Chaussee der Enthusiasten: Straße ins Glück
By Kirsten Fuchs, Jochen Schmidt, Andreas Kampa and
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Book preview
Chaussee der Enthusiasten - Kirsten Fuchs
Volker Strübing
Straße ins Glück
An der Autobahn ins Glück
hielt ein Tramper den Daumen raus
es regnete und es war kalt
der junge Tramper sah traurig aus
Langsam nur kam er voran
doch er erwartete längst nicht mehr
denn er wusste, auf dieser Straße
haben es Trittbrettfahrer schwer …
Straße ins Glück
Autobahn der Hoffnung
Nimm mich ein Stück mit
Richtung Glück ein kleines Stück
An ihm vorbei fuhr ein Reisebus
voll mit Rentnern, fünfzig Stück
für 9,90 Euro ein Kaffeeservice
und ein Tagesausflug ins Glück
Die meisten Rentner schliefen, doch
bald schon würde man sie wecken
die nächste Abfahrt nahm der Bus
statt Glück gab’s teure Rheumadecken …
Straße ins Glück
Autobahn der Hoffnung
Nimm mich ein Stück mit
Richtung Glück ein kleines Stück
Siehst du die Leute in ihren Autos
wie sie sich ans Lenkrad kralln
sie rasen verbissen bis sie schließlich
auf einem Rastplatz dem Alkohol verfalln!
Straße ins Glück
Autobahn der Hoffnung
Nimm mich ein Stück mit
Richtung Glück ein kleines Stück
Noch immer stand zitternd der Tramper im Regen
plötzlich hielt ein Auto an
und eine nette Frau frug ihn:
»Wo soll´s denn hingehn, junger Mann?«
»Ach, einfach die Straße runter, die Autobahn in Richtung Glück!«
»Na sowas! Das ist auch meine Richtung. Steig ein, ich lass dich hier nicht zurück!«
Dankend stieg der Tramper ein: »Ich steh hier schon seit sieben Jahren. Die meisten sitzen allein im Auto und schrein mich an, ich soll selber fahren!«
»Ja, das glaube ich dir gern. Viele Menschen sind so dumm. Doch sie werden ihr Ziel niemals erreichen, die Straße ins Glück führt im Kreis herum!«
Sie parkte den Wagen am Straßenrand
sie küsste den Jungen und bald kam ein Kind
noch immer sind die beiden glücklich
wenn sie nicht gestorben sind …
Straße ins Glück
Autobahn der Hoffnung
Nimm mich ein Stück mit
Richtung Glück ein kleines Stück
Jochen Schmidt
Zehn Minuten Zeit
Endlich hatte ich meinen neuen Roman fertig, und weil ich mich so damit beeilt hatte, blieben mir nach fünf Jahren Arbeit bis zu meinem nächsten Termin noch zehn Minuten Zeit. Zehn schwer verdiente Minuten, die ich zur freien Gestaltung hatte, für ein Arbeitstier wie mich ein unschätzbarer Luxus. Wie die leeren Seiten am Ende vom Kalender, mit Platz für eigene Notizen, eine der wenigen Gelegenheiten, die einem das Leben bietet, sich auszutoben. Das Buch meines Lebens enthielt an dieser Stelle sozusagen zehn Seiten, die ich nach Belieben füllen konnte. Das musste gut überlegt sein, wer wusste, wann ich das nächste Mal zehn Minuten Zeit haben würde, erfahrungsgemäß erst in ein paar Jahren.
Sollte ich etwas lesen? Aber für die meisten Bücher waren zehn Minuten zu kurz. Es gab kaum Romane für hart arbeitende Menschen und fast gar keinen, für den man nur zehn Minuten brauchte. Also ein Buch, das ich schon kannte? Wenn ich schon wusste, was passierte, brauchte ich das Buch beim Lesen ja nur durchzublättern, ich konnte mir sogar Zeit lassen damit und doch nach zehn Minuten fertig sein. Aber welches von den Büchern, die ich schon kannte, sollte ich durchblättern? Viel Zeit blieb mir nicht für die Entscheidung, sonst würde die Zeit nicht mehr zum Durchblättern reichen. Und wenn ich die zehn Minuten nutzte, mir eines rauszusuchen und es dann gleich wieder ins Regal zu stellen? Das wäre so etwas wie eine Tautologie, nur auf der Ebene der Handlungen. Man tut etwas, ohne dass sich dadurch etwas verändert in der Welt. Als würde mein Körper nach einem langen Leben einfach wieder zu Staub zerfallen, völlig sinnlos. Aber lebte ich nicht sowieso ziemlich tautologisch? Ich bemühte mich z.B. immer, in meinen Hotelzimmern keine Spuren zu hinterlassen. Außerdem waren es gar nicht mehr zehn Minuten, sondern, weil ich so lange gebummelt hatte, schon nur noch neun.
Neun Minuten reichten, damit eine Tasse Kaffee abkühlte. Die Chinesen hatten früher sogar eine Maßeinheit, die die Strecke bezeichnete, die ein Mann zurücklegen konnte, bevor sein Tee kühl genug war, um ihn zu trinken. Man konnte natürlich auch neun Minuten lang auf dem Kopf stehen, aber das wäre langweilig gewesen, weil ich das auch viel länger schaffte.
Weil ich wieder zu lange überlegt hatte, waren es schon nur noch acht Minuten und die reichten nicht für eine Tasse Kaffee. Ich musste etwas finden, das nur acht Minuten dauerte, möglichst genau acht Minuten, damit es nicht wie bei Kassetten war, wenn am Ende eine halbe Minute Band unbespielt blieb. Was habe ich mich immer bemüht, ein Lied zu finden, das genau passte! Es musste ja außerdem noch zufällig im Radio gespielt werden … Und wie glücklich war man, wenn auch der letzte Zentimeter Band genutzt worden war! Kompetenzen, für deren Erwerb man seine Jugend geopfert hatte und die heute von der Gesellschaft nicht mehr eingefordert wurden.
Sieben Minuten, wie die Zeit verging. Ich konnte versuchen, schnell Mittagsschlaf zu machen. Zwei Minuten zum Einschlafen, dann hätte ich noch fünf Minuten Schlaf, was genau ausreichte. Aber ich hatte heute schon Mittagsschlaf gemacht, das war also voreilig gewesen. In sieben Minuten konnte ich zur Kaufhalle rennen, einen leeren Korb an der Kasse vorbeischieben und wieder zurückrennen. Ich konnte auch 35 Mal vom höchsten Gebäude der Welt springen. Oder einen Saunagang machen. Aber was nützte ein einzelner Saunagang?
Und für die empfohlenen drei waren sechs Minuten zu wenig. Die reichten gerade mal, den Computer hochzufahren. Aber war das wirklich, worauf ich jetzt Lust hatte? Außerdem machte der Computer das von alleine, ich konnte also in der Zeit, in der er hochfuhr, auch noch etwas zweites tun, womit ich wieder vor dem gleichen Problem stände. Sechs Minuten, die für immer verloren sein würden, wenn mir nicht bald etwas einfiele. Diese Unsicherheit machte mich noch verrückt. Hätte ich doch mit meinem Roman sechs Minuten später angefangen, dann müsste ich mir jetzt nicht den Kopf zerbrechen. Kein Wunder, dass ich so viel arbeitete, wenn ich nicht einmal wusste, was ich mit sechs freien Minuten anfangen sollte! Zum Leben zu wenig, zum Sterben zuviel. Ja, macht nur, Minuten, dachte ich, verschwindet! Ich werde euch keine Träne nachweinen! Da, schon wieder eine weg. Zeit, du treulose Tomate!
Fünf Minuten hatte ich nun schon nachgedacht, was ich machen könnte und fünf Minuten blieben für das zu machende: Bergfest. Würde der Rest noch für einen Spaziergang reichen? Es hatte doch niemand festgelegt, wie lange ein Spaziergang dauern musste, um sich von einem einfachen Die-Füße-Vertreten zu unterscheiden. Aber fünf Minuten waren sicher zu wenig, da bekam man ja im Gefängnis mehr Zeit für den Hofgang! Für eine Zigarettenpause wären fünf Minuten natürlich ideal bemessen gewesen, aber ich rauchte ja gar nicht. Ich konnte mir ein Frühstücksei kochen. Aber am Abend? Außerdem, wie sähe das aus? »Den Abschluss seines Opus magnum feierte der Autor mit einem Frühstücksei.«
Vier Minuten, das machte mich alles depressiv. Ich war wie gelähmt. Einerseits rannte die Zeit, andererseits schien sie mich mit ihrer Anwesenheit quälen zu wollen. Ich starrte auf die Uhr, wann würde dieser Wahnsinn ein Ende haben?
Drei Minuten, der ideale Zeitraum, um sich vorschriftsmäßig die Zähne zu putzen. Das konnte ich tatsächlich tun. Aber vielleicht fiel mir noch etwas Besseres ein, Zähne putzte ich ja sowieso jeden Tag. Ich konnte doch mal was ganz Ausgefallenes machen, zwar hatte ich nur drei Minuten, aber mit ein bisschen Phantasie war das eine halbe Ewigkeit. Drei Minuten reichten, um eine Methode zu entdecken, Volumen beliebiger Körper mit Wasser zu messen, dazu benötigte man nur eine Badewanne. Oder man startete 18 Mal hintereinander mit einer Rakete zum Mond.
Zwei Minuten. So lange konnten manche die Luft anhalten. Ich konnte das nur eine Minute. Das hatte ich früher in der Schule immer geübt. Deshalb hatte ich auf die Fragen der Lehrer oft nicht antworten können, weil ich mich mitten in einem Rekordversuch befand. Ich konnte ja zweimal hintereinander eine Minute die Luft anhalten. Aber das wäre doch langweilig, immer dasselbe zu machen, dazu war das Leben nun wirklich zu kurz.
Eine Minute reichte allerdings genau aus, um einmal die Luft anzuhalten … pfff …, ich hatte ganz schön abgebaut. Da blieben mir ja immer noch zehn Sekunden, reichlich Zeit für einen Weltrekord im 100-Meter-Sprint der Frauen. Aber für Männer keine wirkliche Herausforderung. Außerdem war mein Sportzeug in der Wäsche. Wenn ich mich beeilte, konnte ich aber noch ein Vaterunser beten. Aber wenn ich es nicht bis zum Ende schaffte, wie würde das klingen? »… und vergib uns unsere Schuld, und führe uns nicht …«
Immerhin noch sechs Nanosekunden. Wenn ich ein Element wäre, sagen wir das 2006 entdeckte Ununpentium, würde diese Zeit reichen, um mich von einem Teilchenphysiker photographieren zu lassen und wieder zu zerfallen. Und wenn ich das Universum wäre, dann könnte ich in den 10 hoch -43 Sekunden, die mir jetzt noch bis zu meinem nächsten Termin blieben, einmal entstehen. So lange dauerte die Planck-Ära, und Aussagen über noch kürzere Zeiträume waren laut Relativitätstheorie sinnlos.
Gott sei Dank, die Zeit war um, mir blieben nur noch null Sekunden, das war genauso viel wie null Jahre, klang aber viel weniger. Lange nicht mehr solchen Stress gehabt. Ich hoffe, ich habe nie wieder Zeit im Leben.
Robert Naumann
Wie ich mal dachte, meine Tochter sei verrückt
Wir verstehen uns nicht mehr, meine Tochter Marie und ich. Seit sie ihre Zahnspange trägt, kann ich mit meinem kümmerlichen Restgehör nur noch erahnen, was sie da mühsam zwischen den Zahnspangen-klammern herausnuschelt. Unseren Gesprächen gibt das allerdings einen gewissen Pep, da wir nie wissen, in welche Richtung sie sich entwickeln werden und oft keine Ahnung haben, wovon der andere gerade redet. Neulich zum Beispiel.
»Papa, wäre es okay für dich, wenn ich ein Emu wäre? Ich versprech dir auch, mich nicht zu ritzen«, hörte ich Marie sagen.
Noch nie in meinem Leben hatte ich derart nebulöse, rätselhafte und geheimnisumwitterte Sätze vernommen. Ich starrte meine Tochter an. Sie sah aus, als erwartete sie eine ernsthafte Antwort von mir. Ich musste ruhig bleiben. Sie war eindeutig verrückt geworden oder stand unter Drogen. Aber selbst wenn sie das war: dieser Wunsch, ein straußenähnlicher Laufvogel sein zu wollen, der sich nicht ritzt, erschien mir selbst für die Kombination drogensüchtige Irre immer noch reichlich absurd.
Egal, ich musste sehr behutsam mit ihr umgehen. Wie allen Verrückten war ihr selbst natürlich nicht bewusst, dass sie nicht mehr alle Waffeln im Eisen hatte. Ich musste auf ihre Wünsche eingehen, sonst wurde sie vielleicht gefährlich. Ihre Augen zumindest ähnelten denen des geistig umnachteten Friedrich Nietzsche im Endstadium seines Wahnsinns.
»Was hältst du denn von einem Schmetterling?«, fragte ich vorsichtig. »Oder wenn es unbedingt ein großer Vogel sein muss, dann vielleicht ein Storch oder ein Adler? Als Emu müsstest du nämlich nach Australien ziehen, und dann könnte Papa nicht mitkommen.«
Wie die meisten Verrückten glaubte sie offenbar nicht nur, sie selbst sei völlig gesund, sondern darüber hinaus, dass alle anderen bekloppt waren. Zumindest schaute sie mich an, als wäre ich vollkommen übergeschnappt.
»Hä?«, fragte sie entgeistert, war aber offenbar nicht weiter an einem Dialog mit mir interessiert und machte auf dem Absatz kehrt.
Da sie sich in der Folge meist recht unauffällig benahm, soweit man das bei einem angehenden Teenager sagen kann, vergaß ich die Sache wieder. Bis sie mich dann eines Tages wieder darauf ansprach:
»Papa, findest du, dass ich wie ein Emu aussehe?«
Die Situation war mehr als heikel. Sie sah natürlich nicht aus wie ein Emu. Aber da sie ja einer sein wollte, könnte es sie verletzen, wenn ich ihr die Wahrheit sagte. Und dann, ich wagte gar nicht daran zu denken, würde sie sich aus Kummer vielleicht doch ritzen. Aber ich beschloss, alles auf eine Karte zu setzen und sie mit der Wirklichkeit zu konfrontieren:
»Marie, du bist kein Emu, siehst nicht aus wie ein Emu und wirst nie ein Emu