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Für ein anderes Europa: Beiträge zu einer notwendigen Debatte
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Ebook240 pages2 hours

Für ein anderes Europa: Beiträge zu einer notwendigen Debatte

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About this ebook

Mit der "Eurokrise" stellt sich die Frage: Wie steht die Europäische Union zu den grundlegenden Werten und Zielen der politischen Linken – Demokratie, Selbstbestimmung, Freiheit und Wohlstand für möglichst viele Menschen? Ist die EU ein emanzipatorisches Instrument der Bürger Europas? Oder ist sie ein Agent ihrer schleichenden Entmündigung? Brauchen wir mehr Europa – oder weniger? Höhlt die EU die politischen und sozialstaatlichen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts aus? In welche Richtung muss sich die Europäische Union Entwickeln, um die vielfältigen Probleme des Integrationsprozesses aufzubrechen? Führende Intellektuelle aus 11 Mitgliedsländern der Europäischen Union haben Ihre Visionen für ein progressiveres Europa aufgeschrieben – frei von Denkverboten und Schablonen. Sie eint die Erkenntnis: Europa kann es besser! Es ist eine englischsprachige Ausgabe des Titels erhältlich: "Shaping a different Europe" (ISBN 978-3-8012-7003-2).
LanguageDeutsch
Release dateJul 9, 2014
ISBN9783801270025
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    Für ein anderes Europa - Anna Maria Kellner

    Ernst Hillebrand / Anna Maria Kellner (Hg.)

    Für ein anderes Europa

    Beiträge zu einer notwendigen Debatte 

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

    in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

    Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    ISBN 978-3-8012-7002-5

    1. Auflage 2014

    Copyright © 2014 by

    Verlag J.H.W. Dietz Nachf. GmbH

    Dreizehnmorgenweg 24, 53175 Bonn

    Umschlag: Ralf Schnarrenberger, Hamburg

    Satz und E-Book-Konvertierung: Just in Print, Bonn

    Alle Rechte vorbehalten

    Printed in Germany 2014

    Besuchen Sie uns im Internet: www.dietz-verlag.de

    Inhaltsverzeichnis

    Vorwort

    Ernst Hillebrand

    Eine progressive Vision für Europa

    Eine Meinung aus Spanien

    Josep Borrell Fontelles

    Eine fortschrittliche Vision von Europa

    Laurent Bouvet

    Gegen ein Einheitseuropa

    Euro-Realisten in der Klemme zwischen radikalen Föderalisten und Anti-EU-Extremisten

    René Cuperus

    »Mein Europa« – Vision oder Illusion?

    Herta Däubler-Gmelin

    Auf dem Weg zu einem europäischen Traum

    Petr Drulák

    Solidarität und die Europäische Union

    Vom Wohlfahrtsstaat zur Eurokrise

    André W. M. Gerrits

    Eine neue Abmachung zwischen EU und Nationalstaaten

    David Goodhart

    Das Doppeldefizit der Europäischen Union

    Ronny Mazzocchi

    Haben wir den falschen Götzen angebetet?

    Progressive haben sich von der Europäischen Union eine zweite Zähmung des Kapitalismus erhofft. Diese Hoffnung ist kollabiert. Rückabwicklung ist aber keine Option.

    Robert Misik

    »Etwas mehr Begeisterung, bitte!«

    Michael Naumann

    Ansichten von einer kleinen Insel zur Zukunft eines Kontinents

    Eine britische Perspektive auf die Europäische Union

    Nick Pearce

    Die Befreiung Europas aus den Fängen des Neoliberalismus

    Zoltán Pogátsa

    Souveränität und Soziales Europa

    Ein nordisches Dilemma

    Göran von Sydow

    Arbeit im Fokus:

    Europa vereinigen heißt Arbeit vereinigen

    Historische und wirtschaftliche Gründe für einen sozialdemokratischen »New Deal« in Europa

    Paolo Borioni

    Ausblick:

    Warum Europa?

    György Konrad

    Liste der Autoren und Herausgeber

    Vorwort

    Ernst Hillebrand

    Das Europäische Integrationsprojekt, so hört man allenthalben, steht an einem Scheideweg. Zweifel über den Fortgang der Integration haben sich auch bei den progressiven Parteien eingeschlichen. Die Krisen im gemeinsamen Währungsraum haben die frühere Einhelligkeit zugunsten einer Vertiefung der politischen Zusammenarbeit relativiert: Gegenwärtig besteht allenfalls Konsens darüber, dass der erreichte Zustand – gemeinsame Währung bei fortbestehender nationaler Verantwortung für die Bankenaufsicht und die Fiskalpolitik – instabil ist und die Union mehr spaltet als einigt. Je nach politischer Lesart und theo­retischer Deutung plädieren im linken Lager einige nun für den großen Sprung nach vorn, andere dagegen für einen geordneten Rückbau der Integration. Üblicherweise geht es bei dieser Debatte immer um das Ganze: Um die Zukunft der Europäischen Inte­gration an sich, als großes historisches Projekt, das weder Klassen noch Parteien kennt, sondern nur noch Europäer.

    Diese Entpolitisierung der europapolitischen Debatten ist natürlich nichts Neues. Sie begleitete den Integrationsprozess von Anfang an und betrifft alle politischen Lager. Im Schatten dieser formalen Entpolitisierung ist realpolitisch aber etwas ganz anderes passiert: Die Europäische Integration war und ist ein eminent politischer Prozess, der von sozialen und ökonomischen Interessen und ideologischen Prämissen geprägt wurde und wird. Wie in jedem politischen Prozess gibt es auch hier Gewinner und Verlierer. Und wie in jedem politischen Prozess stellt sich auch für die Europäische Integration die uralte essentielle Frage des Politischen: Cui bono – wem nützt es?

    Die Friedrich-Ebert-Stiftung möchte mit diesem Buch einen Beitrag zur Re-politisierung der Debatte um Europa leisten und Antworten auf eine Frage geben, die sich mit wachsender Dringlichkeit stellt: Wie verhalten sich der europäische Integrationsprozess und das »real existierende Europa« der Europäischen Union (EU) zu den grundlegenden Werten und Zielen der politischen Linken, zu Demokratie, Selbstbestimmung, Freiheit und Wohlstand für möglichst viele Menschen? Ist die EU in diesem Sinne ein emanzipatorisches Instrument der Bürger Europas? Oder, im Gegenteil, vielmehr Agent der schleichenden Entmündigung des demokratischen Souveräns und der Aushöhlung der politischen und sozialstaatlichen Errungenschaften des »sozialdemokratischen« 20. Jahrhunderts?

    Drei Dilemmata der EU

    Sucht man eine Antwort auf diese Frage, stößt man auf drei grundlegende Dilemmata, die mit dem Charakter des europäischen Integrationsprozesses in den letzten Jahren verbunden sind. Diese Dilemmata sind aus linker Sicht keineswegs banal, im Gegenteil: Sie alle gehen an die Substanz des politischen Projekts der europäischen Linken.

    1. Demokratie und Bürgerbeteiligung: Die Europäische Integration präsentiert sich über weite Strecken als Elitenprojekt, das von einer geringen Teilhabe der Bevölkerung gekennzeichnet war und ist. Die Souveränität der Nationalstaaten und ihrer Parlamente wurde im Management der Euro-Krise massiv geschwächt. Das Vertrauen der Bürger in die demokratische Beeinflussbarkeit der Politik auf europäischer Ebene ist, Umfragen belegen dies regelmäßig, wesentlich geringer als im nationalstaatlichen Rahmen. Die Wahlbeteiligung an den Europawahlen ist seit ihrer Einführung kontinuierlich gesunken.

    2. Sozialstaatlichkeit und Deregulierung: Die soziale Entwicklung in Europa war in den letzten beiden Jahrzehnten von einem Anwachsen der Ungleichheit geprägt. Die Auslegung des Europäischen Rechts durch den EuGH – z. B. in den Entscheidungen von Laval und Rüffert – hat den Wettbewerb zwischen den Sozial- und Arbeitsmarktsystemen deutlich erweitert. Die Spielräume für direkte Lohnkonkurrenz zwischen den Arbeitnehmern in Europa wurden durch Binnenmarkt, Deregulierung und Freizügigkeitsbestimmungen deutlich erweitert. Regulierungsabbau, Steuerwettbewerb und Toleranz für Steuervermeidung aller Art haben die Einnahmebasis der Nationalstaaten geschwächt und die fiskalische Belastung von Arbeitseinkommen erhöht.

    3. Wachstum und Europäisierung: Historisch wurde die relativ schwache Input-Legitimität des europäischen Integrationsprozesses implizit durch die Output-Legitimität einer als Erfolg geschilderten ökonomischen Integration kompensiert. Mit der Finanz- und Eurokrise wurde diese Legitimitätsdimension deutlich geschwächt. Der am stärksten integrierte Teil der EU, die Eurozone, ist heute die wachstumsschwächste Region der OECD-Welt. Das Ziel, Wohlstand für Alle zu sichern, erscheint für viele EU-Mitgliedstaaten auf absehbare Zeit nicht mehr erfüllbar. Vor allem in den Krisenländern im Süden der Eurozone kämpfen viele Unternehmen um ihr Überleben, ist kein Wachstum in Sicht. Die Jugendarbeitslosigkeit in der Eurozone ist auf einem extrem hohen Niveau angelangt.

    Eine progressive Vision für Europa

    Angesichts dieser Entwicklungen hat die Friedrich-Ebert-Stiftung linke und progressive Intellektuelle aus 10 europäischen Ländern gebeten, ihre Visionen eines »anderen Europas« aufzuschreiben: eines Europas nämlich, welches den Interessen und Bedürfnissen der Menschen dieses Kontinent gerecht wird und die politischen und sozialen Errungenschaften der europäischen Nationalstaaten nicht beschädigt, sondern stärkt und erweitert. Wir halten eine solche Debatte nicht nur für abstrakt wünschenswert, sondern für politisch unvermeidlich. Der stillschweigende europapolitische Konsens, auf den das Integrationsprojekt jahrzehntelang setzen konnte, wird brüchiger. Dies stellt gerade die proeuropäische Linke vor die Herausforderung, ihre grundsätzlichen Haltungen und Positionen neu zu begründen.

    Welches Verhältnis zwischen europaweiten und nationalstaatlichen Lösungen ist dabei anzustreben? Kann die Europäische Integration trotz des fehlenden europäischen »Staatsvolks« die Form einer staatsähnlichen Konstruktion im Rahmen eines »föderalen Europa« annehmen? Was sind die Risiken und Nebenwirkungen eines voluntaristischen »Großen Sprungs«, wie ihn Teile der europäischen Funktions- und Besitzeliten, aber auch viele europapolitische Postulate der linken Parteien Europas heute fordern? Eindeutige Antworten auf diese Frage finden sich auch in den Beiträgen dieses Buches nicht. Das Meinungsspek­trum der Autoren reicht von einem klaren Bekenntnis zu einem föderalen Europa bis hin zu einer tiefen Angst vor den politischen und wirtschaftlichen Kollateralschäden eines voluntaristischen Integrationseifers. Keinen Zweifel lassen alle Beiträge jedoch an einem: Die Notwendigkeit einer vertieften europäischen Integration und Kooperation ist unumstritten. Wir alle wollen ein starkes, demokratisches und wohlhabendes Europa und eine EU, die bei den Menschen Europas Legitimität und Respekt genießt. Wir alle wollen ein Europa, welches der arbeitenden Mehrheit dieses Kontinents und den sozial Schwachen wirklich nützt und nicht schadet; ein Europa, welches Demokratie und Selbstbestimmung stärkt und nicht schwächt. Die Frage, die uns alle bewegt, ist die nach der besten Methode, um diese Ziele zu erreichen. Die Debatte darüber wird uns noch eine Weile beschäftigen. Mit diesem Buch wollen wir einen Beitrag dazu leisten.

    Eine progressive Vision für Europa

    Eine Meinung aus Spanien

    Josep Borrell Fontelles

    Vom Enthusiasmus zur Ablehnung

    Spanien war immer ein europafreundliches Land. Durch die Franco-­Diktatur isoliert, stellte Europa für die Spanier meiner Generation eine Mischung aus politischer Freiheit, sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlichem Fortschritt dar, nach der wir uns alle sehnten. Hinzu kommt, dass wir in der Europäischen Union die beste Zeit unserer neueren Geschichte erlebten. Die von der EU empfangenen Hilfen und das Mehr an Glaubwürdigkeit, das uns der Euro brachte, haben dazu beigetragen.

    Die Eurokrise hat die Wahrnehmung des europäischen Integra­tionsprozesses nun negativ verändert. Infolge der von der EU in Gang gesetzten politischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise wird Europa mittlerweile als ein Akteur wahrgenommen, der die Demokratie auf nationaler Ebene schwächt, ohne sie auf europäischer Ebene zu stärken, und der Spanien und anderen Nationalstaaten Kürzungen in den sozialen Sicherungssystemen aufzwingt. Nur 18 Prozent der Spanier glauben, dass sie ein demokratisches Mitspracherecht in der EU haben.

    Wir haben gelernt, dass man die Regierung ändern kann, nicht jedoch die Politik – diese wird auf einer Ebene entschieden, die außerhalb unserer Kontrolle liegt. Um die Forderungen der Europäischen Zentralbank (EZB) zu erfüllen, mussten wir im Eiltempo unsere Verfassung umarbeiten. Die Änderungen sollten dann innerhalb nur weniger Tagen in Kraft treten. Darüber hinaus predigten uns europäische Behörden, ausgestattet mit geringer Legitimität, um wie viel Prozentpunkte wir unsere Steuern an­heben und unsere Renten und Löhne senken sollten.

    In ganz Europa haben Ungleichheit und Unsicherheit beachtlich zugenommen. Hinsichtlich der Ungleichheit steht Spanien EU-weit mittlerweile auf dem zweiten oder dritten Platz. Die Lohnsteuer wurde stärker angehoben als die Kapitalertragssteuer. Und ohne einen flexiblen Wechselkurs dienten die sozialen Normen als Anpassungsvariable, um den Schwierigkeiten eines asymme­trischen makroökonomischen Schocks entgegenzuwirken.

    Auch bei anderen EU-Randstaaten scheint diese Art des Vorgehens nicht die Lösung, sondern eine der Ursachen für die Verschärfung der sozialen Lage zu sein. Dieses Europa, das sich von den Werten und Zielen der Linken weit entfernt hat, stellt die Legitimität des europäischen Projekts infrage.

    Das Maß an Legitimität, das Europa durch die positiven Entwicklungen in den ersten Eurojahren erreichen konnte, ist durch die schweren wirtschaftlichen Folgen der Krise wieder verloren gegangen. In Spanien sind 67 Prozent der Bevölkerung der Meinung, dass die getroffenen politischen Maßnahmen keine positiven Auswirkungen haben. Es gibt keine Wachstumsperspektiven, die zu einer Senkung der untragbar hohen Arbeitslosenquote führen könnten. Das Versprechen eines dauerhaften Wohlstands hat sich in Luft aufgelöst. Am stärksten von dieser negativen Entwicklung betroffen sind diejenigen sozialen Schichten, die eigentlich von den linken Parteien vertreten werden sollten. Die Wahlergebnisse zeigen jedoch, dass den linken politischen Kräften nicht zugetraut wird, den Menschen aus ihrer misslichen Lage zu helfen. Sie erhalten kaum Stimmen und wenig Unterstützung von den durch die neue Krise des Kapitalismus Benachteiligten – einer Krise, in der die Banken nicht abgewickelt, sondern mit Unmengen öffentlicher Gelder gerettet wurden, ohne dass dadurch der Kreditkreislauf wieder in Schwung gebracht worden wäre.

    All diese Aspekte erklären die wachsende Abneigung gegen die Europäische Integration. Für die EU sprachen sich 2013 nur noch 31 Prozent der EU-Bürger aus – im Gegensatz zu 57 Prozent im Jahre 2007. 46 Prozent sind mit dem Zustand der Demokratie in den europäischen Institutionen unzufrieden. Aus denselben Umfragen geht aber auch hervor, dass die Europäer in der Eurozone nicht zu ihren nationalen Währungen zurückkehren wollen. Der Grund dafür mag sein, dass sie sich der Kosten bewusst sind, die ein Bruch mit der EU und die Rückkehr zur alten Ordnung mit sich bringen würden. Oder sie ahnen, dass das Bestehen in einer globalen Welt auf sich allein gestellt weitaus schwieriger sein würde. Es scheint so, als sei den Europäern bewusst, dass die Antworten auf ihre Probleme nur in einem Raum zu finden sind, der größer ist als ihr nationaler – und dass damit einhergehend in Europa eine Alternative für die rezessiven Sparmaßnahmen gefunden werden muss.

    Ohne Wachstum keine Lösung

    Um Wachstum zu erzielen, bedarf es einer Politik, die dazu führt, dass sich die Wirtschaft wieder erholt und die Binnennachfrage durch angemessen bezahlte Arbeit aufrechterhalten wird. Diese Politik dürfte die Wirtschaftskrise nicht auf Kosten der Rentner, Arbeitslosen und Kranken zu lösen versuchen. Sie dürfte nicht jene Elemente opfern, die zukunftsweisend sind, wie Bildung, Investitionen und die Umstellung der Wirtschaft auf Nachhaltigkeit. Eine solche Strategie wäre der effizienteste Weg zur Minderung des Defizits, der Verschuldung und der Kosten der sozialen Sicherungssysteme.

    Allerdings ist die gegenwärtige Architektur der Eurozone nicht geeignet, die Probleme wachstumspolitisch zu meistern. Tatsächlich haben die Überschussländer des Nordens Recht, wenn sie von den Ländern des Südens mit defizitären Problemen fordern, Verantwortung zu übernehmen – aber sie sollten bei ihren Forderungen realistisch bleiben und mit ihrer nationalen Politik zum Gleichgewicht in der Eurozone beitragen. Wenn die Überschussländer des Nordens hingegen weiterhin an ihrer restriktiven Politik und den geringen Lohnzuwächsen der Jahre 2000 bis 2010 festhalten, wird die internationale Wettbewerbsfähigkeit in den defizitären Ländern des Südens durch die »interne Abwertung« auf ein inakzeptables Niveau fallen.

    Exzessive Sparmaßnahmen und Deflation – und damit einhergehend eine steigende Arbeitslosenquote und mangelnde Kreditvergabe – haben zur Folge, dass die notwendigen Reformen zur Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit in den defizitären Länder des Südens politisch und sozial nicht umgesetzt werden können. Die Strukturreformen sind kurzfristig kontraproduktiv. Damit sie langfristig erfolgreich sein können, müssen sie von politischen Maßnahmen zur Steigerung der Nachfrage flankiert werden. Gleichzeitig muss glaubwürdig auf eine Stabilisierung der Steuern hingearbeitet werden.

    Innerhalb der OECD weist die Eurozone gegenwärtig das schwächste Wachstum auf, und das gravierende Ausmaß der Rezession in den defizitären Ländern des Südens stellt weiterhin ein großes Problem für das Überleben des Euro dar. Diese Problematik existiert nicht erst seit heute. Schon vor der Krise war das Wachstum im EU-Raum bei steigenden Arbeitslosenzahlen schwach. Die Politik der EU, die nicht selten wortgetreu die Dogmen anderer Länder übernimmt, welche diese selbst nicht befolgen, hat zu einem sozialen und fiskalischen Wettbewerb zwischen den europäischen Ländern geführt, durch den die Binnennachfrage geschwächt wurde. Die Öffnung Europas hin zu einer bedingungslosen Freihandelszone hat zu einer Schwächung der industriellen Kapazitäten einer ganzen Reihe von Ländern geführt, in denen der Euro überbewertet war – wie zum Beispiel in Spanien, Portugal, Italien, Frankreich und Griechenland.

    Auf der Suche nach einer neuen Daseinsberechtigung für Europa

    Die aktuelle Situation kann folgendermaßen zusammenfasst werden: Die Europäische Integration hat mit der Befriedung des Kontinents ihr Hauptziel erreicht. Sie ist jedoch bei der Schaffung eines dauerhaften und gemeinsamen Wohlstands sowie einer Solidarität gescheitert, die auf dem Gedanken eines gemeinsamen europäischen demos basiert. Die europäischen Volkswirtschaften driften immer weiter auseinander. Zwar hat die Einführung des Euro den Währungskriegen in Europa ein Ende bereitet, aber die wachsenden Unterschiede hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit nur überdeckt. Hinzu kommt, dass der Weg zur politischen Einheit Europas nicht bereitet wurde.

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