot, wenn man bedenkt, wie sich manche Touristen in europäischen Kirchen benehmen.

    „Dann brauche ich ja nichts mehr zu sagen. Die Marokkaner sind nämlich sehr gastfreundlich zu allen Fremden. Aber wir Franzosen sind keine Fremden, sondern Freunde."

    „Freunde? Die ehemaligen Kolonialherren?" Telse zog skeptisch die Augenbrauen in die Höhe. Jetzt war Robert verärgert.

    „Marokko war nie eine französische Kolonie, sondern Protektorat. Kennst du den Unterschied nicht?"

    „Nein, gab Telse zu, „bei uns im Geschichtsunterricht warf man beides in einen Topf.

    „Du stehst doch sonst dem Geschichtsunterricht in der DDR so kritisch gegenüber, warum übernimmst du hier plötzlich die Vorurteile deiner kommunistischen Lehrer? Dann hast du Monarchien gegenüber vielleicht auch Vorurteile?"

    „Absolut nicht. Besser ein von Gott auserwählter Herrscher als eine Regierung von Moskaus Gnaden. Und, soviel ich weiß, ist Marokko seit Ende letzten Jahres eine konstitutionelle Monarchie", konterte Telse.

    Kapitel 2

    „A ttention, s’il vous plaît…" schallte es aus den Lautsprechern. Die Maschine setzte zur Landung an. Neugierig schaute Telse aus dem Fenster, während sie eine Schleife flogen. Auf den ersten Blick war sie enttäuscht. Die Gebäude unterschieden sich kaum von denen anderer Flughäfen. Ein bißchen größer als Schönefeld, ein bißchen primitiver als Orly… Aber was hatte sie denn erwartet? Eine Fantasia auf dem Rollfeld und einen Palast aus Tausendundeiner Nacht als Abfertigungsgebäude? Die Palmen, die sie in einiger Entfernung erblickte, ließen jedoch ihr Herz höher schlagen. Das war Marokko, nicht der internationale Flughafen.

    Als sie die Maschine verließen, schlug ihnen eine Glutwelle wie aus einem Hochofen entgegen. Telse schnappte krampfhaft nach Luft und sah Robert entsetzt an. Der lächelte nur.

    „Daran wirst du dich schon noch gewöhnen, meinte er. „Außerdem kommen wir gerade zur heißesten Tageszeit an.

    Die Passagiere beeilten sich, das Abfertigungsgebäude zu erreichen. Im Innern blickte Telse ganz verblüfft um sich. Es war, als hätten sie Paris gar nicht verlassen. Die Beamten trugen die gleichen Uniformen wie in Frankreich. Ohne die arabischen Schriftzeichen neben den Hinweisen in französischer Sprache hätte sie glatt annehmen können, noch in Frankreich zu sein. Aber bevor sie Robert nach der Paßkontrolle darauf ansprechen konnte, kam ein mittelgroßer, durchtrainierter junger Mann mit eindrucksvollem Schnauzbart eilig auf sie zu.

    „Das ist Omar, stellte Robert vor. „Unser Schutzengel für die Dauer der Dreharbeiten. Nur mit Mühe unterdrückte Telse ein Grinsen, weil sie an Kara Ben Nemsis kleinen, schmächtigen Begleiter Hadschi Halef Omar denken mußte. Dem sah dieser Athlet, den Telse auf Mitte dreißig schätzte, nun wirklich nicht ähnlich. Von einem solchen Riesenschnäuzer konnte Hadschi Halef Omar nur träumen. Begeistert drückte Telse dem jungen Mann die Hand.

    „Assalam-aleikum, grüßte sie höflich, fuhr dann aber in Ermangelung weiterer arabischer Sprachkenntnisse auf Französisch fort: „Daß es Schutzengel auch im Islam gibt, habe ich gewußt. Aber nicht, wie sie aussehen. Ich freue mich sehr, einen davon kennenzulernen. Omar lachte, wobei er zwei Reihen makelloser weißer Zähne entblößte.

    „Ich bin für Ihre Sicherheit verantwortlich. Aber nicht nur das. Ganz allgemein kümmere ich mich darum, daß bei den Dreharbeiten alles ungestört läuft. Information der örtlichen Behörden, notwendige Genehmigungen, Straßenabsperrungen, usw."

    „Ihr könnt euch noch mehrere Wochen lang unterhalten, sagte Robert, der inzwischen einen Gepäckträger herangerufen hatte, „aber jetzt sollten wir erst einmal ins Hotel fahren. Gehorsam bewegte sich Telse in Richtung Ausgang. Wieder verschlug ihr die glutheiße Luft den Atem. Das konnte ja heiter werden. Ausgerechnet im Juli mußte Robert in Marokko drehen.

    Omar steuerte auf einen amerikanischen Straßenkreuzer zu, der in der prallen Sonne vor sich hin schmorte. Allein bei dem Gedanken, sich in diese aufgeheizte Blechbüchse zu wagen, brach Telse verstärkt der Schweiß aus allen Poren. Sie drehte sich zu Omar um und fragte auf den Wagen deutend:

    „Ist das Ihrer oder sind das die üblichen Dienstwagen der hiesigen Polizei?"

    „Weder - noch, antwortete Omar, während er dem Gepäckträger half, die Koffer einzuladen. „Den Wagen habe ich im Auftrag von Sidi Robert gemietet. Telse schmunzelte. Sidi Robert. Wie das klang.

    „Und wie heiße ich dann?"

    „Lalla Tess." Telse nickte lächelnd, ohne die Aussprache ihres Vornamens zu korrigieren. Derartige Verstümmelungen  war sie von Frankreich her gewohnt.

    Omar und Robert stiegen vorn ein, nachdem Omar für Telse eine der hinteren Türen geöffnet hatte. Die junge Frau kam sich vor wie in der Sauna.

    „Normale Menschen fahren um diese Zeit nicht in der Gegend herum, sondern sie halten jetzt Siesta", sagte Omar und ließ den Motor an. Ein schwacher Trost. Doch je weiter sie sich vom Flughafen entfernten, um so zufriedener schaute Telse um sich. Zwar schienen die kleinen Ortschaften, die sie durchquerten, wie ausgestorben, aber die flachen, geweißten Häuser und die Palmen wirkten exotisch genug. Nur selten überholten sie ein Fahrzeug oder vereinzelte Kamele und Esel mit ihren Besitzern in langen wollweißen oder braunen Gewändern, deren Kapuze sie zum Schutz vor der Sonne über den Kopf gezogen hatten.

    Erst als sie sich dem Stadtkern näherten, erblickte Telse ein Grüppchen von Frauen, die sich trotz der Mittagshitze auf die Straße gewagt hatten. Überrascht stieß sie ein leises ‚Oh‘ aus. Robert und Omar, die auf den beiden Vordersitzen angeregt miteinander diskutierten, drehten sich wie auf Kommando nach ihr um.

    „Die Frauen… Solche wunderschönen Kleider…" stammelte Telse.

    „Meine Frau dachte, die Marokkanerinnen laufen alle in schwarzen Säcken herum, sagte Robert erklärend zu Omar, der sich schmunzelnd wieder auf die Straße konzentrierte. Von wegen schwarze Kutten! Irgendwie mußte Telse sich im Land geirrt haben. Die djellabas der hiesigen Frauen waren zwar einfarbig, aber keineswegs eintönig. Und die Farben entsprachen ganz Telses Geschmack. Safrangelb, Weinrot, Rostbraun und Olivgrün. Nur zwei der Frauen hatten ihre Kapuzen um das Gesicht drapiert, was ihnen das hieratische Aussehen von Nonnen verlieh, wozu die fröhlichen Farben ihrer Gewänder allerdings einen pikanten Gegensatz bildeten. Die anderen drei trugen sogar ihr Haar entblößt, die Kapuze im Rücken. Telse staunte. Sie wußte von Marie-Luise, daß selbst in der Türkei, wo Kemal Atatürk bereits vor dem Zweiten Weltkrieg den Islam als Staatsreligion abgeschafft und das Tragen von Schleiern verboten hatte, viele Frauen ihr Haar mit einem Kopftuch verhüllten. Als Schutz vor der Sonne war das ja auch ganz vernünftig. Vorsichtshalber hatte sie ein paar Tücher und dünne Schals mitgebracht. Fragen über Fragen brannten ihr förmlich auf den Lippen, aber eingedenk ihres Versprechens hielt sie sich zurück. Ihr „Schutzengel trug zwar keine djellaba und seltsamerweise auch keine Uniform, sondern ein weißes Polohemd, das sich über dem muskulösen Oberkörper spannte, dunkelblaue Leinenhosen und farblich dazu passende Mokassins, schien also eher westlich eingestellt zu sein, aber man konnte nie wissen. Vielleicht war sie auch als ehemalige DDR-Bürgerin übertrieben vorsichtig, wenn nicht sogar mißtrauisch. Omar war ihr allerdings auf Anhieb sympathisch gewesen. Die Notwendigkeit, die Hilfe der Polizei bei Außenaufnahmen in Anspruch zu nehmen, leuchtete ihr natürlich auch ein, aber vielleicht war dieser Mann doch ein Spitzel.

    Jedenfalls schwieg sie während der restlichen Fahrt und beobachtete die modernen mehrstöckigen Gebäude, an denen sie jetzt vorbeifuhren. Hier mutete alles doch wieder sehr europäisch an.

    Gerade als Telse anfing, ein schmerzhaftes Pochen in den Schläfen zu fühlen, hielt der Wagen vor dem Eingang eines Hotels.

    „Marhaba", sagte Omar und drehte sich nach ihr um.

    „Choucran", kramte Telse ein weiteres ihrer wenigen arabischen Wörter hervor. Robert lachte schallend.

    „Marhaba  heißt zwar ‚Willkommen‘, aber so heißt auch das Hotel. Und das ist gemeint.

    „Bedanken kann ich mich aber trotzdem für die Fahrt", sagte Telse,  wobei sie Omar ein strahlendes Lächeln schenkte. Das verging ihr aber schnell, als sie nach Atem ringend aus dem Auto kletterte, wobei ihr wieder der Schweiß aus allen Poren brach. Aber schon nach wenigen Sekunden ging es ihr besser. Ein frischer Lufthauch brachte etwas Kühlung, trotz der brennenden Sonne. Als sie jedoch die sich automatisch öffnenden Glastüren durchschritt und in die Hotelhalle trat, kam der nächste Schock. Telse hatte das Gefühl, als befände sie sich in einem Kühlschrank. Wahrscheinlich war die Temperatur nicht einmal sehr niedrig, aber nach der Gluthitze im Auto wirkte die klimatisierte Luft wie ein Eishauch.

    Da man Robert im Hotel bereits kannte, ging alles sehr schnell. Omar warf sich in einen Sessel, während Telse und Robert zum Fahrstuhl gingen.

    „Ich werde nur kurz duschen und mich umziehen, dann muß ich wieder weg", sagte Robert, während der Fahrstuhl nach oben schwebte.

    „Ich hatte mich schon so auf die Siesta gefreut", schmollte Telse.

    „Du kannst dich ja ausruhen. Aber, wenn du dich nützlich machen willst, kannst du für uns Obst einkaufen. Am besten Sachen, die man schälen kann. Orangen, Bananen…"

    „Bananen mag ich nun gar nicht", murrte Telse.

    „Aber ich", schnitt Robert weitere Einwände kurz ab.

    Der Fahrstuhl hielt. Als sie ausstiegen, sahen sie den livrierten Pagen mit dem Gepäckkarren ganz in der Nähe. Er öffnete eine Tür und trat mit einer Verbeugung zurück, um sie vorbeizulassen. Während Telse das geräumige Zimmer inspizierte und sich über die Aussicht freute, entließ Robert den Pagen mit einem großzügigen Trinkgeld. Jetzt fand Telse auch ihre Sprache wieder.

    „Das ist ja hier ganz wie in Europa, sagte sie halb verwundert, halb enttäuscht. „Aber warum trägt Omar keine Uniform? Ist er etwa Geheimpolizist oder bei der Kripo? Und warum…

    „Stop, unterbrach sie Robert lachend, „heute abend kannst du mich meinetwegen mit Fragen löchern. Jetzt habe ich wirklich keine Zeit. Dort neben dem Bett ist der Regler für die Klimaanlage. Das Fenster kannst du leider nicht aufmachen. Wenn du dich ausgeruht hast, kannst du ja einkaufen gehen. Eine Buchhandlung findest du ganz in der Nähe, nur ein paar Häuser weiter auf der rechten Seite vom Hoteleingang, aber Obst solltest du lieber auf dem Markt kaufen. Der ist auch nicht weit weg. Zuerst solltest du dir einen Stadtplan zulegen. Meinen brauche ich selbst, obwohl ich Casa gut kenne. Wenn du dich weiter vom Hotel entfernen willst, nimmst du ein petit  taxi.

    „Okay! rief Telse dem im Bad verschwindenden Robert hinterher, „aber was ist ein petit taxi?

    „Wie der Name sagt, ein Kleinwagen, meist ein 6 CV von Citroën, der als Taxi ausschließlich für den Stadtverkehr zugelassen ist."

    „Compris", schrie Telse, denn Robert prustete wie ein Wal. Während sie noch ihre Sachen einräumte, kam ihr Mann sichtlich erfrischt ins Zimmer zurück und griff nach dem Hemd, das Telse für ihn auf dem Bett bereitgelegt hatte.

    „Spätestens um sechs bin ich wieder da. Bestell bitte auch ein paar Flaschen Mineralwasser. Du brauchst nicht die teuren französischen Marken zu nehmen, hier gibt es ausgezeichnete Quellen. Nimm am besten zwei Flaschen mit und zwei ohne Kohlensäure."

    „Oui, Monsieur, à votre service Monsieur", knickste Telse, bevor sie ihrerseits im Bad verschwand. Sie war ein bißchen verärgert, daß Robert sie gleich am ersten Tag allein ließ, aber, nachdem sie den klebrigen Schweiß abgeduscht und ihre Haare gewaschen hatte, fühlte sie sich wieder pudelwohl, und ihr Tatendrang erwachte. Sie schaute auf die Uhr. Halb drei. Halb vier in Paris. Seit zehn Stunden war sie jetzt auf den Beinen. Eine gute Stunde würde sie sich auf dem Bett ausruhen, dann konnte es losgehen. Telse mußte lachen. Eigentlich war es hier nicht anders als vor drei Jahren in Paris. Da mußte sie sich auch am Anfang selbst zurechtfinden, da Robert sehr beschäftigt war. Zufrieden hüllte sie sich in den leichten seidenen Morgenrock, den sie anstelle eines Bademantels mitgenommen hatte. Erstens beanspruchte er weniger Platz im Koffer, und zweitens spürte sie ihn kaum auf der Haut. Sie schaute auf den Regler der Klimaanlage. Er stand auf 22 Grad Celsius. Perfekt. Hoffentlich hatte sich die Außentemperatur nachher schon etwas abgekühlt. Robert hatte ihr bereits am Flughafen genügend Geld gegeben. Den Wechselkurs kannte sie auch, da konnte sie Vergleiche anstellen. Als sie nach Papier und Kugelschreiber griff, um zu notieren, was sie alles einkaufen mußte, klingelte es an der Tür. Obwohl er eigentlich Telse damit beauftragt hatte, hatte Robert vor dem Verlassen des Hotels noch das Mineralwasser bestellt. Nach dem Abgang des Zimmerkellners wandte sich die junge Frau wieder ihrer Liste zu. Viel benötigte sie nicht. Als routinierter Reisender hatte Robert an alles gedacht. Von einem Sessel nahm sie ein Kissen, legte es aufs Bett und streckte sich lang aus. So konnte sie die durch das lange Sitzen leicht geschwollenen Füße hochlegen. Dann schloß sie die Augen und war im Nu eingeschlafen.

    Als nebenan eine Tür knallend ins Schloß fiel, fuhr sie aus wirren Träumen empor und griff nach ihrer Armbanduhr, die sie auf ihrem Nachtschränkchen abgelegt hatte. Es war eine hübsche, kleine, goldene Uhr mit einem Armband aus Schlangenleder, Roberts nachträgliches Hochzeitsgeschenk.

    „Allah sei Dank, murmelte Telse der Landessitte entsprechend. „Erst vier Uhr. Nach dem gleichen Schnitt wie das gelbe Kleid, das Telse auf der Reise getragen hatte, hatte ihre Mutter noch eins aus altrosa Leinen gearbeitet. Telse hatte die Stoffreste zusammen mit noch anderen preisgünstigen Coupons vor drei Jahren beim Sommerschlußverkauf in Hamburg erstanden, wo sie nach ihrer Parisreise noch ein paar Tage bei ihrem Vater Urlaub gemacht hatte. Allerdings hatte ihre Mutter erst Jahre später, nach ihrer Heirat, Zeit gefunden, daraus Kleider zu nähen, sozusagen als eine Art Aussteuer für die Tochter.

    Telse zog sich an und bürstete ihr volles, dunkelbraunes Haar in Form. Sie verzichtete

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