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Politik macht Ohmacht: Demokratie zwischen Rechtspopulismus und Linkskonservativismus
Politik macht Ohmacht: Demokratie zwischen Rechtspopulismus und Linkskonservativismus
Politik macht Ohmacht: Demokratie zwischen Rechtspopulismus und Linkskonservativismus
Ebook388 pages4 hours

Politik macht Ohmacht: Demokratie zwischen Rechtspopulismus und Linkskonservativismus

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Der Rechtspopulismus fordert die etablierte, konservativ gewendete Linke heraus. Dabei nutzt er Ideen, Konzepte und Taktiken, die die Linke ab den 1960er Jahren einsetzte, um die politische Macht zu erobern. Das vorliegende Buch analysiert die Scheingefechte der beiden Feinde der offenen Gesellschaft und legt Wert besonders darauf, auch die Vorgeschichte auszuleuchten, wie es zur Konstellation zwischen Rechtspopulismus und Linkskonservativismus gekommen ist.
LanguageDeutsch
Release dateSep 29, 2017
ISBN9783744892216
Politik macht Ohmacht: Demokratie zwischen Rechtspopulismus und Linkskonservativismus
Author

Stefan Blankertz

Stefan Blankertz, Wortmetz, Lyrik und Politik für Toleranz und gegen Gewalt.

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    Politik macht Ohmacht - Stefan Blankertz

    …«

    Vorab geklärt

    1

    Die Machtfrage. — »Je mächtiger der Staat, je politischer daher ein Land, um so weniger ist es geneigt, im Prinzip des Staates […] den Grund der sozialen Gebrechen zu suchen und ihr allgemeines Prinzip zu begreifen. Der politische Verstand ist eben politischer Verstand, weil er innerhalb der Schranken der Politik denkt. Je geschärfter, je lebendiger, desto unfähiger ist er zur Auffassung sozialer Gebrechen.« Karl Marx, 1844¹

    2

    Das vorliegende Buch ist ein Bericht aus meiner aktuellen Theoriewerkstatt. Ich bin damit befasst, drei Stränge der Theorie zusammenzuführen, die üblicherweise eher als getrennt, ja als gegensätzlich angesehen werden: Ludwig von Mises (1881-1973), Karl Marx (1818-1883), die mehr gemein haben, als Mises wahrhaben wollte und als Marxisten lieb ist,² sowie Kurt Lewin (1890-1947),³ dessen Ansätze ich für geeignet halte, im Bereich der Psychologie das Programm der Praxeologie nach Ludwig von Mises umzusetzen. Die leitenden Gedanken des Buches verweisen auf Murray Rothbards (1926-1995) posthum erschienenes grundlegendesWerk zur politischen Zeitgeschichte der USA, »The Betrayal of the American Right«.⁴ Als Rothbard 1964 mit dem Slogan »beyond left and right« die libertäre Bewegung aus der Taufe hob, gab es bei der linken und rechten Opposition gegen das zentristische Establishment Anknüpfungspunkte. Heute scheint mir die Wendung »weder links noch rechts« und schon gar nicht auf halber Strecke zwischen diesen nahezu identischen Polen des Etatismus weitaus zutreffender zu sein. Die Gedanken formulierte ich zuerst in meinen Kolumnen für »eigentümlich frei« sowie Vorträgen der letzten Jahre.

    3

    Null Engels der Freiheit. — Mitte des 19. Jahrhunderts hat die Bourgeoisie Europas sich in einem Akt politischer und ökonomischer Selbstvernichtung dem Staat überantwortet, von Karl Marx meisterhaft analysiert. Marxisten verbündeten sich, angeführt von dem »Realo« Friedrich Engels, mit den Staatssozialisten von Wilhelm Liebknecht.⁵ Aus der so entstandenen Sozialdemokratie gingen, wohlgemerkt, auch der Bolschewismus und Lenins »demokratischer [!] Zentralismus« hervor. Während die Liberalen im Bündnis mit den Konservativen sich im Besitz der Macht wähnten, standen die Anarchisten ohne Koalitionäre da, unterstützten dann ohne Begeisterung die (Staats-)Kommunisten, sogar noch nachdem die Bolschewisten sie in Russland in den Jahren 1917 bis 1922 liquidierten. Von Stalin 1936 in Spanien endgültig verraten, verloren sie sich in politischer Bedeutungslosigkeit. Wenn die Freiheit eine Zukunft hat, dann nicht im Verein mit dem Rechtspopulismus, für den der Abbau von Bürokratie dafür steht, dass er den Staat effizienter macht, also stärkt, sondern im Bund aus Anarchisten, Liberalen und Marxisten im Sinne des Anarchokapitalisten Karl Marx.⁶

    4

    Post coitum tristia: Anti-Kapitalisten sind täuschend echte Revolutionäre. Enttäuschend. — Fällt der Begriff Kapitalismus, beginnt ein Wortgeheul, in dessen Verlauf zahllose Beispiele der weltweiten Untaten von Staaten, staatlichen Armeen, staatlichen Geheimdiensten, staatlichen Institutionen, von staatlichen oder subventionierten und privilegierten Unternehmen wie etwa den Banken genannt werden, um das absolut Böse des Kapitalismus zu belegen. In der Umsetzung des Anti-Kapitalismus geht es dann regelmäßig darum, die türkischen Gemüsehändler per vorgehaltenen Maschinenpistolen dazu zu zwingen, ihren Angestellten den Mindestlohn zu zahlen oder den kriminellen Sumpf des Netzwerks von Nachbarschaftshilfe brachzulegen. Mit einem Verbot von Bargeld bekämpft man nicht die Rüstungskonzerne, die eh schon lange bargeldlos verkehren, sondern die Schwarzarbeit, die zahlreiche arme Familien ernährt. Stets und von Anfang an richtet Anti-Kapitalismus sich gegen die Armen, nicht gegen die Reichen. In der Ukraine hungern während des Holodomors 1931 nicht die Funktionäre. In Venezuela stehen 2017 nicht Erben von Hugo Chávez Schlange für eine Rolle Klopapier. Kein Randalierer bei einem Gxxl-Gipfel macht irgendwem mit Macht Kummer.

    5

    Apropos Venezuela. Sobald eine anti-kapitalistische Politik scheitert, macht man das »kapitalistische Ausland« hierfür haftbar. Augenscheinlich ist es erfolgreicher! Insofern das kapitalistische Ausland und der Weltmarkt selbst die anti-kapitalistischen Staaten aushungern können, die über viele Arbeitskräfte, fruchtbares Land und reiche Bodenschätze verfügen, ist es um die ökonomische und »verschwendungsfreie« Produktion in der Planwirtschaft des Anti-Kapitalismus schlecht bestellt. Die Versorgungsengpässe, die Anti-Kapitalisten dem Kapitalismus anlasten, haben sie selber produziert. ¿Hätten Anti-Kapitalisten recht, dass der Wohlstand sich von allein reproduziere, warum produzieren sie dann derartige Versorgungsengpässe? Der Kapitalist schafft sich ein wohlhabendes Umfeld, das ihn am besten gedeihen lässt. Der Anti-Kapitalist gedeiht am besten in der Armut, die er verschuldet. Anti-Kapitalismus wird im gleichen Maß populär, wie er stärker wird und mehr Menschen unter dem entmannten Markt leiden.

    6

    24. September 2017. — Im Westen nichts Neues. Mit Alternative, die keine ist, für Enttäuschtland … Exklusive Nichtwähler: Zweitstärkste Kraft, trotz beispielloser hate speech in sowohl den etablierten als auch den »alternativen« Medien. Stolze 24,4 Protzent (kaum weniger als die stärkste Partei).

    7

    Kein Spiel. — Das Spiel Monopoly versinnbildlicht perfekt den Anti-Kapitalismus: Es wird nichts produziert. Den Austausch erzwingen die Regeln gleichunwohl.

    I

    Unterwerfung unters Verhängnis

    1

    »Unterwerfung« lautet der Titel eines ebenso umstrittenen wie erfolgreichen Romans von Michel Houellebecq.⁷ Der Plot ist leicht skizziert: François, ein trostloser französischer Hochschullehrer, vegetiert zwischen wechselnden Affären mit Studentinnen des ersten Semesters, Suff und Lebensüberdruss vor sich hin. Außer François bleiben alle anderen Personen Randfiguren; selbst François – der Ich-Erzähler – zeigt wenig Kontur. Im Hintergrund seiner ausgedehnten Weltschmerz-Prosa zeichnet sich ab, dass Sozialisten und Linkskonservative den Präsidentschaftskandidaten von der Moslembruderschaft unterstützen. Nur auf diese Weise wäre zu verhindern, dass Marine LePen vom »Front National« die Wahl gewinne; und das gilt als der größte denkbare Schrecken. Sofort nach der Wahl treibt der neue Präsident, dem Wahlabkommen mit den Sozialisten und den Linkskonservativen Hohn sprechend, eine Islamisierung voran. Schlagartig ändert sich das soziale Klima, besonders augenfällig in der Bekleidung der Frauen. Die Hochschule, an der François lehrt, kaufen die Saudis auf. François wird von allen Lehrverpflichtungen entbunden, kriegt allerdings weiter sein Gehalt. Hinter der großzügigen Gewährung von Gehalt an freigestellte Dozenten vermutet er den Plan der neuen Machthaber, keinen Unmut unter den Akademikern hochkochen zu lassen. Am Ende dieses Romans erhält François durch den Rektor der Universität das Angebot, bei erheblich gesteigerten Bezügen wieder Professor zu werden, vorausgesetzt, er konvertiere zum Islam. Zuvor gehörte der Rektor den Identitären⁸ an und ist bereits zum Islam konvertiert, um sich im Amte zu halten. Der Roman endet offen, denn François stellt sich vor, wie sein Leben als Konvertit aussehen werde, alles in der Möglichkeitsform. Doch es findet sich kein triftiger Grund, warum er den Schritt zur Unterwerfung nicht tun sollte.

    Islam als Aphrodisiakum? — Houellebecqs Roman sei eine in ihrer Radikalität nicht zu überbietende »Kritik am Grundprinzip der westlichen Kultur« schrieb der »Spiegel«.⁹ Doch was bildet den Maßstab für Houellebecqs Kritik? Der Maßstab findet sich nicht in der mangelnden Wehrhaftigkeit gegenüber dem Bestreben nach Unterwerfung durch den Islam. Denn wenn dies der Maßstab der Kritik wäre, müsste das Grundprinzip der westlichen Kultur ja gerade als bewahrenswert gekennzeichnet und könnte bloß bedauert werden, dass eben die Kraft zur Bewahrung erlahmt sei.

    Ein solcher Maßstab jedoch lässt sich nicht aus dem Roman erschließen. Denn die Hauptfigur François lebt in einer Welt von größter äußerer und innerer Dürftigkeit; der Roman stellt François nicht als Ausnahme- oder Einzel-, vielmehr als Regelfall dar. Die westliche Freiheit, in der François lebt, genießt er nicht. Er und seine Kollegen beschäftigen sich mit gesellschaftlich belanglosen akademischen Fragen, die auch sie selber eher langweilen. Ihre Gehälter nehmen sie als gegeben, ohne erkennen zu geben, dass sie ihre ökonomisch privilegierte Position überhaupt wahrnehmen, geschweige denn schätzen. Auch fühlt sich keiner von ihnen zum Lehrer berufen. Die Beziehungen zu den Studentinnen prägt nicht ein pädagogischer Eros, sondern der sexuelle Überdruss und das lustlose Einerlei. Auch sekundären Lustgewinn wie etwa ein patriarchales Machtempfinden gegenüber Studentinnen oder Freude an dem gesellschaftlichen Status, ein Frauenheld zu sein, zieht jedenfalls François, soweit beschrieben, nicht aus seinen amourösen Abenteuern. Da fragt man sich doch, was ihn denn überhaupt antreibe. Ja mehr noch, vielfach wird wähnt, dass er eine Erektion habe. Wie mag das ohne Lust geschehen? Auf diese Frage bleibt der Autor uns die Antwort schuldig.¹⁰ Ich sehe nicht, woher François überhaupt sinnliche Energie beziehen kann. Als François nach seiner Beurlaubung von der Lehrtätigkeit keine Möglichkeit mehr hat, Beziehungen zu Studentinnen zu knüpfen, versucht er es mit Prostituierten. Irgendetwas muss ihm gefehlt haben.

    Erst die Machtergreifung durch die Islamisten bringt wieder Bewegung in die Bude. Wenn er das Angebot annähme, nach vollzogener Unterwerfung unter den Islam wieder ein hoch dotierter Hochschullehrer und ein Ehemann etlicher junger Frauen zu werden, dann wäre es »die Chance auf ein zweites Leben«, lautet der vorletzte Satz des Romans. »Ich hätte nichts zu bereuen«, der letzte.¹¹ Der, dessen Beziehungen zuvor als fast völlig wahllos beschrieben werden, macht im entscheidenden Gespräch mit dem Rektor der islamischen Universität darüber sich Sorgen, wie die Auswahl der zu Ehefrauen erklärten Gespielinnen von statten gehen möge, wo er doch die in Frage stehenden Frauen nur verhüllt zu Gesicht kriege. Die Frauen, nach der islamistischen Machtergreifung plötzlich devot geworden, wären »glücklich und stolz«, von ihm auserwählt worden zu sein, »sie wären es wert, geliebt zu werden. Und auch mir würde es gelingen, sie zu lieben.« Was will man mehr? Der Islam führt, buchstäblich über Nacht, wieder zu Leben, Lust und Liebe.

    Status und Geld erhalten auf ebenso mystische Weise ihren Glanz zurück. Nach seiner Beurlaubung begegnet François seinem früheren Kollegen Steve. Steve war wohl ein Linker, denn am Beginn des Romans warnte er François vor dem Universitätsrektor Rediger; er sei einer der »Identitären«. Jetzt erfährt François, dass Steve sich unterworfen habe. François fragt Steve, warum; denn auch ohne Konversion würden die vollen Bezüge doch weiter gezahlt. Steve aber rechnet François vor, dass er nun das dreifache in der Tasche habe. Der Autor hatte aber nicht berichtet, dass einer seiner Protagonisten materielle Wünsche hege, die er aus Geldmangel sich nicht erfüllen konnte. Beim Universitätsrektor, dem zum Islam konvertierten ehemaligen Identitären, liegt das materielle Motiv zwar weniger deutlich zu Tage; jedoch tritt es sicherlich hinzu zu dem Motiv, im Islam schließlich seine Identität und seine Heimat gefunden zu haben.

    Sogar ihre jeweiligen Themen können die Wissenschaftler nach der islamischen Wende ungehindert weiterverfolgen, sofern sie sich dem Islam unterwerfen. François findet inzwischen offenbar gewisse Lust an seinem Thema. Soweit er zu einer emotionalen Reaktion fähig ist, zeigt er sich erfreut, als er (noch vorm Angebot, nach vollzogener Unterwerfung wieder als Professor tätig sein zu können) den Auftrag erhält, eine wissenschaftliche Edition des Schriftstellers zu betreuen, mit dem er sich sein Leben lang beschäftigt hat, der ihm jedoch während der Zeit der noch intakten westlichen Kultur vorgeblich so wenig Befriedigung verschaffte.

    Nocheinmal: Was könnte Houellebecqs Maßstab der Kritik sein, wenn wir »Unterwerfung« nicht als eine Apologie des Islams, als eine insgeheim islamistische Utopie lesen wollen? Eine Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln in einer repressiven Religion käme in Frage, weil die westliche Kultur nichts als Dekadenz und Lebensüberdruss hervorbringe. Als Alternative für Frankreich stünde da der Katholizismus bereit. Dass dann unter dem Regime einer Zurückgekehrten christlichen Staatsreligion ein Buch wie das von Houellebecq, in welchem es von heute bloß noch kaum tabuisierten Worten wimmelt, der Zensur ebenso anheimfallen würde wie unter einem islamischen Regime, das versteht sich von selber.

    Oder ist »Unterwerfung« in der Tat eine islamische Utopie? Als völlig unrealistisch empfinde ich, dass die Islamisierung anscheinend sich ganz ohne jeden Widerstand vollzieht. Über Nacht fügen sich Frauen, ja offensichtlich alle Frauen in Frankreich den neuen Bekleidungsvorschriften, der Verhüllung, der Polygamie, dem Hinausdrängen aus Beruf und Alltag. Das ist allerdings das kleinere Mysterium am Ende des Romans. Denn die fast fünfzig Prozent der Wähler, die den »Front National«, also Marine LePen gewählt haben, leisten auch nicht im geringsten Widerstand. Kann man das anders erklären als: Houellebecq geht von einem Islam aus, der so attraktiv ist, dass er nicht bloß Feministen und Sozialistinnen verzaubert, vielmehr auch die Herzen der Identitären und Nationalisten im Sturm erobert. Die einzige Erwägung, dass es zu Widerstand kommen könnte, steht im Zusammenhang mit der Bezahlung der Hochschullehrer. Die vom Amt entfernten Professoren kriegen ihr Gehalt weiter, damit sie nicht zu Speerspitzen des Widerstands werden. Ob diese Angst der neuen Machthaber überhaupt begründet ist, bezweifelt François. Aber es ist eine Vorsichtsmaßnahme. Alle anderen unterwerfen sich von selber dem anscheinend ach so herrlichen Islam. Dass das als »Islamkritik« dient, bezeichnend, bezeichnend …

    2

    »Wir schaffen das!« — Houellebecq hat aber bloß die halbe Story erzählt. Es fehlt die Vision, was geschehen wäre unter einer Präsidentin Marine LePen.¹² Ich präsentiere in einer Fiktion nun diese andere Seite, garantiert nicht in Romanlänge, und der Einfachheit halber spielt meine Episode in Deutschland und nicht in Frankreich.

    Unmittelbar nach der Bundestagswahl findet ein verheerender islamistischer Anschlag mit vielen Toten statt. Ausgeübt wurde er durch eine Gruppe Migranten, die sich illegal in Deutschland aufhielten. Aber nicht nur das. Es stellt sich heraus, dass die islamistische Gruppe ihre Waffen dadurch erbeutete, dass sie vorher Besitzer von legal registrierten Waffen überfallen hatte. Völlig folgerichtig ist also die erste Maßnahme, um den Terrorismus zu bekämpfen, welche die neue Regierung ergreift, ein sofortiges und ausnahmsloses Verbot jeglichen privaten Waffenbesitzes. Denn es leuchtet ja jedem Kind ein, dass das Attentat nicht hätte stattfinden können, wenn die bestohlenen Personen keine Waffen zu Hause gehabt hätten. Die Toten des Attentats sind »ihre Toten« oder »die Toten des liberalen deutschen Waffenrechts«, wie es unisono heißt. Einem Gesetz zum totalen Waffenverbot stimmen fast alle Abgeordneten zu; Gegenstimmen gibt es selbstredend keine, nur ein paar verschämte Enthaltungen. Die Namen derer, die sich enthalten haben, werden ruchbar. Sie gehören der oppositionellen »Linken« und der in der Regierungskoalition beteiligten FDP an. In der Presse und in den sozialen Medien überhäuft man diese Islamapologeten, Terroristenhelfer und Volksverräter, gar Mörder, mit Diffamierungen; in der Öffentlichkeit werden sie angespuckt; sie erhalten Morddrohungen. »Wir schaffen das!«,¹³ zitiert die neue Bundeskanzlerin ihre Vorgängerin verschmitzt lächelnd, »obwohl uns einige wie diese Abweichler Steine in den Weg legen. Den Terrorismus werden wir besiegen und mit Stumpf und Stiel ausrotten.« Ab sofort gilt jeder als illegaler Migrant, der nach dem 01. 01. 2015 deutschen Boden betreten hat.

    Das ist natürlich erst der Anfang. Jedermann sieht ein, dass es absolut notwendig zur Bekämpfung des Terrorismus ist, den Sumpf der Illegalen trocken zu legen. Verschärfungen des Melderechts und Kontrollen der Personalien bei jedem Betreten eines Einkaufszentrums sind da Ehrensache, gegen die niemand einen Widerspruch geltend macht. Weil die Attentäter ihre Aktion per Kommunikation mit anonymen Prepaid-SIM-Karten koordinierten, ist es das mindeste, jede Möglichkeit anonymer Kommunikation zu verbieten.

    Allerdings gibt’s da draußen in unserm schönen Burgunderland, also »mitten unter uns«, einige gierige Kapitalisten, die die Illegalen ausbeuten, sie schwarz arbeiten lassen, und zwar, Gipfel ihres verbrecherischen Wirkens, zu Entgelten unterhalb des Mindestlohns. Eine landesweite Polizeiaktion gegen die Ausbeuter setzt diesem Treiben ein Ende. Andere unpatriotische Elemente unterstützen, wie der Staatsschutz ermittelt, Illegale mit Spenden. Was liegt da näher, als umgehend den Gebrauch von Bargeld zu verbieten, das einer solchen Form der Finanzierung des islamistischen Terrors Vorschub leistet? Sachspenden und Essenseinladungen sind nur im engen Familienkreis erlaubt. Niemand kann sich der Einsicht in die Weisheit dieser Maßnahme entziehen.

    Ihrer Möglichkeit beraubt, sich zu ernähren, suchen viele der Illegalen, die der Polizei noch nicht ins Netz gegangen sind, in Kirchen Zuflucht, um ihrer Abschiebung zu entgehen. Ohne das Kirchenasyl aufzuheben, wird es also nicht möglich sein, dass wir über den Terrorismus triumphieren. Seitdem patrouilliert Polizei rund um die Uhr in Kirchen und auf kircheneigenen Grundstücken. Zunächst regt sich auch kein Widerstand gegen diese Maßnahme. Als jedoch Berichte durchsickern, dass Abgeschobene in ihren Heimatstaaten hingerichtet wurden, droht die Stimmung zu kippen. Kirchenvertreter protestieren gegen die permanente Anwesenheit von Polizisten ihn ihren Räumen. Ihnen schließt sich der Papst an. Daraufhin erhält er eine harsche Note der Bundesregierung, er möge sich nicht einmischen; außerdem fragt sie süffisant, wievielen Muslimen er wohl im Kirchenstaat Asyl gewährt habe? Man würde alle in Deutschland lebenden Muslime gern ihm überstellen. Die Süffisanz nutzt nichts. Piloten weigern sich, Flugzeuge mit abzuschiebenden Personen unter den Passagieren zu starten. In ihrer Not trommelt die Bundesregierung die Vertreter von Presse und sozialen Medien zusammen, um sie zu »bitten«, die Verbreitung »postfaktischer Nachrichten« zu unterlassen; sich auf solche »Fake News« beziehende »Hate Speech« sei in allen Kommentaren und Posts zeitnah zu löschen.

    An der Vertrauenskrise, die den Nachrichten über die Hinrichtungen aus Deutschland abgeschobener Flüchtlinge in ihrer Heimat folgte, sieht die Bundesregierung, dass sie über die Sofortmaßnahmen hinaus sich auch den Fundamenten widmen muss. Flugs wird ein verpflichtendes Fach »Staatsbürgerkunde« eingerichtet; dies Fach aber unterliegt nicht dem bildungspolitischen Föderalismus, vielmehr gehen die Lehrpläne sowie die Überwachung ihrer Umsetzung direkt von dem Familienministerium des Bundes aus. Alle Schulen, auch die privaten, müssen das Fach in der vorgeschriebenen Weise und im vorgeschriebenen Umfang unterrichten. Zudem stärkt die Bundesregierung energisch den Kampf gegen das Schwänzen. Bis zum Alter von 12 Jahren werden bei Verstoß gegen die Schulpflicht die Eltern, dann die Jugendlichen selber mit empfindlichen Strafen belegt. Darüber hinaus wird Deutsch als Umgangssprache vorgeschrieben, auf dem Pausenhof ebenso wie zu Hause am Mittagstisch. Das Denunziantentum blüht.

    Als Berater der Regierung für den Bereich »Kampf gegen den Islamismus« fungierte übrigens anfangs auch ein bekannter arabischer Islamkritiker. Als »durchsickert«, dass er nicht »nur« Araber ist, sondern auch als Muslim geboren wurde, da muss er abdanken und wird deportiert. In seinem Heimatland exekutiert man ihn postwendend. Darüber aber berichten die deutschen Medien nicht, um keine Unruhe in die Bevölkerung zu bringen.

    Der Versuch der Bundesregierung, die nach ihrer Definition illegalen Migranten in die sicheren Nachbarländer, über die sie nach Deutschland gelangt sind, abzuschieben, wird von diesen binnen kurzer Zeit blockiert, indem sie ihrerseits die Grenzen nach Deutschland hin schließen. An den Grenzen entstehen Lager. In diesen Lagern kursieren Drogen und, allen Verboten zum Trotz, Waffen, in ihnen herrscht eine polizeilich geduldete islamistische Mafia, von ihnen strahlt Kriminalität in die Umgebung aus. Da die Lagerbewohner jeglicher Hoffnung beraubt sind, gelingt es durch keinerlei Strafverschärfungen, sie irgendwie zu disziplinieren.

    All diese von der Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen zusammengenommen führen zu schweren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Problemen. Immer mehr Menschen, besonders diejenigen, die es sich leisten können, vor allem die gut ausgebildet sind, verlassen Deutschland. Diese Undankbaren nehmen, wie es aus Regierungskreisen verlautet, ihre ihnen von uns in Deutschland geschenkte Ausbildung mit. Schließlich muss gegen solch einen Exodus, gegen solch ein Ausbluten des deutschen Volks eine Mauer gebaut werden. Nun entsteht der weltberühmte »anti-islamistische Schutzwall«.¹⁴

    An dieser Stelle höre ich auf, denn natürlich hat niemand die Absicht, eine Mauer zu bauen, und überhaupt, es gibt ja wohl keinen Staat der Welt, der eine Mauer baut, um die eigenen Leute daran zu hindern, Republikflucht zu begehen, schon gar nicht einer, der einstmals hier auf treudeutschem Boden geherrscht hat. Doch eins gilt es noch nachzutragen in der skizzierten Geschichte. Bei den ganzen Anstrengungen um Grenzschließung, Re-Migration illegaler Ausländer, Durchsetzung der Verbote von Waffen und Bargeld und so weiter ist versäumt worden, dass man die Attentäter dingfest macht, die den Politikwechsel in Deutschland schließlich auslösten. Sie entfleuchten in ihre Heimatländer, wo die Gesinnungsgenossen sie als Helden feiern. Die Bundesregierung sendet einen diplomatischen Protest, geharnischt, aber ohne jede Bedeutung. Und wenn sie nicht gestorben ist, regiert sie uns noch heute & bis ans Ende aller Tage.

    3

    Der Teufel zieht Grenzen. — In den gegenwärtigen Debatten um die Migrationspolitik werden von denen, die für eine Schließung der Staatsgrenzen eintreten, eine große Zahl von unterschiedlichen Argumenten genannt, aber es gibt ein gemeinsames Vielfaches, das sich in fast allen Argumenten wiederfindet. Und das gemeinsame Vielfache in den Argumenten für geschlossene Staatsgrenzen ist der Verweis auf die Folgen der ungehinderten Migration unter den gegebenen Bedingungen. Diese »gegebenen Bedingungen« werden als, realistisch betrachtet, unveränderlich proklamiert bis eben auf den einen Punkt, nämlich dass es sehr wohl durchsetzbar sei, die Staatsgrenzen zu schließen. Jeder Gegner von geschlossenen Staatsgrenzen gerät durch jene Argumentation mit den angeblichen Folgen von Migration in die missliche Lage, sich ständig verteidigen zu müssen mit Floskeln wie »das will ich ja auch nicht«, »nein, so habe ich mir das aber nicht vorgestellt« oder ähnlichen Formulierungen.

    Mit meiner kurzen Geschichte einer Grenzschließung und weiteren drastischen staatlichen Maßnahmen, die angeblich geeignet seien, den Terrorismus zu bekämpfen, drehe ich den Spieß herum. Sicherlich haben sich während des Lesens die Protagonisten geschlossener Staatsgrenzen ständig gedacht, »das will ich ja auch nicht«, »nein, so habe ich mir das aber nicht vorgestellt« oder ähnliche Formulierungen. Aber es kommt, realistisch betrachtet, gar nicht darauf an, was der eine oder andere, der es gut meint, will oder sich vorstellt. Mit Absicht habe ich in meiner Geschichte anders als in Houellebecqs Roman mit keinem Wort erwähnt, welche Parteien an der Koalition der Regierung beteiligt sind. Ich halte jede im Bundestag vertretene und in den Bundestag strebende Partei für fähig, einen solchen Plan zu realisieren. Alle einzelnen Maßnahmen in meiner Geschichte wurden bereits in Staaten realisiert oder zumindest von wichtigen politischen Kräften vorgeschlagen. Sie ist in keiner Hinsicht phantastisch oder an den Haaren herbeigezogen.

    Die staatliche Repression entwickelt sich in einer Logik, die von den Intentionen derer, die bei der Lösung sozialer Probleme auf den Staat hoffen, gänzlich abgetrennt ist, ebenso von Wahlprogrammen oder Bekenntnissen der jeweiligen politischen Lager. Jedes Problem, das der Staat lösen soll, dient ihm zur Verschärfung der Repression. Dies kann gar nicht anders sein, denn das Wesen des Staats ist die Gewaltausübung.

    Der Zirkel der Repressionssteigerung läuft folgendermaßen ab: Man diagnostiziert ein »gesellschaftliches Problem«. Schnell wird klar, dass es ein Problem ist, das der Staat selber geschaffen hat oder jedenfalls bisher mit politischen Mitteln nicht hat lösen können. Diejenigen, die das infrage stehende Problem betrifft, und alle, die über das Problem empört oder, wie man heute sagt, aufgrund des Problems »besorgt sind«, üben nun in kritischer Distanz zu den gegenwärtigen Vertretern des Staats Druck aus. Bei diesem Druck bedienen sie sich klarerweise politischer Mittel; was sollen sie denn sonst tun? Mit zunehmendem Erfolg beeinflussen sie eine bestehende Partei oder gründen eine neue Partei. Sobald die Partei an der Ausübung der politischen Macht in einer Koalition beteiligt ist oder gar die politische Macht allein inne hat, verflüchtigt sich die vormalige Distanz zum Staat, weil man ihn ja jetzt nutzen kann, um die eigenen, selbstredend richtigen Vorstellungen gegen Widerstand durchzusetzen. Die Durchsetzung des oppositionellen Programms gestaltet sich nahezu immer so, dass zu allen bestehenden Repressionen, die die Staatsgewalt eh schon ausführt, neue hinzutreten, und das ganz unabhängig davon, ob das Programm der Opposition die Aufhebung bestimmter alter Repressionen enthalten hat oder nicht. Der Mechanismus dahinter ist: Die Aufhebung irgendeiner bestehenden Repression, die die Vorgänger an der politischen Macht durchgesetzt haben, würde deren Pfründe auf eine Weise schmälern, dass schärfster Widerstand zu erwarten wäre. Auf jeden Fall ist der leichtere Weg für die neuen Machthaber, diese Pfründe so wenig wie möglich anzutasten. Meist erfordert das bestehende »Gleichgewicht der Macht« eine solche Rücksichtnahme auf die Pfründe der Gegner. Es gibt nur einige Beispiele von echtem Staatsabbau durch politisches Handeln, und sie fanden in Situationen statt, in denen es für die Aufrechterhaltung der bestehenden staatlichen Struktur unbedingt notwendig war, einen Abbau des Staats herbeizuführen.

    Angetrieben wird der Zirkel der politischen Repressionssteigerung durch das, was der »Zeitgeisterjäger« Matthias Heitmann Alarmismus nennt.¹⁵ Natürlich ist das Grundmuster des Alarmismus die politische Instrumentalisierung des Klimawandels: Die Welt stehe am Abgrund und wer jetzt nicht sofort und kopflos sich auf die richtige Seite stelle, der beschleunigt den Untergang. Doch der Rechtspopulismus¹⁶ benutzt genau das gleiche Muster, bloß eben bezogen auf einen anderen Inhalt: Der Bestand der Sozialsysteme oder gar des eigenen Volks stehe wegen der Masseneinwanderung auf dem Spiel und ein jeder müsse jetzt Farbe bekennen; alle anderen seien Volksverräter. Nun wird bei klarem Kopf wohl niemand an der Auffassung festhalten, dass kopfloses, von Angst getriebenes Verhalten ohne Sinn und Verstand dazu geeignet sei, die besten Lösungen hervorzubringen, ja überhaupt Lösungen umzusetzen; wahrscheinlich ist es eher so, dass die Probleme auf die eine oder andere Weise verschärft werden. Insofern verursacht der Alarmismus genau das, vor dem er Angst schürt.

    4

    Die Sozialfalle: Anti-Kapitalismus ist die primäre Ursache für Armut. — Der Wirtschaftsflüchtling wird so gehasst, dass jene, die für offene Grenzen, für Asylrecht und für die Aufnahme von Flüchtlingen eintreten, immer wieder beteuern, die zu uns kommenden Menschen befänden sich bloß zu einem geringen Teil aus wirtschaftlichen Gründen auf der Flucht. Nein, sie seien »echte« Flüchtlinge, aus legitimen Gründen. Die Ursachen für ihre Flucht seien politische oder religiöse Verfolgung oder Krieg in ihrer Heimat.

    Dabei ist der abwertende Begriff »Wirtschaftsflüchtling« relativ neu. Bis lange nach dem zweiten Weltkrieg war klar, dass vornehmlich die wirtschaftlichen Nöte die Migrationsbewegungen antreiben.Ein kleinerer Teil derjenigen, die ihr Land verlassen, flieht vor unmittelbarer politischer oder religiöser Verfolgung. Die Gründe für eine ganze Landstriche oder Nationen befallende Not wurden und werden immer noch meist natürlichen Ursachen wie Missernten und Dürre zugeschrieben. Allerdings gab es besonders bei Flüchtlingen aus den sogenannten »Ostblockstaaten«, allen voran bei Flüchtlingen aus der DDR, und bei den sogenannten »Spätaussiedlern«, die aus der ehemaligen UdSSR stammten, ein deutliches Gespür für den Zusammenhang zwischen wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen. Wenige der vor dem Kommunismus hinter dem Eisernen Vorhang flüchtenden Menschen waren persönlich von politischer Verfolgung betroffen. Die meisten suchten nach wirtschaftlicher Freiheit, entweder hauptsächlich oder zumindest zusätzlich zur politischen Freiheit. Dass fehlende wirtschaftliche Freiheit zu Mangel, oft auch zu Not und Elend führen, war bezogen auf den (Staats-)Kommunismus eine anerkannte Tatsache. Stellen wir uns vor, DDR-Flüchtlinge oder Spätaussiedler seien in der Bundesrepublik Deutschland mit den folgenden Parolen empfangen worden:

    »Ihr seid doch selber daran schuld,

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