Folkeboot Paula: Eine Liebesgeschichte mit 1,20 Meter Tiefgang
By Nicolas Thon
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Waghalsige Manöver, kräftezehrendes Kreuzen, begleitet von ruppigen Böen und heftigen Adrenalinstößen. Schräglage. Spritzwasser. Schaukeln im Seegang. Aufreißende Wolkendecke oder Pladderregen aus heiterem Himmel kurz vorm Anlegen: Kaum ein Segeltag vergeht ohne Überraschungen.
Doch besteht nicht das eigentliche Abenteuer darin, in der Morgensonne zu Vogelzwitschern und Möwengeschrei den ersten Schluck Kaffee zu trinken, den Blick über das Ufer der Ankerbucht schweifen zu lassen und zu wissen, dass man nur durch eigenes Geschick und auf eigenem Kiel an diesen traumhaften Ort gelangt ist?
Beide Aspekte – spektakuläres Segeln und tiefen Genuss – erlebt man auf einem kleinen, schlichten Boot besonders intensiv. Ein Folkeboot, das weiß man seit 75 Jahren, ist dafür perfekt.
Wie großartig Glücksmomente sein können, wie tief die Liebe zum Boot, zur See, zum Segeln, erlebt Nicolas Thon seit dem Moment, als er seine Paula erblickte – die ihn alles lehrte, auch selbst mal das Kommando übernahm, nie übermäßig rumzickte und ihm zeigte: Wenn der Ersatzkanister durchs Cockpit fliegt, ist eindeutig zu viel Wind!
Nicolas Thon
Nicoals Thon, Autor, Fotograf, hat seine Leidenschaft zum Beruf gemacht. Heute ist er nicht nur Folkebootsegler, sondern auch Folkebootvercharterer: Inzwischen hat seine Paula noch 4 Geschwister bekommen, die an der Schlei gemietet werden können. Er selbst segelt immer noch alle erreichbaren Reviere in Nord- und Ostsee ab.
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Folkeboot Paula - Nicolas Thon
IMMER
EIN
ABENTEUER
Waghalsige Manöver, kräftezehrendes Kreuzen, begleitet von ruppigen Böen und heftigen Adrenalinstößen. Schräglage, Spritzwasser und Schaukeln im Seegang. Plötzliche Winddreher, Welle von Lee, aufreißende Wolkendecke oder Pladderregen aus heiterem Himmel kurz vorm Anlegen: Kaum ein Segeltag vergeht ohne Überraschungen. Oft ist das großartig, andernfalls muss man lernen, es auszuhalten. Doch besteht nicht das eigentliche Abenteuer darin, in der Morgensonne zu Vogelzwitschern und Möwengeschrei den ersten Schluck Kaffee zu trinken, den Blick über die Ufer der Ankerbucht in die Weite der See schweifen zu lassen und sich bewusst zu werden, dass man durch eigenes Geschick und auf eigenem Kiel an diesen traumhaften Ort gelangt ist?
Beide Aspekte – spektakuläres Segeln und tiefen Genuss – erlebt man auf einem kleinen, schlichten Boot besonders intensiv. Als ich PAULA kennenlernte, ahnte ich nichts von den Glücksmomenten, aber auch nicht von den Aufregungen, die uns gemeinsam bevorstanden. Der Wunsch, auf eigenem Kiel zu segeln, es überhaupt erst einmal richtig zu lernen, brachte mich in Verbindung mit einer Reihe rationaler Überlegungen zum Folkeboot.
Es gibt viele Arten zu segeln, unterschiedliche Reviere, verschiedene Bedürfnisse. Zu jedem existiert das passende Boot – die Aufgabe besteht darin, es zu finden. In dieser Hinsicht lief es perfekt. PAULA ist das Boot für mich. Viel mehr als das: Mein Platz an der Pinne entpuppte sich als ein Ort, der sich mit dem Begriff »Heimat« beschreiben ließe. Hier zu sitzen, fühlte und fühlt sich richtig an – an Land befand ich mich oft genug auf der Flucht oder doch wenigstens auf Reisen, selbst wenn ich mich dauerhaft niederließ. In dem Geschaukel auf See, in der Rastlosigkeit des Fahrtensegelns, kam ich in gewisser Weise endlich zur Ruhe.
Dieses Buch berichtet nicht von der einen großen, alles in den Schatten stellenden Reise. Statt dessen handelt es von PAULAs und meinem Verhältnis zueinander, davon, wie es sich im Laufe der Zeit entwickelt hat, dem gemeinsamen Weg. Es schildert, wie Folkeboote mir zur Lebensaufgabe wurden – inzwischen besitze ich fünf davon. Ungeschönt gibt es auch das preis, was unterwegs schiefgegangen ist.
Noch weiß ich es nicht, aber dies ist das perfekte
Boot für das Revier vor meiner Haustür.
Es gehört zu den Eigenheiten einer Segelreise, aber auch einer »Seglerkarriere«, dass sie sich kaum als Geschichte aus einem Guss darstellen lässt: Bestenfalls ergibt sich eine Geschichte, die zu Tränen rührt und im nächsten Moment schallendes Gelächter hervorruft. Die Handlung unterliegt dem ewigen Wechsel aus günstigen und widrigen Bedingungen, motivierenden Erlebnissen und schmerzenden Enttäuschungen, richtigen Entscheidungen und Fehlern, von denen erst die Zukunft zeigen wird, ob Wertvolles aus ihnen gelernt wurde – sie verläuft zu chaotisch, um sich nachträglich in einen roten Faden von ansprechender literarischer Qualität und stetig sich steigernder Spannung zwängen zu lassen. Womöglich ist das gerade das Faszinierende an einer Segelreise. Dementsprechend werden Segeltörns in aller Regel chronologisch geschildert, den Logbucheinträgen folgend: Am ersten Tag passierte dies, am zweiten das, am dritten jenes usw. Das ist unmittelbar plausibel und wird gern von allen gelesen, die die Reise in ihren Facetten nachvollziehen möchten.
Ich versuche dennoch einen anderen Weg, meine und PAULAs Sommerreisen darzustellen: Als in sich geschlossene Geschichten. Notgedrungen lasse ich Dinge weg: Ereignisse, Tage, manchmal ganze Wochen. Vielleicht wären die eine oder andere traumhafte Nachtfahrt, manche Begegnung mit ausgesprochen netten Menschen oder die gelegentliche freudige Überraschung in einem notgedrungen angelaufenen, fälschlich für hässlich gehaltenen Hafen es durchaus Wert, aufgeschrieben zu werden, doch sie passen nicht in den angestrebten Spannungsverlauf. Ich nehme es in Kauf. Denn ich hege die Hoffnung, dass die Reiseberichte nicht nur für sich stehen, sondern gemeinsam eine Entwicklung erkennbar machen: Meine Entwicklung, in deren Verlauf ich nichts Geringeres fand als meinen ganz persönlichen Platz in der Welt. Segeln verändert. Das geht deutlich über das hinaus, was im Logbuch steht.
Das Buch möchte vor allem eines: Es möchte die Lust wecken, auf Segel- und Entdeckungsreise zu gehen – auf ein 7,64 Meter langes und 2,20 Meter breites Abenteuer mit 1,20 Meter Tiefgang.
Ruhe vor dem Chaos:
PAULA in unserer ersten Saison.
DER GROSSE
WURF DER
BOOTSBAUGESCHICHTE
Ostseetauglich. Ein Klassiker, oder jedenfalls aus Holz, um damit bei meinen Freunden im Museumshafen akzeptiert zu werden – wer möchte schon gerne zu den verpönten »Yachties« mit ihren hässlichen »Joghurtbechern« gehören? Groß genug, um Gäste mitzunehmen, aber klein und handlich genug, um auch allein damit klarzukommen. In Kaufpreis und Unterhalt meinem Budget an Geld und Zeit entsprechend. So lauteten die verblüffend rationalen Kriterien, als ich mich – seglerisch unerfahren, bootsbauerisch naiv, ansonsten in mancherlei Hinsicht desillusioniert, aber von ganzem Herzen bereit für diesen großen Schritt – entschloss, ein eigenes Boot zu kaufen.
Inzwischen sind es noch ganz andere Motive, warum ich PAULA, warum ich ein Nordisches Folkeboot gegen kein anderes Wasserfahrzeug eintauschen würde: das tiefe Cockpit. Der lange Kiel. Das schlichte, markante Rigg mit dem winzigen Vorsegel. Der Klinkerrumpf. Der unverwechselbare, zeitlos-elegante Riss. Kaum ein Segler schwärmt nicht von den erstaunlichen Segeleigenschaften des Folkebootes. Man sitzt fast auf Wasserlinie, behütet und geborgen, auch wenn gelegentlich ein erfrischender Schwall Gischt über die Kante fliegt, in einem Cockpit, das den unübertrefflichen Charme klassischer Bootsbaukunst in jeder Faser, jeder Kupferniete trägt. Unerschütterlich stürzt sich das Boot in die See, vermittelt den Segelspaß einer wendigen Jolle und ist dabei so seetauglich, dass selbst eine Atlantiküberquerung keine Unmöglichkeit wäre. Ja, der Pflegeaufwand einer alten Holzkiste ist erheblich, Platzangebot und Komfort wirken unzeitgemäß. Aber ist es nicht gerade heute überaus wohltuend, sich einmal auf das Wesentliche zu besinnen, auf Wind und Wetter, darauf, mit ihnen und niemals gegen sie das nächste Ziel zu erreichen?
Es gibt viele Gründe, kein Folke zu segeln oder zu besitzen: Zu klein für die Familie, zu unkomfortabel für die alten Knochen, zu aufwendig in der Pflege. Dann passt eben ein anderer Bootstyp besser zu den Bedürfnissen. Das Boot ist für die Ostsee gebaut, dort sollte es auch segeln. Nicht im Wattenmeer, nicht auf dem Atlantik. Unter dieser Voraussetzung behaupte ich, dass das Boot kaum Nachteile hat – im Gegenteil, es entspricht zumindest meinen Bedürfnissen haargenau. Viele der Errungenschaften des Bootsbaus, die sich inzwischen durchgesetzt haben, möchte ich überhaupt nicht haben: Rollanlage? Riesige Vorsegel, mit denen nur Popeye kreuzen kann? Kurzkieler, die in jeder Bö vertreiben? Selbst lenzendes Cockpit, bei dem man wie auf dem Präsentierteller im Wind sitzt? Sprayhood? Seezaun und Bugkorb? Bordtoilette? Nichts davon vermisse ich, im Gegenteil erwarte und verlange ich von meinem Boot, dass keines dieser Ärgernisse vorhanden ist.
Gegenseitiger Einfluss:
Boot und Eigner wachsen zusammen.
Die Idee einer einheitlichen skandinavischen Bootsklasse wurde auf dem Nordischen Seglertag 1940 konkret, und man beschloss die Ausschreibung eines internationalen Konstruktionswettbewerbs. Ganz andere Kriterien als meine waren ausschlaggebend: Das Boot musste ausreichend Platz für vier Personen bieten und sollte schlicht und billig sein, sodass jede skandinavische Familie es sich leisten könne. Die Vorgaben hinsichtlich des Materials orientierten sich an den Notwendigkeiten der Zeit: Es war Krieg. Das Boot sollte aus einheimischen Hölzern bestehen (ein Mahagoniausbau wurde früh akzeptiert und setzte sich dann auch durch), für den Ballast war Gusseisen vorgeschrieben. Keiner der eingereichten Entwürfe überzeugte die Jury, und so wurde der schwedische Ingenieur und Bootskonstrukteur Tord Sundén aufgefordert, aus den Vorzügen der besten sechs das »Nordische Folkeboot« zu konstruieren. Der Prototyp lief am 23. April 1942 vom Stapel.
Bevor die endgültigen Pläne vorlagen, gab es aus ganz Schweden bereits 80 Bestellungen. Der Bedarf war also gegeben – doch statt Begeisterung weckte das Boot zunächst Entsetzen: Die an elegante, schlanke Formen mit endlos langen Überhängen gewöhnten Skandinavier mussten sich mit dem Plattgattheck, anderen rein zweckmäßigen Details und dem insgesamt spröden Charme des Folkebootes erst anfreunden. Zunächst deutete wenig darauf hin, welcher Begeisterung es sich erfreuen sollte. Doch man gewöhnte sich an die neue, unverwechselbare Optik, die für einige Jahrzehnte geradezu stilprägend wurde im Bootsbau. Die Idee, beim Folkeboot alles betont schlicht zu halten, entsprach dem Zeitgeist. Die beeindruckenden Segeleigenschaften des kleinen Bootes mit dem simplen, inzwischen mehr als altbackenen Rigg und der geradezu winzigen Segelfläche überzeugen bis heute: Erstaunlich schnell, gutmütig und unaufhaltsam ziehen wir unsere Bahn.
TIBBE im Museum (oben).
Kein Holzfolke gleicht dem anderen (unten).
Spurensuche im Limfjord.
Die neue Farbe war meine Idee.
In den 1970er-Jahren setzte sich GFK als preisgünstiges Baumaterial für Bootsrümpfe durch. Der Yachtsport erlebte einen gewaltigen Boom – jetzt konnte sich wirklich eine breitere Masse ein Segelboot leisten. Der arbeitsintensive Holzbootbau war dafür zu teuer. Eric Andreasen aus Kerteminde rettete das Folkeboot mit einer Kunststoffversion, geklinkert wie das hölzerne Original, mit identischen Segeleigenschaften. Heute erregen Folkeboote immer noch Aufsehen in jedem Hafen. Außerhalb der lebhaften Regattaszene sind es hauptsächlich Individualisten, die bewusst auf den vom Leben an Land gewohnten Komfort verzichten, obwohl modernere und größere Yachten ihn durchaus zu bieten wissen. Doch während die GFK-Boote die reine Zweckorientierung konsequent zu Ende betreiben, vermittelt die Holzversion den Eindruck, jedes Boot habe seinen ganz eigenen Charakter, eine Seele, ein Herz, das irgendwo im Inneren des rustikalen Rumpfes schlägt. Keine zwei Holzfolkes sind vollkommen identisch – das liegt an der Vielzahl von Werften, die sie in Serie gebaut haben, den zahlreichen Einzelbauten, aber auch dem inzwischen stolzen Alter der Boote: Im Lauf der Jahrzehnte hat so mancher Eigner eingebaut, was ihm sinnvoll erschien, und was sich bewährte, durfte an Bord bleiben. Wenn Boote sprechen könnten, hätten sie ganz sicher einiges zu erzählen …
Geschätzte 9000 Folkes wurden gebaut, 4000 aus Holz und 5000 aus GFK – wir reden von der meistverkauften Kielbootklasse weltweit. Bei solchem Erfolg ist nicht immer alles nur rosig und friedlich – Tord Sundén zettelte mehrere Rechtsauseinandersetzungen an. Es ging unter anderem darum, ob ihm Lizenzgebühren für Nachbauten zustehen. Schließlich durfte das von ihm konstruierte, von Marieholm gebaute »Internationale Folkeboot« nicht mehr so genannt werden, sondern musste »IF-Boot« heißen. In den großen Zeiten, als die einschlägigen Werften – Lind, Brandt-Møller oder Børresen in Dänemark, diverse in Schweden – Folkes in Serie produzierten, ging man von einer Lebensdauer von höchstens 20 Jahren aus. Es waren rustikale Boote, keine zum Prahlen geeigneten Schmuckstücke. Doch viele davon, Serienbauten und Einzelstücke, versehen auch nach 50, 60 Jahren munter ihren Dienst. Manche hässlichen Entlein sind wirklich abgerockt, wobei nicht die Jahrzehnte, sondern ein Reparaturstau von wenigen Saisons das eigentliche Problem darstellt. Andere sind in wirklich beeindruckendem Zustand und werden – trotz des allgemeinen Preisverfalls bei Gebrauchtbooten – immer noch für fünfstellige Summen gehandelt.
PAULA kann das alles: was Jury, Konstrukteur und Bootsbauer beabsichtigten. Was ich anfangs suchte. Was ich später zu schätzen lernte. Und darüber hinaus noch eine ganze Menge Dinge, die man niemals von einem Boot erwarten würde. Sie veränderte mein Leben. Sie gestaltet meine Freizeit und unterstützt mich bei der Arbeit. Sie teilt meine Freude und löst meine Probleme. Unnötig zu erwähnen, dass sie bisweilen zuverlässig Ruder geht und sogar die Törnplanung übernimmt. Dass sie Tonnen ausweicht, die ich übersehen habe. Dass sie mir Freundschaften knüpft, denen gegenüber ich selbst gar nicht aufgeschlossen genug wäre.
Lange Zeit ahnte ich nicht einmal, dass Menschen sich über solcherlei Dinge Gedanken machen können. Im Binnenland geboren, als die meisten Holzfolkes bereits durch die Wellen pflügten, faszinierten mich Schiffe zwar schon als Kind, wenn es im Sommer für zwei Wochen an die Nordsee ging, aber diese vage Faszination führte nie zu einem konkreten Interesse. Ein ehrenamtliches Engagement bei Greenpeace brachte mich der Seefahrtsromantik erheblich näher, die die Organisation geschickt in ihre Öffentlichkeitsarbeit einbindet. Doch außer eines Umzugs nach Hamburg bedurfte es einer Reihe von