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Krach macht's: Berliner wissen's besser
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Krach macht's: Berliner wissen's besser

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Berliner auf ihren Events der Beliebigkeit wissen alles, feiern sich selbst, schauen auf sich und immer weg. Da passiert es: Eine Mutter aus Potsdam begeht mit ihrem Sportflugzeug am Flugplatz Ruppiner Land Selbstmord. Mit drei zunächst nichtsahnenden jungen Frauen stürzt sie geplant ab.
Unter den ersten Zeugen sind die Erinnyen, die das Mutterrecht vertreten. Für sie ist dies der Fluch, der sie nach ihrem alten Gesetz zwingt, die Mutter zu rächen.
Sohn Frowin erzählt von dem Auf und Ab seiner Mutter, die als gebildetes Anhängsel ihres Ehemanns unter der Leere sozialer Kontakte, dem Selbstgefallen, dem Folgenlosen und dem Chic des Weinerlichen im Mantel der Charakterlosigkeit leidet. Sie sucht und verliert sich.
Frowin lebt und arbeitet in dieser Liga der Teilnahmslosen. Sarkasmus und Eigenbrötelei charakterisieren seine Selbstbehauptung. Während Frowin noch im Nebel der Selbstgefälligkeit steckt, erkennt der Leser: Die Katastrophe ist Teil der heutigen Beliebigkeiten und des Folgenlosen.
LanguageDeutsch
PublisherTWENTYSIX
Release dateNov 29, 2017
ISBN9783740737672
Krach macht's: Berliner wissen's besser
Author

Udo Stähler

Udo Stähler lebt seit 1999 in Potsdam. Erste ausführliche Gespräche mit Menschen aus der DDR führte er im Spätherbst 1989 auf Einladung von Kombinaten als Diplom-Volkswirt und Vertreter einer Westberliner Bank am Rande von Informationsveranstaltungen über Marktwirtschaft. Danach privat und später auch als Sanierer bei schiefgelaufenen gewerblichen Immobilienfinanzierungen in Nordost- und Mitteldeutschland. Heute ist er Privatier und Autor.

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    Krach macht's - Udo Stähler

    Berliner auf ihren Events der Beliebigkeit wissen alles, feiern sich selbst, schauen auf sich und immer weg. Da passiert es: Eine Mutter aus Potsdam begeht mit ihrem Sportflugzeug am Flugplatz Ruppiner Land Selbstmord. Mit drei nichts ahnenden jungen Frauen stürzt sie geplant ab.

    Unter den ersten Zeugen sind die Erinnyen, die das Mutterrecht vertreten. Für sie ist dies der Fluch, der sie auffordert, die Mutter zu rächen. „Der Selbstmord kann dem Geschädigten als Instrument der Rache dienen und damit die Macht des allfälligen Fluches noch verstärken."

    Sohn Frowin erzählt von dem Auf und Ab seiner Mutter, die als gebildetes Anhängsel ihres Ehemanns unter der Leere sozialer Kontakte, dem Selbstgefallen, dem Folgenlosen und dem Chic des Weinerlichen im Mantel der Charakterlosigkeit leidet. Sie sucht und verliert sich.

    Frowin lebt und arbeitet in dieser Liga der Teilnahmslosen. Sarkasmus und Eigenbrötelei charakterisieren seine Selbstbehauptung. Während Frowin noch im Nebel der Selbstgefälligkeit steckt, erkennt der Leser: Die Katastrophe ist Teil der heutigen Beliebigkeiten und des Folgenlosen.

    Udo Stähler, Potsdam, lebte und arbeitete in deutschen Metropolen von Berlin und Hamburg bis Stuttgart. Er ist Theater- und Büchernarr. Über 30 Jahre hat er in leitenden Positionen erfahren, welche Mühsal die Selbstdarstellung und -behauptung bei Aktivisten und Zaungästen auf ihren Events bedeutet. Udo Stähler ist verheiratet und wird ab 2018 als Privatier überwiegend schriftstellerisch arbeiten.

    Wichtige Protagonisten

    Frowin

    Anpassen, ohne sich anzupassen. Betrachtet mit Sarkasmus seine Umwelt. Eigenbrötler. Mitarbeiter im Backoffice einer Werbeagentur.

    Mutter

    Fügt sich als Frau eines Unternehmers. Lebt zwischen dieser Fassade und dem Lebenstraum als Kunstfliegerin. Alte Werte und Literatur sind die Pfeiler ihrer Trutzburg.

    Nik

    Alerter sympathischer Snob. Mit sich zufrieden. Herausgeber des CATILINA, einem Magazin gegen die Engstirnigkeit.

    Galatea

    Erfolgreiche Kommunikations-Beraterin.

    Luisa

    Frowins jüngere Schwester. Deutlich geschmeidiger im Umgang mit der Welt der Beliebigkeit.

    Erinnyen, Eumeniden

    Alekto, Alissa

    Megaira, Magya

    Tisiphone, Tia-Sophie

    Die Erinnyen sind die Rachegöttinnen in der noch matriarchalischen griechischen Mythologie. Sie vertreten auch in ihrer heutigen Erscheinung diese alten Gesetze und Werte. Die Eumeniden sind ihre gezähmten Nachfolgerinnen im Patriarchat.

    Inhaltsverzeichnis

    Die Tat

    Die Rache

    I.

    DIE TAT.

    Als die Nase des Sportflugzeuges sich letztmals neigt, war das Abenteuer zu Ende. Die untergehende Sonne, die am Berliner Horizont letzte Blutorangen auf den Dachrissen sterben lässt, spiegelt sich nicht mehr auf den Gläsern der Designerbrillen. Die schärfer werdenden Schatten kontrastieren die bleichen Gesichter hinter den dunklen Gläsern der drei Grazien. Flatternde Mäulchen werden Schraubstöcke für Lippen in rouge feu, schwarz- und karminrot. Selbst die Pilotin erstarrt im prämortalen Stuka-Jaulen.

    iiiiiiiIIIIIII|||||||hhhhhhhaaaaaaa

    „Ist der Fluch schon ausgesprochen, wenn sie weiß, dass sie es tut?"

    „Die Freude der Entschlossenheit auf ihrem Antlitz, Megaira, ist Entsetzen gewichen. Haben Zweifel ihre Entscheidung entkräftet?" Alekto, ihre Schwester, erwartet keine Antwort, denn nicht Interpretationen bestimmen das Handeln der Erinnyen, sondern das alte Gesetz. Das Gesetz, das die Rachegöttinnen verpflichtet.

    Eigentlich möchten Megaira und Alekto nur sie selbst sein. Und das seit über 2651 Jahren. Wer will das nicht? Megaira beobachtet mit Widerwillen und feuchten Lefzen das Ende des Abenteuers der drei Grazien und ihrer Pilotin; Alekto möchte nichts weiter als sich ihrem Schicksal beugen, das die Pilotin der drei, die auf den Passagiersitzen einnässen, in der Hand hat; genau genommen in der Hand, die den Steuerknüppel entschieden nach vorne drückt. Tisiphone, die dritte im Bunde, knufft die Beiden zurecht: „Die Ermordeten strafen die Mörder. Daher weht der Wind. Nicht die Vorfreude am Blut der Opfer oder am erwarteten Schicksal Unbeteiligter nährt unseren Auftrag. Besinnt euch und handelt dann. Zuvor schafft Klarheit; wer gibt den Anlass für die Verfluchung? Geht diese direkt aus dem Selbstmord der Pilotin hervor oder müssen wir möglicherweise die Interessen lebender Personen vertreten?"

    Während Tisiphone zu ihren Gefährtinnen so sprach, wird der Fluch ausgesprochen.

    Wir plaudern auf dem Flugplatz Ruppiner Land über die Dampfplauderer im und vor dem Hangar, die heute kein Event in Berlin oder Potsdam beehren, sondern sich als Tandem-Springer Abenteuerlust vormachen wollen. Die Katastrophe, die sich in der Luft anbahnt, ist noch nicht auf dem Schirm der Lotsen des Belanglosen. Noch beherrscht der Austausch von Beliebigkeiten die Stimmung, bald wird er in die Bewältigung des Entsetzlichen gestürzt. Um sodann wieder in seinem gewohnten Format das Geschehene zu beurteilen, Opfer und Täter zu identifizieren, zu klassifizieren und küss die Hand. Noch ahnt keiner von uns, was passieren wird und erst recht nicht, dass ausgerechnet die Erinnyen und ich, ihr noch nichts ahnender irdischer Helfer, dem Eventmanagement einen Strich durch die Rechnung machen werden.

    „Hej Fabian, kannst Du mal für einen Augenblick Deine Bemühungen unterbrechen, meine Schwester mit Deiner Unwiderstehlichkeit zu blenden!" Ich hatte drei Gläser prickelnden Chardonnay geholt und halte Luisa und Fabian zwei hin. Luisa strahlt erleichtert; die willkommene Unterbrechung von Fabians Muskelshirt-Small-Talk mit einem guten Winzersekt kam unmittelbar, bevor sie entweder auf Porsche-Beifahrerin oder auf populistische Pressesprecherin umgeschaltet hätte, um Fabian auf ihre Art zu zeigen, dass das so mit ihr nur geht, solange sie selbst Spaß daran hat.

    Es ist diese geschickte Wandlung der eigenen Verhaltensmuster, die meine Schwester Luisa zur erfrischenden Außenseiterin macht im Club der Großmeister und natürlich Großmeisterinnen des folgenlosen Dampfplauderns, die sich zur Selbstdarstellung meist nur auf ein bestimmtes Verhaltensmuster aus dem Regal der charakterlosen Knalltüten, natürlich mit individuellem Einstecktuch, beschränken.

    Das Handwerk des Entblödens mit wehender Toga, garniert mit anglophilen und, je nach Einstecktuch, altgriechischen Tupfern, hat geschlechterspezifisch weiterhin unterschiedliche Werkzeuge. Die Annäherungen, nicht immer sind es emanzipatorische Errungenschaften, sind größer geworden, doch geschlechtsspezifische Arenen wie Zickenkrieg oder Wer-hat-den-Längsten haben ihre hegemoniale Position im dʒɛndɐ-, englisch gender-life, schlicht im Wandel der Kultur der Geschlechter erhalten. Wenn wir Jungs uns dort crossfunktional zu bewähren versuchen, ist es noch peinlicher, wenn ihr nicht schwul seid. Umgekehrt genauso, wenn ihr nicht der Mann seid.

    Zurück zu Luisa und ihrer Charakterstärke, die sie von den Großmeisterinnen des Beliebigen sofort unterscheidet. Luisa hört zu. Sie hat auch Fabian zugehört. Sie mag Fabian. Ob sie weiß, dass ich weiß, warum, weiß ich nicht. Ich mag Fabian auch. Aber nicht aus den Gründen, die für Luisa den Ausschlag geben, glaub ich. In einem Satz: es tut mir gut, wenn jemand ein Bier mit Boulette, aber mit Senf, und keinen Negroamaro, aber -falls der nicht da ist, was ja ma -ähemm- passieren kann, na ja- keinen Primitivo und nicht aus 2015, dazu ein Stück Parmigiano Reggiano, 36 Monate, nicht älter, nicht schneiden, brechen! und dazu viiieel wildem Spargel bestellt. Damit ich nicht falsch verstanden werde: ich trinke gerne Wein, im Winter mehr roten und im Sommer mehr weißen. Es geht auch nicht um, ob Bier oder Wein, sondern um den dramaturgischen Auftritt beim Bestell- und Verzehrvorgang. Da ich die alles beherrschende Beliebigkeit des zu dem Thema des Abends gewordenen Small-Talks nur mit edlem Rebensaft ertrage, ist für mich der Respekt vor liebevoll vergorenen Trauben gelegentlich Anlass, dem Auftritt innerlich fern, um dem Wein verbunden zu bleiben.

    Will sagen: Und darum mag ich Fabian.

    Wieso wollte dann Luisa auf Porsche-Beifahrerin oder populistische Pressesprecherin umschalten? Ganz einfach. Ihr ahnt’s schon. Fabian ist heterosexuell ohne wehende Toga. Ich weiß bis heute nicht, woran das nun wieder liegt, nicht seine Heterosexualität, sondern ganz allgemein die Konsequenzen daraus für das soziale Interagieren mit den Genderinnen. Wir sind doch eigentlich ganz intelligente Kerlchen und selbst, wenn nicht sehr, dann doch nicht so wenig, wie es den Anschein hat, wenn wir baggern. Herrschaftszeiten. Insofern habe ich auch Fabian geholfen mit den Gläsern Chardonnay. Das wäre eben nicht in die Hose gegangen und dann wieder doch.

    Denn wenn Luisa, meine Schwester, gleiche Sozialisation, gleiche Bildung und so, dem Fabian schon die populistische Pressesprecherin -dass mit der Porsche-Beifahrerin ist ein zum Missverständnis neigendes Beispiel, denn weder Porsche-Fahrerin noch Porsche selbst löst bei mir despektierliche Assoziationen aus; denke da eher an Zielstrebigkeit auf schönen Beinen- gemacht hätte, wäre das mit dem Chardonnay-Sekt zu spät gewesen.

    Dem Fabian, ob mit Bier und Boulette oder Chardonnay-Sekt und Avocado-Chili meinetwegen, wäre das Selbstgefallen beim Schwadronieren der populistischen Pressesprecherin Luisa als Tsunami des Weinerlichen dermaßen was von übergeschwappt… Und mich hätte er entnervt gefragt: „Gibt’s hier auch Bier?"

    „Brüderchen, aufwachen, die Show hat begonnen!" Luisa und Fabian, beide mit dem Große-Geschwister-passen-auf-KleinFrowin-auf-Blick, beugen sich mir in die Sonne.

    – stutz – schüttel –

    „Bin ich froh, dass Du kein Bier hast, Fabian. Großer-Bruder-Blick aus. Fabian verdutzt. „Frowin, manchmal, um nicht zu sagen, oft, sind mir Deine Statements zu abgehoben. Aber es freut mich, wenn ich Dir durch kleine Verzichte eine große Freude mache.

    „Das geschwollene Gerede passt nicht zu Dir."

    „Also nochmal: Du bringst mir ein Glas Sekt, sinnierst still vor Dich hin, wer weiß, wo Du mit Deinen Gedanken warst, und freust Dich, dass ich kein Bier hab. Wo haben wir Dich da rausgeholt?"

    Augenreib. „Gerade habe ich darüber nachgedacht, dass wir, dass Du und Luisa und ich in diesem Haufen von Desinteressierten doch Außenseiter sind, obwohl wir selbst in dieser Brühe mitschwimmen."

    „Kannst Du das mal in meinen Worten sagen?"

    „Also Du und Luisa, ihr habt Euch unterhalten. Ich hab‘ davon nichts mitgekriegt. Aber ich weiß, ihr hört Euch zu und gebt etwas preis. Da geht was ab. Das ist etwas Anderes als das ritualisierte Nichts-sagen, an dem auch wir irgendwie teilnehmen."

    „Und deshalb freust Du Dich, dass ich kein Bier trinke?"

    iiiiiiiIIIIIIIhhhhhhhaaaooommmmmmm

    „Die werden abkotzen. Helge ist begeistert. Ich dreh‘ mich zu dem Flugzeug, das am Himmel eine Show macht, die den besten ILA-Kunstflügen das Wasser reichen kann. „Das ist Leben, Freunde. Fällt da die Kiste wie vom Himmel!! Alle Urerfahrungen menschlicher Verletzbarkeit drücken dir im wahrsten Sinne des Wortes gegen den Schädel. Und dann der Turn-Around. Ob Börsenmakler das ebenso spüren, wenn sie im Handelsraum Pirouetten drehen? Ob sie im Job auch manchmal kotzen müssen? Was ist dagegen Tandem-Springen? Die Gruppe von Zuschauern hatte sich bereits vergrößert. Sie müssen aus dem Bistro gekommen sein oder aus dem Hangar, in dem die Tandem-Springer auf einen Flug warten; immer mehr Schaulustige kommen. Mich haben Mutters Flüge -der Flieger am Himmel, der zumindest Helge fasziniert, wird von meiner Mutter geflogenimmer beeindruckt und zugleich ein wenig erschreckt. Dieser Nahtod-Turn-Around-Schmarren von Helge, dem Vielflieger mit Senator-Card, Partner meines Chefs, wird heute Abend sicher noch mal zu hören sein.

    Selbst habe ich nur wenige Flüge mit Mutter gemacht. Meist in ihrer Dullach Sunwheel, einer kleinen Einladung zum Waghalsigen. Sie war es auch, die mich zum Fliegen gebracht hat. Meine Mutter ist begeisterte Fliegerin. Ihr zuliebe habe ich den Pilotenschein gemacht. Auch die Piper, deren Luftsprünge Helge noch entzücken, werde ich irgendwann ‘mal erben. Au fein, Frowin Piper&Dullach Ltd. Sonst nichts. Denn mehr gibt es nicht mehr. Nach dem Tod meines Vaters, der einen Werkzeug- und Maschinenbetrieb in Babelsberg hatte, war der Firmen-Verkauf Mutters höchste Aktivität nach Jahren des einfach da Seins, diese Verkaufsanstrengung wurde nur unterbrochen von der Beerdigung. Das war vor einem Jahr. Beides, Firmen- und Gattenbeerdigung, waren gleich wichtig für meine Mutter. Das Haus in Griebnitzsee hat sie inzwischen auch verkauft, sonst hätte sie es vermutlich ausräuchern wollen. Oh weia, was muss ich da nicht alles nicht mitgekriegt haben, was da abging oder auch nicht abging in dieser Ehe. Na und jetzt die Mutter mit der Piper und seit dem Hausverkauf mit neuem Lebensgefährten in Babelsberg. Da gibt es einen Zusammenhang, nicht der Makler, der Schreinermeister; der das meiste renoviert hat. Und ich eine Eigentumswohnung in der Brandenburger Vorstadt. Alles suppi.

    Eh ihr euch jetzt fragt: ich hatte keine schlechte Kindheit. Frowin der Ältere. Ist nicht unbedingt optimal, wenn die Jüngere mehr draufhat, als ihr selbst; und euch altersmäßig sowieso immer dicht auf den Fersen ist. Dazu kommt noch, dass Mädchen schneller in der Entwicklung sein sollen. Die Gespräche im Familienkreis hatten ihren thematischen Schwerpunkt bei logistischen Fragestellungen. Wer ist wann wo und warum nicht. Letzteres besetzte Mutter. Das mit den gesellschaftlichen Verpflichtungen war nicht so ihr Ding. Obwohl: Sie hat sich immer gefreut, wenn sie alles vorbereiten und planen konnte. Und bei Einladungen hat sie sich um die Kinder gekümmert. Luisa war der gute Vollzeit-Hausgeist, bis sie in Hamburg zu studieren begann, dort auch wohnte und nun in Berlin arbeitet; sie wohnt am Zionskirchplatz. Ich war in Griebnitzsee anfangs zu den Essenzeiten und nachts, dann nur noch nachts, seit ich Wohnungseigentümer bin, manchmal, manchmal öfter zum Mittagessen bei Mutter.

    iiiiiiiIIIIIIIhhhhhhhaaaooommmmmmm

    Diesmal schwieg sogar Helge. Sein Entzücken bleibt in seinem offenen Mund stecken. Luisa nimmt meinen Arm. Fabian geht zu der Gruppe potenzieller Tandem-Springer, die plötzlich alle ihren Gurt nachzogen.

    „Das ist die Vorübung. Wer die überlebt, darf Tandemspringen. Betretene Begeisterung. Selbst die Heldinnen und Helden -hier verdienen beide eine eigene Ansprache- unter den Tandem-Springern -jetzt bloß nicht wieder mit Genderschnack ablenkenmüssen einen Moment ihre Nerven massieren, bevor der Unternehmensberater, und es ist ein Unternehmensberater, denn wer trägt schon sein iPear im Gore-Tex-Brustbeutel und parkt seinen Porsche Cabrio im 20°-Winkel mit eingeschlagenen 265ern auf dem Trennstreifen, reflyted: „Willst Du mal mein Selfie vom Bungee Jumping am Alexanderplatz sehen? Respekt, angefressen noch relaxed reagieren, ich sag doch: Unternehmensberater. Das machen die bei ihren Kunden auch so. Training ist Training.

    Unser Unternehmensberater plantschte zu sehr im Bad seines Refly’s, um wirklich zu verstehen, dass Fabian diese Steilvorlage nicht ungenutzt lassen wird. „Sorry, aber da habe ich jetzt eine Verständnisfrage, weil ich kein Vielflieger bin. Gibt es für die Helden des Fliegens noch etwas nach Bungee-Jumping?"

    Weiter braucht Fabian gar nicht zu reden, denn alle Augen und Ohren kleben an der Piper PA28, die schon wieder unter den Wolken die Tandem-Eignung der drei Grazien, ihrer Passagiere, testet. „Ich glaub’s nicht. Also ich glaub’s nicht. Die dreht keine Pirouetten, die dreht durch. Frowin, mach doch was!" Helges stecken gebliebenes Entzücken kam als Entsetzen wieder aus seinem Mund. Ich sehe fassungslos, wie Mutter ihre Passagiere offensichtlich überfordert. Nebenbei: Euphemistische Vernebelung ist eine meiner Stärken.

    „Mutter beherrscht die Maschine."

    Ja. Sie beherrscht sie. Auf dem Flugplatz Ruppiner Land wird niemand verletzt.

    Wir sehen aus dem Dunkel, was aus dem Hellen kommt. Die Piper PA28 wird von der Pilotin professionell mit 80° auf der Landebahn aufgesetzt, rund 1300 Meter vom Hangar entfernt. Nah bei unseren Löchern.

    Wir müssten also nicht weit gehen. Sie sind zu uns gekommen. Sogar ein Stück in die Erde. Die Hitze, das Feuer, nimmt keiner mehr Leben. Wir wollen die Flugplatz-Feuerwehr nicht irritieren und verharren also in der Erde. Selbst uns würde ein Anblick nicht weiterhelfen. Die Freude der Entschlossenheit im Antlitz der Pilotin ist verschmolzen mit dem Metallgerüst der Piper PA28. Megaira, die Blutrünstige, denkt an Terminator 3. Und tatsächlich, wir werden die Pilotin mit kaltem Blick ihren Mördern oder Mörderinnen gegenüberstellen. Wir haben den Fluch, wir sind die Erinnyen der Selbstmörderin. Für alles andere mögen andere zuständig sein.

    Es ist wieder Tisiphone, die Planerin, die systematische, kühle unter uns Wüterinnen, die mahnt, nicht zu handeln, eh nicht entschieden ist, welche Auftraggeberin oder welchen Auftraggeber wir haben. „Der Selbstmord kann dem Geschädigten als Instrument der Rache dienen und damit die Macht des allfälligen Fluches noch verstärken." So verkündet Tisiphone die Leitung unseres Vorhabens: sie wird

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