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Infinitum Mobile: Philosophische Lektionen zur Gegenwart
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Infinitum Mobile: Philosophische Lektionen zur Gegenwart
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Infinitum Mobile: Philosophische Lektionen zur Gegenwart

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About this ebook

INFINITUM MOBILE.de ist ein Weblog, der im April 2015 online ging. Dort stellte Gerhard Stamer im Laufe zweier Jahre zehn 'Philosophische Lektionen zur Gegenwart' zur Diskussion. Dabei ging es ihm vor allem um die Erweiterung eines naturwissenschaftlich-materialistisch reduzierten Denkens - von Darwins Evolutionstheorie über Marx bis zu Einstein und die moderne Hirnforschung.
Das Buch gibt den Diskussionsstand zum Juli 2017 wieder.
LanguageDeutsch
Release dateSep 19, 2017
ISBN9783744849463
Infinitum Mobile: Philosophische Lektionen zur Gegenwart
Author

Gerhard Stamer

Von 1964 bis 1968 studierte Gerhard Stamer an der Universität Frankfurt/Main bei Theodor W. Adorno, brach dann ein Dissertationsprojekt bei Jürgen Habermas ab. Es folgte 1969 ein Auslandsaufenthalt in Paris. Von 1971 bis 1978 war er als Schiffbauer auf der Werft Blohm und Voß tätig. 1984 beendete er sein Studium in Hannover bei Oskar Negt mit einer Dissertation über Erkenntnistheorie und Arbeiterbewegung. 1994 gründete er REFLEX, das Institut für Praktische Philosophie in Hannover. Stamer entfaltete in diesem Institut ein Spektrum weit gespannter Aktivitäten von regelmäßigen Kursen über öffentliche Vorträge, Rundfunksendungen, Kommentaren in Internetforen, Publikationen, Studienreisen und Tagungen. 2003 rief er die Stiftung Philosophie zur Zeit ins Leben und war Initiator des Leibniz-Tags, der von 2006 bis 2009 jährlich zum Geburtstag von Gottfried Wilhelm Leibniz in Hannover am 1. Juli begangen wurde. Von 2003 bis 2006 war er Vizevorsitzender der Internationalen Gesellschaft für Philosophische Praxis. Seit 2010 ist er Lehrbeauftragter an der Universität Bamberg.

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    Infinitum Mobile - Gerhard Stamer

    geben.

    GERHARD STAMER

    WARUM DARWINS EVOLUTIONSTHEORIE RICHTIG IST UND SIE DIE WELT DOCH NICHT ERKLÄREN KANN

    Darwins Evolutionstheorie hat paradigmatische Bedeutung für die Moderne. Was Darwin auf die Entstehung der Arten bezog, die Evolution, gewann Anerkennung als grundlegendes Prinzip der Wissenschaften und als Weltbild in der breiten Öffentlichkeit. Unter evolutionären Gesichtspunkten ließen sich Natur, Gesellschaft und Kultur realistisch erschließen. Auch die Dynamik der technischen Entwicklungen in den beiden vergangenen Jahrhunderten fand in der Theorie der Evolution ihren angemessenen Ausdruck.

    Evolution wurde zum Kernstück der Aufklärung. Aus der epochalen Negation der christlichen Schöpfungsgeschichte bezog sie ihre provokative Energie. Die Welt ist nicht in sechs Tagen geschaffen worden, sondern in einer schwer überschaubaren langen Zeitspanne. Und die Menschen sind Wesen der Natur wie alle anderen Lebewesen. Die Welt ist nicht die Schöpfung Gottes gewissermaßen aus einem Guss, sondern eine Reihe von Zufällen. Alle Entwicklung hat keinen Sinn, der dahinter steht, sondern ist Anpassung an äußere Umstände. Der Kampf ums Dasein wird die Alternative zur Moral. Nichts Geistiges wirkt in dem Zusammenhang. Den „Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen" macht Friedrich Engels zum Thema. Darwin gehört wie Engels und Nietzsche, der den Tod Gottes verkündet, zur selben Zeitströmung.

    Der evolutionäre Naturalismus, wie ihn Darwin entwickelte, hat einen einfachen Mechanismus der Selektion, der sich unzählige Male vollzieht: Es bildet sich eine übergroße Population, wie sie Malthus als Gesetz beschrieben hat, dadurch kommt es wegen begrenzter Ressourcen unausweichlich zum „Kampf ums Dasein und zur „natürlichen Zuchtwahl, was zur Veränderung der Erbanlagen in den Individuen führt, woraus die Fittesten als Sieger hervorgehen.

    Unverkennbar ist die Abfolge ein mechanischer Prozess. Bis zu der Kuriosität der gegenwärtigen Kreationisten hat es seit ihrem Bestehen stets Kritik an der Evolutionstheorie Darwins gegeben. Aber die Kritik war nicht nur reaktionär. Sie wandte sich in ihren prägnantesten Formen nicht gegen die Theorie der Evolution selbst, sondern gegen deren reduktive materialistische Deutung unter den Erben Darwins.

    Die gegenwärtige Diskussion der Evolutionstheorie kann an den Erkenntnissen der Autopoiesis von Maturana und Varela, der Selbstreferenzialität von Luhmann, der Selbstorganisation von Prigogine und Isabelle Stengers, der Synergetik Hermann Hakens und auch der Teleologie, wie sie Thomas Nagel in seinem neuesten Buch „Geist und Kosmos" vertritt, nicht vorbeigehen; wobei frühere naturphilosophische Erkenntnisse wie die von Schelling oder Kant gar nicht herangezogen werden.

    Grundsätzlich muss unter Einbeziehung dieser Theoreme Evolution unter vier Gesichtspunkten betrachtet werden:

    Die Wechselwirkung jedes lebendigen Wesens mit seiner Umwelt, wozu die Faktoren gehören, die Darwin hervorhebt.

    Die Selbstorganisation als Prinzip des Lebendigen.

    Das Telos, das in der Entwicklung sich realisiert.

    Die Evolution der Natur als ganzer, d.h. als komplexer, organischer Zusammenhang.

    Natur und Evolution können nur unter Einbeziehung dieser vier Prinzipien begriffen werden. Die Evolutionstheorie, die nur die äußeren Einflüsse und Bedingungen berücksichtigt, ignoriert die Selbstorganisation, die das Lebendige ausmacht. Sie kommt nicht zum Begriff des Lebens. Es bleibt im Verständnis bei einem mechanischen Prozess. Die Exemplare der Arten reagieren dann in der Weise eines physikalischen Biologismus.

    Lebendige Systeme wie Individuen besitzen eine bildende Kraft. Leben ist kreativ, bringt etwas hervor, sich selbst im Wachstum, andere Exemplare seiner Art durch Fortpflanzung. Das geschieht nicht automatisch, sondern durch spontane Fähigkeiten, die den lebendigen Wesen eigen sind. Das Verhältnis zur Umwelt regulieren Formen selbstorganisierter Wechselwirkung. Auch wenn z.B. der Keim einer Buche, aus dem sich normalerweise eine Buche entwickelt und kein anderer Baum, einen Sprung zu einer anderen Art aufgrund von veränderten Bedingungen machen sollte, es wäre eine kreative Leistung des Keims und kein physikalischer Vorgang wie bei einer Energieübertragung von einer rollenden Kugel auf einen ruhenden Gegenstand.

    Aber weder Wechselwirkung noch Selbstorganisation können die Evolution des Lebendigen vollständig erklären. Evolution ist keine Ausbreitung auf einer Ebene, sondern besitzt ihren Sinn durch eine fortlaufende Entwicklung vom Einzeller bis zum Menschen. Kennzeichnend für diese ganze Entwicklung ist die zunehmende Differenzierung und Komplexität der sich bildenden Arten. Nach einer solch langen Reihe evolutionärer Schritte im Übergang von einer Art zur anderen, in welcher sich die kognitive Entwicklung als durchgehendes Prinzip erwiesen hat, d.h. millionenhaft bestätigt wurde, kann von Richtungslosigkeit nicht die Rede sein. Die sukzessive Herausbildung höher entwickelter kognitiver Arten ist nicht von der Hand zu weisen. Nur ein materialistischer Dogmatismus kann die Teleologie des gesamten Prozesses leugnen. Hilflos verschanzt er sich in Bezug auf die unzähligen wirklichen Entwicklungsschritte hinter dem Zufall. Aber Zufall ist nicht die objektive Vorgehensweise der Natur, sondern das unbeabsichtigte Zugeständnis der Erklärungslosigkeit von Wissenschaftlern, d.h. das Gegenteil von Wissenschaft.

    Die Natur ist kein offenes System in dem Sinne, dass sie sich in alle möglichen Richtungen hin hätte entwickeln können. Unter der Voraussetzung hätte es gar keine Evolution der Arten in einem fortschreitenden Sinne gegeben. Der Begriff der Arten beinhaltet Vervollkommnung unter bestimmten Kriterien, nicht nur die Erhaltung und Ausbreitung des Status quo. Die kognitiv entwickelteren Arten sind durchaus nicht dadurch zu kennzeichnen, dass sie lebensfähiger sind. Es hätte bei Bakterien oder etwas später bei Ratten bleiben können. Aber es konnte nicht bei ihnen bleiben, weil deren Entwicklung auf diesem Planeten in der Entwicklung der ganzen Natur eingebettet ist. Es handelt sich um einen komplexen Prozess, in welchem sich die Veränderung von einem Faktor, einer Spezies, einem geologischen Vorgang, einem kosmischen Geschehen unmittelbar auf alle – zumindest sehr viele – Bereiche der Natur auswirkt. Keine Art entwickelt sich allein. Die Entwicklung der Arten ist kein linearer Vorgang, der nur im Kontext einer Spezies stattfindet. Die Natur ist ein organisches Gefüge, und entsprechend ist ihre dynamische Evolution.

    Und um abschließend auf die Behauptung des Titels zurückzukommen: Eine Theorie der Evolution kann die Natur nur erklären, wenn sie alle genannten Prinzipien in ihre Erklärungen einbezieht. Bleibt sie bei der mechanistischen Deutung stehen, begreift sie weder Natur noch Leben – geschweige denn die Welt – und ist eine materialistische Ideologie, die nur so lange besteht wie das materialistische Paradigma in der Wissenschaft herrscht.

    GEORG TOEPFER

    Sehr geehrter Herr Stamer, ich habe schon einige Schwierigkeiten mit Ihrem Text. In ihm verbinden sich aus meiner Sicht viele richtige Punkte mit einigen problematischen, die wohl nur in längeren Diskussionen zu klären wären.

    Auf die Schnelle nur so viel: Ich habe Schwierigkeit mit der Behauptung, die evolutionäre Abfolge, wie sie in der Theorie Darwins beschrieben ist, sei ein mechanischer Prozess. Was soll das genau heißen? Die Theorie bezieht sich ja auf Populationen von Entitäten, auf Wahrscheinlichkeiten, Reproduktionsfrequenzen, Anpassung, Fitness usw. Alles Konzepte, die nicht mechanisch im eigentlichen Sinne sind.

    Manche Ihrer Beschreibungen sind für mein Verständnis suggestiv, ohne aber klar Stellung zu beziehen. Ich weiß nicht genau, was es heißen soll und inwiefern das der Synthetischen Theorie der Evolution widersprechen soll, wenn Sie schreiben: „Lebendige Systeme wie Individuen besitzen eine bildende Kraft. Leben ist kreativ, bringt etwas hervor, sich selbst im Wachstum, andere Exemplare seiner Art durch Fortpflanzung. Das geschieht nicht automatisch, sondern durch spontane Fähigkeiten, die den lebendigen Wesen eigen sind." So wie ich es verstehe, würde dem kein Biologe widersprechen, auch nicht ein Evolutonsbiologe.

    Auch dass die Entwicklung „eine kreative Leistung des Keims sei, kann man sagen. Daraus folgt aber nicht unbedingt, dass dies „kein physikalischer Vorgang ist. Die Physik ist sicher nicht hinreichend, um diese Prozesse adäquat zu beschreiben. Das Ganze bleibt damit aber natürlich ein physischer Vorgang (wenn auch kein physikalischer – worin der genaue Unterschied liegt, müsste herausgearbeitet werden).

    Zu fragen ist auch, was es heißen soll, eine Theorie solle die „Evolution des Lebendigen vollständig erklären". Soviel wir wissen, schließt dieser Prozess Zufälle und Kontingenzen ein – so wie die menschliche Geschichte. Der Verlauf der Evolution und der Geschichte kann von keiner Theorie vollständig erklärt werden. Theorien können einen begrifflichen Rahmen entfalten und Argumentationsmuster bereitstellen, die im Einzelfall angewandt werden können – und das tut die Evolutionstheorie sehr erfolgreich. Es wäre im Einzelfall zu prüfen, welche Alternativtheorie in Frage kommt und inwiefern sie mehr erklären kann.

    Sie gehen außerdem von einer „Teleologie des gesamten Prozesses" aus. Ich halte es für einen Fortschritt, dass sich die meisten Biologen von dieser Vorstellung verabschiedet haben. Ein Fortschritt im Sinne einer Entwicklung zunehmender Komplexität ist ja auch nur in einigen Abstammungslinien zu beobachten. Die vielen einfach gebauten Lebewesen (besonders die Bakterien) existieren immer noch, und sie machen die überwältigende Mehrheit aus, in jeder Hinsicht. In einem quantitativ dominanten Bereich ist der Verlauf der Evolution keine Höherentwicklung, sondern eine Differenzierung auf einfachem Komplexitätsniveau.

    Zu klären wäre außerdem natürlich, was Sie unter Teleologie verstehen wollen. Wie ich überhaupt bei einigen ihrer zentralen Konzepte (wie Kreativität, bildende Kraft, mechanischer Prozess, Leben) nicht weiß, was Sie genau damit meinen, und gegen was sie diese abgrenzen wollen.

    Ich hoffe, ich nehme Ihnen mit meinen Bemerkungen nicht den Schwung für Ihr schönes Unternehmen. Ich wollte Ihnen einfach nur ein paar spontane Bedenken mitteilen, die mir bei der Lektüre Ihres Textes kamen.

    Viele Grüße, Georg Toepfer

    GERHARD STAMER

    Sehr geehrter Herr Toepfer, Zustimmung ist mir natürlich lieber, aber Widerspruch ist einfach weiterführend. Insofern möchte ich mich bei Ihnen für Ihre spontane Antwort bedanken, auch dass Sie unser Projekt in lebenswissen.org aufgenommen haben.

    Gerade komme ich von einem Lehrauftrag in Bamberg zurück – ich sitze noch im Zug – und habe den Eindruck, dass es sich bei unseren Differenzen um einen Wettstreit der Fakultäten handelt. Aber den wollen wir nicht führen, denn es geht ja in meinem Projekt – wie sagt man heute so schön? – um ein interdisziplinäres Anliegen, besser sogar, um eines, das Disziplinen transzendiert und Menschen miteinander in Verbindung bringt. Ich bin mir noch nicht sicher, ob es klappt, aber es ist jedenfalls einen Versuch wert.

    Mein Seminarthema in Bamberg war nun zufällig die Teleologie, die Kant in dem zweiten Teil seiner Kritik der Urteilskraft behandelt. Und meine Überzeugungen sind ohne Frage nicht frei von dieser Lektüre, auch nicht von der Schellings, der ja für die Naturphilosophie prominent ist. Aber entscheidend ist natürlich nicht der Bezug auf eine Tradition, woraus man irgend eine Autorität für seine Gedanken gewinnen möchte. Ich wollte nur sagen, dass ich mich gerade damit befasst habe.

    Ich möchte dann mit einem Satz beginnen, den Sie aus meinem Blog zitiert haben. „Lebendige Systeme wie Individuen besitzen eine bildende Kraft. Leben ist kreativ, bringt etwas hervor, sich selbst im Wachstum, andere Exemplare seiner Art durch Fortpflanzung. Das geschieht nicht automatisch, sondern durch spontane Fähigkeiten, die den lebendigen Wesen eigen sind." Und Sie fügen hinzu, dass dem auch kein Biologe widersprechen würde. Wenn das so ist, dann ist dieser Satz ein guter Ausgangspunkt, um ein konstruktives Gespräch einzuleiten. Die Differenz liegt dann im Verständnis des Satzes, besonders was unter „bildender Kraft zu verstehen ist. „Bildende Kraft im Innern der lebendigen Wesen wäre das, was den „Wahrscheinlichkeiten, Reproduktionsfrequenzen, Anpassung, Fitness usw.", die Sie zitieren, zugrunde liegt. Es ist ja nicht nur etwas, was mit den Naturwesen in der Realität geschieht, sondern sie sind es selbst, die dazu fähig sind, wahrscheinliche, nicht zuvor exakt berechenbare Entwicklungen zu vollziehen, sich zu reproduzieren, sich anzupassen und auch sich fit zu machen. Dazu ist ein inneres Vermögen nötig, das die Lebewesen durch sich selbst haben und das nicht von außen kommt, so viele Faktoren auch von außen hinzukommen mögen, die zu einer günstigen oder ungünstigen Entwicklung beitragen.

    Eine empirische Wissenschaft, die nur gelten lässt, was in Experimenten verifizierbar ist, kann für eine innere Kraft keinen Nachweis erbringen und kann einer solchen daher auch keine Existenz zusprechen. Zumeist wird so etwas wie die „bildende Kraft" auch gleich in die Theologie verwiesen. Aber wie zur Erfahrung nicht nur Gegenstände gehören, die erfahren werden, sondern auch ein Erkenntnisvermögen, das fähig ist, Erfahrungen zu machen, so ist auch hier anzunehmen, dass die Individuen eine Fähigkeit besitzen, um sich in der Welt, die sie umgibt, zu realisieren. Nur wenn eine solche Kraft – man kann auch von Fähigkeit sprechen – angenommen wird, kann sinnvoll von Kreativität des Lebendigen gesprochen werden. Wenn diese innere Fähigkeit nicht angenommen wird, kann man meines Erachtens von Lebendigkeit überhaupt nicht sprechen. Leben ist kreativ und das setzt eine innere Kompetenz voraus, auf äußere Faktoren nicht nur zu reagieren, sondern sie verarbeiten zu können. Es sind innere Kräfte, aus denen heraus Lebewesen sich reproduzieren, im Wachstum und auch in der Fortpflanzung. Ohne eine innere Kraft anzunehmen, ist jeder Prozess mechanisch, d.h. wird als biologischer doch verstanden wie ein physikalischer.

    Ich möchte zum nächsten Punkt übergehen, der mit dem bisher von mir Ausgeführten in enger Verbindung steht. Dass die Entwicklung eine kreative Leistung des Keims ist, dem stimmen Sie zu. Aber Sie meinen, daraus folge nicht unbedingt, dass dies kein physikalischer Vorgang sei, wie ich geschrieben hatte. Einschränkend fügen Sie hinzu, dass die Physik nicht hinreichend sei, um diese Prozesse adäquat zu beschreiben, dennoch aber bleibe das Ganze ein physischer Prozess. Ich nehme an, dass Sie davon ausgehen, wenn ich Sie richtig verstehe, dass die biologischen Prozesse nicht ausreichend beschrieben werden können durch die Physik, aber dass die biologische Beschreibung doch im Rahmen des Physischen bleibt. Also Sie konzedieren den Unterschied zwischen einer biologischen und einer physikalischen Beschreibung. Den aber tilgen Sie noch meiner Ansicht, wenn Sie das Prinzip der Kreativität des Lebendigen, die auf Selbstorganisation beruht, nicht gelten lassen. Es bleibt – wie Sie schreiben – ein physisches Phänomen, das seine Existenz in Raum und Zeit hat, was auch nicht bestritten werden soll. Aber was sich da in Raum und Zeit zuträgt, ist nicht zu verstehen ohne die Annahme eines eigenen inneren Vermögens der Lebewesen, einer eigenen Realisierungsfähigkeit der einzelnen Lebewesen. Mohrrüben können nicht, so gern es vielleicht manch ein Bauer auch wollte, mit den Händen von außen groß gezogen werden; dass sie groß werden, liegt an ihrer Fähigkeit und den Bedingungen der Sonne, des Wassers und einer Reihe anderer Faktoren, die sich zumeist in der Erde befinden und die von den Mohrrüben verarbeitet werden im Dienste ihres Wachstums.

    Der dritte Punkt, den Sie ansprechen, bezieht sich auf meine Ausführung, dass eine Theorie die „Evolution des Lebendigen vollständig erklären solle. Sie haben natürlich vollkommen recht, dass der „Verlauf der Evolution und der Geschichte „von keiner Theorie vollständig erklärt werden" kann. Das heisst aber nicht, dass der Verlauf nicht in Rechnung gestellt werden muss. Keine Entwicklung einer Spezies vollzieht sich allein, sondern ist in einen prozessualen Zusammenhang der gesamten Natur eingebettet. Die Entwicklung einer Spezies für sich gibt prinzipiell eine Beschreibung, die unrealistisch ist. Alle animalischen Lebewesen befinden sich z.B. in einer Nahrungskette und insgesamt in einer Biosphäre. Der begriffliche Rahmen, den Sie ansprechen, müsste erweitert werden, so dass die Bedingungen der Umwelt der einzelnen Lebewesen mit erfasst werden. Die Evolution vom Einzeller bis zum Menschen ist sicherlich als eine Entwicklung der Natur insgesamt anzusehen. Weil das empirisch nicht fassbar ist, ist es darum noch nicht wissenschaftlich falsifiziert.

    Sie weisen dann auf eine mögliche „Alternativtheorie „im Einzelfall hin. Ich denke, dass es keine Theorie für den Einzelfall gibt, dass die Evolutionstheorie auch nicht negiert werden soll, sondern mit wissenschaftlichen Erkenntnissen ergänzt werden sollte, wie ich es dargestellt habe, durch Anerkennung der Selbstorganisation, wie sie vor allem Prigogine und Maturana erarbeitet haben, dann aber auch durch die Teleologie, die Kant darstellte und die ihm die Anerkennung Goethes eintrug. Übrigens ist in der letzten Veröffentlichung von Thomas Nagel „Geist und Kosmos" die Teleologie in diesem Sinne eingefordert worden. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die heftige Debatte, die ein Essay des britischen Philosophen Galen Strawson entfachte (aus der Süddeutschen Zeitung, Feuilleton, 12.05.2015, „Irgendetwas ist

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