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Wissen im Sinne der Wissenschaften: Exaktes Wissen, Empirisches Wissen, Grenzen des Wissens
Wissen im Sinne der Wissenschaften: Exaktes Wissen, Empirisches Wissen, Grenzen des Wissens
Wissen im Sinne der Wissenschaften: Exaktes Wissen, Empirisches Wissen, Grenzen des Wissens
Ebook549 pages6 hours

Wissen im Sinne der Wissenschaften: Exaktes Wissen, Empirisches Wissen, Grenzen des Wissens

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About this ebook

Wodurch ist „Exaktes Wissen“ charakterisiert, inwiefern ist dieses überhaupt möglich? Was sind die Kriterien „Empirischen Wissens“? Welches sind die beiden logischen Fundamente auf denen jede wissenschaftliche Erkenntnis beruht? Die Antworten hierzu werden in diesem Buch von den jeweiligen Koryphäen selbst gegeben: den großen Philosophen, z. B. Platon, Aristoteles, Descartes, Leibnitz, Hume, Kant; den bedeutenden Naturwissenschaftler wie Galilei, Newton, Darwin, Mendel, Hertz, Einstein, Heisenberg und anderen, sowie den großen Mathematikern. Der Leser wird feststellen, dass es keinen Gedanken von Wert gibt, den diese Männer nicht bereits vorweg gedacht hätten.
LanguageDeutsch
Release dateApr 29, 2013
ISBN9783837250947
Wissen im Sinne der Wissenschaften: Exaktes Wissen, Empirisches Wissen, Grenzen des Wissens

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    Book preview

    Wissen im Sinne der Wissenschaften - Wolfgang Schlageter

    Inhaltsverzeichnis

    Für Emily

    Vorwort

    1. Sinn der Bildung ist, sich für anderes, für andere und für allgemeine Gesichtspunkte offen zu halten." (Hegel)

    2. „Zwar weiß ich viel, doch möchte ich alles wissen." (Faust, J. W. von Goethe)

    2.1 „Was auch die Hellenen von den Nichthellenen übernommen haben, das bringen sie zu einem schöneren Ziel." (Platons Schüler Philipp)

    Die Begründung der rationalen Wissenschaften

    Das Atom

    Die Logik

    Der Idealismus: Platon

    Der Realismus und empirisches Wissen: Aristoteles

    2.2. Das Mittelalter: „Credo ut intelligam" (Anselm von Canterbury)

    2. 3 Die Renaissance: „Die Entdeckung des Menschen und der Welt" (Jacob Burckhardt)

    Kopernikus

    Giordano Bruno

    „Die Entdeckung des Menschen und der Welt"

    2.4. Der Realismus: „Nichts ist im Verstand, was nicht zuvor in den Sinnen war" (John Locke)

    Francis Bacon: „Wissen ist Macht"

    John Locke

    Schranken des Empirismus

    Der „Common-Sense"

    2.5 Der Pfad zur exakten Wissenschaft: „Das Universum saugt mich auf, wie ein Punkt; vermöge des Gedankens begreife ich es." (Pascal)

    Leonardo da Vinci

    Johannes Kepler

    Galileo Galilei

    Isaac Newton

    2.6 Fortschreitendes Wissen: „Glücklich ist, wer dazu beiträgt, das reine Licht dieses immerwährenden Evangeliums zu verbreiten." (Priestley)

    Die Chemie

    Geologie und Biologie

    2.7 Die Aufklärung: „Die Hypothese Gott ist nicht nötig." (Laplace)

    2.8 „Schöne neue Welt" (Aldous Huxley)

    Der Hedonismus

    3. „Ich zweifle, also bin ich." (René Descartes)

    3.1 Die Sophisten „Der Mensch ist das Maß aller Dinge." (Protagoras)

    3.2 Die akademische Skepsis

    3.3 Die jüngere Skepsis aus dem ersten Jahrhundert nach Christus

    3.4 Die „Idole" des Francis Bacon

    1. Die Idole des Tribus

    2. Die Idole des Specus

    3. Die Idole des Fori

    4. Die Idole der Theatri

    3.5 David Hume: „Was wir den Geist nennen, ist nichts anderes als ein Anhäufung oder Sammlung von verschiedenen Wahrnehmungen."

    Das Kausalprinzip: Das Problem der Logik

    Die Existenz

    Psychologie

    Die Induktion

    Das „Ich"

    Die totale Skepsis

    4. Prometheus: „Die Zahl erfand ich ihnen, jeder Kenntnis Kern." (Aischylos)

    4.1 „Keiner ohne Geometrie möge hier eintreten." (Platon)

    4.2 Merkmal 1: Die Idealität der Mathematik

    Geometrie

    Die Zahlen

    Hartnäckige Kritiker

    4.3. Merkmal 2: Konstruktion, Inspiration, Kreativität

    Addition und Multiplikation natürlicher Zahlen

    Primzahlen

    Vollkommene und befreundete Zahlen, magische Vielecke

    Johannes Kepler und die Planeten

    4.4 Merkmal 3: Die Logik

    Die Logik

    4.5 Merkmal 4: Struktur: „… das geistige Band"

    Euklid

    ‚Logos’ und ‚Pragmata’

    Der Strukturbegriff bei den Zahlen

    Allgemeine Strukturen

    Informatik

    4.6 Die Anwendung, ein Merkmal der Mathematik?

    4.7 „Dem Wahren, dem Schönen, dem Guten" (Inschrift über dem Eingangsportal der Frankfurter Alten Oper)

    5. Wissen

    5.1 Exaktes Wissen

    Kriterien exakten Wissens

    Das „Wissen" der Computer

    „Wissen" in der Kunst

    Theoretische Physik

    Fazit

    5.2 Empirisches Wissen

    5.2.1 Glaubhaftes, unwidersprochenes und allseitig geprüftes Wissen

    5.2.2 Glaubhaftes, glaubhaftes und unwidersprochenes Wissen

    Unwidersprochen und glaubhaft?

    Erfüllbarkeit der Kriterien; empirischen Wissens im Allgemeinen

    Hypothesenbildung

    Überprüfung der Hypothese

    Statistik

    Gregor Mendel: Die Vererbungslehre

    Die Musik, empirisch erklärbar?

    Der Darwinismus und die Molekularbiologie: Das Leben

    Ethik: Der Altruismus

    Hypothesenbildung: Ist die Hypothese in der Sprache der Theorie eindeutig formuliert?

    Das Experiment

    Der Test

    Spezielle Diskussion der genannten Folgerungen

    5.3 Statistisches Wissen

    6. Grenzen des exakten Wissens

    6.1 „Der Seele Grenzen kannst du nicht ausfinden und ob du jegliche Straße abschreitest, so tiefen Grund hat sie." (Heraklit)

    6.2 Strukturelle Grenzen

    Der Materialismus

    Biologie

    Autoritäten

    6.3 „Und er würfelt doch!"

    Hat unser Wissen durch die Atomphysik einschränkende Grenzen erfahren? Jein!

    6.4 Die logische Katastrophe

    6.5 Die Akademie von Lagado

    7. „Was können wir wissen, was dürfen wir hoffen und was sollen wir tun." (Kant)

    Wissen

    Die Geisteswissenschaften

    Hoffen

    Tun

    Anhang

    Literatur

    Wolfgang Schlageter

    Wissen im Sinne der

    Wissenschaften

    Exaktes Wissen, Empirisches Wissen,

    Grenzen des Wissens

    AUGUST VON GOETHE LITERATURVERLAG

    FRANKFURT A.M. • WEIMAR • LONDON • NEW YORK

    Die neue Literatur, die – in Erinnerung an die Zusammenarbeit Heinrich Heines und Annette von Droste-Hülshoffs mit der Herausgeberin Elise von Hohenhausen – ein Wagnis ist, steht im Mittelpunkt der Verlagsarbeit.

    Das Lektorat nimmt daher Manuskripte an, um deren Einsendung das gebildete Publikum gebeten wird.

    ©2013 FRANKFURTER LITERATURVERLAG FRANKFURT AM MAIN

    Ein Unternehmen der Holding

    FRANKFURTER VERLAGSGRUPPE

    AKTIENGESELLSCHAFT

    In der Straße des Goethehauses/Großer Hirschgraben 15

    D-60311 Frankfurt a/M

    Tel. 069-40-894-0 ▪ Fax 069-40-894-194

    E-Mail lektorat@frankfurter-literaturverlag.de

    Medien- und Buchverlage

    DR. VON HÄNSEL-HOHENHAUSEN

    seit 1987

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über http://dnb.d-nb.de.

    Websites der Verlagshäuser der

    Frankfurter Verlagsgruppe:

    www.frankfurter-verlagsgruppe.de

    www.frankfurter-literaturverlag.de

    www.frankfurter-taschenbuchverlag.de

    www.publicbookmedia.de

    www.august-goethe-literaturverlag.de

    www.fouque-literaturverlag.de

    www.weimarer-schiller-presse.de

    www.deutsche-hochschulschriften.de

    www.deutsche-bibliothek-der-wissenschaften.de

    www.haensel-hohenhausen.de

    www.prinz-von-hohenzollern-emden.de

    Dieses Werk und alle seine Teile sind urheberrechtlich geschützt.

    Nachdruck, Speicherung, Sendung und Vervielfältigung in jeder Form, insbesondere Kopieren, Digitalisieren, Smoothing, Komprimierung, Konvertierung in andere Formate, Farbverfremdung sowie Bearbeitung und Übertragung des Werkes oder von Teilen desselben in andere Medien und Speicher sind ohne vorgehende schriftliche Zustimmung des Verlags unzulässig und werden auch strafrechtlich verfolgt.

    Lektorat: Dr. Helga Miesch

    Titelbild: Peter Hermes Furian / fotolia.de

    ISBN 978-3-8372-5094-7

    Die Autoren des Verlags unterstützen den Bund Deutscher Schriftsteller e.V., der gemeinnützig neue Autoren bei der Verlagssuche berät. Wenn Sie sich als Leser an dieser Förderung beteiligen möchten, überweisen Sie bitte einen – auch gern geringen – Beitrag an die Volksbank Dreieich, Kto. 7305192, BLZ 505 922 00, mit dem Stichwort „Literatur fördern". Die Autoren und der Verlag danken Ihnen dafür!

    Für Emily

    Vorwort

    Die Motivation für das vorliegende Buch habe ich in der Einleitung „An den Leser" dargestellt. Es ist mir darüber hinaus ein Bedürfnis, den Herren Christian Rössler und Thorsten Rauhut für ihre Unterstützung zu danken. Ebenso meiner Tochter Julia für ihren emotionalen Beistand.

    Außerdem danke ich dem Verlag für die Zusammenarbeit, insbesondere auch dafür, dass er das Erscheinen dieses Buches ermöglicht hat.

    0. An den Leser: „Besser einen gut geschulten als einen zu gefüllten Kopf" (Montaigne)

    Das Einzige, was er wisse, sagte Sokrates, sei, dass er nichts wisse. Und Sokrates war nach Auskunft des Orakels von Delphi immerhin der klügste Mensch! In der Tat, was heißt es, etwas zu wissen? Erläutern wir die Problematik an einem scheinbar selbstverständlichen Satz: „Jeden Morgen geht die Sonne auf."

    Jahrtausende galt den Menschen dieser als selbstverständliche Wahrheit und auch heute noch richten wir mehrheitlich unseren Tagesablauf nach diesem. Natürlich wissen wir als gebildete Menschen, dass er falsch ist, dass die Sonne ruht und die Erde sich tatsächlich bewegt. Aber woher? Wir könnten uns auf bekannte Bilder aus dem Weltraum beziehen, die diese Aussage offenbar bestätigen. Aber schon die Griechen haben diese Frage diskutiert und spätestens seit Kopernikus im 15. Jahrhundert wird sie zunehmend Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion. Außerdem wurden die genannten Bilder erst durch diese Erkenntnis möglich. Erst hierdurch wurden die Gesetze entwickelt, die die Menschheit überhaupt erst befähigten, den Weltraum zu erforschen. Und schließlich könnten diese Bilder uns genauso täuschen wie der morgendliche Sonnenaufgang!

    Wir wissen, dass eine der größten wissenschaftlichen Autoritäten der Neuzeit, Galileo Galilei, nach seiner Verurteilung durch die Inquisition trotzig gesagt haben soll: „Und sie bewegt sich doch!" Andererseits hat Aristoteles, eine mindestens ebenso große Autorität, definitiv behauptet, die Erde ruhe! Und wie er haben es die Menschen fast zweitausend Jahre geglaubt. Darunter Kapazitäten wie Alexander der Große, Cäsar, Albertus Magnus, Karl der Große und Dante! Und Aristoteles war keinesfalls durch irgendwelche voreingenommenen Meinungen oder gar aus Bequemlichkeit zu seinem Urteil gekommen. Wir wissen, dass bereits zu seiner Zeit die Frage diskutiert wurde, ob es nicht die Erde sei, die sich bewege.

    Aristoteles stellte sich dem Problem und argumentierte folgendermaßen: Wird ein Körper weit genug senkrecht nach oben geworfen und würde sich die Erde bewegen, so müsste dieser an einer anderen Stelle auftreffen als von der er abgeworfen wurde. Dies sei aber nicht der Fall! Es wird vermutlich nicht vielen von uns leicht fallen, dieses Argument zu widerlegen! Andere wurden dann zu Galileis Zeiten genannt, ebenso schwierig zu durchschauen! Wieso schießt eine Kanone in Westrichtung ebenso weit wie bei einem Schuss nach Osten, obwohl sich die Erde doch in Richtung Osten wegdrehen soll? Weiter: Wir wissen vom Karussell, dass bei einer Kreisbewegung Fliehkräfte auftreten. Wäre die Erde eine Kugel, so müssten wir ja alle infolge dieser Kräfte wegfliegen! Man könnte nun meinen, die Bewegung würde ja so langsam erfolgen, dass sie faktisch nicht wahrnehmbar sei. Tatsächlich muss sie aber in vierundzwanzig Stunden vierzigtausend Kilometer zurücklegen, was einer Geschwindigkeit von cirka 1666 Kilometer pro Stunde entspricht! Nimmt man dann noch, wie wohl die meisten, die Sinneserkenntnis als erste Quelle unserer Erkenntnis, so sieht man jeden Morgen die Sonne aufgehen, der Satz ist also in diesem Sinne wahr. Bedenken wir noch, dass nach der Einsteinschen Theorie beide Behauptungen sowohl wahr als auch falsch sein können, je nach dem Standpunkt, so wird die Verwirrung keinesfalls kleiner!

    Wir hätten die Problematik ebenso gut an den Begriffen ‚Materie’, ‚Leben’, ‚Ästhetik’ erläutern können. Was bedeutet es, etwas zu ‚wissen’? Dieser Frage stellen wir uns in diesem Buch. Genauer: Was bedeutet es, etwas im Sinne der Wissenschaften zu wissen und wo liegen möglicherweise deren Grenzen? Denn „keine der früheren Hochkulturen hat ihre Technik so radikal auf Wissenschaft gegründet, keine hat ihre Wissenschaft so konsequent auf Naturbeherrschung abgestellt, keine ihr Wirtschaftssystem und ihren Sozialapparat so auf wissenschaftliche und technische Rationalität entwickelt, wie das Abendland seit Beginn des industriellen Zeitalters". (Hans Freyer)

    Bereits die obigen Bemerkungen zeigen, dass die Frage nach der Gültigkeit und den Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnis nicht dahingehend beantwortet werden kann, indem man die Ergebnisse aufzählt, die die Wissenschaften, ob tatsächlich oder nur vorgegeben, gewonnen haben. Tatsächlich behaupten diese, nahezu alles und jedes Problem lösen zu können. Aber schon vor mehr als zweitausendfünfhundert Jahren stand für Heraklit fest: „Viel Wissen heißt nicht, Verstand haben. Und ebenso pointiert sagt Heinrich Scholz: „Bildung ist das, was übrig bleibt, wenn alles Übrige vergessen wird. Wir müssen also zum Kern dessen vordringen, worauf sich der Anspruch jedes wissenschaftlichen Wissens stützt. Sozusagen das Skelett offen legen, das jede wissenschaftliche Aussage trägt und ihren Wahrheitsanspruch sichert. Genauer:

    Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit wir überhaupt wissen können?

    Ist es möglich, exaktes, absolutes, objektives Wissen zu definieren, falls ja, wie?

    Ist das Kriterium des exakten Wissens konkret erfüllbar, falls ja, wo?

    Gibt es prinzipiell unüberschreitbare Grenzen des exakten Wissens, falls ja, von welcher Art sind diese?

    Können die „harten Kriterien des exakten Wissens so „aufgeweicht, gemildert werden, dass sie sinnvoll auf Tatbestände angewandt werden können, für die exaktes Wissen nicht möglich ist? Falls ja, wie und auf welche?

    Wie ist der bei weitem überwiegende verbleibende Teil in diesem Zusammenhang zu beurteilen?

    Selbstverständlich behaupten wir nicht, hier Neues zu sagen. Im Gegenteil: Die gesamte kontinentale Philosophie nach der Zeit der Scholastik, das heißt der Philosophie des Mittelalters, hat mit diesem Problem gerungen. Hatte man sich nämlich in der Scholastik in erster Linie mit den ‚ganz großen Fragen’ beschäftigt, Gott, Seele, Unsterblichkeit, manchmal auch mit weniger großen, zum Beispiel der Frage des Geschlechtes der Engel, so ist es verständlich, dass man hier zu keinem übereinstimmenden Ergebnis gekommen ist. Descartes, der Begründer der neuzeitlichen Philosophie, stellte dann in aller Klarheit die Frage, welche Möglichkeiten der menschliche Verstand überhaupt hat? Innerhalb welcher Grenzen er generell zu sicheren Erkenntnissen gelangen kann? Welche Methode hierbei leitend sein soll? Die Antworten, die Descartes gab, waren zunächst beispielhaft für das Weitere.

    Jedenfalls waren die Aufgaben gestellt und was in der Philosophie Rang und Namen hatte, setzte sich mit diesem Problem auseinander, auf dem Kontinent Malebranche, zunächst auch Pascal, dann Spinoza und Leibniz. Die Engländer Bacon, Hobbs, Locke, Berkeley und Hume widmeten ihre Kraft dieser Aufgabe. Bis dann schließlich das Ganze in den drei berühmten Kritiken von Kant seinen vorläufigen Abschluss und Höhepunkt fand. Und doch wollte man auch hier noch das Wissen über die dort gezogenen Grenzen hinaustreiben. Dies war das Ziel des deutschen Idealismus, Fichte, Schelling und als Höhepunkt Hegels Dialektik! Wir werden diesen Weg zu verfolgen haben. Und natürlich insbesondere auch zurückkehren müssen zu denjenigen Denkern, denen das gesamte Abendland seine Philosophie und Wissenschaft verdankt, den Griechen: Heraklit, Pythagoras, Empedokles, Demokrit und selbstverständlich Platon und Aristoteles!

    Schon durch diese Hinweise ist klar, dass wir natürlich auch nicht beanspruchen, die schwierigen anstehenden Fragen selbst lösen zu können. Wir werden vielmehr die ganz Großen zu diesem Thema sprechen lassen, neben den bereits Genannten auch die großen Naturwissenschaftler. Aber auch sie sind nur Menschen. „Vor einiger Zeit habe ich einen monumentalen Bock geschossen, schreibt Einstein an Max Born. Und so gelten auch für die großen Koryphäen Ciceros Worte: „errare humanum est. Auch die größten Genies waren nicht vor Irrtümern gefeit, selbst in ihrem Fach! Aristoteles glaubte, im Schlamm könne durch ‚Urzeugung’ Leben entstehen, Leibniz dachte, dass die „Natur keine Sprünge" machen könne, und Heinrich Hertz hielt die Anwendung der Elektrodynamik für ausgeschlossen.

    Aus diesem Grunde wird dem Leser das gesamte Spektrum angeboten, das die verschiedenen Philosophen zu diesem Problem als Lösungen für richtig hielten. Insbesondere setzen wir uns auch mit den Männern auseinander, die prinzipiell exaktes Wissen überhaupt für unmöglich hielten, den Skeptikern. Fichte sagt: „Was für eine Philosophie man wähle, das hänge davon ab, was für ein Mensch man sei, und „nicht allein in Poesie und Musik müssen wir unserem Geschmack und Gefühl folgen, sondern auch in der Philosophie, meint Hume. Also muss der Leser in letzter Instanz selbst entscheiden, welcher Auffassung er folgen will.

    „In jeder besonderen Naturlehre könne nur so viel eigentliche Wissenschaft angetroffen werden, als darin Mathematik anzutreffen ist", sagt Kant. Damit ist der Leitfaden vorgegeben und wir werden diese Aussagen zu begründen haben. Dabei brauchen wir keinerlei Vorkenntnisse über Mathematik, schon gar nicht irgendwelche komplizierte tiefgründige Sätze derselben. Für unser Problem ist nämlich das relevant, was in der Schule überhaupt nicht behandelt wird: Was ist das Wesen der Mathematik, worin liegt ihre allgemeine Bedeutung, insbesondere in erkenntnistheoretischer Hinsicht? Also gerade dies, was ihr seit allen Zeiten die uneingeschränkte Bewunderung aller Geistesgrößen gesichert hat und das der Schulunterricht im Allgemeinen völlig verdunkelt.

    Neben der Mathematik werden die allgemeinen Prinzipien des Wissens exemplarisch an der Informatik, der Physik und der Biologie vertieft. Denn was das „Wissen" betrifft, so sind diese Wissenschaften unbestritten die am weitesten fortgeschrittenen. Außerdem dominieren diese unser Leben bis in die subtilsten Bereiche. Auch hierbei sind keinerlei Vorkenntnisse erforderlich. Das Wort wird weitgehend den großen Naturwissenschaftlern wie Galilei, Newton, Einstein, Heisenberg, Darwin und anderen überlassen.

    Kant stellt seiner Philosophie folgende drei Fragen voran: „Was können wir wissen, was dürfen wir hoffen, was sollen wir tun? Kein Tier kann so fragen! Man kann das Lebewesen, das sich diesen Problemen stellt, geradezu als das Menschliche charakterisieren. Wir mögen die Antworten in der Hektik des Alltags verdrängen, aber nur wenn wir in der „Ver – Antwortung hierzu leben, handeln wir als Mensch.

    Damit das eigentlich Humane möglich ist, sind somit zwei Fragen zu klären: Zunächst: Bleibt neben „Wissen für „Hoffen und „Tun überhaupt noch ein eigenständiger Raum? Wird nicht bereits alles von den Wissenschaften erfasst, wie beispielsweise der große Physiker und Mathematiker Laplace glaubte? Weiter: Ist „Denken tatsächlich ein menschliches „Existenzial" oder, wie Demokrit vor zweieinhalbtausend Jahren und nicht wenige Wissenschaftler heute sagen, lediglich das irgendwie Bewusstwerden eines allgemeinen Naturgesetztes? Somit vom Handeln des Tieres nur graduell unterschieden, wobei Marx nicht einmal mehr diese Differenz billigte? Freiheit, Wille, Denken also nur scheinbar von uns bestimmt werden, letztlich aber demselben Gesetz unterworfen sind, das die Galaxien ebenso regelt wie die Welt der Atome?

    Speziell für Informatik, Physik und Biologie ergibt sich hieraus:

    Der Mensch denkt, Computer werden aber bisweilen ebenfalls als Elektronengehirne bezeichnet!

    Der Mensch ist auch Körper und insofern natürlich wie jeder dieser der chemisch – physikalischen Gesetzlichkeit unterworfen!

    Der Mensch ist Lebewesen und unterliegt somit wie jedes derartige den Gesetzen der Biologie!

    Inwiefern also das eigentlich Humane gerechtfertigt werden kann, hängt somit entscheidend davon ab, inwiefern die Grenzen dieser Wissenschaften bestimmt werden können, exakt und unwidersprochen!!

    Wir werden somit immer wieder auf die Kantschen Fragen zurückkommen und diese im letzten Kapitel noch einmal eingehend erörtern.

    Obwohl das Buch als organisch Ganzes konzipiert ist, kann der Leser dennoch, je nach Interesse, einzelne Kapitel und Abschnitte selektiv lesen. Die Literatur, auf die sich das Buch stützt, der die angegebenen Zitate entnommen sind, ist im Anhang angegeben.

    Welcher Leser könnte aus den folgenden Ausführungen Gewinn erzielen? Wir beziehen uns hierzu sinngemäß auf eine Äußerung Platons, als dieser nach dem Wesen des Philosophen gefragt wurde: „Weder die Götter noch die Weisen philosophieren, denn beide sind schon weise, ebenso wenig philosophieren auch die Unverständigen, da sie nicht bestreben, weise zu werden: denn das ist eben das Arge am Unverstande, dass er, ohne schön und gut und vernünftig zu sein, doch sich selbst ganz genug zu sein dünkt. Wer nun nicht glaubt, bedürftig zu sein, der begehrt auch das nicht, dessen er nicht zu bedürfen glaubt. Welches sind dann die Philosophierenden, wenn es weder die Weisen sind noch die Unverständigen? Das muss ja auch dem Kinde klar sein, dass es die sind, die zwischen beiden stehen."

    1. Sinn der Bildung ist, sich für anderes, für andere und für allgemeine Gesichtspunkte offen zu halten." (Hegel)

    Dass mit den modernen Wissenschaften eine vollständige Zäsur verbunden war, ein neues Zeitalter anbrach, das war den großen Zeitgenossen sofort völlig klar. „Unser menschliches Jahrhundert herbeizuführen, haben sich – ohne es zu wissen oder zu erzielen – alle vorhergehenden Zeitalter angestrengt, sagte Schiller in seiner akademischen Antrittsrede. Und Priestley glaubte enthusiastisch: „Alle Kenntnisse werden sich auf die verschiedensten Gebiete ausdehnen. … Die Natur, einschließlich ihrer Materie und ihrer Gesetze, wird uns besser gehorchen; der Mensch wird seine Stellung in dieser Welt leichter und angenehmer gestalten; … Was auch immer der Beginn der Welt gewesen sein mag, ihr Ende wird so herrlich und paradiesisch sein, wie wir es uns heute überhaupt nicht vorstellen können… Voltaire glaubte, hoffen zu dürfen, „dass Vernunft und Betriebsamkeit immer weiter fortschreiten; dass nützliche Künste sich verbessern; dass die Übel, die den Menschen heimsuchen, worunter die Vorurteile nicht die geringste Geißel sind, nach und nach verschwinden… "

    Weniger optimistisch beurteilte Voltaires Landsmann Alexis de Tocqueville die Situation. Zwar würde die fortschreitende materielle Produktivität einen ständig sich steigernden Wohlstand zur Folge haben, die Menschen wären dann aber nicht freie, sich selbst bestimmende Persönlichkeiten. Der allgemeine Konformismus, der Staat, die eng verwobene Gesellschaft würden einen solchen Druck auf sie legen, der alle Bestrebungen in dieser Richtung blockieren würde. Dies erfolge in der Form, dass sich die Gesellschaft dieses Zwanges nicht einmal bewusst sein könne. Und Goethe lässt Wilhelm Meister sagen: „Das überhandnehmende Maschinenwesen quält und ängstigt mich; es wälzt sich heran wie ein Gewitter, langsam, langsam; aber es hat seine Richtung genommen, es wird kommen und treffen."

    Vollständig eingetroffen ist keine der Prognosen und doch haben sie alle irgendwie Recht gehabt. Dass mit dem erneuten Erwachen der Wissenschaften in der Renaissance das menschliche Dasein bis in die letzten Verästelungen hinein revolutioniert wurde, ist unbestreitbar. Golo Mann meint, „das ägyptische ,Alte Reich’ sei in wesentlichen Beziehungen noch unserem 15. Jahrhundert näher, ähnlicher, als dieses unserer eigenen Zeit, und man müsse alle die Jahrtausende von den ersten Tempelstätten bis zu den Kathedralen als eine Epoche sehen und, was danach begann, als eine andere, immer schneller, immer dichter sich verändernde, bis endlich, in unseren Tagen, die Entwicklung zu einer eigentlichen Explosion geworden sei".

    Doch alleine die ‚Wiedergeburt’ der Wissenschaften würde nicht ausreichen, um dieses Phänomen zu erklären. Die oft vorgetragene Auffassung, technische Probleme oder gar wirtschaftliche Interessen hätten das wissenschaftliche Forschen bestimmt ist weitestgehend falsch! Begründet wurden diese im klassischen Griechenland, keiner der großen Naturphilosophen dachte dabei auch nur im Entferntesten an technische Anwendungen. Ebenso wenig Aristoteles, der große Begründer der wissenschaftlichen Systematik überhaupt. Nachdem beispielsweise im dritten Jahrhundert vor Christus ein Schüler Euklid, den großen Mathematiker aus der platonischen Akademie, gefragt hatte, wozu die Geometrie nützlich sei, beauftragte jener sofort einen Sklaven, damit der diesem einen Obolus aushändige, „da er ja aus dem, was er lernt, einen Profit ziehen muss". Wie haben sich die Zeiten geändert!

    Während der Zeit des Hellenismus, also cirka zweihundertfünfzig Jahre vor Christus, erforschten die Griechen alles! Aristarch lehrte, dass „die Fixsterne und die Sonne unbewegt verharren, die Erde dreht sich auf einer Kreisbahn um die Sonne, die in deren Mittelpunkt liegt. Hipparchos berechnete das Sonnenjahr auf dreihundertfünfundsechzig ein Viertel Tage, minus vier Minuten und achtundvierzig Sekunden, also einer Abweichung von weniger als sechs Minuten gegenüber unseren heutigen Daten. Die Entfernung Erde Mond schätzte er auf vierhunderttausend Kilometer, gegenüber dreihundertzweiundachtzigtausend Kilometer von heute. Erathostenes kam bei seiner Berechnung des Erdumfangs auf 39 024 Kilometer, heute gehen wir von 40 076 Kilometer aus. Nachdem Aristoteles bereits mit seiner „Naturgeschichte der Tiere ein Werk vorgelegt hatte, das bis ins achtzehnte Jahrhundert beispielhaft blieb, setzte sein Schüler Theophrastos diese Arbeit bei den Pflanzen fort. Auf allen Gebieten wurden die Wissenschaften auf die höchsten Höhen getrieben, aber keiner der Akteure, hatte technisch-praktische Anwendungen im Sinn. Auch Archimedes nicht, dessen Hebelgesetze ja das Prinzip jeder Maschine bilden. Und somit hatte der enorme wissenschaftliche Fortschritt auf das Leben der Einzelnen, auf die Gesellschaft als solche, keinerlei Auswirkungen. „Der Grieche hat die schwere körperliche Arbeit nie geliebt. Er hat sie verrichtet, weil es eben sein musste", schreibt Olof Gigon.

    Dabei waren ihm die Wissenschaften keinerlei Hilfe, es ist „eine gewisse Paradoxie, dass die Naturwissenschaft des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts die Abhängigkeit von der Naturphilosophie, wie sie in der Antike bestand, vertauscht hat mit einer spezifischen Abhängigkeit von der Praxis des Lebens, die der Antike fast völlig fremd war (Gigon). Tatsächlich hieß für den Griechen „zu philosophieren, um der Unwissenheit zu entgehen, das Wissen um der Erkenntnis willen zu suchen und nicht um irgendeines praktischen Nutzens willen (Aristoteles). Wer danach fragt dem ergeht es wie der Atalante, die den Sieg im Wettlauf verfehlte, weil sie sich bückte, um die goldenen Äpfel zu ihren Füßen aufzusammeln!

    Und noch Einstein träumte von diesem Ideal der freien ungebundenen Forschung, wenn er sagte: „Wäre ich wieder ein junger Mann und hätte einen Lebensberuf zu wählen, so würde ich nicht versuchen, ein Wissenschaftler, ein Gelehrter oder ein Lehrer zu werden. Ich würde vorziehen, ein Klempner oder Hausierer zu sein, in der Hoffnung, so das geringe Maß von Unabhängigkeit zu finden, das unter den heutigen Umständen noch erreichbar ist."

    Überhaupt waren alle großen Protagonisten der Neuzeit von dem Ideal der reinen Forschung geleitet. Weder der Begründer der modernen Physik, Galilei, noch Newton, der dessen Werk vollendet hat und mit der Mechanik die erste exakte Naturwissenschaft schuf, dachten in technischen Kategorien. Auch die geistigen Väter der Dampfmaschine, Ludwig Boltzmann und James Clerk Maxwell waren reine Theoretiker. Dasselbe gilt für die Elektrodynamik, Grundlage der zweiten industriellen Revolution. Weder Maxwell, noch Hendrik Antoon Lorentz, noch Heinrich Hertz hatten Anwendungen im Sinn. Keine grundsätzliche wissenschaftliche Entdeckung wurde im Hinblick auf technische Realisationen gewonnen, weder Einsteins Relativitätstheorie, noch die Quantenmechanik, auch nicht Otto Hahns Kernspaltung! Dasselbe gilt auch, wie wir noch zeigen werden, für die theoretischen Grundlagen der dritten Revolution, der Informationswissenschaft. „Historisch steht fest, dass die moderne Technik nicht einer Entwicklung der Werkzeuge zuzuschreiben ist, mit denen man sich eh und je die Arbeit erleichtert und die Dinge der Welt hergestellt hat, sondern eine ganz und gar unbeabsichtigte, gleichsam zufällige Folgeerscheinung des rein ‚theoretischen’ Interesses ist an Dingen, die niemand etwas nutzen sollten" (Hannah Arendt). Brechts Interpretation in seinem Drama über Galilei, nämlich wenn dieser dem Druck der Kirche widerstanden hätte, dies zur Folge gehabt hätte, dass Wissenschaften nicht mehr missbraucht hätten werden können, diese ist völlig abwegig.

    Welche weiteren Faktoren müssen wir also betrachten, um „diese Explosion, diese beispielslose geschichtliche Revolution zu erklären? Hans Freyer nennt „den Dreibund zwischen Naturwissenschaft, der Technik und der kapitalistischen Produktionsweise. Neben den ‚hehren Motiven der reinen Erkenntnis’, die auch noch für Einstein, Heisenberg, Dirac und viele andere leitend waren, kommen ökonomische Interessen! Doch hier reitet man auf dem Tiger! Die Produktionszyklen werden immer kürzer. Die Zeiten, als eine fundamentale Erfindung, zumindest über einen längeren Zeitraum, die Existenz der Unternehmung sicherte, sind längst vorbei. Was heute ‚up to date’ ist gehört morgen zum alten Eisen! Die Invention eines neuen Produktes, erstellt nach einem immensen Forschungsaufwand, fordert sofort die Konkurrenz heraus. Neue Produkte mit noch intensiverer Forschung sind erforderlich. Wer die enormen Entwicklungskosten nicht mehr finanzieren kann, verschwindet vom Markt. „Citius, altius, fortius" (schneller, höher, stärker) war die Devise von Baron de Coubertin! Hinzu kommt die ökonomische Globalisierung. Die Völker Asiens, Südamerikas, Afrikas haben, teils vollständig, teils zunehmend, die für den ökonomischen Fortschritt notwendigen wissenschaftlichen Methoden absorbiert. Waren im 19. Jahrhundert noch die großen Forschungszentren auf den Norden Europas beschränkt, so zeigt sich heute ein zunehmendes weltumspannendes Netz.

    Neben dem von Hans Freyer genannten „Dreibund führt Carlo Schmid noch, für das 20. Jahrhundert ganz entscheidend, militärische Interessen an. Tatsächlich hat sich die Kriegstechnik grundlegend gewandelt und diese wurde auf die wissenschaftliche Forschung übertragen. „Die Regierungen wollten sich ohne Rücksicht auf die Kosten die wirksamsten denkbaren Waffen verschaffen. Dafür gaben sie Aufträge an Forscher und Techniker und brachten Mittel auf, die sie für zweckfreie Forschung oder ökonomische Zwecke nie aufgebracht haben würden (Schmid). Sowohl die technische Anwendung des Atoms als auch die Computer der Informatik haben hier ebenso ihre Quellen wie die Nachrichtensatelliten unseres Fernsehens!

    Jeder Bereich wird von den Kategorien des Wissens beansprucht! Und in der Tat: Was sich die Menschheit hier im Laufe der Geschichte erarbeitet hat, gleicht einem Wunder. „Das Unerklärlichste ist, dass wir die Natur überhaupt verstehen können, sagt Einstein. So macht die Physik „im Kleinsten Aussagen über Teilchen, die sich masselos mit Lichtgeschwindigkeit bewegen. Andere existieren nur Bruchteile von Sekunden, wir können sie direkt nie sehen! Andererseits sprechen wir „im Größten" konkret über Galaxien, die Milliarden von Lichtjahren entfernt sind. Ja, wir glauben zu wissen, wie die Welt entstand und wo ihre Grenzen liegen. Auch die Geheimnisse des Lebens scheinen keine mehr zu sein. Seit Friedrich Wöhler und Berthelot das Band zwischen organischer und anorganischer Chemie durchschnitten haben, ist der Fortschritt unaufhaltsam. In Laboratorien wird die Situation nachgeahmt, die zur Bildung von Makromolekülen geführt hat, erste Bausteine des Lebens. Darwin hat uns gelehrt, wie hieraus schließlich die Vielzahl der Arten, unter anderem auch wir selbst, entstanden ist. Unaufhaltsamer Fortschritt in der Molekularbiologie: Watson und Crick entschlüsselten die DNS, Trägerin der Erbinformation, wodurch die Theorie Darwins glänzend bestätigt wurde.

    Nichts bleibt der Forschung entzogen. Mit raffinierten Methoden wird untersucht, was nach Aristoteles unser ureigenstes Wesen ausmacht, was als kennzeichnende Kategorie uns vom Tier unterscheidet: Verstand und Vernunft. An Hand parallel ablaufender Prozesse im Gehirn wird beispielsweise moralisches Verhalten analysiert und prognostiziert. Ja, wesentliche Funktionen unseres Gehirns haben wir bereits „Maschinen übertragen, nur noch die besten Schachspieler haben, wenn überhaupt, eine Chance gegen diese. Und es scheint tatsächlich nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis diese „Gehirne nicht nur den Menschen zu ersetzen vermögen, sondern ihrerseits über das vollständige Wissen verfügen! Andererseits glauben wir auch genau Bescheid zu wissen, wie sich andere ethnische Gruppen verhalten, welches die Merkmale anderer Völker sind und was die Motive gewisser sozialer Schichten sind. Doch wieso kommen wir zu der Überzeugung, dass dies alles tatsächlich ‚gewusst’ ist? Wir haben gesehen, dass Sokrates behauptete, das Einzige, was er wisse, sei, dass er nichts wisse!

    Tatsächlich reicht aber der Einfluss der Wissenschaften noch viel weiter, ganz subtil. Vor der Geburt erscheinen wir bereits auf dem Ultraschallbild. Mögliche Erbkrankheiten, Geschlecht und so weiter stehen schon längst fest. In der Schule werden wir nach wissenschaftlichen Methoden unterrichtet, bei unserem ersten Einstellungsgespräch haben wir einen nach exakten Methoden erstellten Test zu absolvieren. Unsere Arbeitsabläufe sind nach wissenschaftlichen Methoden gestaltet. Vergleichbar einem Modul, möglicherweise nur einem Zahnrad in einer Maschine, dessen einzige Aufgabe darin besteht, die Funktionsweise des Ganzen zu sichern. Ob im Büro oder als Ingenieur, inwiefern wir an dem Endprodukt beteiligt sind, was dieses überhaupt ist, welche Funktion dieses hat, wo sein Endzweck liegt, bleibt zumeist unbekannt, interessiert auch nicht und kann es oft auch gar nicht. Denn selbst Unternehmen mit mehreren tausend Beschäftigten sind selbst wieder nur ein Glied im globalen Prozess.

    Dasselbe gilt für unser Wohnen. Städteplaner entwerfen dieses nach wissenschaftlichen Kriterien, nach Zentren, in diesen erfolgt die Vernetzung und so weiter. Selbst für unsere Freizeitparks gilt dies. Im Einkaufscenter umnebelt uns Musik, die nach Ansicht von Psychologen uns bei der Wahl der Produkte ‚günstig’ beeinflussen sollen. Beim Augenarzt sehen wir in einem Gerät irgendwelche farbige Symbole, die den Zustand unserer Augen anzeigen sollen. Sollten wir in die unglückliche Situation kommen im Krankenhaus aufzuwachen, sehen wir uns angeschlossen an unzählige Apparate, die wir nicht verstehen und von denen wir hoffen, dass sie jemand versteht. Dies ist allerdings immer seltener der Fall! Zumeist reduziert sich nämlich das Ganze darauf, dass der Arzt einen Zeiger beobachtet, ist dieser im tolerablen Bereich, wie auch immer dieser festgelegt sein mag, so ist alles in Ordnung, ansonsten wird reflexartig ein Medikament beschrieben, dessen Formel ebenfalls niemand versteht. Immer mehr werden wir uns so drastisch der vollkommenen Abhängigkeit und Ausgeliefertheit bewusst. Schließlich wird unsere Lebensversicherung nach genauen mathematischen Methoden berechnet und wenn alles vorbei ist, werden wir in einer exakten Sterbestatistik registriert.

    Wenn Feuerbach behauptet, der Mensch habe seine Allmachtsphantasien in Gott projiziert und sich so dessen Bild geschaffen, so scheint er diese heute den Wissenschaften zuzuschreiben. Dabei weiß nahezu niemand, was Wissenschaft eigentlich ist. In unsicheren Zeiten vertrauen wir aber diesen als scheinbar sicherem Anker. Wir lassen uns in einem Kernspintomographen behandeln, kaum jemand kann sagen, was man unter einem Spin tatsächlich versteht. Wir leben gesund und essen Joghurt mit „vorwiegend rechtsdrehender Milchsäure L(+), kein Mensch weiß, was sich hier drehen soll. In der Werbung erscheint ein Herr im weißen Kittel, offenbar ein „Wissenschaftler, erklärt uns anhand einer chemischen Formel mit unaussprechlichem Namen, deren Bedeutung völlig unverständlich ist, dass sein Präparat den Haarwuchs verlängere. Zur Bekräftigung erscheint dann noch eine nichts sagende Grafik. Oft genügt schon alleine der Hinweis „wissenschaftlich getestet". Und wenn uns eine Bank erklärt, ihr Finanzkonzept beruhe auf einer Computeranalyse, so verlieren wir gerne vertrauensvoll unser Geld!

    Begleitet wird all dies von einer Flut wissenschaftlicher Veröffentlichungen, die zu einer astronomischen Zahl angewachsen ist, die niemand mehr überblickt. Nach wie vor werden hier Kenntnisse errungen, die sowohl theoretisch als auch praktisch von grundsätzlicher Bedeutung sind. Doch der Weg der Forschung ist keine gerade Bahn! Die Forschung geht Umwege, führt in Sackgassen, wie ist dieses ‚Wissen’ zu bewerten? Jedenfalls vermehrt auch dieses die Welle wissenschaftlicher Publikationen. Hinzu kommt eine teilweise erbitterte Konkurrenz um die letztlich knappen finanziellen Mittel. Diese gibt es aber nur, wenn Ergebnisse vorliegen. Also heißt es für die jeweiligen Institute: Veröffentlichen, veröffentlichen, veröffentlichen! Denn nach der Zahl derartiger Publikationen erfolgen die Rankings, die die angebliche Bedeutung der jeweiligen Anstalt anzeigen sollen. Nun kann es hierbei natürlich nicht jedes Mal Jahrhundertresultate geben, dass das Rad rund, die Erde keine Scheibe ist, das wissen wir. Also kann man dann beispielsweise selbst in seriösen Zeitungen lesen, dass eine Forschungsgruppe festgestellt hat, dass Männer, bei denen der Ringfinger etwas den Zeigefinger überragt, auf Frauen besonders anziehend wirken. Zweifellos eine aufregende Erkenntnis. Oder man glaubt nachgewiesen zu haben, dass Einstein autistisch veranlagt gewesen sei, Leonardo da Vinci möglicherweise homosexuell war, Napoleon eventuell gar Bettnässer? Wen interessiert so etwas? „Es liebt die Welt das Strahlende zu schwärzen und das Erhabene in den Staub zu ziehen" (Schiller).

    Dann möchte man aber in anderen Fällen doch wieder die Welt neu erfinden und besonders spektakulär sein. Eine Forschungsgruppe behauptete übereilt, nachgewiesen zu haben, dass es auch Magnete mit nur einem Pol gebe. In der Presse war dann sofort zu lesen, die gesamte Physik müsse nun wieder einmal neu geschrieben werden. Was musste nicht alles infolge „neuer aufregender Erkenntnisse neu geschrieben werden? Die Bibel, die Geschichte Ägyptens, die Biographie Shakespeares und, und, und. Oder es wurde behauptet, man habe sensationell festgestellt, dass das Neutrino doch eine kleine Masse habe. Ein Blick in das schon damals seit Jahren auf dem Markt befindliche Standartlehrbuch von Landau-Lifschitz hätte genügt. Dort heißt es, „dass die Berücksichtigung der verschiedenen Wechselwirkungen eines solchen Teilchens zwangsläufig zu einer kleinen, aber doch nicht verschwindenden Ruhemasse führen würde. Ja, oft schreckt man nicht einmal vor Fälschungen zurück!

    Da offenbar niemand mehr in der Lage ist, das echte, wertvolle Wissen in seiner Gesamtheit als solches zu erkennen und zu bewerten, summiert man einfach die Anzahl der jährlichen wissenschaftlichen Publikationen und stellt in diesem Zusammenhang die Behauptung auf, das Wissen würde sich in bestimmten Zeiträumen, je nach Ansicht, sagen wir einmal alle fünf Jahre verdoppeln. Tatsächlich? Nehmen wir an, im Jahre x gab es zum Thema Krebs insgesamt fünfhunderttausend Veröffentlichungen, im Jahre x plus fünf eine Million. Hat sich hierdurch wirklich unser Wissen um den Krebs verdoppelt? Manchmal wird sogar behauptet, Computer hätten Wissen. Es gibt sicher solche, die hundertmal, zehntausendmal, n-mal mehr physikalische Formeln gespeichert haben, als Einstein je zur Verfügung hatte. Will jemand im Ernst behaupten, diese Computer hätten ein um denselben Faktor größeres Wissen als Einstein? Diesem hatten im Jahre 1905 lediglich drei Veröffentlichungen genügt, um die Welt zu verändern! Jede von revolutionären Folgen, sowohl für die Physik als auch für das gesamte Weltbild: Die Relativitätstheorie, die Begründung des Photons und damit die erste Fundierung der Quantenmechanik, die Brownsche Bewegung und hierbei einer der ersten experimentellen Nachweise für die Existenz des Atoms!

    John von Neumann, von dem behauptet wird, er sei neben David Hilbert der letzte Mathematiker gewesen, der die Mathematik in ihrer Gesamtheit noch überschaut hätte, sagte selbst, er „bezweifle, dass irgendein heute lebender Mathematiker sehr viel mehr als ein Viertel der gesamten Mathematik übersieht". Das war im Jahre 1947! Inzwischen hat sich die Situation noch einmal dramatisch verschärft! Als Andrew Wiles ein lange ungelöstes zahlentheoretisches Problem, den Fermatschen Satz, schließlich 1995 löste, so wird gesagt, hätten weniger als zehn Prozent selbst der Zahlentheoretiker seinem Beweisgang folgen können. Für einen Mathematiker, der in Topologie oder Funktionentheorie sein Arbeitsgebiet hat, war dieser, bis auf die bekannten Symbole, genauso unverständlich wie für jeden Beliebigen anderen auch. Ähnliches ließe sich über Physik, Biologie, Chemie und weitere Wissenschaften sagen. Was bedeutet dies dann erst für den so genannten ‚gesunden Menschenverstand’? Wie sollen wir uns hierbei fühlen?

    Infolge dieser Überforderungen muss der Mensch „ständig Teilmisserfolge und nicht wenige Enttäuschungen einstecken, er schwankt ratlos zwischen maßlosem Hochmut und einer Mutlosigkeit, die leicht in Verzweiflung ausartet, hin und her, so Gabriel Marcel. Bisweilen werden dann „Lösungen im Irrationalen gesucht. Die Situation erinnert in ihren Grundzügen an die Auflösungserscheinungen des Hellenismus. Die rationalen Lehren eines Pythagoras und Platon wurden mit Erlösungsreligionen des Ostens in ganz ungriechischer Art und Weise zu einem Neupythagoräismus, Neuplatonismus verknüpft. Dämonen, Astralmythologie, Astrologie fanden Eingang in ein mystisches Weltbild.

    Doch weder die Flucht in irgendeine Esoterik noch diejenige in eine angeblich bessere „gute alte Zeit sind empfehlenswerte Ratgeber! „Dann müsste man schon konsequent sein: dann kein Penicillin, keine Blitzableiter, keine Brille, …, sterben an jeder Blinddarmentzündung, weil Schicksal, dann auch keine Glühbirne … , sagt Max Frisch. Den Bauernhof aus der Fernsehserie – im Stall zwei Schweine, eine Kuh auf der Weide, ein Pferd für die Tochter und die Oma liest den Enkeln am

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