Chemie Digital: Arbeitgeber 4.0
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Thesenstark, substanziell und anschlussfähig bietet das Buch den vielfältigen Interpretationen, Einstellungen und Erwartungen zur Digitalisierung ein Forum und bildet zugleich die Meinungen wichtiger Stakeholder ab. Dabei konzentrieren sich die Beiträge auf die Auswirkungen in der Arbeitswelt. Wie wird die Arbeitswelt 4.0 aussehen? Wie sollte sie gestaltet sein? Und welche Aufgaben haben die Sozialpartner? Antworten auf diese Fragen finden Sie in "Chemie digital – Arbeitswelt 4.0".
Für alle, die an dem Einfluss der Digitalisierung auf das Arbeitsleben in der Chemie-Branche interessiert sind.
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Book preview
Chemie Digital - Frankfurter Allgemeine Buch
Margret Suckale (Hg.)
Chemie digital
Arbeitswelt 4.0
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Margret Suckale (Hg.)
Chemie digital
Arbeitswelt 4.0
Frankfurter Societäts-Medien GmbH
Frankenallee 71 – 81
60327 Frankfurt am Main
Geschäftsführung: Oliver Rohloff
1. Auflage
Frankfurt am Main 2016
ISBN 978-3-95601-173-3
Inhalt
Cover
Titel
Impressum
Vorwort der Herausgeberin
BAVC-Präsidentin Margret Suckale im Gespräch mit Günther Oettinger, EU-Kommissar für digitale Wirtschaft und Gesellschaft
Chancen nutzen, Mitarbeiter mitnehmen
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales
Chemie digital – Arbeitswelt 4.0
Michael Vassiliadis, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE)
Industrie- und Arbeitsbeziehungen im digitalen Wandel
Dr. Kai Beckmann, Mitglied der Geschäftsleitung Merck
Der Mensch steht weiterhin im Mittelpunkt
Frank-J. Weise, Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit
Konsequenzen aus der Entwicklung zur Arbeitswelt 4.0 für die Bundesagentur für Arbeit
Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), und Oliver Suchy
Aussichten für die Arbeitswelt 4.0
Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e.V. (BDA)
Die Digitalisierung von Wirtschaft und Arbeitswelt:
revolutionärer Impuls oder normale Modernisierung?
Katrin Göring-Eckardt, Vorsitzende der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
Chemie digital – Arbeitswelt 4.0
Dr. Ariane Reinhart, Vorstandsmitglied der Continental AG
Die Gleichzeitigkeit von Evolution und Revolution:
die digitale Transformation als Chance und Herausforderung
Wilfried Porth, Vorstandsmitglied der Daimler AG
Daimler nutzt die großen Potentiale auch in der Arbeitswelt 4.0
Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck, Vorsitzender der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz
Die digitale Arbeitswelt menschenwürdig gestalten
Sven Astheimer, Frankfurter Allgemeine Zeitung
Der digitale Zeitungsredakteur –
wie die Digitalisierung die vierte Gewalt verändert
Professor Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln), und Dr. Oliver Stettes
Digitale Arbeitswelt – Merkmale und Implikationen für die chemische Industrie
Thomas Sattelberger im Interview
Mehr Mut, mehr Kapital, mehr Pioniergeist
Dr. Harald Schaub, Sprecher der Geschäftsführung der Chemischen Fabrik Budenheim KG
Digitalisierung – Freiheit, Freude, Fortschritt
Dr. Utz Tillmann, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie e.V. (VCI)
Die Digitalisierung als Motor für Innovationen in der chemisch-pharmazeutischen Industrie
Dorothee Bär, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur
Später ward alles besser. Wie die Arbeit im digitalen Zeitalter uns guttut – und was Shakespeare damit zu tun hat
Dr. Thomas Fischer, 1. Vorsitzender des Verbandes angestellter Akademiker und leitender Angestellter der chemischen Industrie e.V. (VAA)
Chemie digital – Wie ändert sich die Führung?
Dr. Christian P. Illek, Vorstandsmitglied der Deutschen Telekom AG
Arbeit im Ökosystem Digitalisierung neu organisieren
Stefan Ries, Personalvorstand der SAP SE
Wohlstand durch Wandel.
Wer das Potential einer digitalisierten Arbeitswelt zu nutzen weiß
Professor Birger Priddat, Universität Witten-Herdecke
Digitalisierung und Industrie 4.0: Zukunft der Arbeit
Professor Dr. Detlef Zühlke, Frieder Loch, Fabian Quint, Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz gGmbH (DFKI)
Wie die Digitalisierung Produktion verändert
Matthias Horx, Zukunftsforscher, im Interview
Es gibt keinen digitalen Menschen
Dank
Die Autorinnen und Autoren
Fußnoten
Vorwort der Herausgeberin
Dass ich einmal die Ehre haben würde, ein Buch über die Digitalisierung in der Arbeitswelt herauszugeben, erscheint mir rückblickend fast wie ein Wunder. Gehöre ich doch einer Generation an, die ihre Examensarbeiten auf einer Olympia Monica und später dann auf einer IBM Kugelkopfmaschine mit Korrekturband verfasst hat. Auch an die Einführung von Personal Computern kann ich mich sehr gut erinnern. Mein Kollege hatte für das neue Gerät einen ganz besonderen Platz vorgesehen: Die hinterste Ecke seines Büros auf dem Fußboden, womit er gleichzeitig ein in der Firma viel diskutiertes Statement abgab. Das ist – je nach Blickwinkel – schon oder erst 30 Jahre her!
Wie rasant hat sich die Welt seitdem verändert: Was vor einigen Jahren noch unvorstellbar war, ist heute eine gerne in Anspruch genommene Selbstverständlichkeit. Wer möchte die Möglichkeiten der modernen Vernetzung, sei es zu Hause, im Büro oder irgendwo unterwegs, noch missen?
Und dennoch ist die Digitalisierung nicht nur positiv belegt. Sie bahnt sich ihren Weg in einer Zeit, in der – so scheint es – Menschen stärker von Zukunfts- und Abstiegsängsten geplagt werden. Wird mein Arbeitsplatz noch da sein? Werde ich bei den vielen und immer schneller werdenden Veränderungen noch mithalten können? Wie kann ich Digitalisierung am besten „lernen"? Mit diesen Fragen werden wir in den Unternehmen zunehmend konfrontiert. Von unseren Mitarbeitern. Von unseren Sozialpartnern. Und auch viele Führungskräfte machen sich Gedanken, wie sich ihre Rolle in der neuen Arbeitswelt verändert. Um es vorwegzunehmen: Die genauen Antworten kennt letztlich noch keiner. Nur eines wird immer deutlicher: Die Digitalisierung wird uns noch schneller, noch umfangreicher und häufig doch ganz anders erreichen, als wir uns das heute vorstellen können.
In diesem Buch schildern Verantwortliche aus Politik und Wirtschaft, aus Wissenschaft und Gesellschaft ihre Sicht der Dinge. Wie beurteilen sie Industrie und Arbeit 4.0? Worin liegen die Herausforderungen, worin die Chancen? Und mit welchen Ansätzen lässt sich die Zukunft der Arbeit am besten gestalten? Das Ganze nicht Schwarz oder Weiß, denn einseitige Meinungen in einer ohnehin überhitzten Debatte helfen nicht weiter. In diesem Buch finden Sie vielmehr Gedankengänge und Konzepte von Meinungsbildnern, die an langfristigen Lösungen interessiert sind.
Es ist kein Zufall, dass gerade wir als Chemie-Arbeitgeber die Diskussion zu diesem Zeitpunkt vertiefen wollen. Keine Frage, die deutschen Chemieunternehmen sind auf den ersten Blick mit den hippen Start-ups aus dem Silicon Valley oder Berlin-Mitte kaum zu vergleichen. Die drittgrößte Industriebranche im Land mit mehr als einer halben Million Beschäftigten und einem Umsatz von über 180 Milliarden Euro gilt vielen eher als konservativ. Zu Unrecht, denn Chemie und Pharma sind zentrale Innovationstreiber der deutschen Wirtschaft. In unserer Branche arbeiten Menschen, die neugierig und kreativ sind und die dazu beitragen, Lösungen für die drängenden Herausforderungen der Welt zu erarbeiten – in den Bereichen Gesundheit und Ernährung genauso wie für Themen wie Wohnen und Mobilität.
Das geht in Zukunft nur digital, und damit wird auch die Chemie zunehmend digital – genauso wie die vielen Lebensbereiche, für die sie nachhaltige Produkte und Lösungen liefert. Als Fast Follower wollen wir von den Besten lernen und die Chancen der Digitalisierung bestmöglich für unsere Industrie nutzen.
Ein stabiles Fundament für Industrie 4.0 ist in der Prozessindustrie Chemie bereits gelegt. Unsere Produktion ist schon heute in hohem Maße automatisiert. Moderne Prozessleitsysteme tragen dazu bei, die Anlagen so effizient wie möglich zu betreiben. Viele neue Anlagen werden mittlerweile virtuell geplant. Ganze Lieferketten und komplexe Stoff- und Güterströme werden längst IT-basiert gesteuert. Jetzt kommt der nächste Schritt. Das Internet der Dinge schafft die technischen Rahmenbedingungen, um noch produktiver und wettbewerbsfähiger zu werden.
Wenn wir all das erfolgreich auf den Weg bringen wollen, müssen wir unseren Stakeholdern – allen voran unseren Beschäftigten – aber überzeugende Antworten auf ihre Fragen geben. Der Plural ist hier bewusst gewählt: die eine Antwort wird es nicht geben. Auch hier gilt die John Lennon in etwas abgewandelter Form zugeschriebene Erkenntnis, dass Digitalisierung passiert, während wir damit beschäftigt sind, andere Pläne zu machen.
Obwohl also hier Planbarkeit ihre Grenzen erfahren wird, wissen wir heute doch schon einiges. Zum Beispiel, dass die Digitalisierung veränderte Arbeitsbedingungen ermöglicht, aber auch erfordert: Arbeits- und Arbeitszeitformen werden eine noch vor kurzem undenkbare Flexibilisierung erfahren. Unsere heutigen Arbeitszeitregeln stammen noch aus einer ganz anderen Epoche und bedürfen der Anpassung. Wenn wir neue Regeln aufstellen, werden wir selbstverständlich darauf achten, dass es nicht zu Selbstausbeutung und Missbrauch kommen kann. Aber wir sollten genauso die enormen Chancen sehen, die sich daraus ergeben, künftig zunehmend mobiler arbeiten zu können.
Aufgaben und Arbeitsplätze werden sich auch inhaltlich verändern. Neue Berufsbilder werden entstehen und bestehende werden sich weiterentwickeln. Aber auch das kennen wir bereits, denn beispielsweise das Berufsbild des Chemikanten hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich gewandelt, und den Beruf des Mechatronikers gab es in den 80er Jahren noch gar nicht. Die gute Nachricht ist: Da moderne Ausbildungsordnungen mittlerweile recht offen und technikneutral formuliert sind, können wir hier schnell reagieren. Das wird den Wandel erleichtern.
Den vor uns liegenden Veränderungsprozess können wir auch deshalb mit Zuversicht angehen, weil wir in der chemischen Industrie starke Arbeitnehmervertreter als Partner haben. Die Sozialpartner gestalten seit vielen Jahren die Zukunft der Chemie gemeinsam. Das spiegelt sich nicht nur in einer langfristig orientierten Tarifpolitik, die die Beschäftigten angemessen am Unternehmenserfolg beteiligt und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen im Blick behält. Auch die großen Themen Globalisierung, Energiewende und demografischer Wandel haben wir als Herausforderungen längst angenommen.
Deshalb bin ich guter Dinge, dass uns der Schulterschluss auch beim Megathema Digitalisierung gelingen wird. Wir werden gemeinsam dafür Sorge tragen, unsere Mitarbeiter auf der Reise in die digitale Zukunft mitzunehmen. Das ist der weitaus bessere Weg als eine zunehmende politische Regulierung von Arbeit. Diese geht häufig an den betrieblichen Bedürfnissen vorbei und belastet die Unternehmen zusätzlich im internationalen Wettbewerb.
Wenn das Buch „Chemie digital – Arbeitswelt 4.0 dazu beitragen kann, aus der Debatte über die Digitalisierung eine Diskussion über ihre Chancen zu machen, ohne dabei die Risiken auszublenden, dann ist das Ziel erreicht. Zugleich ist dieses Buch ein Appell, mehr Freiheit und Mut zuzulassen, um neue Dinge auszuprobieren. So wird aus „disruptiv
ein „konstruktiv", und ein konstruktiver Optimismus beim Thema Digitalisierung ist genau das, was wir jetzt dringend brauchen.
Sollte in 30 Jahren wieder jemand ein Vorwort für ein Buch über die Zukunft der Arbeit schreiben, dann geht der Blick möglicherweise mit einem Augenzwinkern zurück auf die Anfänge der Digitalisierung – also auf das, was wir heute Industrie 4.0 nennen. Das wäre dann auf eine Art nur die logische Fortsetzung einer Geschichte, in der auch mal Schreibmaschinen wie meine Olympia Monica von damals eine Rolle spielten. Alles hat seine Zeit, so viel ist sicher. Machen wir das Beste aus der Zeit, die vor uns liegt!
Margret Suckale
Präsidentin des BAVC
BAVC-Präsidentin
Margret Suckale im Gespräch mit Günther Oettinger,
EU-Kommissar
für digitale Wirtschaft und Gesellschaft
Chancen nutzen, Mitarbeiter mitnehmen
Lieber Herr Oettinger, bevor wir auf die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft eingehen, zunächst die Frage: Wie verändert die Digitalisierung Ihren Alltag als Politiker?
In der Kommission nutzen wir alle digitalen Kommunikationsmöglichkeiten; so können wir viel flexibler und effektiver arbeiten als noch vor einigen Jahren. Zudem lassen sich Argumente heute viel schneller mit Daten und Fakten untermauern. Durch die technischen Möglichkeiten etwa im Bereich Research wissen wir einfach mehr als früher. Aber auch die Bürger erwarten heute mehr Schnelligkeit und durchgehende Erreichbarkeit.
Sind digitale Medien auch ein Beitrag zur Demokratisierung, oder erschweren sie demokratische Prozesse?
Wir gewinnen vor allem an Transparenz durch die neuen Kommunikationswege. Gleichwohl sehen wir auch, dass Schnelligkeit zuweilen Gründlichkeit verhindert. Meinungen werden heute viel schneller gebildet; fundierter sind sie dadurch oft nicht. Insgesamt hat sich der Kommunikationsstil leider eindeutig verschlechtert.
Stichwort Brexit: Können digitale Medien zum Schlüssel werden, um den Menschen die Vorteile der Europäischen Union wieder besser zu erklären?
Für komplexe Themen wie den Binnenmarkt, die Freizügigkeit oder die gemeinsame Währung sind klassische Medien wie Wochen- oder Tageszeitungen besser geeignet. Gleichzeitig ist der schnelle und uneingeschränkte Zugang zu Informationen über das Internet ein großer Gewinn für Bürger und Politiker. Es geht also nicht um das Entweder-oder: Wir müssen lernen, klassische Medien mit den neuen Medien zu verbinden und ihre spezifischen Vorteile zu nutzen.
Die digitale Ökonomie wird dominiert von
US-Konzernen
, die zum Teil keine 15 Jahre alt sind. Wo bleiben die digitalen Champions des alten Kontinents?
Unsere amerikanischen Partner sind heute stark, wo es um Social Media geht, wo es um Big Data geht, wo man nah am Bürger ist. Bei Unternehmenssoftware und bei der Ausrüstungsindustrie hat auch Europa viele starke Unternehmen. Entscheidend ist, dass wir den europäischen digitalen Binnenmarkt herbeiführen und europäische Standards für Datensicherheit, Datenschutz und grenzüberschreitende Konnektivität setzen. Und wir müssen unsere Beschäftigten durch Weiterbildung fit machen für die digitale Transformation. Darüber hinaus sollten etablierte Unternehmen mehr mit Start-ups kooperieren, um die europäische Start-up-Kultur auszubauen. Denn junge Europäer können genauso kreativ sein wie junge Amerikaner oder Asiaten im Silicon Valley.
Wie sieht Ihre Strategie als
EU-Kommissar
für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft aus, um auf Augenhöhe mitzuspielen?
Man muss nicht alle Themen der Politik europäisieren. Aber digitale Strategien machen nur europäisch Sinn. Die Digitalisierung findet in einer globalen Dimension statt. Europäisch können wir sie mitgestalten, national sicherlich nicht. Die einzelnen Staaten sind zu klein, um relevant zu werden, aber die gesamte EU ist stark genug, um ein entscheidender Player für die digitale Welt von morgen zu sein.
Wie kann die Wirtschaft selbst Sie dabei noch besser unterstützen?
Verbände und Gewerkschaften können zum Beispiel das Thema Weiterbildung vorantreiben. Berufliche Qualifikation wird immer wichtiger. Zudem werbe ich dafür, in allen
EU-Mitgliedsstaaten
vergleichbare Plattformen wie die deutsche Industrie-4.
0-Plattform
aufzubauen. Auch eine Industrie-4.
0-Plattform
der Plattformen halte ich für sinnvoll. Eine optimale Strategie muss dabei immer auf dem Modell der Public-Private-Partnership aufbauen.
Schauen wir auf Deutschland mit seinem hohen Industrieanteil an der Wertschöpfung. Wo sehen Sie die deutsche Wirtschaft in zehn Jahren? Als „Frontrunner" einer digitalen Industrie?
Digitale Technologien verändern fast alle Bereiche der Wirtschaft. 90 Prozent aller Sektoren, Produkte, Dienstleistungen und Arbeitsplätze werden digitalisiert. Deutschland und Europa haben zweifellos zahlreiche Stärken, aber wir können in Zukunft nur erfolgreich sein, wenn wir Ingenieure und
IT-Experten
zusammenbringen, wenn wir
IT-Kompetenzen
bei Ingenieuren verankern und umgekehrt Ingenieurwissen bei
IT-Experten
zum Standard machen.
Was kann die Bundespolitik tun, um die Chancen zu verbessern?
Wichtig ist erstens eine gute Koordination und Zusammenarbeit der verantwortlichen Ressorts. Zweitens sollten wir mehr Geld in europäische Forschungsprogramme investieren, um die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft voranzubringen. Drittens sollte die Bundesregierung einer Kofinanzierung digitaler Infrastruktur aus europäischen Mitteln im Rat positiv gegenüberstehen.
Gibt es in der nächsten Bundesregierung einen Minister für Digitalisierung?
Eine weitere Bündelung der digitalen Kompetenzen nach der Bundestagswahl 2017 in einem Ressort halte ich für sinnvoll.
Was muss geschehen, damit die Menschen in Deutschland vor allem die Chancen der Digitalisierung wahrnehmen?
Die junge Generation sieht fast nur die Chancen der Digitalisierung. Und ich bin sicher, dass der Enkel dem Opa die Chancen eines digitalen Mediums, der digitalen Bildübertragung oder von Gesundheitsapplikationen beibringen wird. Wichtig ist, dass wir die Debatte erweitern: von der Industrie 4.0 zur Wirtschaft 4.0 und zur Arbeitswelt 4.0.
Von entscheidender Bedeutung wird sein, die Mitarbeiter mitzunehmen auf dem Weg in die Arbeitswelt 4.0. Was geben Sie uns mit für diesen Weg?
In der Tat, es kommt darauf an, die Mitarbeiter vorzubereiten und mitzunehmen in die Arbeitswelt 4.0, damit kein Beschäftigter die Sorge haben muss, sein Arbeitsplatz oder er als Arbeitnehmer wird in den nächsten Jahren wegrationalisiert oder seinen Stellenwert verlieren. Hier können Betriebsräte und Tarifparteien einen wichtigen Beitrag leisten. Dort, wo der Arbeitsplatz automatisiert wird, müssen wir durch Weiterbildung und Umschulung eine Perspektive für den Arbeitnehmer schaffen.
Was erwarten Sie von den Sozialpartnern?
Vertikal und horizontal braucht es eine kluge Kompetenzverteilung zwischen Sozialpartnern und Gesetzgeber. Wer macht was? Es muss klar sein, wo der Gesetzgeber gefragt ist und wo die Sozialpartner autonom handeln. Auch bei der Zuordnung zur nationalen oder zur europäischen Ebene brauchen wir Klarheit. Hier ist der Rat der Sozialpartner wichtig. Gerade das Arbeitsrecht kann von einer solchen klaren Kompetenzordnung profitieren.
Braucht es in der neuen Arbeitswelt aus Ihrer Sicht eigentlich noch kollektive Regelungen wie Tarifverträge?
Die Digitalisierung wird völlig neue Anforderungen an Tarifverträge stellen. Sicherlich werden viele Inhalte fortgeschrieben werden können. Aber ich erwarte, dass die Arbeitswelt 4.0 und die Veränderungen durch die digitale Transformation für die nächsten zehn Jahre zum Topthema der Tarifpolitik werden.
„Der Mensch steht weiterhin im Mittelpunkt" – das ist in einem Satz die Essenz der Debatte dieses Buches. Teilen Sie diese Einschätzung?
Ja, denn es sind weiterhin die Menschen, die die Gesetze definieren und den Rahmen setzen. Zudem ist die Kreativität des Menschen, vor allem von Teams, so hoch, dass sie kaum durch Automatisierung und Digitalisierung ersetzt werden kann.
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales
Chemie digital – Arbeitswelt 4.0
Die Bedeutung der chemischen Industrie
Jede und jeder von uns kommt tagtäglich mit Produkten der chemisch-pharmazeutischen Industrie in Berührung. Morgens greifen wir zu Pflegeprodukten und Kosmetika, packen das Pausenbrot in Folie und Plastikdose, müssen vielleicht eine Tablette gegen Heuschnupfen nehmen; wir tragen beim Sport Funktionskleidung, benutzen im Büro Klebstoff und Textmarker und essen Obst und Gemüse, das, bevor es auf unseren Tellern landete, gedüngt und gegen Schädlinge behandelt wurde. Unser Alltag ist ohne chemische Produkte in Form von Kunststoffen und synthetischem Kautschuk, pharmazeutischen und anderen chemischen Erzeugnissen wie Klebstoffen, Textilien und Konservierungsmitteln und vielem anderen gar nicht denkbar.
Die chemisch-pharmazeutische Industrie hat aber nicht nur eine große Bedeutung für unseren Alltag, sondern auch die Wirtschaft insgesamt profitiert in hohem Maße von ihr. Sie gehört traditionell zum Kern der deutschen Volkswirtschaft. Neben Produkten des alltäglichen Bedarfs stellt die chemisch-pharmazeutische Industrie für viele andere wichtige Industriezweige wie den Automobil- und Maschinenbau, die Kunststoff- und Lebensmittelindustrie Stoffe her, die von diesen industriell weiterverarbeitet werden. Sie produziert also größtenteils Vorleistungsgüter. Knapp 60 Prozent der Umsätze der chemisch-pharmazeutischen Industrie werden im Ausland erwirtschaftet. Mit den USA, Japan und China zählt Deutschland auf dem Weltmarkt für Chemikalien zu den größten Akteuren.
Auch was Forschung und Wissenschaft anbelangt, muss sich Deutschland im internationalen Vergleich traditionell keineswegs verstecken: Bis zum Jahr 2015 erhielten 29 deutsche Wissenschaftler den Chemie-Nobelpreis. Zuletzt wurde vor zwei Jahren Stefan Hell, Direktor des Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie in Göttingen, für die Entwicklung superauflösender Fluoreszenzmikroskopie gemeinsam mit zwei Forscherkollegen mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet. Dank der Forschungen des Göttinger Wissenschaftlers können kleinste Vorgänge in lebenden Zellen sichtbar gemacht werden.
Sozialpartnerschaftlich den Wandel gestalten
Erfolgreich zu sein und zu bleiben setzt immer voraus, auf der Höhe der Zeit zu sein und sich frühzeitig neuen Herausforderungen zu stellen. Das hat die chemisch-pharmazeutische Industrie in der Vergangenheit stets getan: So reagierte sie als eine der ersten Branchen in Deutschland auf den demographischen Wandel und thematisierte das Thema der zukunftsgerechten Gestaltung von Arbeit. Im Ergebnis schlossen die Chemie-Sozialpartner bereits im Jahr 2008 den ersten Flächentarifvertrag „Lebensarbeitszeit und Demografie". Darin verständigten sich die Arbeitgeber- und die Arbeitnehmerseite auf verbindliche Analysen der Altersstruktur in den Unternehmen und auf Maßnahmen zur alters- und gesundheitsgerechten Gestaltung des Arbeitsprozesses. Die betriebliche Umsetzung des Tarifvertrages wurde seinerzeit vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Rahmen der Projektförderung unter dem Dach der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) unterstützt.
Es ist uns ein großes Anliegen, im Rahmen von INQA Unternehmen und Institutionen dabei zu unterstützen, eine moderne und motivierende Arbeitskultur zu entwickeln und zu etablieren. Dabei liegt der Fokus auf vier personalpolitischen Handlungsfeldern: Neben guter Personalführung sind das Chancengleichheit und Diversity, Gesundheit sowie Wissen und Kompetenz. In diesen Bereichen liegt der Schlüssel für gute Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten – und damit für langfristige Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit der Unternehmen in der Arbeitswelt der Zukunft.
Nichts ist so beständig wie die Veränderung
Neben dem demographischen Wandel und einem neuen Schub der Globalisierung bringt auch die Digitalisierung tiefgreifende Veränderungen für unser tägliches Leben mit sich. Sie wirkt sich auf unser Konsumverhalten aus, auf die Kommunikation und natürlich in hohem Maße auch auf die Art und Weise, wie wir arbeiten. Diese Veränderungen zeichnen sich nicht fern am Horizont ab, sie haben längst Einzug gehalten in Fabriken, Büroetagen und im Dienstleistungssektor. Roboter erledigen belastende und monotone Tätigkeiten, Projektskizzen und Ideenpapiere können von überall und zu jeder Zeit geschrieben und versandt werden, die Reise wird am Küchentisch gebucht und der Einkauf bequem per Klick vom Sofa aus erledigt. Das ist alles keine Zukunftsmusik, Leben und Arbeit der Zukunft finden längst statt. Dabei gilt: Nichts ist so beständig wie die Veränderung, ein Ende des technologischen Fortschritts ist also nicht abzusehen.
Darauf sollten wir uns einstellen und uns für die Veränderungen wappnen, die weiter auf uns zukommen werden. Denn sie sind nicht abstrakt, sondern wirken auch in Zukunft hinein in unser Leben, in unser Miteinander, in unsere Arbeit. Albert Einstein hat dazu einmal treffend bemerkt: „Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben."
Die Chemiebranche im digitalen Wandel
Von den Veränderungen für die Arbeitswelt durch die Digitalisierung sind nahezu alle Tätigkeitsfelder und Branchen tangiert. Allerdings verläuft der digitale Wandel nicht überall gleichförmig.
Da sie aufgrund der Prozessfertigung bereits einen hohen Automatisierungsgrad aufweist, sind viele der Entwicklungen, die in anderen Branchen derzeit unter den Stichworten Automatisierung, Digitalisierung und Robotisierung diskutiert werden, für die chemisch-pharmazeutische Industrie bereits bekanntes Terrain. In der Chemie ist oft schon gängige Praxis, was im Maschinenbau unter dem Schlagwort „Industrie 4.0" gefasst wird. Die Herstellung wird bereits seit langem rechnergestützt und hochintegriert gesteuert. Dabei werden auch Vorleistungen erbracht und Komponenten, zum Beispiel für schnelle Glasfaserkabel, ultraflache Bildschirme und leistungsfähige Computerchips und Akkus, hergestellt, ohne die weitere Fortschritte bei der Digitalisierung kaum vorstellbar wären.
Einer Studie des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e.V. und von Roland Berger zufolge werden sich daher die Marktverhältnisse in der chemisch-pharmazeutischen Industrie durch die fortschreitende digitale Transformation nicht grundlegend verändern. Sie sieht die Chemie weniger vor strategische Fragen gestellt als andere Branchen, da diese bereits heute über eine hohe digitale Reife verfüge. Evolutionäre Weiterentwicklungen im Sinne einer fortschreitenden Automatisierung oder die Entwicklung von Spezialprodukten (Agrochemie) stünden im Mittelpunkt. Dies spiegelt sich auch in den Einschätzungen zur Branche wider: Einer Befragung von 300 Top-Managern der deutschen Wirtschaft zufolge schätzt die Chemiebranche ihre digitale Reife als bereits hoch ein.
Aber auch wenn die Digitalisierung in der chemisch-pharmazeutischen Industrie bereits weiter fortgeschritten ist als in anderen Bereichen und man bereits auf einen großen Erfahrungsschatz zurückgreifen kann, stellen sich gleichwohl auch hier Zukunftsfragen: Wie verändert die Digitalisierung unsere Arbeitswelt? Wie werden wir morgen arbeiten? Und welche neuen Antworten brauchen wir für die Aushandlung von Kompromissen, die Unternehmen und Beschäftigten gleichermaßen nutzen?
Dialogprozess „Arbeiten 4.0"
Um eine übergreifende und breite gesellschaftliche Debatte über diese Fragen anzustoßen, habe ich im April 2015 einen Dialogprozess über die Arbeitswelt von morgen angestoßen. Gemeinsam mit den Sozialpartnern, Expertinnen und Experten und der Zivilgesellschaft diskutieren wir darüber, wie wir in Zukunft arbeiten wollen und arbeiten werden. Mir ist es ein großes Anliegen, wegzukommen von der oft techniklastigen Debatte um die „Industrie 4.0. Dem habe ich bewusst das Motto „Arbeiten 4.0
entgegengesetzt und den Menschen mit seinen Bedürfnissen, Möglichkeiten und Wünschen in den Fokus unseres Dialogprozesses gerückt.
Zu Beginn des Dialogprozesses haben wir das Grünbuch „Arbeiten 4.0" herausgegeben, das die zentralen Herausforderungen skizziert und die wichtigen Handlungsfelder aufzeigt. Es geht dabei etwa um die Frage, wie wir die Menschen ausreichend für den Wandel qualifizieren können, wie wir Arbeit, Familie und Freizeit – auch durch neue Möglichkeiten in der digitalen Arbeitswelt – in den verschiedenen Lebensphasen besser vereinbaren können. Es geht darüber hinaus auch darum, welche Auswirkungen der digitale Wandel von Marktstrukturen, Unternehmens- und Arbeitsorganisation auf unser Modell der sozialen Marktwirtschaft hat. Wie wirkt es sich zum Beispiel auf unser System der verfassten Mitbestimmung aus, wenn Konzerne und ihre Beschäftigten über Ländergrenzen und Kontinente hinweg agieren und – immer häufiger rein digital vermittelt – zusammenarbeiten? Wie organisieren wir die soziale Absicherung, aber auch die betriebliche Partizipation bei einem wachsenden Anteil von Arbeit über die Crowd, der Verlagerung von Tätigkeiten aus Betrieben an eine Masse unbekannter Akteure in der digitalen Welt, vorwiegend über eigens darauf spezialisierte Plattformen? Das alles sind Fragen, die wir