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Medienarbeit 2.0: Cross-Media-Lösungen. Das Praxisbuch für PR und Journalismus von morgen
Medienarbeit 2.0: Cross-Media-Lösungen. Das Praxisbuch für PR und Journalismus von morgen
Medienarbeit 2.0: Cross-Media-Lösungen. Das Praxisbuch für PR und Journalismus von morgen
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Medienarbeit 2.0: Cross-Media-Lösungen. Das Praxisbuch für PR und Journalismus von morgen

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About this ebook

Der offene Dialog im Web 2.0 bringt einschneidende Veränderungen mit sich – sowohl für die Journalisten als auch für die PR-Zunft. Denn jeder Bürger kann mit den Funktionen der "Social Media" selbst publizieren, was er für mitteilenswert hält. Der Internetnutzer stellt die Themen-
und Meinungshoheit von Zeitung, Fernsehen und Radio in Frage. Er misstraut dem Medienangebot und schafft neben den etablierten Medien neue Foren für den Informations-
und Meinungsaustausch in Weblogs und Wikis, Communities und virtuellen Welten.

Dieser epochale mediale, ja kulturelle Paradigmenwechsel, in dessen Folge die klassischen Medien stetig an Bedeutung verlieren, zwingt die Branche zum Umdenken. Crossmediales
Arbeiten wird zur Pflicht, will man die Chancen des Web 2.0 nutzen und aktiv an der rasanten Entwicklung teilnehmen. Doch viele Unternehmen zögern und verkennen noch das Potential, das Web 2.0 bietet.

Es ist ohne Alternative, sich auf die neue Kommunikationskultur des Netzes einzulassen, aber dazu müssen sich Organisationsstrukturen, Denk- und Handlungsweisen verändern. Nur der rückhaltlos offene und ehrliche Dialog auf allen Kanälen verspricht Erfolg. Auf die Kommunikationsmanager kommen spannende Zeiten zu: Sie müssen sich neu erfinden.

"Medienarbeit 2.0" macht die Möglichkeiten des Web 2.0 transparent und vermittelt die strategischen Ansätze für Berater und Unternehmen, die den Chancen und Herausforderungen
einer sich rasant ändernden Kommunikationskultur durch Denken in neuen Strukturen gewachsen sein wollen.

Ein Buch für die Kommunikationsbranche, das richtungsweisend ist.

Jetzt in der 2., aktualisierten Auflage!
LanguageDeutsch
Release dateMar 1, 2011
ISBN9783899814859
Medienarbeit 2.0: Cross-Media-Lösungen. Das Praxisbuch für PR und Journalismus von morgen

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    Book preview

    Medienarbeit 2.0 - Norbert Schulz-Bruhdoel

    selbstverständlich.

    I    EINFÜHRUNG

    „Es ist nicht gesagt, dass es besser wird, wenn es anders wird. Wenn es aber besser werden soll, muss es anders werden."

    GEORG CHRISTOPH LICHTENBERG

    Die Journalisten hatten sich entschlossen, die Sache nicht so wichtig zu nehmen. Am frühen Morgen des 22. Mai 2010 sendet Deutschlandradio Kultur ein Interview mit dem Bundespräsidenten Horst Köhler, er ist auf dem Rückflug von einem Truppenbesuch in Afghanistan. Unter dem Lärm der Flugzeugmotoren vertritt er die Meinung, im Zweifel sei ein militärischer Einsatz notwendig, „um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen – negativ – durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen".

    Die klassischen Massenmedien beachten das Statement zunächst kaum. Die Nachrichtenagenturen verbreiten den Inhalt in sprödem Meldungsstil, die Online-Redaktion der Süddeutschen Zeitung ist eine der wenigen, die das Präsidentenwort aufgreifen, ohne jedoch mehr daraus zu machen. Das war’s, so scheint es.

    Einige Blogger jedoch werden durch die Sätze des Bundespräsidenten hellwach. Sie haken bei den führenden Zeitungen und Sendern nach und sorgen für die Verbreitung des Wortlauts im Web. Einer, der Tübinger Politikstudent Jonas Schaible, formuliert in seinem Blog http://beim-wort-genommen.de die richtigen Fragen: „Mir scheint, inhaltlich wäre die Nachricht sogar Stoff für einen Aufmacher – doch findet sie noch nicht einmal eine Erwähnung als Meldung. Ist Köhlers Meinung in relevanten politischen Kreisen etwa viel gehörter Konsens? Ist sie Politikjournalisten also so bekannt, dass sie keiner Erwähnung für wert befunden wird? Dürfen die Journalisten nicht berichten? Übersehe ich etwas fundamental Wichtiges?"

    Im Internet häufen sich in zahlreichen Blogs und Foren die Fragen, warum die Äußerung des Präsidenten in den Medien nicht diskutiert wird. Fünf volle Tage vergehen, bis Deutschlandradio die Köhler-Worte noch einmal zum Thema macht – in einem Interview mit dem CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz. Der meint, Köhler habe sich „missverständlich ausgedrückt". Jetzt erst springt die Medienmaschine an: Die Redaktionen holen weitere Stellungnahmen von Politikern ein, die Opposition äußert sich kritisch bis fassungslos, die Regierungsfraktionen verteidigen Köhler, das Präsidialamt spricht von einer Fehlinterpretation.

    Am 28. Mai nennt die Süddeutsche Zeitung den Präsidenten den „Schwadroneur im Schloss Bellevue. Am Tag darauf verbreitet der Spiegel vorab einen vernichtenden Artikel: „Horst Lübke: Das Staatsoberhaupt blamiert sich mit seinen Afghanistan-Äußerungen. Im Schloss Bellevue herrscht Entsetzen: Wie soll er die restlichen vier Amtsjahre überstehen? Am 31. Mai wirft Köhler das Handtuch, er tritt mit sofortiger Wirkung zurück – ein beispielloser Vorgang. Zwei Tage später fragt Claus Kleber im heute-journal des ZDF: „Ist er von einem Blogger gestürzt worden?" Ein Lehrstück über Politik im Zeitalter des Internets sei das gewesen, das in die Geschichte eingehen werde.

    Damit kann er recht haben. Das Beispiel zeigt, wie relevante Neuigkeiten sich verbreiten und sogar bis in die Spitzenbereiche der Politik ihre Wirkung entfalten können, selbst wenn die gesamte Journalistenschar im Tiefschlaf versunken scheint. Natürlich hätte der Präsident nicht resigniert, wenn ein paar Blogger ihrem Unmut Luft gemacht hätten. Dazu musste die Nachricht schon von den Leit- und Massenmedien aufgegriffen und skandalträchtig aufbereitet werden. Aber der Impuls, die Angelegenheit so wichtig zu nehmen, wie sie war, ging von anonymen Menschen aus, die im Internet ein Medium für ihre Gedanken und Worte gefunden haben – ein Privileg, das bis vor kurzem den Journalisten vorbehalten war.

    Die neuen Möglichkeiten des Internets lassen aber nicht nur die Journalisten in mancher Situation recht alt aussehen. Die rasanten Fort -schritte in der Informationstechnologie wirken sich generell auf die Kommunikation von Menschen aus. Sie haben Einfluss auf die gesamte Gesellschaft und ihre Kultur, besonders aber auf alle Profis im Kommunikationsgeschäft: Medienschaffende, Werbefachleute und Marketing-leute – und vor allem Öffentlichkeitsarbeiter. Denn die konnten sich bislang in dem guten Gefühl sonnen, gemeinsam mit den Journalisten den Markt für Informationen und Meinungen zu beherrschen.

    Ein Beispiel aus einer elitären Welt verdeutlicht, in welchem Umfang die neuen Möglichkeiten des Informationstransfers das Verhalten der Menschen verändern: Wer hätte noch vor wenigen Jahren für möglich gehalten, dass sich führende Wirtschaftswissenschaftler und tonangebende Journalisten über Weblogs austauschen?

    Am frühen Morgen des 24. September 2008 riefen rund 120 Ökonomie-Professoren der renommiertesten amerikanischen Hochschulen in einem flammenden Appell die Mitglieder des US-Kongresses auf, einen Plan des Finanzministers Henry Paulson zu Fall zu bringen. Dazu formulierten sie weder eine Presseerklärung, noch traten sie in Statements vor die Mikrofone von Rundfunk und Fernsehen. Sie nutzten ein Weblog mit dem ausdrucksvollen Namen Freakonomics (www.freakonomics.blogs.nytimes.com), der von dem Wissenschaftler Steven D. Levitt aus Chicago und dem New Yorker Journalisten Stephen J. Dubner betrieben wird. Innerhalb weniger Stunden meldeten sich Dutzende weitere Wirtschaftsexperten als Unterstützer des Aufrufs. Noch wichtiger: Viele Kongressabgeordnete übernahmen die Argumente der kritischen Fachleute wortwörtlich – die Pläne des Finanzministers hatten keine Chance mehr, Wirklichkeit zu werden.

    Transparenz, Glaubwürdigkeit und Vertrauen – Worte, die viele PR-Verantwortliche gerne wie eine Monstranz vor sich her tragen, müssen endlich mit konkreten Inhalten gefüllt werden. Die „Lizenz zum Täuschen", wie sie eine kleine, aber lautstarke Minderheit für die PR-Zunft reklamiert¹, ist endgültig abgelaufen.

    Wenn heute Bild in einer Artikelfolge mahnt, nur eine private Alters-versorgung könne einen geruhsamen Lebensabend ohne Geldsorgen garantieren, entlarvt morgen bildblog.de das Kopplungsgeschäft zwischen Massenblatt und Versicherungskonzern: Anzeigenerlös gegen Gefälligkeitsartikel, und das von der Bild-Zeitung als Experten bemühte Professorenduo sitzt im Aufsichtsrat der Assekuranz. Als im Herbst 2008 das Wahlkampfteam um Barack Obama alle Möglichkeiten von Blogs, Twitter, SMS-Botschaften und Social Networks geschickt nutzte und ihm zur Mehrheit verhalf, war das überraschend und neu. Heute wissen auch die Gegner des Präsidenten in der Tea-Party-Bewegung mit den neuen Möglichkeiten umzugehen: Der massive Protest gegen ein islamisches Zentrum in der Nähe von New Yorks „Ground Zero" wird über Blogs, SMS und mobile Internetzugänge per Handy oder iPad organisiert – gegen die Mahnungen und Argumente einer liberalen Medienmehrheit.

    Die Medien müssen nicht mehr von Journalisten gemacht sein

    Medienarbeit ist der zentrale Teil von Public Relations und wird es auch bleiben – allerdings nur, wenn wir unseren Medienbegriff den veränderten Verhältnissen anpassen. Medien – das bedeutet nicht mehr unbedingt Massenmedien, nicht mehr unbedingt kommerziell agierende Medienunternehmen und nicht mehr unbedingt von Profis definierte und aufbereitete Medieninhalte. Die neue Medienwelt besteht aus kommerziellen und nichtkommerziellen, professionell und amateurhaft gestalteten Medien – alle Übergangs- und Zwischenformen eingeschlossen.

    Wo jeder Internetnutzer zum potentiellen Content-Produzenten wird, hat auch jede Organisation – Unternehmen, Verband, Institution oder Dienststelle – die Chance, im Netz ihre Themen zu bearbeiten und damit bekannte wie auch ganz neue Dialoggruppen zu erreichen. Oder, wie es Werner Bogula formuliert hat: „Das Internet macht jedes Unternehmen auch zu einem Medienunternehmen."² Eine Fülle von neuen Möglichkeiten, das Image zu beeinflussen und an der Bildung öffentlicher Meinung mitzuwirken, tut sich auf.

    Die Kehrseite der Medaille: Diese neuen Möglichkeiten hat jeder – auch der Konkurrent, der Kritiker, der Denunziant. Unternehmen werden mit ihrer wohldurchdachten Kommunikation, mit ihren Produkten, mit ihrem wirtschaftlichen Handeln zum Gegenstand öffentlicher Diskussion und Bewertung. Kundenfreundlichkeit, soziale Verantwortung, Umweltauswirkungen, Sponsoring-Aktivitäten – alles kann zum Thema werden, völlig losgelöst von jeder konventionellen Berichterstattung in Zeitung, Radio oder Fernsehen. Alles kann aber aus dem Netz schnell in die kommerziellen Medien überschwappen.

    Wie eine großangelegte Studie belegt, rechnen PR-Fachleute damit, dass künftig die Notwendigkeit deutlich steigt, Unternehmensaktivitäten darzustellen und zu erklären, während heute der Fokus noch auf Produkte und Marken gerichtet ist.³ Dem gesellschaftlichen Engagement (Corporate Social Responsibility), dem Umweltverhalten (Sustainability) und der internen Kommunikation geben die Befragten dabei eine rasant wachsende Bedeutung. Es werden zunehmend Fakten und Verhaltensweisen in den Vordergrund rücken, die konkret beurteilt werden können und sich unmittelbar auf das Unternehmensimage in der Öffentlichkeit auswirken.

    Von einer Vorstellung müssen sich die professionellen Kommunikatoren verabschieden: die öffentliche Meinungsbildung steuern und kontrollieren zu können. Die Mittel gleiten ihnen allmählich aus der Hand. Internet-User wollen den Dialog. Entweder eine Organisation – wie zum Beispiel ein Unternehmen – nimmt daran teil, oder die Menschen sprechen einfach untereinander, ganz ohne das Unternehmen. Und damit geht nicht nur die Kontrolle verloren, sondern obendrein jede Ahnung davon, welches Gerede im Umlauf ist.

    Da hilft keine Gegendarstellungsklage: Auch falsche, einseitige, böswillige Berichte – ausgelöst von eigenen Mitarbeitern, Konkurrenten, verärgerten Kunden – stehen im Internet jedermann zur Verfügung und sind dort auch kaum noch zu tilgen.

    Erfundenes und mehr oder weniger gelungene Scherze nehmen ständig zu. Ein besonders beliebtes Opfer ist der deutsche Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, er ist gleich mit mehreren gefälschten Accounts bei Twitter vertreten und zwitschert angeblich Sätze wie: „Entzaubert ist hinge-gen der afghanische Wein – zu sandig und flau im Abgang. Eher was für Westerwelle. (twitter.com/baronzug am 15.09.2010). Selbst der Bundeskanzlerin werden in gefälschten Seiten (twitter.com/angie_merkel) Sprüche untergeschoben, von denen ungewiss bleibt, ob sie darüber lachen kann: „Bundespräsidentenwahl: Erster Wahlgang; hab meinen Stimmzettel verlegt (30.06.2010), „Persönlich: Habe im Urlaub drei Kilo zugenommen. Da kommen wohl ein paar Diäten auf mich zu" (17.08.2010).

    Der einzige Weg ist in solchen Fällen der offene, aufrichtige Dialog, um mit solider Information und fundierter Argumentation die Spötter zu übertrumpfen und die eigene Position zu behaupten. Die Bundeskanzlerin zum Beispiel lässt eine ganze Abteilung in der CDU-Zentrale daran arbeiten, ihre Profile auf Facebook und MeinVZ zu pflegen – mit einigem Erfolg. Aber solche bedachten Reaktionen sind aus dem Stand heraus nicht möglich, wenn eine Krise eintritt. Dazu müssen die Instrumente erprobt, die Plattformen eingeführt sein – neue Instrumente, neue Plattformen für neue Teilöffentlichkeiten. Organisationen jeglichen Typs müssen lernen, die neuen Möglichkeiten für ihre Informationsabsichten ebenso zu nutzen wie für die Abwehr von Gefahren, die ihnen aus dem Netz drohen könnten.

    Im November 2009 änderte Twitter seine Leitfrage von „Was machst du gerade? in „Was gibt’s Neues? – das war der Anfang einer Entwicklung hin zu einem ernsthaften Nachrichtenmedium. Weil immer mehr Menschen mit einem gewissen Informationsanspruch den Dienst nutzen (Journalisten, Experten, Politiker und Lehrer), tragen sich immer mehr Menschen als „follower ein – und sie verbreiten die Neuigkeiten selbst an ihre „follower weiter. Der Nachrichtenchef des britischen Senders BBC hat seine Redakteure angewiesen, das Echo auf ihre Arbeit in Plattformen wie Twitter oder Facebook zu verfolgen – um so zu erfahren, ob überhaupt jemand als relevant befunden hat, was die BBC ausstrahlt.

    Das Wachstum sozialer Medien wie Facebook oder Twitter scheint bisher keine Grenzen zu kennen. Nach einer Messung des Marktforschungsunternehmens Comscore ist die Besucherzahl auf den Seiten sozialer Netzwerke in den vergangenen zwölf Monaten wieder um 23 Prozent auf 945 Millionen in aller Welt gestiegen. Verantwortlich dafür ist der Durchbruch der mobilen Endgeräte.

    Niemand hat sich vor zwei Jahren vorstellen können, mit welchem Tempo sie ihren Siegeszug antreten würden. Die technischen Voraussetzungen für Smartphones wurden zwar schon Mitte der neunziger Jahre geschaffen. Interessant wurden die digitalen Zusatzleistungen eines Mobiltelefons aber erst durch das gleichzeitige Einrichten von leistungsstarken Übertragungsnetzen⁶, das Aufkommen von Twitter und die Marktpremiere des „iPhone" von Apple im Jahr 2007. Seither steigt die Zahl der Nutzer des mobilen Internet ständig, im ersten Halbjahr verdoppelte sie sich auf knapp 31 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung im August 2010.⁷ Das US-Marktforschungsunternehmen Gartner Incorporation geht in einer Studie davon aus, dass spätestens 2013 mehr Menschen das Internet mobil nutzen werden als über einen stationären Rechner.⁸

    Geradezu dramatischen Einfluss auf das Informationsgeschehen haben Miniprogramme, die – oft kostenlos – ein Handy in die Lage versetzen, bestimmte Inhalte des Web unkompliziert aufzurufen, sogenannte „Apps". Damit kann sich jedermann eine große Zahl von Zeitungsseiten auf sein Display holen, sich über das aktuelle Wetter oder über Börsennotierungen informieren, sich Fotos und Filmchen ansehen, Neuigkeiten aus seinem Social Network empfangen oder nachlesen, was die Pressestellen vieler Unternehmen einem Nachrichtenvermarkter wie der dpa-Tochter news aktuell anvertraut haben. Damit nicht genug, dienen andere Apps dazu, das Web mit eigenen Einsichten, gerade geknipsten Fotos, Video- oder Tondokumenten zu versorgen – auch das mobile Internet ist interaktiv. Seit Apple im Februar 2010 sein „iPad" auf den Markt gebracht hat, steht sogar ein tragbares Gerät (Gewicht: 730 Gramm) mit einer akzeptablen Bildschirmgröße zur Verfügung, um das Lesen von Zeitungs- oder Magazinseiten nicht als Suchspiel gestalten zu müssen.

    Aber weniger die etablierten Massenmedien profitieren davon, mehr die sozialen Netzwerke. Der offene Dialog im Internet beraubt den traditionellen Journalismus seines Gestaltungsmonopols – und das hat gravierende Folgen. Die klassischen Medien haben ihre Machtposition sowohl positiv eingesetzt als auch missbraucht. Sie haben echte Missstände aufgedeckt und vermeintliche Skandale hochgespielt, sie haben Fehlverhalten an den Pranger gestellt und sich ungebührlich in das Privatleben von Menschen eingemischt. Medien haben sich für Demokratie und Gerechtigkeit in die Bresche geworfen und zugleich die plattesten Formen von Voyeurismus befriedigt. Bei alledem haben sie recht gut verdient. Ein Nachdenken über Lücken und Ungereimtheiten der konventionellen Nachrichtengebung ließen sie gar nicht erst aufkommen. Seines Monopols beraubt, steht der professionelle Journalismus jetzt zudem unter genauer Beobachtung. Schwächen und Versagen werden im Internet schnell aufgedeckt.

    Die PR-Zunft verliert ihre traditionellen Partner

    In der verschärften Konkurrenzsituation lassen der Wille und der Zwang, um jeden Preis Geld zu verdienen, journalistische Standards unter die Räder kommen. Das Niveau kippt. In den Vereinigten Staaten ist die schleichende Entwertung journalistischer „musts" weiter fortgeschritten als hierzulande: In den Zeitungen, selbst den renommierten Blättern, verliert das Prinzip der strikten Trennung von Information und Meinung an Boden – in Radio und Fernsehen ist es nicht mehr existent: Sender wie Fox News oder MSNBC setzen auf Polemik und Konfrontation, die einen chauvinistisch, die anderen mit linksliberaler Attitüde. Mort Rosenblum, einer der renommiertesten US-Journalisten, kündigte 2004 seinen Job als Korrespondent für Associated Press, weil die Redakteure in New York seine Berichte aus dem Irakkrieg umschrieben oder im Papierkorb verschwinden ließen, weil sie nicht in ihr Weltbild passten.

    Auch die Trennung von Berichterstattung und Werbung existiert nur noch als Fassade. Es wird immer leichter, abseits allen journalistischen Nachrichtenwerts Dinge zu lancieren – durch professionelle Themenaufbereitung und zur Not gegen Anzeigen oder Bargeld. Es ist kein Geheimnis, dass viele wissenschaftliche Studien nur entstehen, weil ein zahlungskräftiges Unternehmen mit den Ergebnissen Fakten für seine Öffentlichkeitsarbeit schaffen will – ob das „Deutsche Margarine-Institut die angebliche Gesundheit pflanzlicher Brotaufstriche betont oder das arbeitgebernahe „Institut der deutschen Wirtschaft die drastische Zunahme schlecht bezahlter Arbeitsplätze zum volkswirtschaftlichen Segen erklärt. Nicht wenige Medien drucken und senden das eine wie das andere, obwohl den Redakteuren der fragwürdige Wahrheitsgehalt solcher Gutachten durchaus bewusst ist. Aber: Was noch vor wenigen Jahren als anrüchig galt und vom Deutschen Presserat mit einer Rüge geahndet wurde, greift um sich. Ein Sieg der PR-Maschinerie über den journalistischen Informationsanspruch? Man kann darin auch einen Pyrrhus-Sieg sehen.

    Noch ein Schritt weiter: Die Medien selber treten tendenziell als Konkurrenz der PR-Agenturen in Erscheinung beziehungsweise dienen sich als Dienstleister selber den PR-Strategen an. Denn sie haben das Knowhow und brauchen das Geld zum Überleben. Da viele Zeitungsverlage in Multimedia investieren, machen sie sich um die Refinanzierung dieser Ausgaben Gedanken. So wie schon seit längerem die Redakteure der Printmedien vielfach Artikel schreiben, die von einem Unternehmen in Auftrag gegeben und bezahlt werden – als „Advertorial mit Selbstironie gut umschrieben –, übernehmen die neuen „Videojournalisten vielfach auch die Auftragsproduktionen für Politik, Unternehmen und Verbände: Das scheinbar kritische Interview im Onlineauftritt der Regionalzeitung ist tatsächlich eine bis ins Detail vorher abgesprochene Stichwortplattform für bündige PR-Aussagen. Die Grenzen zwischen Medien und den Zulieferern in Pressestellen und PR-Agenturen lösen sich auf.

    Mit der schrankenlosen digitalen Kommunikation kommt der Öffentlichkeitsarbeit allmählich ihr bisher entscheidender Partner, die Medien, abhanden. Insbesondere die Tageszeitungen stehen vor einer problematischen Zukunft. Zum einen nimmt die Bevölkerung in den Jahrgängen der 20- bis 40-Jährigen, aus denen drei Viertel der Neuabonnenten kommen, rasch ab. Zum anderen akzeptieren junge Leute die heute gemachten Zeitungen immer weniger. Einer im Herbst 2010 veröffentlichten Studie zufolge lesen nur noch 21 Prozent der 14- bis 29-Jährigen eine Zeitung, noch weniger (6 Prozent) blättern in Zeitschriften.¹⁰ Der Kölner Verleger Christian DuMont Schütte (Kölner Stadt-Anzeiger, Express, Frankfurter Rundschau, Mitteldeutsche Zeitung) sagt es drastisch: „In 25 Jahren sind die Zeitungen tot."¹¹

    Nicht ganz so pessimistisch ist eine Studie der Fachhochschule Mainz, aber auch hier heißt es: Bis 2018 werden die Zeitungen rund ein Drittel ihrer Leser verlieren. Einer der Autoren, Lothar Rolke, fordert ein radikales Umdenken – weg vom Konkurrenzempfinden hin zur Kooperation: „Es mag paradox klingen, aber weil das Internet ein so großer gesellschaftlicher Veränderer ist und vorläufig bleiben wird, müssen die traditionellen Medien zu Begleitern für die Menschen werden. Das heißt, sie müssen ihnen Orientierung geben, Lernhilfen anbieten und ihnen zeigen, wie sie an die Benefits im Internet kommen können."¹² Im März 2008 ergab eine im Auftrag des Internationalen Forums der Chefredakteure und der Nachrichtenagentur Reuters durchgeführte Umfrage¹³ unter 700 leitenden Journalisten, dass kaum noch einer an die gedruckte Zeitung glaubt: 86 Prozent der Befragten meinten, dass die integrierte Print- und Online-Redaktion die Norm sein wird; 83 Prozent glaubten, dass Journalisten parallel für alle denkbaren Medien arbeiten werden. Die New York Times soll nach dem Willen ihres Herausgebers Arthur O. Sulzberger ab 2015 nur noch als Onlineprodukt existieren – damit würde eine der weltweit renommiertesten Zeitungen nicht mehr gedruckt.¹⁴ Der gleiche Trend zeigt sich auch in Deutschland: 15.000 elektronische Abonnements für iPad und iPhone hat der „Spiegel" via App bereits verkauft, so Verlagsgeschäftsführer Ove Saffe, während die verkaufte Printauflage unter eine Million Exemplare gesunken ist.¹⁵

    Die Digitalisierung erfasst alle Medien

    Auch Radio und Fernsehen haben längst die technischen Möglichkeiten der digitalen Verbreitung schätzen gelernt. Die Intendanten der öffentlich-rechtlichen wie der privaten Sendehäuser bauen konsequent ihre Angebote im Internet aus, weil sie hoffen können, mit diesem Medium zukunftsfähig zu bleiben. Mit tagesschau.de ist ein Internetformat entstanden, das neben Spiegel-online zu den meistbesuchten und anerkanntesten Nachrichtenportalen zählt. Die gleiche Redaktion liefert eine Kompakt-Tagesschau, die per SMS auf die Displays der Mobiltelefone geleitet werden kann – die Neuigkeiten der Welt in 100 Sekunden. Auch das Radioprogramm liefert zu – die umfängliche tägliche Presseschau des Deutschlandfunks ist als Lesestoff oder als Hördatei verfügbar. Das ZDF geht mit heute.de ähnliche Wege und ist damit sehr erfolgreich. In der ZDF-mediathek warten Dokumentationen, Hintergrundberichte und hochwertige Diskussionssendungen auf den Internetnutzer. Die ARD hat im Mai 2008 ebenfalls eine „Mediathek" gestartet; nach eigener Auskunft stehen rund 10.000 Sendungen der einzelnen Landessender zum Download bereit.

    Immer deutlicher zeichnet sich der Trend zum Sparten-Fernsehen ab: Während im Markt des digitalen Bezahlfernsehens meist Senderketten wie die RTL-Gruppe, ProSieben/Sat 1 oder amerikanische Medienkonzerne hinter den Sendeformaten stehen, ist im frei empfangbaren Digitalfernsehen ein bunter Strauß von Kleinunternehmern auf Sendung. Wer hier den Überblick behalten will, braucht bei über 100 Angeboten ein gutes Gedächtnis. Gebrauchtwagen TV gibt es ebenso wie den Schmuckkanal, Bibel TV steht neben tv.gusto und dem Astro TV. Allerdings hat die globale Wirtschafts- und Finanzkrise viele neue Sender in Bedrängnis gebracht.

    Mit großer Sorge sehen die Zeitungsverlage zu, wie sich die digitalen Angebote der Sender auch der Regionen bemächtigen. Metropolen-TV wie Hamburg 1, Berlin TV oder das Rhein-Neckar-Fernsehen zeigen schon seit Jahren, dass Lokaljournalismus keine Domäne der Zeitungen ist. Selbstverständlich haben die Anbieter regionaler TV-Programme Erweiterungen ihrer Angebote ins Netz gestellt. In vorausschauender Abwehr gehen immer mehr Lokalzeitungen im ganzen Land den gleichen Weg. Seit 2006 bereits unterhält der Kölner Stadt-Anzeiger in seinem Online-Auftritt ein immer weiter ausgebautes TV-Angebot – von Nachrichten über Lokales bis hin zu Kultur, Sport und Boulevardthemen.

    Das Radio kann flexibler arbeiten, eine Telefonverbindung ins Studio reicht völlig aus, um glaubwürdig Live-Atmosphäre und Authentizität zu vermitteln. Die Hörfunk-Redaktionen sind zudem stärker gegliedert. So lassen sich für eine breitere Themenpalette interessierte Mitarbeiter finden. Schließlich sind in den Morgen- und Mittagsmagazinen im öffentlich-rechtlichen Radio die Sendezeiten reichlich bemessen, so dass die Forderung nach inhaltlicher Ausgewogenheit gerne durch eine Fülle von Gesprächspartnern mit verschiedenen Standpunkten eingelöst wird. Natürlich ist auch beim Radio der Crossmedia-Gedanke angekommen. Auf den Internetseiten der Sendehäuser tummeln sich zahlreiche Beiträge als Podcast-Version. Darüber hinaus ergänzen Weblogs und andere Beiträge der Redakteure manche Sendung um eine Fülle an Materialien. Ganze Sendemanuskripte stehen zum Herunterladen bereit. Der gleiche Prozess, der die Zeitungen und Zeitschriften Ton- und Bildkonserven ins Netz stellen lässt, führt bei den Radiosendern dazu, dass Sprechtexte niedergeschrieben im Netz nachgelesen werden können.

    Eine Besonderheit macht Web-Radio zu einer der am schnellsten wachsenden Internetkategorien:¹⁶ Zu den größten Anbietern weltweit zählt das internationale Web-Radio Last.fm mit rund 4,3 Millionen Nutzern pro Monat. Sieben Millionen Musiktitel¹⁷ stehen zur Wahl, darüber hinaus veröffentlicht die Site zahlreiche Informationen rund um Bands, Tourneedaten und Plattenverträge – eine Aufgabe, die früher Zeitschriften wie Melody Maker wahrgenommen haben. Zahlreiche Menschen definieren ihr Zugehörigkeitsgefühl zu einer gesellschaftlichen Gruppe über ihren Musikgeschmack. So haben viele kleine und kleinste Radiosender im Web eine Chance, weil sie Musik für eine Network-Community anbieten und eben nicht nur Musik, sondern auch „Content".

    Allen herkömmlichen Medien gemeinsam ist die Entscheidung, auch in den Social Networks präsent zu sein. Es gibt kaum noch ein Druckwerk, einen TV- oder Hörfunkkanal, der auf seinen Onlineseiten nicht auf Facebook, Twitter, YouTube oder MeinVZ verweist. Viele Medien haben ihren Lesern oder Zuschauern auch die Möglichkeit eröffnet, sich in spezifischen Communities zu äußern. Dort findet ein kontinuierlicher Meinungsaustausch statt – unmittelbar und nicht nur für die Mitglieder sichtbar. Welche Chancen sich daraus für die Redaktionen ergeben, ihr Publikum besser kennenzulernen, wird noch kaum erkannt.

    Das Kommunikationsmanagement steht vor neuen Aufgaben

    Die Neugestaltung der Medienlandschaft wird natürlich nicht vollständig sein und auch nicht über Nacht geschehen: Tageszeitungen mit hohem Image-Beiwert, also die F.A.Z. ebenso wie die Süddeutsche Zeitung oder das Handelsblatt, wird es gewiss noch lange in gedruckter Form geben. Auch Edelmagazine für Entscheider und Intellektuelle bleiben uns wohl auf absehbare Zeit erhalten – von all den Publikationen ganz abgesehen, die nichts als Spaß beim Durchblättern machen wollen. Die Fotostrecken von Geo, Vogue oder Paris Match sind Kult. Am wenigsten Sorgen muss man sich wohl um Radio und Fernsehen machen: Die Integration der Sendemedien in das Netzangebot entspricht dem Trend zur multimedialen Information und Kommunikation und ist entsprechend weit fortgeschritten.

    Aber es wird immer schwerer, über die herkömmlichen Medien unterschiedliche Gruppierungen unserer Gesellschaft zugleich zu erreichen – es sei denn über teuer bezahlte Werbung. Zweifellos sind alle diese Entwicklungen noch in den Anfängen, und niemand weiß, wie schnell es gehen wird. Nach den Erfahrungen mit der Entwicklung des Internets aber gewiss schneller, als es uns lieb sein kann.

    Auf Kommunikationsmanager warten daher völlig neue Aufgaben. Sie müssen einen Dreisprung schaffen, um das Beste daraus zu machen:

    1. Sie müssen ihre Arbeit natürlich auch weiterhin auf die klassischen Informationsmedien stützen und dabei deren Anpassungsbemühungen an die neue digitale Medienwelt nach Kräften folgen: Das erfordert zwingend, sich auf die multimediale Aufarbeitung von Themen einzulassen, die auch von den Medienhäusern zunehmend eingefordert wird – vom Ton- und Bewegtbild-Rohmaterial bis hin zum aufbereiteten Videobeitrag. Die Pressemitteilung mit der Bitte an die Medien, die präsentierten Informationen doch bitte nach eigenem Bedarf aufzubereiten, oder das opulent für die Journalisten ausgerichtete „Medien-Event" werden nicht mehr genügen.

    2. Sie sollten die „neuen Multiplikatoren" im Web 2.0 genauso ernst nehmen wie die professionellen Journalisten, ihnen faire Informationsangebote machen und sich auf einen echten Dialog einlassen: Vernetzte, nutzergenerierte Inhalte und Plattformen des Social Webs sorgen dafür, dass sich Inhalte jenseits der klassischen Massenmedien weltweit verbreiten können. So erreichen sie nicht nur interessierte Bezugsgruppen, sondern bei entsprechendem Nachrichtenwert auch eine breite Öffentlichkeit. Zugleich bleiben alle diese Inhalte in den Suchmaschinen auffindbar und finden über lange Zeit viele weitere Nutzer.

    3. Sie sollten zunehmend ihre Ziele mit eigenen Online-Medien verfolgen. Kommunikationsmanager müssen selbst in der Lage sein, multimedial und crossmedial agierende Medien zu konzipieren. Und sie sollten lernen, mediale Prozesse verantwortlich selbst mitzugestalten – natürlich gestützt auf Dienstleister, die jüngste technische Entwicklungen und deren Folgen im Auge haben. Dabei wird es kaum noch möglich sein, zielgruppenorientiert zu denken, denn definierte Teilöffentlichkeiten können nicht mehr exklusiv angesprochen werden: In welche Richtung eine Information fließt und welche Reaktionen sie freisetzt, ist darum immer schwerer zu steuern.

    Kaum hatte das Kölner Landgericht dem Portal

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