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Gottes ABC: Gedanken und Texte zum Lesejahr C
Gottes ABC: Gedanken und Texte zum Lesejahr C
Gottes ABC: Gedanken und Texte zum Lesejahr C
Ebook499 pages5 hours

Gottes ABC: Gedanken und Texte zum Lesejahr C

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About this ebook

Zum neuen Kirchenjahr legt Klaus Müller den dritten Band von Gottes ABC vor. Seine Gedanken, Texte und Impulse folgen dem Rhythmus der Sonn- und Feiertage der katholischen Liturgie. Der Band C setzt ein im Advent 2014. Gemeinsam bilden nun die drei Bände als Gesamtwerk einen reichhaltigen geistlichen Begleiter für die Leseordnung aller Kirchenjahre.
LanguageDeutsch
PublisherAschendorff
Release dateNov 24, 2015
ISBN9783402197639
Gottes ABC: Gedanken und Texte zum Lesejahr C

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    Book preview

    Gottes ABC - Klaus Müller

    anderer

    Inhalt

    Vorwort

    Advents- und Weihnachtszeit

    Erster Advent: Lk 21,25–28.34–36 (und 1 Thess 3,12–4,2)

    Zwischen Kairos und Parusie

    Zweiter Advent: Lk 3,1–6

    Wahrheit aus der Wüste

    Dritter Advent: Lk 3,10–18 (und Zef 3,14–17; Phil 4,4–7)

    Einfach so

    Vierter Advent: Lk 1,39–47

    Wider das Missverstehen

    Weihnachten – in der Nacht: Lk 2,1–14

    Was von Weihnachten blieb

    Weihnachten – am Tag: Joh 1,1–18

    Logos

    Fest des Heiligen Stephanus: Apg 6,8–10; 7,54–60

    Grundgesetz

    Fest der Heiligen Familie: Lk 2,41–52

    Ganz glauben

    Hochfest der Gottesmutter Maria – Neujahr: Num 6,22–27 [zugewählt]

    Im Segen geborgen

    Zweiter Sonntag nach Weihnachten: Joh 1,1–18

    Fascinosum Wort

    Erscheinung des Herrn: Mt 2,1–12

    Gottes Plan

    Fest der Taufe des Herrn: Lk 3,15–16.21–22 und Apg 10,34–38

    Ernst gemeint

    Fasten- und Osterzeit

    Erster Fastensonntag: Lk 4,1 –13; 9,28b–36 und Pss 1; 2; 149; 150

    Doppeltor und Echo

    Zweiter Fastensonntag: Gen 15,5–12.17–18

    Einprägsame Verheißung

    Dritter Fastensonntag: Ex 3,1–8a.13–15

    Theologie der Unruhe

    Vierter Fastensonntag: Lk 15,1–3.11–32

    Der Gott der Verlorenen

    Fünfter Fastensonntag: Joh 8,1–11

    Letzte Stellprobe

    Palmsonntag: Lk 22,14–23.56

    Einen Tod feiern?

    Gründonnerstag: Ex 12,1–8.11–14

    Wenn Gott „ich" sagt

    Karfreitag: Jes 52,13–53,12

    Um das wahre Bild von Gott

    Osternacht: Systematische Meditation [Hintergrund: 2 Kor 5,20]

    Sprechende Leerstellen

    Ostertag: Systematische Meditation

    Gottes Siegelstein

    Ostermontag: Lk 24,13–35; Apg 2; 1 Kor 15; Offb passim

    Hervorgelockte Geschichte

    Zweiter Ostersonntag: Joh 20,19–31

    Osterwunder – mehrfach

    Dritter Ostersonntag: Joh 21,1–14

    Ostern nach Ostern

    Vierter Ostersonntag: Joh 10,27–30

    Gott, christlich

    Fünfter Ostersonntag: Joh 13,31–33a.34–35

    Neues Gebot

    Sechster Ostersonntag: Joh 14,23–29 und Offb 21,10–14.22–23

    Von der Würde und der Heimat

    Christi Himmelfahrt: Apg 1,1–11; Hebr 9,24–28; 10,19–23; Lk 24,46–53

    Dreifacher Fingerzeig

    Siebter Ostersonntag: Joh 17,20–26 und Eph 20,4–10 [zugewählt]

    Gottes Bild

    Pfingsten: Gal 5,15–25 (26)

    Was der Geist tut

    Pfingstmontag: Röm 8,14–17

    Worauf Ostern hinauswill

    Dreifaltigkeitssonntag: Spr 8,22–32

    Etwas von Gott

    Fronleichnam: Lk 9,11b–17

    Unterbau

    Sonntage im Jahreskreis

    Erster Sonntag im Jahreskreis: [siehe Fest der Taufe Jesu]

    Zweiter Sonntag im Jahreskreis: Joh 2,1–12

    Programmatischer Einstand

    Dritter Sonntag im Jahreskreis: 1 Kor 12,12–14.27

    Wer wir sind

    Vierter Sonntag im Jahreskreis: Lk 4,21–30

    Jesus am Rand

    Fünfter Sonntag im Jahreskreis: Lk 5,1–11

    Wort von drüben

    Sechster Sonntag im Jahreskreis: Lk 6,17.20–26

    Lebenslehrer

    Siebter Sonntag im Jahreskreis: Lk 6,27–38

    Gottes-Logik

    Achter Sonntag im Jahreskreis: 1 Kor 15,54–58

    Was wir suchen

    Neunter Sonntag im Jahreskreis: Lk 7,1–10

    Jesuanische Seel-Sorge

    Zehnter Sonntag im Jahreskreis: Lk 7,1–17

    Wenn der Tod zum Leben gehört

    Elfter Sonntag im Jahreskreis: Lk 7,36–8,3

    Evangelium von der verlorenen Fassung

    Zwölfter Sonntag im Jahreskreis: Lk 9,18–(24) 26

    Christus und die Christen

    Dreizehnter Sonntag im Jahreskreis: Lk 9,51–62

    Ruf in die Paria-Existenz

    Vierzehnter Sonntag im Jahreskreis: Lk 10,1–12.17–20

    Stellenausschreibung

    Fünfzehnter Sonntag im Jahreskreis: Lk 10,15–37

    Die Mitte

    Sechzehnter Sonntag im Jahreskreis: Lk 10,38–42

    Christliches Handeln

    Siebzehnter Sonntag im Jahreskreis: Lk 11,1–13

    Einübung in die Absichtslosigkeit

    Achtzehnter Sonntag im Jahreskreis: Koh 1,2; 2,21–23 und Lk 12,13–21

    Lob der Zufälligkeit

    Neunzehnter Sonntag im Jahreskreis: Lk 12,32–48

    Was uns richtet

    Zwanzigster Sonntag im Jahreskreis: Lk 12,49–53

    Wenn Glaube brennt

    Einundzwanzigster Sonntag im Jahreskreis: Lk 13,22–30

    Zwischen Ernst und Zuversicht

    Zweiundzwanzigster Sonntag im Jahreskreis: Lk 14,1.7–14

    Von der christlichen Demut

    Dreiundzwanzigster Sonntag im Jahreskreis: Lk 14,25–33

    Hierarchie auf evangelisch

    Vierundzwanzigster Sonntag im Jahreskreis: Lk 15,1–10 [Kurzfassung]

    Gottes Unverhältnismäßigkeit

    Fünfundzwanzigster Sonntag im Jahreskreis: Lk 16,1–13

    Kluges Engagement

    Sechsundzwanzigster Sonntag im Jahreskreis: Lk 16,19–31

    Einstellungssache

    Siebenundzwanzigster Sonntag im Jahreskreis: Lk 17,5–10

    Falsch gebetet

    Achtundzwanzigster Sonntag im Jahreskreis: Dtn 8,7–18 und Lk 17,11–19

    Vom Danken

    Neunundzwanzigster Sonntag im Jahreskreis: Lk 18,1–8

    Was beim Beten geschieht

    Dreißigster Sonntag im Jahreskreis: Lk 18,9–14

    Vor Gott: Verkehrte Welt

    Einunddreißigster Sonntag im Jahreskreis: Lk 19,1–10

    Gottes Überschwänglichkeit

    Zweiunddreißigster Sonntag im Jahreskreis: Lk 20,27–38

    Jesu Ewigkeit

    Dreiunddreißigster Sonntag im Jahreskreis: Lk 21,5–19

    Auf Hoffnung gestellt

    Vierunddreißigster Sonntag im Jahreskreis – Fest Christkönig: Lk 23,35–43

    Macht von Gottes Art

    Ausgewählte Feste

    Aufnahme Mariens in den Himmel: 1 Kor 15,20–27a

    Heimkehr ins Leben

    Erntedank: 1 Tim 6,6–11.17–19

    Was reicht

    Allerheiligen: Mt 5,1–12a

    Verschwenderischer Gott

    Allerseelen: Röm 8,14–23 und Lk 7,11–17

    Hauch der Versöhnung

    Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria: Systematische Meditation

    Das Einmalige und das Gemeinsame

    Vorwort

    Mit diesem Band kommt Gottes ABC zum Abschluss. Es war und ist der Versuch, auch in der Sprache der Verkündigung Glaube und Vernunft untrennbar zu verweben. Anders darf in religiös dermaßen produktiv und aufgeladenen Zeiten wie heute von Gott gar nicht mehr gesprochen werden, weil sich christlicher Glaube seit Anfang immer auch als Aufklärung im besten Sinn des Wortes versteht. Doch zugleich soll durch den Einbezug von Stimmen aus der bildenden Kunst, der Musik und der Poesie auch etwas von der Schönheit der christlichen Botschaft aufleuchten.

    Viele haben zum Gelingen dieses Großprojekts beigetragen. In besonderer Weise gilt das von meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Seminar für Philosophische Grundfragen der Theologie, namentlich Rahel Steinmetz und Georg Pfalsdorf. Meine Sekretärin Monika Epping hat sich – wie auch schon all die Jahre zuvor – mit größtem Elan in den Dienst der Sache gestellt, die ja noch neben dem Alltagsgeschäft gemeistert werden wollte. Das Gleiche gilt von den Schwestern des Klarissenkonvents am Dom zu Münster, die nicht müde wurden, dem Druckfehlerteufel und irgendwelchen dem Autor anzulastenden (im Norden nicht verständlichen) Bavarismen auf der Spur zu bleiben, um sie unerbittlich zu tilgen.

    Besonderer Dank gilt schlussendlich auch Herrn Dr. Bernward Kröger vom Aschendorff Verlag, der das ABC-Projekt über Jahre mit Akribie und größtem Interesse verfolgt und begleitet hat.

    Mir selbst ist in den Jahren an der Vorbereitung der drei Bände klar geworden, dass die derzeitige Leseordnung aus der Bibel im Rahmen der katholischen Liturgie einer dringenden Revision bedarf, gerade im Umgang mit dem Alten Testament. Diese einzulösen wird meiner Generation nicht mehr beschieden sein. Aber zumindest war es mein durchgängiges Bemühen, das Neue Testament als den ersten Kommentar zum Alten Testament zur Geltung zu bringen und so den jüdischen Wurzeln des christlichen Glaubens gerecht zu werden.

    Regensburg/Münster, am 03. Juli 2015,

    dem Fest des Hl. Apostels Thomas, des produktiven Zweiflers

    Klaus Müller

    Advents- und Weihnachtszeit

    Erster Advent: Lk 21,25–28.34–36 (und 1 Thess 3,12–4,2)

    Zwischen Kairos und Parusie

    — Nachdenklicher Anfang —

    Mit dem heutigen Sonntag beginnt der Advent. Er macht den Anfang im Kreis des Kirchenjahres, mit dem wir die Geheimnisse des Glaubens feiern. Trotz der unguten Entleerung so vieler Zeichen und Bräuche des Glaubens und trotz der Hektik, die sich nicht wenige immer noch machen in den Wochen vor Weihnachten, – trotzdem haben diese adventlichen Tage etwas Besonderes an sich: das warme Licht der Kerzen in der Dunkelheit, grüne Zweige, ein leises Lied – das macht nachdenklicher als sonst; und wenn einer nicht ganz abgestumpft ist, rührt es ihn in der Seele an.

    — Unerwartete Ouvertüre —

    Seltsamerweise steht am Beginn des Advents in der Liturgie ein Evangelium, das gar nicht zu dem Gefühl zu passen scheint, das wir mit diesen Tagen verbinden. Aber das ist nur scheinbar so: In Wirklichkeit redet uns das Evangelium am ersten Tag des Kirchenjahres – gleichsam wie die Ouvertüre am Beginn eines musikalischen Werkes – davon, was sich wie der rote Faden durch das ganze Kirchenjahr zieht: vom Grund unseres Glaubens und von der Kraft, die in ihm wirkt.

    — Wenn die Welt einstürzt —

    Da spricht Jesus von Zeichen am Himmel, vom Tosen des Meeres, davon, dass die kosmischen Kräfte erschüttert und die Menschen vor Angst vergehen werden. Wie immer in der Bibel steht dabei das, was als äußeres, sichtbares Geschehen erzählt wird, als Sinnbild für die inneren Dinge, von denen die Rede ist. Und das ist hier in diesem Evangelium – so steht es da – die Angst. Sie alle wissen, wie das ist, wenn man Angst vor etwas hat, Angst um jemanden, auch um sich selbst vielleicht: Da fällt einem die Decke auf den Kopf; der Himmel mit den Sternen, das ganze Gewölbe unserer Ideale und Orientierung bricht ein: Der Boden unter den Füßen scheint nicht mehr verlässlich zu tragen, buchstäblich untergehen fühlen wir uns in der Angst wie in einem uferlosen, tosenden Meer, dem nichts Einhalt gebieten kann. Wenn wir Schuld auf uns geladen, wenn wir schwere Fehler begangen, einen lieben Menschen verloren oder schlimm versagt haben, da wird uns so, als ob wir vergehen müssten. Nicht nur einmal im Leben stürzt dem Menschen die Welt ein, manchmal so oft, dass er gar nicht mehr leben kann.

    Aber ganz eigenartig verbindet unser Evangelium die Erschütterung durch die Angst mit einem Versprechen: Wenn all das beginnt, dann richtet euch auf, denn eure Erlösung ist nahe! Dann werdet ihr den Menschensohn mit Macht und Herrlichkeit auf einer Wolke kommen sehen. Mit diesem alttestamentlichen Sinnbild vom gottgeschickten Retter aus aller Not meint das Evangelium: Wenn Dir, Mensch, alles aus der Hand gleitet, wenn Du nichts mehr hast, um Dich selbst zu sichern und Dir etwas vorzumachen; wenn Du Dich nicht betäubst – durch Rausch und Trunkenheit –, und auch nicht mit der Geschäftigkeit des Alltags die Angst überspielst, sondern sie Dir eingestehst, dann kommst Du vor Deine eigene Wahrheit, eine Wahrheit, die Dich frei macht.

    — Christlicher Spannungsbogen —

    Diese urchristliche Erfahrung hat übrigens im 20. Jahrhundert eine ganz eigenwillige, faszinierende Wirkungsgeschichte entfaltet, denn sie wurde für einen der größten wie auch umstrittensten Denker der Zeit zu einem der Dreh- und Angelpunkte seiner Beschreibung von Welt und Leben: Martin Heidegger. Heidegger hat nämlich 1920/21 als junger Privatdozent in Freiburg Vorlesungen über den Ersten Brief an die Gemeinde in Thessaloniki und über ein Buch der Confessiones des Augustinus gehalten. Das hatte gar nichts damit zu tun, dass da ein Philosoph herumzutheologisieren versuchte. Heidegger hatte zwar nach dem Abitur zunächst ein Theologiestudium begonnen, dieses aber nach vier Semestern abgebrochen, weil er immer mehr zu der Überzeugung gelangte, dass die katholische Theologie seiner Zeit mit ihrem neuscholastischen Begriffsapparat das nicht zu erfassen vermochte, was in den Worten des Neuen Testaments als urchristliche Lebenserfahrung festgehalten ist: dass nämlich das faktische Leben, das Leben so wie es wirklich und eigentlich ist, nicht im Horizont der platonischen Philosophie, sondern der urchristlichen Erfahrung entdeckt worden sei: die Einmaligkeit seiner Situation, in die es durch das Kommen Christi gestellt ist, den Kairos, und andererseits sein Gefährdetsein, sein Ausgerichtetsein auf die Zukunft, nämlich das Wiederkommen Christi, die Parusie. Der erste Brief an die Gemeinde in Thessaloniki, aus dem auch die zweite Lesung vorhin stammte, ist übrigens die älteste erhaltene Schrift des Urchristentums, das älteste Stück des Neuen Testaments, sodass dort unmittelbarer als in den anderen Schriften der Originalton dieses ursprünglichen Glaubensbewusstseins laut wird – man merkt das übrigens auch an der Fremdheit, die für Leserinnen und Leser von heute nicht wenige Passagen dieses Paulusbriefes durchzieht, so etwa, wenn an einer Stelle von der Posaune Gottes die Rede ist, die die Toten weckt und mit ihnen die Lebenden auf den Wolken in die Luft entrückt oder Ähnliches. Aber weil die Theologie mit erborgten Mitteln, mit platonischen und aristotelischen Kategorien an die ihr aufgegebene Sache herangeht, verfehlt sie das, was sie eigentlich weitersagen sollte. Und darum muss sich nach Heideggers Überzeugung die Philosophie an die Aufgabe machen, jene ursprüngliche Wahrheit über den Menschen und das Leben authentisch zu Gehör zu bringen. Gerade in dieser frühen Auseinandersetzung mit der urchristlichen Lebenserfahrung hat Heidegger auch die Bahnen ausgelotet, auf denen später die Grundgedanken seines großen Werkes Sein und Zeit zur Entfaltung kommen sollten. Und einer der Leitgedanken dort lautet, des Menschen Leben sei im tiefsten ein „Sein zum Tode".

    — Trost und Hoffnung —

    Damit hatte sich der Philosoph freilich unbeschadet des urchristlichen Motivs im Ansatz weit vom Christlichen entfernt. Denn die Glaubenden haben nie aufgehört, diese Botschaft vom Ausgespanntsein des Lebens nach vorne auch als Trost und Hoffnungswort zu verstehen. Wenn Du anerkennst, ganz und gar ungesichert zu sein, dann wird Dir wie von selbst aufgehen, was allein Dir Hand gibt und Boden unter den Füßen: der Menschensohn. Das meint: Wo nichts mehr in meiner Macht steht, bleibt mir, Mensch zu sein, wie Gott es gedacht hat: also die Menschlichkeit.

    Was Menschlichkeit ist, das wissen Christinnen und Christen von dem Menschen aus Fleisch und Blut, den das Evangelium, weil er so ist, wie er ist, den Menschensohn nennt: Jesus von Nazareth. Das Gottvertrauen und die Güte, die ihn beseelten, sie haben gemacht, dass seine Menschlichkeit Menschen durch und durch ging, manchmal so sehr, dass einer durch seine bloße Gegenwart gesund geworden ist, wenn er zuvor von der Angst zerrissen gar nicht mehr er selber hat sein können. Jesu Gottvertrauen und seine Güte, die haben Menschen ermutigt, neu anzufangen mit Gott und mit sich. Die haben ihnen die Kraft gegeben, die Not ihres Lebens menschlich zu bestehen – und manchmal auch sogar des Sterbens noch, dasjenige von lieben Menschen und das eigene einmal, ohne in der Angst unterzugehen. Gott zu trauen wie Jesus und ein wenig auch nur von der Güte zu leben, für die er steht, das macht stark gegen das Chaos, das die Angst anrichtet. Und das lässt einen am Ende auch vor dem bestehen, an dem wir alle gemessen werden von Gott: am Menschensohn, an dem also, der Mensch war, wie Gott will, dass Menschen sind.

    — Biblischer Adventskalender —

    Glaube heißt: Ich lasse den Menschensohn – das, wofür er steht – in mir mächtig werden. Wie das anfängt, das werden wir bald in allen Einzelheiten hören: in den Geschichten von der Geburt des Menschenkindes, in dem der Menschensohn einer von uns geworden ist, um uns auf Du und Du menschlich nahezubringen, was es heißt, ein Mensch zu sein. Darum auch steht das Evangelium, das sein Kommen verheißt, am Beginn der Zeit, in der wir uns auf das Geheimnis der Menschwerdung, auf Weihnachten vorbereiten. Und das große Zeichen dieser Tage – der Adventskranz – macht vielfältig sichtbar, welche Hoffnung unser Glaube wagen darf: Da ist der Kranz, der nicht Anfang und Ende hat – so treu ist Gott, immer und ohne Ende. Der Kranz ist aus grünen Zweigen gewunden, Lebendiges mitten in der toten Winterzeit – auch da, wo alles aus scheint, gibt es einen neuen Aufbruch. Je länger wir auf den Menschensohn warten, desto mehr Kerzen entzünden wir – desto heller wird es in uns und um uns. Und die bunten Bänder am Kranz lassen uns ahnen, dass den Christinnen und Christen trotz der Not, die ihr Leben treffen mag, Freude kein Fremdwort wird. Darum auch beendet Paulus seinen Ersten Brief an die Gemeinde in Thessaloniki unter anderem mit den Worten:

    … ermutigt die Ängstlichen,

    nehmt euch der Schwachen an,

    seid geduldig mit allen!

    Seht zu, dass keiner dem andern Böses mit Bösem vergilt,

    sondern bemüht euch immer, einander und allen Gutes zu tun.

    Freut euch zu jeder Zeit!

    Betet ohne Unterlaß!

    Dankt für alles, das will Gott von euch,

    die ihr Christus Jesus gehört!

    Löscht den Geist nicht aus! …

    Prüft alles, behaltet das Gute!

    Das ist gleichsam ein biblischer Adventskalender – lauter kleine Fenster aus Worten in das Geheimnis geborgenen Lebens hinein. Wenn wir auch nur das eine oder andere daraus ein wenig in unseren gelebten Werktag zu übersetzen suchten, hätte wir mit diesem Advent einen neuen Anfang mit dem Glauben gemacht.

    Zweiter Advent: Lk 3,1–6

    Wahrheit aus der Wüste

    — Von der Macht der Bilder —

    In den Jahren, da ich als Seelsorger im Gefängnis tätig war, habe ich erst eigentlich verstehen gelernt, was Bilder bedeuten. Die Wände jedes Haftraums wurden für mich zum Bilderbuch der Seele dessen, der darin untergebracht war, Bilderbuch seiner Träume, seiner Ängste, der Hoffnungen. Bilder auch zum Betäuben: Pin-up-Girls ohne Ende aus den Boulevard-Magazinen; Poster von muskelstrotzenden Kinohelden; auf einer sonst kahlen Wand einzig das Hochglanzfoto einer Sportlimousine. Hie und da einer, der sich ein Marienbild übers Bett heftete. Und ganz oft Fotos von Freund oder Freundin, von Ehemann oder Ehefrau und von den Kindern. Bilder sind wichtiger für uns als Worte: Durch Bilder prägt sich unauslöschlich ein, wenn Dinge geschehen, die uns zuinnerst treffen. In Bildern formt sich, was wir hoffen und fürchten. Für alles, was uns wichtig ist, finden und schaffen wir Bilder.

    — Bilderbuch zum Evangelium —

    Kein Wunder, dass es darum auch so etwas wie ein Bilderbuch zu den Worten des Evangeliums gibt: Das sind die Heiligen. Wie sie sind und leben, dadurch machen sie sichtbar, was Gott und Glaube, was Reue, Liebe und Freiheit heißt: Sie machen ihr Leben zu einem Bild für all dies. Die Adventszeit, in der wir stehen, und ihre Botschaft, die haben ein solches kleines Bilderbuch gleichsam ganz für sich. Vier Seiten hat es: Am vierten Dezember ist der Gedenktag der Heiligen Barbara, am sechsten feiern wir den Heiligen Nikolaus, immer wieder, besonders am achten Dezember, denken wir an Maria, die Gottesmutter, die persönlich ganz in der Erwartung Jesu, also adventlich gelebt hat. Ja, und heute begegnet uns im Evangelium die Gestalt, die noch enger als die anderen drei zum Advent gehört: Johannes der Täufer. Sein Bild prägt diese adventlichen Tage wie kein anderes.

    — Die Täufer-Wahrheit —

    Das Evangelium nennt den Täufer Vorläufer Jesu, und dieser selbst sagt über Johannes, er sei der größte je von einer Frau Geborene unter den Menschen – also derjenige, der als Mensch, von unten, der Wahrheit von oben, die Jesus verkünden wird, am nächsten kommt. Und was ist das für eine Wahrheit, die Johannes verkörpert und darum dann auch predigt? Seine Wahrheit gipfelt in dem Satz: Kehrt um und lasst euch taufen zur Vergebung der Sünden. Wie kommt Johannes zu dieser Botschaft? Das sagt uns das Evangelium durch das, was es über Johannes erzählt.

    Auf das Jahr genau und mit Namen berichtet Lukas, wann Johannes aufgetreten ist: Tiberius regiert als Kaiser, Pontius Pilatus ist Statthalter von Judäa, Herodes, Philippus und Lysanias haben die ringsum liegenden Fürstentümer inne. Und in der Region haben Hannas und Kajaphas das Sagen. – Da erging das Wort Gottes an Johannes. Dieser eine Satz macht all die Großen von soeben, die Herren und Herrschaften und Hochwürden zu Statisten. Sie alle verfügen nicht über die Wahrheit. Rang und Titel verbürgen sie nicht. Wahrheit geschieht einzig zwischen Gott und dem Menschen, der auf ihn hört, der nach innen ganz Ohr ist, was ihm die Stimme des Gewissens zu sagen hat.

    Das alles sagt Lukas also nicht bloß, um ein Datum zu fixieren für das öffentliche Auftreten Jesu, von dem er erzählen will. Stattdessen führen diese scheinbar so äußerlichen Angaben sozusagen senkrecht in die Innenwelt des Evangeliums: Palästina stand damals unter Fremdherrschaft, Herr des Landes ist der römische Kaiser Tiberius, von dem die römischen Geschichtsschreiber das Bild eines misstrauischen, grausamen, genusssüchtigen Herrschers entworfen haben; der südliche Teil des Landes wird vom Statthalter Pontius Pilatus verwaltet, bekannt als rücksichtslos, bestechlich, gewalttätig. Die Politiker aus dem eigenen Volk – Herodes, Philippus, Lysanias – waren mächtig nur von des Kaisers Gnaden, Speichellecker und Hofschranzen logischerweise; und die geistlichen Autoritäten, die Hohepriester Hannas und Kajaphas, wussten sich mit aalglatter Diplomatie und Opportunismus über lange Jahre an der Macht zuhalten. Ganz abgesehen davon, dass Galiläa, dieser hinterste Winkel Israels, den unzweideutigen Ruf hatte, das Glasscherbenviertel der damals bekannten Welt zu sein –; da erging das Wort Gottes. Mitten in dieses Gewirr von Machtmissbrauch und Gekungel, von Schleimerei und Niedertracht begibt sich Gott mit der Berufung des Johannes. Nicht in einem windstillen Winkel heiliger Welt will er sich einlassen auf die Menschen und ihre Geschichte, sondern dort, wo es zugeht, wie man so sagt. Evangelium – gute Nachricht – ist das. Nicht von hoch oben in der Hehre majestätischen Glanzes meldet sich Gott zu Wort, sondern inmitten der Unansehnlichkeit, die die Welt der Menschen prägt: wo geschachert und getreten wird, gelogen und betrogen. In diese Welt – in diese unsere Welt – stellt Gott sich mitten hinein, bar allen Schutzes und aller Rüstung. Das ist das Vorzeichen, unter dem uns Lukas mit der Geschichte vom Leben Jesu von dem Gott erzählt, der sich nicht zu gut ist für diese Welt; ein Gott, der sich eher zum Narren machen lässt für die Welt, als sie fallen zu lassen; einer, dem seine Ehre nichts wert ist, wenn es um die Menschen geht. So heruntergekommen ist er im wörtlichsten Sinn des Wortes. Keine Religion der Welt hat je von ihrem Gott so sprechen dürfen. Die Gebildeten der Spätantike wie ein Kelsos empörten sich über eine solche Geschmacklosigkeit. Christinnen und Christen müssen so reden von Gott.

    — Verstörende Unmittelbarkeit —

    Das fällt uns im Übrigen gar nicht leicht – wahrzunehmen, dass Gott uns so unmittelbar nah sein will. Viel lieber hätten wir ihn doch gern hoch oben auf Altären und Podesten. Da störte er uns nämlich nicht so sehr. Kein Wunder darum, dass das an Johannes ergehende Wort dieses Gottes für die Menschen als Ruf zur Umkehr und zur Vergebung der Sünden laut werden muss. Sünde kommt ja von sondern, ab-sondern, für mich allein sein wollen. Umkehren bedeutet: einverstanden sein, dass Gott mit meinem Leben – so wie es ist – zu tun hat.

    Und wo Menschen eben dies zulassen, da bahnt sich etwas an, was Lukas nur noch durch die uralten, jahrhundertelang geschliffenen Worte des Propheten Jesaja zu sagen vermag: Eine Stimme ruft in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Straßen! Jede Schlucht soll aufgefüllt werden, jeder Berg und Hügel sich senken … Und alle Menschen werden das Heil sehen, das von Gott kommt.

    In der Wüste, sagt das Evangelium, erging Gottes Wort auch an Johannes. Die Wüste hat für alle Juden und Jüdinnen bis heute eine einzigartige Bedeutung. Sie erinnert an den Auszug aus Ägypten ins gelobte Land hinüber, der durch die Wüste führt, und auch an die Rückkehr aus dem babylonischen Exil. Wüste ist der Ort der Gottesbegegnung, Ort der Entscheidung, der Reinigung. Dort in der Wüste lenkt nichts mehr ab vom Wesentlichen, da kann man sich nichts mehr vormachen. In der Wüste wird alles weggebrannt von der sengenden Hitze, weggeschliffen von den Sandstürmen, was nicht wirklich hält und Bestand hat – äußerlich sowieso und innerlich erst recht. Noch heute bestätigt das jeder, der durch eine Wüste gewandert ist. Da vergehen die Sprüche und die Mätzchen, und die Masken fallen. Die Wüste verwandelt den, der durch sie geht, weil sie ihn vor sich selber bringt, ohne dass er sich drücken kann. Das heißt: wahr werden. Aus diesem Schmelztopf, dem Fegfeuer der Wüste, bringt Johannes seine Botschaft mit – die Art, wie er ab jetzt lebt, und seine Predigt:

    Kehrt um und lasst euch taufen zur Vergebung der Sünden! Wenn es gut ausgehen soll mit uns Menschen, will das heißen, dann muss wirklich bis zum Grund alles anders werden. Dann können wir nicht so weitermachen. Was ihr tut und lebt, ist heil- und gnadenlos. Gerade an den Großen und Mächtigen, die sozusagen den Rahmen bilden für das Auftreten des Täufers, – an ihnen wird das wie in einem Brennspiel sichtbar: in ihren Macht- und Ränkespielen, ihrem giftigen, misstrauischen Gegeneinander, das als einziges, was sie untereinander noch verbindet, die Angst übrig lässt.

    Wo Menschen Gottes Ruf an sie beantworten, indem sie sich hinkehren zu ihm, wird ihnen eine Verheißung zuteil: Gräben, die die Welt zerreißen, die uns behindern, werden zugeschüttet, die Barrieren, die uns trennen und einsperren, werden niedergelegt werden. Mit einem Wort: Gott selbst wird seine Gläubigen in die Freiheit führen. So hatte einst Jesaja zu den Israeliten in der babylonischen Gefangenschaft gesprochen und ihre Hoffnung auf eine gottgeschenkte Zukunft entzündet. Lukas sieht diese Verheißung von Neuem sich erfüllen in der Gestalt des Täufers und in Jesus. Der Täufer ist die Stimme, Jesus selbst mit Leib und Leben der befreiende Ruf Gottes, der alle, die ihm trauen, in die Freiheit führt, über alle Hindernisse hinweg. Jesajas Verheißung endet mit den Worten: Und alle Menschen – wörtlich: alles Fleisch – wird das Heil schauen, das von Gott kommt. Das ist wieder so ein Satz, den nur die Gläubigen des Alten und Neuen Bundes sprechen können: Denn Fleisch ist in der Sprache der Bibel Sinnbild für das Vergängliche schlechthin. Aber gerade diesem unserem vergänglichen Leben ist das Heil zugesagt. Nicht für außerhalb oder oberhalb oder jenseits des irdischen Lebens gilt diese Verheißung, sondern für das staubige, manchmal so armselige Hier und Jetzt, in dem wir stehen. Gott mischt sich ein in die Welt und ihre Geschichte, damit wir Menschen aus Fleisch und Blut befreit werden, endlich so zu leben, wie Gott es uns seit Anbeginn zugedacht hat. Das ist Evangelium.

    — Advent ansagen —

    Überall dort, wo Unfreiheit herrscht – im Politischen, auch in der Kirche, genauso angesichts unfreier Beklemmung über sich selbst –, da überall dürfen, ja: müssen die Christinnen und Christen um der Ernsthaftigkeit ihres Glaubens willen Advent ansagen: Jesaja hat es in Babylon getan, Johannes der Täufer im Israel der Zeitenwende, Lukas im Raum der jungen Kirche, und wir verkünden heute: Gott ist für uns; er geht mit uns um unserer Freiheit willen. Überall. Christsein heißt darum: Ich darf von Gott etwas erwarten. Nicht muss das, was nicht sein soll, immer so bleiben. Ich sehe meiner Zukunft mit brennender Hoffnung entgegen. Und diese Hoffnung hat einen Grund: Ich erwarte den siegreichen Advent des Herrn, der alles, auch die Bruchstücke meines Lebens, zu einem guten Ganzen befreien wird, – ich erwarte ihn, weil er, der das verheißt, schon einmal gekommen, schon einmal ganz heruntergestiegen ist, so sehr, dass er nicht einmal mehr hat Gott sein wollen und darum ein Mensch wurde wie wir. Der Advent, den wir dieser Tage begehen, ist Vergegenwärtigung dieses Grundes, der uns ein Recht gibt, für uns und die ganze Welt zu hoffen. Gott kommt; er hat für uns Zeit. Nehmen darum wir uns in diesen Tagen auch Zeit, um betend unsere Hoffnung auf den Herrn brennender zu machen.

    Dritter Advent: Lk 3,10–18 (und Zef 3,14–17; Phil 4,4–7)

    Einfach so

    — Unerwarteter Empfang —

    Ein Mann aus den amerikanischen Südstaaten hatte lange Jahre im Gefängnis einsitzen müssen. Jetzt nahte allmählich der Tag seiner Entlassung. Frau und Kinder hatten ihn nur ganz selten besuchen können, weil sie so weit weg wohnten. Je näher die Entlassung kam, desto mehr zitterte er vor dem Augenblick, da er wieder frei sein würde. Er hatte Angst, ob ihn die Seinen wieder aufnehmen würden, da doch im Dorf jeder wusste, was geschehen war. Deshalb bat er in einem Brief seine Frau um ein Zeichen: Wenn ich heimkehren darf zu Dir, schrieb er, dann häng’ mir ein buntes Tuch in den Apfelbaum auf dem Hügel, den man vom Zug aus am ehesten sieht. Würde er bei seinem Kommen kein Tuch sehen – beschloss er –, dann würde er den Zug erst gar nicht verlassen und nie mehr heimkehren.

    Der Tag der Entlassung war da. Schon seit Stunden saß er im Zug mit zugeschnürter Kehle und eiskalten Händen. Ein paar Kilometer waren es noch. Er starrte in die Kurve, die der Zug gerade durchfuhr. Da schoss ihm der Apfelbaum auf dem Hügel in die Augen. Er war mit hunderten bunten Tüchern behängt.

    — Bestürzt durch Sympathie —

    Gehofft hatte der Mann, vor allem aber gezagt. Er sah die Dinge nüchtern und wusste, was es um ihn war. Würden sie ihn wieder einlassen, ihn, den Gebrandmarkten? Würden sie ihm gnädig ein Plätzchen wieder zugestehen in ihrer ordentlichen Welt? Dass ihm nicht ein Tuch entgegenwehte, sondern hunderte – das hat ihn erschüttert: Sie verzeihen ihm nicht nur, sie heißen ihn willkommen. Sie freuen sich über ihn – weil er er ist, einfach so, ohne dass er die Zuneigung sich verdient hätte. Und eben das ist es, was ihn jetzt erst wirklich freimacht – und endlich froh.

    — Das Lied vom durchgestrichenen Urteil —

    Ich weiß nicht, ob dieser Mann Christ war – aber wenn: dann hätte er das heutige Evangelium und die Worte des Propheten Zefania wie kein anderer verstanden. Sie hätten ihm ans Herz gegriffen, denn er hätte entdeckt, dass das, was er an sich selber schon hatte erfahren dürfen – nämlich grundlos um seiner selbst willen gemocht zu sein –, dass genau das im Großen schon längst zwischen Gott und der Welt unwiderruflich geschehen ist in Geschick und Geschichte Jesu von Nazaret. Einfach so von Gott geliebt zu sein: Das ist das Urdatum unseres christlichen Glaubens. Deshalb lässt Lukas genau dies den Täufer Johannes – ganz wirklichkeitsgetreu noch in der alttestamentlichen Sprache der Erwartung – proklamieren, bevor Jesus den allerersten Schritt ins Licht der Öffentlichkeit tut. Und erst von jenem Urdatum der zuvorkommenden Liebe Gottes zu uns her vermögen wir zu ahnen, was in Jesus Christus geschieht.

    Der Täufer hatte als letzter Prophet des Alten Bundes seinen Zeitgenossen und Zeitgenossinnen schonungslos vor Augen gehalten, wie die Dinge wirklich stehen zwischen Gott und Mensch. Er hatte sie erschüttert in ihrer fahrlässigen Selbstgewissheit. Wir sind Kinder Abrahams, sagten sie, wir gehören ja dazu, was kann uns da schon noch passieren? Johannes hält ihnen knallhart entgegen: Die Tatsache, dass ihr zum Gottesvolk gehört, ist für sich genommen noch gar nichts wert. Sie bekommt erst dann Gewicht, wenn sie auch Folgen hat: Auf die Früchte kommt es an. Nicht der geglaubte Glaube zählt, sondern der gelebte nur. Dass ihr glaubt, das muss sich spiegeln darin, was ihr tut!

    Und was sollen wir tun?, fragen den Täufer darauf die verunsicherten Frommen. Er darauf in unmissverständlicher Eindeutigkeit: Teilt eure Kleider und euer Essen mit dem, der nichts hat. Denn ihm steht von den zwei Kleidern, die Du hast, eines – also die Hälfte – zu. Den Zöllnern sagt er: Haltet euch an das Recht! Betrügt niemanden und beutet nicht aus! Und den Soldaten: Hütet euch vor Gewalt! Die Mahnungen des Täufers sind im Grunde genommen selbstverständliche Gebote der Menschlichkeit, die auch denen einleuchteten, die nicht an Gott glaubten. Den Gläubigen bedeuten sie noch mehr. Indem sie ihr Leben diesen schlichten Geboten unterstellen, beglaubigen

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