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Sieben Legenden: Erzählungen
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Ebook113 pages1 hour

Sieben Legenden: Erzählungen

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Neue Deutsche Rechtschreibung
Gottfried Keller (19.07.1819–15.07.1890) war ein Schweizer Dichter und Staatsbeamter. Man kann ohne Zweifel sagen, dass Gottfried Keller der wichtigste Autor der Schweiz im 19. Jahrhundert war. Wegen eines Dummejungenstreiches von einer höheren Schulbindung oder gar einem Studium ausgeschlossen, fand der Halbwaise über den Umweg der Lehre zum Landschaftsmaler doch noch zur Literatur. Er hinterlässt ein großes Werk an Gedichten, Dramen, Novellen und Romanen.
Null Papier Verlag
LanguageDeutsch
Release dateMay 31, 2019
ISBN9783962812607
Sieben Legenden: Erzählungen
Author

Gottfried Keller

Gottfried Keller (1819-1890) war ein Schweizer Schriftsteller, der auch politisch tätig war. Kleider machen Leute ist sein bekanntestes Werk.

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    Sieben Legenden - Gottfried Keller

    htt­ps://null-pa­pier.de/newslet­ter

    Vorwort

    Beim Le­sen ei­ner An­zahl Le­gen­den woll­te es dem Ur­he­ber vor­lie­gen­den Büch­leins schei­nen, als ob in der über­lie­fer­ten Mas­se die­ser Sa­gen nicht nur die kirch­li­che Fa­bu­lier­kunst sich gel­tend ma­che, son­dern wohl auch die Spu­ren ei­ner ehe­ma­li­gen mehr pro­fa­nen Er­zäh­lungs­lust oder No­vel­lis­tik zu be­mer­ken sei­en, wenn man auf­merk­sam hin­bli­cke.

    Wie nun der Ma­ler durch ein frag­men­ta­ri­sches Wol­ken­bild, eine Ge­birgs­li­nie, durch das ra­dier­te Blätt­chen ei­nes ver­schol­le­nen Meis­ters zur Aus­fül­lung ei­nes Rah­mens ge­reizt wird, so ver­spür­te der Ver­fas­ser die Lust zu ei­ner Re­pro­duk­ti­on je­ner ab­ge­bro­chen schwe­ben­den Ge­bil­de, wo­bei ih­nen frei­lich zu­wei­len das Ant­litz nach ei­ner an­de­ren Him­mels­ge­gend hin­ge­wen­det wur­de, als nach wel­cher sie in der über­kom­me­nen Ge­stalt schau­en.

    Der un­ge­heu­re Vor­rat des Stof­fes lie­ße ein Auss­pin­nen der Sa­che in brei­tes­tem Be­trie­be zu; al­lein nur bei ei­ner mä­ßi­gen Aus­deh­nung des harm­lo­sen Spie­les dürf­te dem­sel­ben der be­schei­de­ne Raum ger­ne ge­gönnt wer­den, den es in An­spruch nimmt.

    Eugenia

    Ein Weib soll nicht Manns­ge­rä­te tra­gen,

    und ein Mann soll nicht Wei­ber­klei­der an­tun;

    denn wer sol­ches tut, ist dem Herrn, dei­nem Gott, ein Gräu­el.

    5. Mos. 22, 5

    Wenn die Frau­en den Ehr­geiz der Schön­heit, An­mut und Weib­lich­keit hint­an­set­zen, um sich in an­dern Din­gen her­vor­zu­tun, so en­det die Sa­che oft­mals da­mit, dass sie sich in Män­ner­klei­der wer­fen und so da­hin­trol­len.

    Die Sucht, den Mann zu spie­len, kommt so­gar schon in der from­men Le­gen­den­welt der ers­ten Chris­ten­zeit zum Vor­schein, und mehr als eine Hei­li­ge je­ner Tage war von dem Ver­lan­gen ge­trie­ben, sich vom Her­kom­men des Hau­ses und der Ge­sell­schaft zu be­frei­en.

    Ein sol­ches Bei­spiel gab auch das fei­ne Rö­mer­mäd­chen Eu­ge­nia, frei­lich mit dem nicht un­ge­wöhn­li­chen En­dre­sul­tat, dass sie, in große Ver­le­gen­heit ge­ra­ten durch ihre männ­li­chen Lieb­ha­be­rei­en, schließ­lich doch die Hilfs­quel­len ih­res na­tür­li­chen Ge­schlech­tes an­ru­fen muss­te, um sich zu ret­ten.

    Sie war die Toch­ter ei­nes an­ge­se­he­nen Rö­mers, der mit sei­ner Fa­mi­lie in Alex­an­dria leb­te, wo es von Phi­lo­so­phen und Ge­lehr­ten al­ler Art wim­mel­te. Dem­ge­mäß wur­de Eu­ge­nia sehr sorg­fäl­tig er­zo­gen und un­ter­rich­tet, und dies schlug ihr so wohl an, dass sie, so­bald sie nur ein we­nig in die Höhe schoss, alle Schu­len der Phi­lo­so­phen, Scho­li­as­ten und Rhe­to­ren be­such­te, wie ein Stu­dent, wo­bei sie stets eine Leib­wa­che von zwei nied­li­chen Kna­ben ih­res Al­ters bei sich hat­te. Dies wa­ren die Söh­ne von zwei Frei­ge­las­se­nen ih­res Va­ters, wel­che zur Ge­sell­schaft mit ihr er­zo­gen wa­ren und an all ih­ren Stu­di­en teil­neh­men muss­ten.

    Mitt­ler­wei­le wur­de sie das schöns­te Mäd­chen, das zu fin­den war, und ihre Ju­gend­ge­nos­sen, wel­che selt­sa­mer­wei­se bei­de Hya­zin­thus hie­ßen, er­wuch­sen des­glei­chen zu zwei zier­li­chen Jüng­lings­blu­men, und wo die lieb­li­che Rose Eu­ge­nia zu se­hen war, da sah man al­le­zeit ihr zur Lin­ken und zur Rech­ten auch die bei­den Hya­zin­then säu­seln oder an­mu­tig hin­ter ihr her­ge­hen, in­des­sen die Her­rin rück­wärts mit ih­nen dis­pu­tier­te.

    Und es gab nie zwei wohl­ge­zo­ge­ne­re Ge­nos­sen ei­nes Blaust­rümpf­chens; denn nie wa­ren sie an­de­rer Mei­nung als Eu­ge­nia, und im­mer blie­ben sie in ih­rem Wis­sen um einen Zoll hin­ter ihr zu­rück, so­dass sie stets recht be­hielt und nie be­fürch­ten muss­te, et­was Un­ge­schick­teres zu sa­gen als ihre Ge­spie­len.

    Alle Bü­cher­wür­mer von Alex­an­dri­en mach­ten Ele­gi­en und Sinn­ge­dich­te auf die mu­sen­haf­te Er­schei­nung, und die gu­ten Hya­zin­then muss­ten die­se Ver­se sorg­fäl­tig in gol­de­ne Schreib­ta­feln schrei­ben und hin­ter ihr her­tra­gen.

    Mit je­dem hal­b­en Jah­re wur­de sie nun schö­ner und ge­lehr­ter, und be­reits lust­wan­del­te sie in den ge­heim­nis­vol­len Irr­gär­ten der neu­pla­to­ni­schen Leh­ren, als der jun­ge Pro­kon­sul Aqui­li­nus sich in Eu­ge­nia ver­lieb­te und sie von ih­rem Va­ter zum Wei­be be­gehr­te. Die­ser emp­fand aber einen sol­chen Re­spekt vor sei­ner Toch­ter, dass er trotz des rö­mi­schen Va­ter­rech­tes nicht wag­te, ihr den min­des­ten Vor­schlag zu ma­chen, und den Frei­er an ih­ren ei­ge­nen Wil­len ver­wies, ob­gleich kein Ei­dam ihm will­kom­me­ner war als Aqui­li­nus.

    Aber auch Eu­ge­nia hat­te seit man­chen schö­nen Ta­gen heim­lich das Auge auf ihn ge­wor­fen, da er der statt­lichs­te, an­ge­se­hens­te und rit­ter­lichs­te Mann in Alex­an­dri­en war, der über­dies für einen Mann von Geist und Herz galt.

    Doch emp­fing sie den ver­lieb­ten Kon­sul in vol­ler Ruhe und Wür­de, um­ge­ben von Per­ga­men­trol­len und ihre Hya­zin­then hin­ter dem Ses­sel. Der eine trug ein azur­blau­es Ge­wand, der an­de­re ein ro­sen­far­bi­ges und sie selbst ein blen­dend wei­ßes, und ein Fremd­ling wäre un­ge­wiss ge­we­sen, ob er drei schö­ne zar­te Kna­ben oder drei frisch blü­hen­de Jung­frau­en vor sich sehe.

    Vor die­ses Tri­bu­nal trat nun der männ­li­che Aqui­li­nus in ein­fa­cher wür­di­ger Toga und hät­te am liebs­ten in trau­li­cher und zärt­li­cher Wei­se sei­ner Lei­den­schaft Wor­te ge­ge­ben; da er aber sah, dass Eu­ge­nia die Jüng­lin­ge nicht fort­schick­te, so ließ er sich ihr ge­gen­über auf einen Stuhl nie­der und tat ihr sei­ne Be­wer­bung in we­ni­gen fes­ten Wor­ten kund, wo­bei er sich selbst be­zwin­gen muss­te, weil er sei­ne Au­gen un­ver­wandt auf sie ge­rich­tet hielt und ih­ren großen Lieb­reiz sah.

    Eu­ge­nia lä­chel­te un­merk­lich und er­rö­te­te nicht ein­mal, so sehr hat­te ihre Wis­sen­schaft und Geis­tes­bil­dung alle fei­nern Re­gun­gen des ge­wöhn­li­chen Le­bens in ihr ge­bun­den. Da­für nahm sie ein erns­tes, tief­sin­ni­ges Aus­se­hen an und er­wi­der­te ihm: »Dein Wunsch, o Aqui­li­nus, mich zur Gat­tin zu neh­men, ehrt mich in ho­hem Gra­de, kann mich aber nicht zu ei­ner Un­weis­heit hin­rei­ßen; und eine sol­che wäre es zu nen­nen, wenn wir, ohne uns zu prü­fen, dem ers­ten ro­hen An­trie­be fol­gen wür­den. Die ers­te Be­din­gung, wel­che ich von ei­nem et­wai­gen Ge­mahl for­dern müss­te, ist, dass er mein Geis­tes­le­ben und Stre­ben ver­steht und ehrt und an dem­sel­ben teil­nimmt! So bist du mir denn will­kom­men, wenn du öf­ter um mich sein und im Wett­ei­fer mit die­sen mei­nen Ju­gend­ge­nos­sen dich üben magst, mit mir nach den höchs­ten Din­gen zu for­schen. Da­bei wer­den wir dann nicht er­man­geln, zu ler­nen, ob wir für­ein­an­der be­stimmt sind oder nicht, und wir wer­den uns nach ei­ner Zeit ge­mein­sa­mer geis­ti­ger Tä­tig­keit so er­ken­nen, wie es gott­ge­schaf­fe­nen We­sen ge­ziemt, die nicht im Dun­kel, son­dern im Lich­te wan­deln sol­len!«

    Auf die­se hoch­tra­gen­de Zu­mu­tung er­wi­der­te Aqui­li­nus, nicht ohne ein ge­hei­mes Auf­wal­len, doch mit stol­zer Ruhe: »Wenn ich dich nicht kenn­te, Eu­ge­nia, so wür­de ich dich nicht zum Wei­be be­geh­ren, und mich kennt das große Rom so­wohl wie die­se Pro­vinz! Wenn da­her dein Wis­sen nicht aus­reicht, schon jetzt zu er­ken­nen, was ich bin, so wird es, fürch­te ich, nie aus­rei­chen. Auch bin ich nicht ge­kom­men, noch­mals in die Schu­le zu ge­hen, son­dern eine Ehe­ge­nos­sin zu ho­len; und was die­se bei­den Kin­der be­trifft, so wäre es, wenn du mir dei­ne Hand ver­gönn­test, mein ers­ter Wunsch, dass du sie end­lich ent­las­sen und ih­ren El­tern zu­rück­ge­ben möch­test, da­mit sie den­sel­ben bei­ste­hen und nütz­lich sein könn­ten. Nun bit­te ich dich, mir Be­scheid zu ge­ben, nicht als ein Ge­lehr­ter, son­dern als ein Weib von Fleisch und Blut!«

    Jetzt war die schö­ne Phi­lo­so­phin doch rot ge­wor­den, und zwar wie eine Pur­pur­nel­ke, und sie sag­te, wäh­rend ihr das Herz klopf­te: »Mein Be­scheid ist bald ge­ge­ben, da ich aus dei­nen Wor­ten ent­neh­me, dass du mich nicht liebst, o Aqui­li­nus! Die­ses könn­te mir gleich­gül­tig sein, wenn es nicht be­lei­di­gend wäre für die Toch­ter ei­nes ed­len Rö­mers, an­ge­lo­gen zu wer­den!«

    »Ich lüge nie!« sag­te Aqui­li­nus kalt; »lebe wohl!«

    Eu­ge­nia wand­te sich ab, ohne sei­nen Ab­schied zu er­wi­dern, und Aqui­li­nus schritt lang­sam aus dem Hau­se nach sei­ner Woh­nung. Jene woll­te, als ob nichts ge­sche­hen wäre, ihre Bü­cher vor­neh­men; al­lein die Schrift ver­wirr­te sich vor ih­ren Au­gen, und die Hya­zin­then muss­ten ihr vor­le­sen, in­des­sen sie voll hei­ßen Är­gers mit ih­ren Ge­dan­ken an­der­wärts schweif­te.

    Denn wenn sie bis auf die­sen Tag den Kon­sul als den­je­ni­gen be­trach­tet hat­te, den sie al­lein un­ter al­len Frei­ern zum Ge­mahl ha­ben möch­te, wenn es ihr al­len­falls ge­fie­le, so war er ihr jetzt ein Stein des An­sto­ßes ge­wor­den, über den sie nicht hin­weg­kom­men konn­te.

    Aqui­li­nus sei­ner­seits ver­wal­te­te ru­hig sei­ne Ge­schäf­te und seufz­te heim­lich über sei­ne ei­ge­ne Tor­heit, wel­che ihn die pe­dan­ti­sche Schö­ne nicht ver­ges­sen ließ.

    Es ver­gin­gen bei­na­he zwei Jah­re, wäh­rend wel­cher Eu­ge­nia wo­mög­lich im­mer merk­wür­di­ger und eine wahr­haft glän­zen­de Per­son wur­de,

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