Seewölfe - Piraten der Weltmeere 357: Aufbruch nach Coral Island
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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 357 - Frank Moorfield
10
1.
Bahama-See, im Oktober 1593.
Der Wind hatte gedreht und blies jetzt genau aus Nordwest. Das bedeutete für die drei Galeonen, die auf südöstlichem Kurs in die Karibik segelten, daß sie platt vor dem Wind laufen konnten. Segelmanöver waren kaum noch erforderlich.
Zu den drei Rahseglern gehörte die ehemals spanische Galeone „San Donato, mit der die Timucua-Indianer, die das heimtückische Sumpffieber überlebt hatten, ihre neue Heimat, Coral Island, zu erreichen hofften. Die beiden anderen Schiffe bildeten den Geleitschutz. Es handelte sich um die „Wappen von Kolberg
, die unter dem Kommando Arne von Manteuffels fuhr, und um die „Isabella IX.", die Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, befehligte.
Auf dem Achterdeck der „San Donato" hielten sich neben Shawano, dem Timucua-Häuptling, Ben Brighton und Luke Morgan auf. Ben führte das Kommando, während Luke als Rudergänger am Kolderstock stand. Auf der Kuhl ging Bob Grey den Indianern zur Hand.
Noch vor kurzer Zeit hatten die Timucuas die Anleitung erfahrener Seeleute bitter nötig gehabt. Inzwischen aber hatten Ben Brighton und die Seewölfe ihnen noch im Lake Salvadore das Segeln von der Pike auf beigebracht – und das mit bestem Erfolg, wie er immer wieder zufrieden feststellte.
Auch Arne von Manteuffel, dem der Boston-Mann als Lotse zur Verfügung stand, hatte zur Unterstützung Bens und der Indianer einige Mitglieder seiner Crew zur Verfügung gestellt.
Ein neuer Tag war angebrochen, der Glutball der Sonne tauchte hinter der östlichen Kimm hervor. Nach der sengenden Hitze der vergangenen Tage empfanden die Besatzungen der drei Segler die frische Morgenbrise als Wohltat. In wenigen Stunden würde ihnen ohnehin wieder der Schweiß über die nackten Oberkörper rinnen.
Auf der „Isabella" herrschte in dieser frühen Morgenstunde eine gute Stimmung. Durch die günstigen Windverhältnisse waren die meisten Männer auf Freiwache und hatten somit Zeit, sich ausgiebig dem morgendlichen Backen und Banken zuzuwenden.
Aus der Kombüse, die neben der Krankenkammer unter der Back untergebracht war, strömten bereits verlockende Düfte. Der Kutscher und Mac Pellew sorgten dafür, daß den hungrigen Männern an Deck das Wasser im Mund zusammenlief.
„Was gibt es denn?" fragte Paddy Rogers, der Mann mit der prächtigen Knollennase, als Mac Pellew kurz den Kopf aus der Kombüse streckte. Er preßte dabei beide Hände auf den Magen, um höllische Qualen an jener Stelle anzudeuten.
„Kannst du es wieder nicht abwarten, he? antwortete der stets griesgrämig aussehende Mac mit einer Gegenfrage. „Paß nur auf, daß du mich nicht auffrißt, ich bin nämlich nicht das Frühstück.
„Dem Himmel sei Dank! Paddy grinste unverschämt. „Von dem bißchen Speck an deinem mageren Gerippe würde noch nicht einmal Plymmie satt werden.
Er meinte damit die Bordhündin der Seewölfe.
„Und an dir würde sie sich glatt überfressen, du Mastochse! entgegnete Mac. „Doch bevor es dich vor lauter Neugierde zerreißt, will ich dir verraten, was es gibt: Wir haben einige hundert Pfannkuchen und Berge von Speck auf dem Feuer. Dazu gibt es heißes Wasser mit Rum. Na – wünschen Euer Gnaden sonst noch was?
Der bullige Paddy verdrehte genüßlich die Augen.
„O ja, Sir, erwiderte er. „Man reiche mir außerdem einen gerösteten Ziegenbock oder aber die gebratenen Hinterbacken eines Elefanten.
Weniger vornehm fügte er hinzu: „Oh, verdammt, ich habe vielleicht einen Kohldampf!"
Die Arwenacks brauchten auf das herzhafte Frühstück nicht mehr lange zu warten. Das Kombüsenschott flog bald auf, und der Kutscher erschien mit seinem Gefolge. Dazu zählten außer Mac noch Philip und Hasard junior, die Zwillingssöhne des Seewolfs. Das Quartett war beladen mit Töpfen und Pfannen.
„Jetzt langt mal kräftig zu, sagte Mac beim Austeilen, „damit endlich das allgemeine Magenknurren aufhört. Ein Gerumpel und Getöse ist das schon den ganzen Morgen, daß man meint, es ziehe ein schweres Gewitter über der Karibik auf.
Die Arwenacks hieben in der Tat ordentlich rein.
Nur einer fehlte noch und merkwürdigerweise gerade der, der sonst unter den ersten war.
„Wo bleibt eigentlich dein Alter? fragte Stenmark den kauenden Dan O’Flynn. „Pennt der vielleicht noch?
Dan zuckte mit den Schultern und schob sich einen halben Pfannkuchen zwischen die Zähne.
„Weiß ich nicht, antwortete er dann. Es klang reichlich undeutlich. „Vielleicht hat man kein Hungergefühl mehr, wenn man täglich von dem scheußlichen Jungbrunnen-Wässerchen trinkt.
Er kaute ungerührt weiter.
„So ganz ohne scheint dieses Wasser gar nicht zu sein, sagte Smoky und betrachtete gleichzeitig mit verliebten Augen ein Stück Speck. „Sonst hätten die Seminolen die Quelle nämlich nicht bewacht wie ihr größtes Heiligtum. Außerdem hat sich das Wässerchen doch ganz gut gegen die Folgen von Besäufnissen bewährt, oder etwa nicht?
Dan warf dem Decksältesten einen schrägen Blick zu.
„Fang du nur auch noch an zu spinnen! Angeblich soll die Brühe doch aus einem Jungbrunnen stammen und nicht aus einem Kater-Brunnen! Also müßte man von dem Zeug doch zumindest schön langsam und schrittweise jünger werden. Aber tut man das, he? Unser Profos ist kopfüber in die verdammte Quelle gestürzt und hat bestimmt genug von diesem Wasser geschluckt, aber jünger ist er deshalb nicht geworden. Und mein Alter säuft das Wasser bald faßweise und ist immer noch derselbe olle Knochen."
„Nun ja, meinte Stenmark, „die Einbildung hat auch ihre nützlichen Seiten. Hauptsache, Donegal fühlt sich in Form. Der nimmt es noch jederzeit mit zwei jungen Kerlen auf, eine Verjüngungskur ist da völlig überflüssig.
„Das mag schon sein, sagte Smoky, der zu den Abergläubischsten an Bord gehörte. „Trotzdem ist an der Sache was dran, und Donegal hat ein besonders feines Gespür für die Dinge, die sich hinter der Kimm abspielen.
„Unsinn! Dan winkte ab. „Alles Quark! Ich halte nichts von eurem Gespensterkram, und normalerweise stört mich der ganze Firlefanz auch nicht. Aber seit ein Timucua meinem Alten diesen kleinen Lederbeutel geschenkt hat, der mit seinem geheimnisvollen Inhalt ein Amulett darstellen soll, ist das alles nicht mehr auszuhalten. Überall sieht er plötzlich Wunder geschehen, wo es gar keine gibt.
Stenmark grinste.
„Vielleicht läßt er seinen Plan, auf der Schlangen-Insel eine Kneipe zu eröffnen, wieder fallen und wird Medizinmann bei den Timucuas."
Dan O’Flynn stöhnte.
„Bring ihn bloß nicht auf diese Idee! Bei ihm ist man vor Überraschungen sowieso nicht sicher, und ich habe die Nase wirklich langsam voll mit all dem Wunderkram."
Smoky wollte noch etwas zur Verteidigung Old O’Flynns sagen, aber da wurden die Arwenacks ganz unerwartet in ihrer Diskussion unterbrochen.
„Was sagst du da, du grüner Junge? tönte es vom Quarterdeck her. „Du redest verächtlich von ‚Wunderkram‘, obwohl du von diesen Dingen gar nichts verstehst? Wenn du dieses Wort noch mal gebrauchst, schnalle ich mein Holzbein ab und lasse es dir wie in alten Zeiten über den Buckel tanzen!
Ganz plötzlich war Old Donegal Daniel O’Flynn an der Querbalustrade aufgetaucht, die das Quarterdeck zur Kuhl hin abgrenzte. Niemand hatte bemerkt, daß er seine Kammer unter dem Achterdeck verlassen hatte und über das Quarterdeck marschiert war. Dort stand er jetzt, das granitharte, verwitterte Gesicht in tausend Falten gezogen und blickte auf die mampfende Schar hinunter, die sich wegen der frischen Morgenluft auf der Kuhl niedergelassen hatte.
Ja, manchmal behandelte der rauhbeinige Alte seinen Sohn wie einen dummen Jungen, obwohl aus ihm längst ein erwachsener Mann geworden war. Aber Dan erschütterte das nicht weiter. Im übrigen wußte er sehr geschickt mit seinem Dad umzugehen. So entlockte ihm das plötzliche Auftauchen des Vermißten lediglich ein Grinsen.
„Ist ja schon gut, Mister O’Flynn, sagte er. „Willst du heute das Frühstück kalt werden lassen? Oder bist du krank, weil du so spät an Deck erscheinst?
„Ich und krank? Daß ich nicht lache! Und