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Johann Gottlieb Naumann: Der Dresdner Amadeus
Johann Gottlieb Naumann: Der Dresdner Amadeus
Johann Gottlieb Naumann: Der Dresdner Amadeus
Ebook326 pages2 hours

Johann Gottlieb Naumann: Der Dresdner Amadeus

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Der Komponist Johann Gottlieb Naumann (1741-1801) ist heute weitgehend unbekannt, obwohl der gebürtige Dresdner zu Lebzeiten in Europa gefeiert wurde. Reisen führten ihn nach Italien, Schweden und Dänemark. Dort feierte er als Opernkomponist große Erfolge und wurde von den Königshäusern heftig umworben. Naumann blieb aber zeitlebens am Dresdner Hof angestellt, wo er 1786 auf Lebenszeit als Hofkapellmeister verpflichtet wurde.
Aus einfachsten Verhältnissen stammend, erlebte Naumann eine fulminante Karriere, die ihn mit bedeutenden Persönlichkeiten seiner Zeit zusammenbrachte - neben Christian Gottfried Körner, Johann Gottfried Herder, Klopstock, Elisa von der Recke und Friedrich Schiller seien hier vor allem weitere Dresdner Persönlichkeiten, wie der Maler Anton Graff oder Hans Moritz von Brühl zu nennen. Auch sein Wirken als Freimaurer hinterließ Spuren. Naumanns Schaffen umfasst zahlreiche Opern, Oratorien, Messen, Lieder und Instrumentalmusik, die auf eine Wiederentdeckung warten.
LanguageDeutsch
Release dateNov 18, 2017
ISBN9783946710103
Johann Gottlieb Naumann: Der Dresdner Amadeus
Author

Romy Petrick

Die Musikwissenschaftlerin und Sängerin Romy Petrick gibt einen auf bisherigen Quellen basierenden, fundierten Überblick zum Leben und Schaffen dieses bedeutenden Dresdner Komponisten, der zu weiteren Forschungen und zur Verbreitung der Werke Naumanns beitragen soll. Umfassendes Bildmaterial ergänzt die Ausführungen, die einen Einblick in die Lebenswelt Dresdens im 18. Jahrhundert gewähren.

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    Johann Gottlieb Naumann - Romy Petrick

    Magvas.

    Elternhaus und Kindheit in Blasewitz

    Naumanns Geburtshaus, um 1930.

    Der Komponist Johann Gottlieb Naumann stammte aus einfachsten Verhältnissen. Seine Mutter, Anna Rosina Ebert (1722–1784), war die Tochter eines Schuhmachers in Niederwachwitz und wurde am 28. Oktober 1739 mit Johann Georg Naumann (um 1706–1768) getraut.³ Sie heiratete dabei unter ihren Verhältnissen: Der Sohn des Huf-und Waffenschmiedes Hans Georg Naumann (1676–1757) aus Loschwitz hatte den Beruf seines Vaters nicht übernommen, sondern bestritt den Lebensunterhalt als Häusler, Tagelöhner und Gelegenheitsmusiker.⁴ Am 17. April 1741 wurde ihr erstes Kind geboren und auf den Namen Johann Gottlieb getauft.⁵ Die junge Familie bezog in Blasewitz ein kleines Haus mit Garten, das noch bis 1901 am Schillerplatz stand. Man ernährte sich hauptsächlich von dem, was der kleine Garten an Ertrag brachte. Naumanns Mutter verkaufte zusätzlich Gebäck (ihren damals berühmten Stangenkuchen) an Reisende, die an ihrem Häuschen eine Pause machten und Kaffee tranken. Sogar die Mutter des Kurfürsten soll oft zu Gast gewesen sein.⁶ Naumann hatte drei Geschwister, zwei Brüder und eine Schwester. Bereits in der Namenswahl wird die Frömmigkeit und Glaubensverwurzlung der protestantischen Eltern deutlich, die die anderen beiden Söhne Gotthold und Friedrich Gotthard (1750–1821) nannten.⁷ Der Schwester, die ebenfalls sehr musikalisch gewesen sein soll, wurde nach der Mutter Anna Rosina genannt.⁸

    Das Dorf Blasewitz um 1800, Zeichnung von Johann Christian Klengel.

    Die Kinder verlebten vermutlich trotz der einfachen Verhältnisse eine unbeschwerte Kindheit.⁹ Ihre Musikalität wurde sicherlich durch den Vater gefördert, der die Begabung Johann Gottliebs erkannte und ihm wahrscheinlich auch ersten Unterricht erteilte. Naumann besuchte ab 1751 die Dorfschule in Loschwitz, wobei er jeden Tag bei Wind und Wetter mit der Fähre über die Elbe hinübergesetzt wurde. Das damalige Schulgebäude steht noch heute auf der Pillnitzer Landstraße 8 und dient als Loschwitzer Pfarramt. Der Knabe wurde durch den Lehrer und Dorfkantor Christian Gottfried Müller (gest. 1760) gefördert, sodass Naumann bereits 1753, im Alter von 12 Jahren, bei Gottesdiensten aushalf und die Orgel spielte.¹⁰

    Die ehemalige Dorfschule, die Naumann besuchte, auf der Pillnitzer Landstraße 8. Heute wird das Gebäude als Pfarramt genutzt, um 1991.

    Bei Meißner und Recke finden sich viele Anekdoten und Geschichten aus Naumanns Kindheit, die natürlich in ihrer Genauigkeit nicht nachzuprüfen sind, doch scheint es, dass Naumann selbst diese Geschichten oft erzählt hat, und dass diese Begebenheiten eine maßgebliche Auswirkung auf seine Entwicklung als Mensch und Musiker hatten. Beispielsweise wird von einem Erweckungserlebnis berichtet, welches der Knabe in der Hofkirche erlebt haben soll, wohin sein Vater ihn eines Sonntags mitgenommen hatte. Naumann sei von der Musik, die vermutlich von Hofkapellmeister Johann Adolph Hasse stammte, so begeistert gewesen, dass er von da an oft am Sonntag allein in die katholische Hofkirche nach Dresden pilgerte, um der katholischen Kirchenmusik zu lauschen.¹¹

    Naumanns Eltern bestimmten für ihren ältesten Sohn aber zunächst eine Laufbahn ohne Musik: Johann Gottlieb Naumann sollte wie sein Großvater Schmied bzw. Schlosser werden und wurde deshalb 1753 im Alter von 13 Jahren nach Dresden in die Lehre geschickt. Nach Meißners Schilderung muss es für den Jungen eine Qual gewesen sein, in der stickigen Werkstatt mit den lauten Geräuschen zu arbeiten. Kurze Zeit nach Antritt der Lehre floh er deshalb aus der Werkstatt. Seine Eltern waren darüber bestürzt und versuchten, ihn zur Rückkehr zu bewegen, doch Naumann soll sogar mit Selbstmord gedroht haben, falls man ihn dorthin zurückschicken würde.¹² Die Eltern waren von der Drastik seiner Reaktion überfordert und versuchten ihn durch eine andere Strafe umzustimmen: Er musste fortan das Vieh im Dorf hüten – eine äußerst erniedrigende Aufgabe für den Jungen, der schon den Kantor auf der Orgelbank vertreten hatte. Doch Naumann soll diese Aufgabe bereitwillig auf sich genommen haben, bis sich die Eltern entschlossen, ihn auf eine Dresdner Stadtschule zu schicken.¹³ Naumanns Bruder Gotthold wurde später Kaufmann und verließ Dresden; über ihn ist nichts weiter bekannt. Für die beiden anderen Geschwister fühlte sich Naumann als ältester Bruder verantwortlich: Der neun Jahre jüngere Friedrich Gotthard erhielt von Naumann umfassende Unterstützung bei der Ausbildung seines zeichnerischen Talentes und wurde an der Dresdner Kunstakademie Schüler von Giovanni Battista Casanova (1730–1795). Nach dem Tod des Vaters versorgte Naumann auch seine Mutter und die Schwester, bis diese sich mit Fabrikanten Butziger [?] vermählte und einen eigenen Hausstand gründete. Anlässlich ihrer Vermählung wurde im Juli 1782 im Seifersdorfer Tal eine ländliche Hochzeit inszeniert, bei der Naumanns Musik erklang.¹⁴ Der Komponist war allerdings nicht anwesend, weil er zu dem Zeitpunkt in Schweden weilte. Später soll das Verhältnis zwischen Naumann und seinem Schwager angespannt gewesen sein, den er sogar einen „Lügner" und „Betrüger nannte.¹⁵

    Friedrich Gotthard Naumann (1750–1821)

    Ein Maler im Schatten seines Bruders

    Naumanns jüngerer Bruder brach ebenfalls eine Lehre ab. Danach wurde seine Begabung durch Johann Gottlieb Naumann gefördert. Anfangs nahm Friedrich Gotthard Unterricht bei dem Dresdner Maler Günthermann [?], bis er im Alter von 17 Jahren an der Dresdner Kunstakademie Schüler von Giovanni Battista Casanova wurde, bei dem er fünf Jahre studierte. 1772 reiste er mit seinem Bruder nach Italien, wo er in Rom Schüler von Anton Raphael Mengs (1728–1779) wurde. Später verpflichtete man ihn nach Ansbach als Hofmaler. Dort wirkte er hauptsächlich als Porträtist und Lehrer. Nachdem das Fürstentum Ansbach an Preußen überging, war Friedrich Gotthard Naumann als Kunstkäufer für Friedrich Wilhelm II. (1744–1797) tätig. Johann Gottlieb Naumann hat sich stark für seinen Bruder eingesetzt und ihn u. a. an den preußischen Hof empfohlen. Die vielen Briefe zwischen beiden zeugen von einer engen Beziehung. In späteren Jahren erhielt er kaum Aufträge mehr. Obwohl er finanziell abgesichert war, erschoss er sich 1821 im Ansbacher Schloss in seinen Wohnräumen.

    Seine Ehe war kinderlos geblieben.


    ³ Landmann, Ortrun: Naumanns Lebensstationen im Überblick, in: Johann Gottlieb Naumann – Komponist in vorromantischer Zeit, Dresdner Hefte, Beiträge zur Kulturgeschichte, 19. Jg., Heft 66, 2/01, Dresden 2001, S. 17, zitiert als Landmann 2001; Engländer, Johann Gottlieb Naumann als Opernkomponist, Leipzig 1922, S. 2; zitiert als: Engländer 1922.

    ⁴ Ein Stammbaum findet sich bei: Meißner, August Gottlieb: Bruchstücke zur Biographie J. G. Naumanns, Band 1, Prag 1803, ab S. 15; zitiert als: Meißner.

    ⁵ Meißner bemerkte, dass Naumann später sein Geburtsjahr nach hinten verschob, um sich zu verjüngen; eventuell hängt dieser Umstand mit seiner späten Eheschließung zusammen, da er erst als 50-Jähriger die 26 Jahre jüngere Catharina von Grodtschilling (1767–1838) heiratete und wahrscheinlich nicht so alt gegenüber seiner jungen Braut erscheinen wollte. Meißner, Band 1, S. 7 f. Zum Vornamen Naumanns und der Diskussion darüber siehe S. 189.

    ⁶ Meißner, Band 1, S. 10.

    ⁷ Meißner verwechselte die Geschwister und bezeichnete Gotthold als den Maler. Vgl. Meißner, Band 1, S. 10.

    ⁸ Magvas, Band 1, S. 198.

    ⁹ Meißner schildert sehr ausführlich einzelne Begebenheiten aus dieser Zeit, die natürlich nicht nachprüfbar sind. Vgl. Meißner, Band 1, S. 10 ff.

    ¹⁰ Meißner, Band 1, S. 19.

    ¹¹ Meißner, Band 1, S. 19.

    ¹² Meißner, Band 1, S. 21-25.

    ¹³ Meißner, Band 1, S. 25.

    ¹⁴ Magvas, Band 1, S. 198.

    ¹⁵ Magvas, Band 1, S. 198.

    Naumann als Lateinschüler 1754 bis 1757

    Naumanns Eltern wurde durch den Abbruch der Lehre deutlich, dass für ihren ältesten Sohn eine andere Laufbahn bestimmt war. Um ihm eine Ausbildung zum Lehrer oder Kantor zu ermöglichen, sollte er nun eine höhere Schule in Dresden besuchen. Bis heute ist allerdings nicht sicher, welche Schule Naumann besuchte. Meißner schrieb, dass er bei dem Kreuzkantor Gottfried August Homilius (1714-1785) Unterricht erhalten habe, der seit 1742 als Organist an der Frauenkirche tätig war und ab 1755 das Amt des Kreuzkantors innehatte. Allerdings fand sich Naumanns Name nicht in den Verzeichnissen der Kreuzschule, was aber nicht unbedingt gegen Naumann als Kreuzschüler sprechen muss.¹⁶ Somit ist lediglich zu vermuten, dass Naumann Kreuzschüler gewesen war. Kläbe schrieb 1796, dass Naumann einem „Klaviermeister in Dresden" übergeben wurde und die „dasige Schule" besuchte.¹⁷

    Laut Meißners Schilderungen musste Naumann jeden Tag zur Schule nach Dresden laufen. Vermutlich übernachtete Naumann auch manchmal bei schlechten Wetterbedingungen in Dresden. Meißner schrieb über Naumanns Schulzeit:

    „Der glückliche Knabe! Nun konnt` er doch ganz seiner Neigung folgen; nun spielt` er fleißig daheim Klavier; ging täglich in der achten Morgenstunde von Blasewitz nach Dresden in die öffentliche Schule, wo der verdienstvolle Kantor, Homilius, seinen Hauptlehrer im Wi-ßenschaftlichen sowohl, als in der Musik machte; blieb in der Stadt, bis gegen Abend seine Unterrichtsstunden vorbei waren, und begab sich dann gelaßen wieder auf den Rückweg."¹⁸

    Naumanns Vater erwarb ein einfaches Tasteninstrument, auf dem Naumann üben konnte. Zu seinem Übungspensum gehörten auch die Werke Johann Sebastian Bachs.¹⁹ Naumann erhielt in dieser Zeit eine umfassende musikalische Ausbildung, die den Grundstock für seine spätere Laufbahn legte. Die Schulzeit wurde allerdings durch den Ausbruch des Siebenjährigen Krieges vorzeitig beendet.

    Gottfried August Homilius, Stich von 1782.

    Der Siebenjährige Krieg und seine Folgen

    Das Schicksal Sachsens und seiner Bevölkerung veränderte sich radikal durch den Ausbruch des Siebenjährigen Krieges. Der Preußenkönig Friedrich II. (1712–1786) marschierte am 29. August 1756 überraschend in Sachsen ein, um mit einem Präventivschlag den europäischen Verbündeten, die Preußen komplett isoliert hatten, zuvorzukommen. Es kam zur Belagerung der sächsischen Armee bei Pirna, die durch die Kapitulation Sachsens am 15. Oktober 1756 aufgehoben wurde. Der sächsische Kurfürst Friedrich August II. (1696–1763) und zugleich polnische König August III. hatte das Gefechtsgeschehen direkt von der Festung Königstein aus verfolgen können, wohingegen seine Familie in Dresden verblieben war. Nach der Kapitulation reiste der Kurfürst mit Premierminister Heinrich Graf von Brühl (1700–1763) nach Warschau. Dresden war bereits am 9. September besetzt worden, und Friedrich II. inspizierte alles genauestens. Er lauschte den Kirchenmusiken Hasses und veranstaltete mit der Kapelle unter Hasses Leitung Konzerte, in denen er selbst Flöte spielte. Nach Hasses Abreise im Dezember 1756 ließ der Preußenkönig seine eigenen Musiker, den ehemaligen Dresdner Soloflötisten Johann Joachim Quantz (1697–1773) und Franz Benda (1709–1786), aus Berlin nach Dresden kommen, um weiter musizieren zu können. Friedrich II. blieb bis März 1757 in der sächsischen Residenz.

    Die zerstörte Kreuzkirche, Stich nach einem Gemälde von Canaletto, 1765.

    In Sachsen war durch die preußische Besatzung die Zeit der barocken Prachtentfaltung und des ausschweifenden höfischen Lebens schlagartig vorbei. Dies hatte natürlich auch Auswirkungen auf die Dresdner Bevölkerung, deren Leben sich größtenteils nach dem Hof richtete. Viele Künstler folgten im Januar 1757 dem König nach Warschau oder harrten unter anstrengenden Bedingungen in Dresden aus. 1760 wurde die Stadt durch einen preußischen Bombenangriff stark zerstört; die Kreuzkirche fiel dem Angriff zum Opfer, wurde später komplett abgetragen und neu errichtet. Bei dieser Bombardierung wurde auch das Palais getroffen, in welchem sich Hasses Noten befanden, die er für eine Gesamtausgabe vorbereitet hatte.

    Für Naumann hatte der Ausbruch des Siebenjährigen Krieges ebenfalls unmittelbare Folgen. Die sächsische und die preußische Armee rekrutierten von der Straße weg junge Männer für den Feldzug; auch mehrere Kruzianer wurden eingezogen. Naumann entging dem Militärdienst, da er noch nicht die erforderliche Körpergröße erreicht hatte; er fürchtete jedoch stets, aufgegriffen zu werden. Meißner beschrieb, wie Naumann tatsächlich von den Preußen auf dem Heimweg nach Blasewitz an der Elbe von Soldaten zufällig angehalten worden sein soll und gemeinsam mit anderen Männern ein Proviantschiff der Preußen stromaufwärts ziehen musste. Er soll erst nach drei Tagen wieder zu seinen besorgten Eltern zurückgekommen sein.²⁰


    ¹⁶ Vgl. Engländer, 1922, S. 18; Landmann, S. 17.

    ¹⁷ Kläbe, S. 101.

    ¹⁸ Meißner, Band 1, Band 1, S. 26 f.

    ¹⁹ Meißner, Band 1, S. 29 f.

    ²⁰ Meißner, Band 1, S. 41.

    Erste Italienreise 1757 bis 1764

    Ein Zufall brachte eine völlig neue Wendung in Naumanns Leben: Im Frühling 1757 kam der schwedische Geiger Anders Wesström (1720–1781) nach Dresden und kehrte bei seinen Spaziergängen mehrmals in der Kaffeestube von Naumanns Mutter ein. Dort soll er das Klavier mit den Noten der Bach’schen Werke entdeckt, und sich nach dem Spieler erkundigt haben.²¹ Wesström konnte kaum glauben, dass ein 15-jähriger Jüngling in so ärmlichen Verhältnissen ein derartiges Talent für Bach besitzen sollte. Er soll an den folgenden Tagen zurückgekehrt sein, um Naumann persönlich kennenzulernen und bot dem Jungen an, mit ihm nach Italien zu reisen. Wesström erhoffte sich vermutlich, in ihm einen preiswerten Begleiter für seine Violinkonzerte zu finden.

    Anders Wesström (1720–1781)

    Schwedischer Kapellvirtuose auf Reisen

    Der Mann, der Naumanns Leben eine entscheidende Wendung brachte, war zu Lebzeiten der bekannteste Geiger Schwedens. Er wurde vermutlich in Sala (in der Provinz Västmanlands Iän) geboren, wo sein Vater als Organist und Musiklehrer tätig war. 1726 zog die Familie nach Hudiksvall (Provinz Gävleborgs Iän), wo der Vater als Organist und Lehrer arbeitete. Er bildete seinen talentierten Sohn aus, der bereits 1734, im Alter von 13 Jahren, nach dem plötzlichen Tod des Vaters dessen Posten übernahm. Wesström blieb über zehn Jahre als Organist in Hudiksvall und studierte währenddessen zusätzlich Jura in Uppsala. 1744 schloss er sein Studium mit dem Magister ab. Danach zog er nach Stockholm, wo er 1744 als Geiger in die Königliche Kapelle eintrat, der er bis 1773 angehörte. Zusätzlich arbeitete er als Lehrer am Berufungsgericht. Beide Tätigkeiten wurden allerdings sehr schlecht bezahlt und Wesström musste zusätzlich unterrichten. 1748 wurde er zum Hofmusiker befördert und erhielt dadurch ein höheres Gehalt. Seine finanzielle Situation soll jedoch in diesen Jahren insgesamt sehr schlecht gewesen sein.

    1756 erhielt Wesström den Auftrag, sich bei einer Studienreise durch Europa musikalisch weiterzubilden. Die Reise sollte ursprünglich zwei Jahre andauern, verlängerte sich aber aufgrund von Krankheiten und anderen Umständen auf eine Dauer von vier Jahren. Er reiste zuerst nach Berlin und anschließend nach Dresden, wo er bei dem Geiger Francesco Maria Cattaneo (1697–1758) studierte. Hier lernte er den jungen Naumann kennen, mit dem er die Stadt Richtung Hamburg verließ. Im Sommer 1758 gelangten beide nach Padua, wo Wesström bei Giuseppe Tartini in die Lehre ging. Nach dem Bruch mit Naumann kehrte Wesström im Herbst 1760 nach Stockholm zurück. Hier trat er nun als Solist in öffentlichen Konzerten auf, in denen er seine Werke und Stücke italienischer Meister zu Gehör brachte. Im Sommer 1761 gastierte er in Hamburg, Göteborg und Lübeck. 1766 unternahm er eine Konzerttournee durch England. 1770 bewarb er sich um die vakante Stelle des Domorganisten in Stockholm, wurde jedoch abgelehnt. 1773 gewährte ihm die Hofkapelle eine kleine Rente auf Lebenszeit. Ab 1774

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