Kommissar Platow, Band 10: Abrechnung in Bankfurt: Kriminalroman
By Martin Olden
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Alle Bände der Serie: Band 1 "Sieben Schüsse im Stadtwald", Band 2 "Das Grab am Kapellenberg", Band 3 "Endstation Hauptwache", Band 4 "Der Westend-Würger", Band 5 "Blutnacht im Brentanopark", Band 6 "Frau Wirtins letzter Gast", Band 7 "Geiselnahme in der Goethestraße", Band 8 "Der Rächer aus der Römerstadt", Band 9 "Geschändet am Frankfurter Kreuz", Band 10 "Abrechnung in Bankfurt", Band 11 "Die Sünderin vom Schaumainkai", Band 12 "Das Phantom aus dem Palmengarten", Band 13: "Zahltag auf der Zeil", Band 14 "Der Kerker im Kettenhofweg" und Band 15 "Letzte Ausfahrt Frankfurt-Süd"
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Kommissar Platow, Band 10 - Martin Olden
20
1
Freitag, 01. Juli 1977
Knochige Finger liebkosten den Lauf des 45er Colts. Ein seliges Lächeln lag auf dem Gesicht des weißhaarigen Mannes. Schwungvoll drehte er die Trommel in seiner Handfläche und erfreute sich an ihrem Schnarren. Es klang für ihn schöner als die Melodie von Silver Bird, die aus dem Kofferradio drang. In einer geübten Bewegung spannte er den Hahn. Das stählerne Klick-Geräusch jagte ihm einen Schauder der Erregung über den Rücken. Der „Peacemaker" war ein herrliches Stück! Samuel Colt hatte ihn im Jahre 1872 für die US-Armee entwickelt, ehe der Sechsschüsser durch Western-Legenden wie Buffalo Bill zu Weltruhm gelangt war. Bei diesem Modell stimmte einfach alles. Stolze 1050 Gramm Gewicht, 19 Zentimeter Lauflänge, robuste Verarbeitung, angenehme Handlage. Karlheinz Mertens stieß einen wohligen Seufzer aus. Gab es etwas Edleres auf der Welt als einen perfekt konstruierten Revolver? Nein, abgesehen von einem ebenso vortrefflich hergestellten Gewehr. Schon als Knirps hatte er seine Holzflinte lieber mit Politur bearbeitet, statt albernen Kriegsspielen nachzugehen wie die Buben aus der Nachbarschaft. Ein paar Jahre später war aus den Spielen blutiger Ernst geworden. Doch selbst die Schrecknisse, die er auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs erleben musste, hatten seine Begeisterung für Waffen jeglichen Kalibers nicht in Stücke sprengen können. In den Wirtschaftswunderjahren war es ihm geglückt, eine Lizenz als Händler zu erwerben. Sein Waffengeschäft im Frankfurter Westend genoss einen ausgezeichneten Ruf in der gesamten Bundesrepublik. Bei Mertens kauften die Sicherheitsdienste großer Firmen und sogar das Bundeskriminalamt. Interessenten empfing er nur nach Voranmeldung. Der Verkäufer strich noch einmal über den kühlen Stahl des Army-Colts, legte das Prachtexemplar auf die Ladentheke und schaute auf seine Armbanduhr. Kurz vor 17 Uhr. Gleich würde der letzte Kunde des Tages eintreffen. Sein Sohn Christian, ein stämmiger Mann von dreißig Jahren, kam fröhlich pfeifend aus dem Nebenraum und schwenkte die BILD-Zeitung.
„Hast du`s gelesen, Vater? Die schreiben, dass die Rote Armee Fraktion atomare Sprengkörper besitzt."
„Unsinn", murmelte Mertens.
„Klar ist das Blödsinn, aber gut für uns."
„Für uns? Weshalb?"
Mertens junior rief seinem alten Herrn die Ereignisse der vergangenen Monate ins Gedächtnis. Den Mord an Siegfried Buback, die Affäre um einen anonymen Autor mit dem Decknamen Mescalero, der in einer Göttinger Studentenzeitung seiner Freude über den Tod des Generalbundesanwalts Ausdruck verliehen hatte, sowie die nachfolgenden Ermittlungsverfahren gegen verdächtige Hochschullehrer. Die Besetzung der Peterskirche in Frankfurt durch fünfzig Demonstranten aus Protest gegen die Haftbedingungen der Terroristen. Und schließlich das Ende des StammheimProzesses. Der Kern der ersten RAF-Generation – Baader, Ensslin und Raspe – war wegen mehrfachen Mordes zu lebenslänglichen Freiheitsstrafen verurteilt worden.
„Ist mir bekannt, sagte Karlheinz Mertens. „Trotzdem begreife ich nicht, worauf du hinauswillst, mein Junge.
„Ich bin doch im Volksbildungsheim gewesen, gegenüber dem Eschenheimer Turm, wo die Baader-Meinhof-Anwälte Schily und Croissant am Tag nach der Urteilsverkündung zu den versammelten Linken gesprochen haben. Croissant hat gebrüllt wie Goebbels im Sportpalast und die Menge richtig aufgehetzt. Ich schwöre dir, uns steht ein heißer Herbst bevor. Überall im Land ist die Stimmung angespannt wie vor einem Bürgerkrieg. An jeder Ecke könnte es knallen. Die BILD schürt die Ängste der Leute zusätzlich mit ihren Horror-Geschichten. Davon können wir profitieren. Was meinst du, wie sehr in nächster Zeit die Nachfrage nach Schreckschuss-Pistolen steigen wird, weil sich der brave Bürger auf der Straße schützen will? Wir müssen unser Angebot in dem Segment auf jeden Fall vergrößern."
Karlheinz Mertens blickte ernst. „Schlimm, dass sich Menschen in diesem Land wieder fürchten. Daraus Kapital zu schlagen, halte ich für moralisch verwerflich. Waffen gehören nicht in die Hände von Personen, die sich unsicher fühlen."
„Mit Verlaub, Vater, deine Moralvorstellungen sind genauso altmodisch wie die Anzüge, die du trägst. Hast du dich in letzter Zeit mal in dem Laden umgesehen? Christians ausgebreitete Arme wiesen auf die Regale und Vitrinen, von denen die beiden Männer umgeben waren. „Wir verkaufen keine Bibeln, sondern Schießeisen! An Typen, die sich dadurch vorkommen als seien sie John Wayne! Also, ich hab nichts dagegen – solange sie zahlen! Weißt du, wie viele meiner Freunde mich schon angesprochen haben, ob ich ihnen nicht eine Knarre besorgen kann, ohne dass sie einen Waffenschein auf den Tisch legen müssen? Mann, welchen Profit wir aus diesen Möchtegern-Cowboys rausholen könnten – steuerfrei!
„Zunächst einmal ist der Begriff Schießeisen nicht die treffende Bezeichnung für unsere Ware", begann Mertens ruhig, wurde aber sofort von seinem Sohn unterbrochen.
„Mach dir doch nichts vor! Du kennst den Spitznamen unserer Branche. Sie nennen uns Händler des Todes."
„So? Zwischen Mertens` Eulenaugen erschien eine wütende Falte. „Nun, das mag auf manches schwarze Schaf in unserem Berufszweig zutreffen. Auf mich sicherlich nicht. Ich mache weder Geschäfte mit Schießwütigen noch mit Kriminellen. Meine Käufer sind rechtschaffene Menschen. Sie werden von mir geprüft, nicht allein hinsichtlich ihrer Liquidität. Auch ihr Charakter muss sie zum Besitz einer Waffe befähigen. Der Name Mertens steht seit fünfundzwanzig Jahren für Seriosität – so hat es zu bleiben.
Seine Stimme wurde schneidend. Er richtete seinen gertenschlanken Körper zu voller Größe auf. „Solltest du anderer Ansicht sein, werter Herr Sohn, werde ich meine Entscheidung überdenken, das Geschäft nach meinem Rückzug in deine Hände zu geben. Haben wir uns verstanden?"
Christian Mertens nickte ergeben. „Du wirst dich sowieso nie zurückziehen, nuschelte er und zupfte an seinem Kinnbart. Eine Geste der Verlegenheit. „War`s das? Dann mach ich mich auf die Socken. Bin mit Betty im Palmengarten verabredet. Mit der Reparatur der Büchse von Herrn Süß bin ich fast fertig, den Rest erledige ich morgen.
„Nein, deine Betty wird warten müssen, sagte der Weißhaarige streng. „Ich möchte, dass du die Ausbesserungen heute beendest. Herr Süß hat sich für morgen früh 9 Uhr angekündigt und erwartet pünktliche Lieferung. Ich habe gleich noch einen Termin. Danach können wir gemeinsam aufbrechen.
Seine Anweisung duldete keinen Widerspruch. Christian trollte sich in die Werkstatt.
Kurz darauf klopfte es an der verschlossenen Ladentür. Ein schnauzbärtiger Mann in einem dunklen Anzug bat um Einlass. In der Hand trug er einen Aktenkoffer. Bei seinem letzten Besuch hatte er sich als Doktor Vornhoff, Sicherheitsbeauftragter der Dresdner Bank, vorgestellt. Mertens senior begrüßte ihn herzlich.
„Herr Doktor, schön Sie wiederzusehen. Ich habe das gute Stück schon für Sie bereit gelegt."
„Wunderbar! Auf Sie ist Verlass."
Mertens wollte den Käufer zur Theke führen, um ihm den bestellten Army-Colt zu präsentieren, als es erneut an der Tür klopfte.
„Oh, das ist ein Kollege von mir, sagte Vornhoff. „Ich habe ihm so sehr von Ihrem Geschäft vorgeschwärmt, dass er selbst einen Blick hinein werfen möchte. Geht das in Ordnung?
Mertens nickte wohlwollend und ließ den zweiten Mann ein, der als Vornhoffs Zwillingsbruder hätte durchgehen können, wäre nicht die große Pilotenbrille auf seiner Nase gewesen. Er stellte sich mit dem Namen Horneff vor und begann die Auslage zu bewundern.
„Prächtig, Sie führen auch Flinten! Vielleicht finden wir etwas, womit wir unseren Vorstandsvorsitzenden, Herrn Ponto, überraschen können. Er ist passionierter Jäger, wissen Sie", fügte Horneff hinzu.
„Gerne. Was wir nicht vorrätig haben, kann ich bestellen", sagte der Waffenhändler. An der Wand hinter der Kasse ratterte der Fernschreiber, den er für 1000 Mark von der israelischen Fluglinie El Al gekauft hatte. Mertens drehte den Männern den Rücken zu, um rasch das Telex zu überfliegen. Zwei Sekunden später spürte er einen rasenden Schmerz. Wie ein Blitz breitete sich das Brennen von der Schädeldecke bis in die Fußspitzen aus. Ein Schwindelgefühl setzte ein. Seine Beine versagten den Dienst, knickten unter ihm weg. Mertens stürzte auf die Knie. Übelkeit überfiel ihn. Er japste nach Sauerstoff, unfähig zu begreifen, was plötzlich mit ihm geschah. Ein Schlaganfall? Ein Infarkt? Aus den Augenwinkeln sah er, dass sich Vornhoffs verschwommene Gestalt über ihn beugte. Der Doktor hielt einen klobigen Gegenstand in der Faust. Was war das? Mertens blinzelte. Ein Hammer?!? Unmöglich! Da traf ein zweiter Schlag seinen Hinterkopf. Blut quoll ihm aus den Ohren, rann über die Wangen bis in den halb geöffneten Mund. Er wollte um Hilfe schreien, seinen Sohn herbei rufen. Aber aus seiner Kehle drang nichts als ein erstickter Laut. Vornhoff holte ein drittes Mal mit dem Hammer aus. Karlheinz Mertens taumelte in einen schwarzen Tunnel …
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Zur gleichen Zeit im Taunus
Bei strahlend schönem Wetter wanderte ich über einen Waldpfad in Glashütten. Neben mir ging mein Chef Hans Söhnlein, genannt Mister Brillant. Wir hatten unsere Anzüge und Krawatten gegen Kniebundhosen und kurzärmelige Hemden getauscht. Beim heiteren Beruferaten wäre niemandem eingefallen, dass wir Beamte der Kriminalpolizei waren. Sein Boxer Aguirre und meine Hovawart-Hündin Abba liefen ein Stück voraus. Die beiden spielten Fangen. Ich betrachtete den Stamm